Philip Reis

Philip Reis
Philipp Reis

Johann Philipp Reis (* 7. Januar 1834 in Gelnhausen; † 14. Januar 1874 in Friedrichsdorf) war ein deutscher Physiker und Erfinder des ersten funktionierenden Gerätes[1] zur Übertragung von Tönen über elektrische Leitungen und gilt damit als zentraler Wegbereiter des Telefons. Im Zuge dieser Entwicklung erfand Reis auch das Kontaktmikrophon und gab seinem Apparat 1861 den Namen Telephon[2], der sich später international durchsetzen konnte. Eine weitere Erfindung von Reis waren die Rollschlittschuhe,[3] welche als Vorläufer der modernen Inline-Skates gelten können.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Denkmal in Gelnhausen, 2005

Philipp Reis wurde als Sohn des Bäckers Sigismund Reis geboren. Im Alter von einem Jahr verstarb seine Mutter und 1844 der Vater. Durch den frühen Tod der Eltern wuchs er bei seiner Großmutter auf und wechselte 1845 von der Gelnhausener Bürgerschule ins hessische Friedrichsdorf an das Institut Louis Frédéric Garnier[4], Vorgänger der heutigen Philipp-Reis-Schule. Dort blieb er bis zu seinem 14. Lebensjahr. Danach besuchte er das Hasselsche Institut in Frankfurt am Main. Am 1. März 1850 begann er eine kaufmännische Lehre bei dem Frankfurter Farbwarenhandel Johann Friedrich Beyerbach und besuchte eine Handelsschule. Neben seiner beruflichen Ausbildung betrieb er naturwissenschaftliche Studien an einer polytechnischen Vorschule und beim ehrwürdigen Physikalischen Verein in Frankfurt am Main. Dort wurde er 1851 auch Mitglied. Bereits 1852 fasste Reis den Gedanken, an der Sprachübermittlung durch elektrischen Strom zu forschen.[5]

Nach seiner Militärdienstzeit 1855 bei den hessischen Jägern in Kassel und verschiedener Studienreisen[3] betrieb Reis in Frankfurt erneut naturwissenschaftliche Studien und hatte vor, in Heidelberg eine Lehrerausbildung anzugehen, erhielt aber 1858 bei einem Aufenthalt in Friedrichsdorf von Direktor Garnier unverhofft eine Anstellung als Lehrer für Französisch, Physik, Mathematik und Chemie an dessen Knabeninstitut.[6][3] In Gelnhausen heiratete er, erwarb ein Haus in Friedrichsdorf und beschäftigte sich in der Freizeit weiter mit Mechanik und Elektrotechnik. Dabei entwickelte er nicht nur seine Rollschlittschuhe, sondern auch ein Veloziped, eine frühe Form des Fahrrades.[3] In weiteren Experimente forschte er mit der Solarkraft.

Um seinen Schülern einen anspruchsvollen Unterricht zu ermöglichen, baut er aus einfachen Mitteln anschauliche Modelle. Eines ist der Nachbau einer Ohrmuschel, die Reis zu seiner bedeutenden Erfindung anregt.[4]

Wohnhaus in Friedrichsdorf, 2008

Von 1858 bis 1863[7] arbeitete er in Friedrichsdorf an den ersten Prototypen seines Telephons und erfand dabei auch das Kontaktmikrophon. Insgesamt entstanden in der Zeit drei verbesserte Weiterentwicklungen.[7] Am 26. Oktober 1861[8] führte er einen Prototypen seines Fernsprecher erstmals öffentlich zahlreichen Mitgliedern des Physikalischen Vereins[9] in Frankfurt vor.[8] Sein Vortragstitel lautete: Über die Fortpflanzung von Tönen auf beliebige Entfernungen durch Vermittlung des galvanischen Stroms. Daraufhin erschien im Jahresbericht 1860/61 des Vereins auf Seite 57 ein wissenschaftlicher Fachbericht von Reis zum Telefon: Ueber Telephonie durch den galvanischen Strom.[10]

Zeichnung der Versuchsanordnung

Von diesen ersten Erfolgen ermuntert, verbesserte Reis seinen Apparat bis 1863 wesentlich[11] und ließ seine Modelle in größeren Mengen von einem Frankfurter Mechaniker herstellen, um sie international als wissenschaftliches Demonstrationsobjekt für 8 bis 12 Taler zu verkaufen.[12] So wurde der deutsche Erfinder in der Fachwelt weltweit bekannt.[13] Ein weitreichender wirtschaftlicher Nutzen blieb Reis jedoch versagt.[14]

