Public Viewing

Public Viewing

Public Viewing (Aussprache [ˈpʌblɪk ˈvju:ɪŋ], vom englischen „public“ für öffentlich und „viewing“ für Besichtigung/Fernsehen[1]; seltener auch Rudelgucken) ist ein Neologismus und bezeichnet die Liveübertragung von Sportveranstaltungen oder anderen Großereignissen auf Großbildwänden an öffentlichen Standorten (wie Plätzen, Straßen, Einkaufszentren oder Gaststätten) zum Zwecke des (in der Regel kostenlosen) Betrachtens in der Gemeinschaft, sowie die Handlung (des öffentlichen Fernsehens) selbst.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Bedeutung

Der Ausdruck Public Viewing wurde im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im deutschen Sprachgebrauch etabliert. Es handelt sich dabei um ein Lehnwort, das im Deutschen eine engere Bedeutungsspanne besitzt als im englischen Sprachraum,[2] wo der Ausdruck im Allgemeinen die öffentliche Präsentation einer Sache[3][4] – wie etwa einen Tag der offenen Tür oder (in den USA) die öffentliche Aufbahrung eines Toten – bezeichnet.[5] Seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wird die Formulierung gelegentlich auch im Englischen von internationalen Verbänden und Medien in Bezug auf die Übertragung von Sportveranstaltungen auf Großbildwänden verwendet.[6] Seit 2007 ist der Begriff im Duden und seit 2011 dazu auch das Wort Rudelgucken als Synonym aufgeführt.[1]

Entstehung und Organisation

Public Viewing im Rewirpowerstadion in Bochum
Fans im Olympiapark in München beim Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2006

Nach einer Initiative des Organisationskomitees (OK) bei dem internationalen Fußball-Weltverband FIFA sowie des Sportrechtevermarkters Infront wurde die Übertragung der Fußball-WM 2006 auf Großleinwänden in deutschen Städten gesichert. Hauptgrund für das Drängen des OK war die zu geringe Anzahl an Eintrittskarten.

So gaben sowohl die Agentur Infront als auch die FIFA am 20. Januar 2005 nach und genehmigten die kostenlose Öffentliche Übertragung. Somit konnte jede Stadt und jede Gemeinde beispielsweise auf öffentlichen Plätzen oder in Mehrzweckhallen Großbildwände aufstellen und die Spiele für die Zuschauer kostenfrei übertragen.

Ausdrücklich galt diese kostenfreie Freigabe auch für alle nicht-kommerziellen Veranstaltungen in Schulen, Kirchen, Krankenhäusern, Unternehmen oder Biergärten. Sofern eine Übertragung jedoch durch Sponsoren finanziert wurde, galt sie als kommerzielle Veranstaltung, für die Lizenzgebühren erhoben wurden. Dies galt auch für alle Veranstaltungen, bei denen Eintritt erhoben wurde. Als Sponsoren durften nur lokale und regionale Unternehmen fungieren, die nicht Wettbewerber der offiziellen FIFA-Sponsoren waren.

Nach Gesprächen mit dem OK erlaubte die FIFA den lokalen Veranstaltern den Verkauf von Würstchen, Pommes frites und deutschem Bier. Das Getränk des FIFA-Sponsors (Anheuser-Busch Bud) musste nicht ausgeschenkt werden.

Sozialpsychologische Bewertung

Der Begriff Public Viewing versucht eine neue Form der Anteilnahme an identitätsstiftenden Großereignissen wie z. B. einer Fußball-Weltmeisterschaft (WM) im eigenen Land zu beschreiben. Diese Art des kollektiven Mitverfolgens im Kreise unbekannter Gleichgesinnter existierte bisher nur in den Stadien. Nach Auffassung vieler Sozialwissenschaftler und Psychologen liegt der Anreiz des Public Viewing im Teilen von gemeinsamen und simultan entstehenden Emotionen, wie z. B. die Freude über den Sieg des bevorzugten Teams, aber auch die Trauer über die Niederlage. Im Gegensatz zum Betrachten eines Großereignisses vor dem häuslichen Fernsehgerät wird das Entstehen einer solch emotionalen Atmosphäre erst durch technische Innovationen wie Großbildwände oder Plasmafernseher ermöglicht.

Lizenzen und Urheberrechtsschutz

Rechtliche Grundlage für eine eventuelle Lizenzierungspflicht von Public-Viewing-Veranstaltungen ist in Deutschland das Urheberrechtsgesetz. Danach hat das Sendeunternehmen das ausschließliche Recht zur Weiterverbreitung einer Sendung und darüber hinaus nach § 87 Abs. 3 UrhG auch das ausschließliche Recht an Stellen, die der Öffentlichkeit nur gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes zugänglich sind, die Sendung wahrnehmbar zu machen. Für die übertragenen Inhalte selbst besteht meist auch kein Urheberrechtsschutz z. B. Sportveranstaltungen[7], somit können Lizenzregelungen, wie sie etwa von FIFA oder UEFA für das Public Viewing von Fußballspielen herausgegeben werden, nicht auf den Inhalt der Übertragung, also etwa das Fußballspiel an sich, stützen. Ein Erwerb von Lizenzen, auch kostenfreien, kann hier nicht gefordert werden. Das deutsche Urheberrecht unterscheidet auch nicht weiter nach kommerziellen und nicht-kommerziellen Veranstaltungen.[8] Die von der FIFA angefertigten Fußballaufnahmen sind wohl nicht als Filmwerk i.S.v. §2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG anzusehen. Zwar besteht an ihnen grundsätzlich