Der Grund lag hauptsächlich in der öffentlichen Haltung zum Telefon in Deutschland, besonders beeinflusst durch die allgemein ablehnende wissenschaftliche Meinung. Eine große Ausnahme war ein Kommunikationspraktiker, der einflussreiche Wilhelm von Legat, Vorsteher der preußischen Telegraphen-Inspektion VIII, Frankfurt am Main. Er erkannte das Potential der Erfindung und platzierte einen Artikel zur Reis’schen Erfindung in einer renommierten Fachzeitschrift. Doch ohne wissenschaftliche Reputation fand auch diese Veröffentlichung keine Resonanz. So sperrte sich auch Johann Christian Poggendorff gegen die Bekanntmachung der Erfindung in seinen Annalen der Physik und Chemie und nahm den Aufsatz trotz Fürsprache von Legats auch nicht in sein Biographisch-Literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften auf.[15]

Einige Exemplare seiner Apparate kamen auch nach Russland,[16] Großbritannien, Irland und in die USA. 1865 konnte der britisch-amerikanischer Erfinder David Edward Hughes gute Resultate mit dem deutschen Telephon erzielen.[17] Im Herbst desselben Jahres stellte Stephen M. Yeates (1832 - 1901), ein technikbegeisterter Instrumentenbauer aus Dublin die Reis'sche Erfindung einem ausgewählten Kreis erfolgreich vor, dem auch der irische Physiker William Frazer (1824 – 1899) bewohnte. Frazer bestätigte die Leistungsfähigkeit des Telefons schriftlich.[7] Ab 1868 wurde in den USA mit der deutschen Erfindung gearbeitet.[18]

Zeichnung des Reis'schen Musiktelegraphen aus der Zeitschrift Die Gartenlaube, 1863

Am 6. September 1863 führte Reis sein Telefon im Goethehaus von Frankfurt am Main dem Kaiser Franz Josef von Österreich vor. Bei dieser Demonstration übermittelte er musikalische Töne.[19] Auch vor der hochrangig besetzten Naturforscherversammlung in Gießen am 21. September 1864 konnte er erneut großes Interesse weckte und schaffte es damit sogar, dass ihn die Schriftleitung der Annalen der Physik und Chemie, welche 1860 noch einen Abdruck seiner Abhandlung über das Telefon verweigert hatten, nun beachten musste. Doch Reis verweigerte jetzt aus Überzeugung einen Artikel, da er sicher war, dass seine Erfindung ohne eine Reputation durch Johann Christian Poggendorff bekannt werden würde. Das zuletzt entwickelte Telefon besaß bereits eine elektromagnetische Anrufeinrichtung,[18] weitere Verbesserungen blieben Reis jedoch versagt. Schon früh an Tuberkulose erkrankt, musste er immer wieder aufs Krankenbett und konnte so seine Erfindung nicht weiterentwickeln.[4] Der Erfinder des ersten funktionsfähigen Telefons verstarb am Nachmittag des 14. Januar 1874 im Alter von 40 Jahren an den Folgen seiner Krankheit. Er wurde auf dem Friedrichsdorfer Friedhof beigesetzt.

Alexander Graham Bell lernte ein frühes Modell des Reis’schen Telefonapparates bereits 1862 in Edinburgh kennen. Sein Vater versprach ihm und seinen Brüdern einen Preis, wenn sie diese Sprechmaschine weiterentwickeln würden.[18] Im März 1875 experimentierte Bell an der amerikanischen Forschungs- und Bildungseinrichtung Smithsonian Institution in Washington D. C. mit einem neueren Fernsprechermodell des Deutschen[7][18] und profitierte von dessen Grundlagenforschung[3]. Neben den Unterlagen des Erfinders Antonio Meucci, die Bell ebenfalls auswertete, gehören die Studien von Philipp Reis damit zu den zentralen Wegbereitern des ersten wirtschaftlich verwertbaren Fernsprechers.

Nature, die weltweit angesehenste Zeitschrift für Naturwissenschaften, berichtete schon Ende der 1870er Jahre über die Reis’sche Erfindung.[20]

Der britische Geschichtswissenschaftler und Physiker Silvanus P. Thompson (1851 - 1916) war von Reis und seiner Erfindung derart überzeugt, dass er die erste große englischsprachige Biographie Philipp Reis: Inventor of the telephone mit zahlreichen Details, Originaldokumenten und Übersetzungen im Jahr 1883 herausbrachte und zu dem Schluss kam, dass Reis der Erfinder des Telefons gewesen sei.

Erfindung des Telefons

Hauptartikel: Erfindung des Telefons

Nachbau des Telefons von Philipp Reis im Heinz Nixdorf MuseumsForum

Während seiner Zeit am Institut Garnier in Friedrichsdorf entwickelte er 1860/1861 die elektrische Sprachübermittlung – das Telefon (auch dieser in alle Weltsprachen eingegangene Begriff stammt von Reis).

Grundlage für seine Vorrichtung zur elektrischen Tonübertragung war das Holzmodell einer Ohrmuschel, das er für den Physikunterricht entwickelt hatte. Als nachempfundenes Trommelfell diente ihm bei diesem Schulmodell ein Stück Naturdarm (Wursthaut) mit einem feinen Platinstreifen als simuliertes Gehörknöchelchen. Trafen Schallwellen auf dieses Trommelfell, versetzten sie es in Schwingungen, so dass der Stromkreis zwischen Metallstreifen und Drahtfeder unterbrochen wurde.

Im Laufe seiner Versuche erkannte Reis, dass statt des Ohrmodells auch ein mit einer Membran bespannter Schalltrichter verwendet werden konnte. Dieser Schalltrichter mündete in einem Gehäusekasten. Er versah die Membran nun mit einem Kontakt aus Platin, der im ruhenden Zustand einen anderen Kontakt, der im Gehäuse befestigt war, gerade noch berührte. Über diesen Kontakt und einen äußeren Widerstand wurde Gleichstrom geleitet. Fand nun an der Membran ein Schallwechseldruck statt, kam diese in Schwingung, was dazu führte, dass die Kontakte je nach dem Lauf der Schallwellen mehr oder weniger zusammengedrückt wurden.[21]

Reis hatte mit dieser Versuchsanordnung das Kontaktmikrofon erfunden auf dessen Prinzip später das Kohlemikrofon entwickelt wurde, das in der Frühzeit des Rundfunks für Aufnahmen Verwendung fand.[21]

Die aufgrund der einfachen Technik für heutige Verhältnisse rasch ausgereizten Minimal- und Maximalwerte des abbildbaren Schallwellenbereichs konnten bis zur Stromunterbrechung führen. Der Schalldruckpegel wurde daher nur unvollkommen im Stromverlauf abgebildet. Moderne Untersuchungen zeigen jedoch, dass Sprache durchaus verständlich wird, wenn die Stromschwankungen des Reis’schen Kontaktmikrofons durch einen Kopfhörer oder Lautsprecher wiedergegeben werden.[21] Doch schon zu Reis' Lebzeiten wurde die Leistungsfähigkeit seiner Erfindung im Ausland erfolgreich überprüft. So hat David Edward Hughes 1865 mit einem importieren Telefon gute Resultate erzielt.[17]

Als Empfänger diente Reis eine Kupferdrahtspule die um eine Stricknadel (sprechende Stricknadel) gewickelte wurde. Die vom Sender ausgesandten Stromimpulse flossen nun über die Spule, wobei die bewegte Nadel Impulse wieder in Schallwellen umsetzte. Zur Verstärkung des Schalls bediente sich Reis eines Holzkästchens als Resonanzboden.

Denkmäler, Büsten, Originalgeräte, Preise

Denkmäler für den Erfinder Philipp Reis stehen in der Eschenheimer Anlage in Frankfurt am Main, errichtet 1898[22], sowie am Untermarkt der Stadt Gelnhausen. Ein weiteres Denkmal für Philipp Reis steht in der nach ihm benannten Philipp-Reis-Passage in Friedrichsdorf. Das Friedrichsdorfer Denkmal stellt dreidimensional eine Sinuskurve aus einzelnen Aluminiumstelen dar, die symbolisch für die übertragenen Schwingungen des Telefons stehen. In seinem Wohnhaus (Hugenottenstraße 93), das heute unter Denkmalschutz steht, befindet sich das Philipp-Reis-Museum. Bei regelmäßigen Veranstaltungen wird dort auch Kindern Reis’ Telefon nahe gebracht.

In der Abteilung für Fernmeldetechnik des Deutschen Museums in München findet sich eine Büste, die dem Denkmal in Gelnhausen sehr ähnlich ist. Außerdem ist eine Hauptverkehrsstraße in Karlsruhe nach Philipp Reis benannt.

Ein Originalgerät ist in der Schatzkammer des Museums für Kommunikation in Berlin zu sehen.[23]

Am 175. Jahrestag Reis’ Geburt im Januar 2009 würdigte die Suchmaschine Google das Ereignis mit einem ihrer Sonderlogos, auf dem das Reis-Telefon in den Schriftzug integriert war.[24]

Der VDE, die Deutsche Telekom, sowie die Städte Friedrichsdorf und Gelnhausen vergeben alle zwei Jahre den Johann-Philipp-Reis-Preis für besondere wissenschaftliche Leistungen im Bereich der Nachrichtentechnik.

Bibliographie

  • Philipp Reis: Über Telephonie durch den galvanischen Strom, Wiederabdrücke aus den Jahrsberichten des Physikalischen Vereins zu Frankfurt a.M. in Beiblätter zu den Annalen der Physik; Barth, Frankfurt a.M., 1897
  • Philipp Reis: Mitteilung über das Telephon, Wiederabdrücke aus den Jahrsberichten des Physikalischen Vereins zu Frankfurt a.M. in Beiblätter zu den Annalen der Physik; Barth, Frankfurt a.M., 1897

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Werner Rammert: Technik aus soziologischer Perspektive, Westdeutscher Verlag, Opladen, 1993, ISBN 3-531-12421-8, S. 249
  2. Nature 140, 31 Juli 1937, S. 188
  3. a b c d e Rudolf Vierhaus (Herausgeber): Deutsche biographische Enzyklopädie, 2. überarbeitete Auflage, K. G. Saur Verlag, München und Leipzig 2007, ISBN 978-3-598-25030-9, S. 303
  4. a b c Bernd Fleßner: Geniale Denker und clevere Tüftler, Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2007, ISBN 3-407-75329-2, S. 73
  5. Physikalischer Verein (Hrsg.): Gedenkfeier für Philipp Reis, den Erfinder des Telefons, 26.10.1961, Frankfurt am Main 1972
  6. Physikalischer Verein, Frankfurt am Main: Jahresbericht des Physikalischen Vereins zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1896, S. 86
  7. a b c d Silvanus P. Thompson: „Philipp Reis: Inventor of the telephone, E. & F.N. Spon, London 1883
  8. a b Horst Kant: Ein „mächtig anregender Kreis“ – die Anfänge der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, Preprint 2002, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin 2002
  9. Ferdinand Rosenberger: Die Geschichte der Physik, Verlag Georg Olms, Frankfurt am Main 1882, S. 792
  10. Physikalischer Verein, Frankfurt am Main: Jahresbericht des Physikalischen Vereins zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1896, ISBN 3-407-75329-2, S. 78
  11. Hermann Julius Meyer: Meyers Konversationslexikon, Bibliographisches Institut, Leipzig, 1894, S. 314
  12. Werner Rammert: Technik aus soziologischer Perspektive, Westdeutscher Verlag, Opladen, 1993, ISBN 3-531-12421-8, S. 234
  13. Gesellschaft für Deutsche Postgeschichte: Archiv für deutsche Postgeschichte, 1994, S. 53
  14. Ferdinand Trendelenburg: Einführung in die Akustik?, Springer-Verlag, Heidelberg, 1950, S. 150
  15. U. Troitzsch, G. Wohlauf (Herausgeber): Technik Geschichte, Frankfurt 1977, S. 286
  16. Nature 51, 4 April 1895, S. 537f.
  17. a b E.C.S.: Calendar of Scientific Pioneers, Nature 106, 13. Januar 1921, S. 650f.
  18. a b c d Joachim Beckh: Blitz und Anker, Band 1: Informationstechnik - Geschichte und Hintergründe, Books on Demand, 2005, ISBN 3-8334-2996-8, S. 223
  19. E.C.S.: Calendar of Scientific Pioneers, Nature 120, 3. September 1927, S. 350f.
  20. Deutsche Chemische Gesellschaft: Berichte der Deutschen chemischen Gesellschaft 11, Verlag Chemie, 1878, S. 997
  21. a b c Joachim-Felix Leonhard, Armin Burkhardt, Gerold Ungeheuer, Herbert Ernst Wiegand, Hugo Steger, Klaus Brinker: Medienwissenschaft, 2. Teilband‎, Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2001, ISBN 3-11-016326-8, S. 1255
  22. Nature 57, 24 Februar 1898, S. 395f.
  23. Museum für Kommunikation, Berlin
  24. Siehe dazu auch Bericht der Taunus-Zeitung vom 08.01.2009

Literatur

  • Silvanus Thompson: Philipp Reis: Inventor of the telephone, E. & F. N. Spon, London 1883
  • Wilhelm Stricker: Reis, Philipp. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 28, Duncker & Humblot, Leipzig 1889, S. 113 f.
  • Oskar Blumtritt: Reis, Philipp. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, S. 381 f.

Weblinks


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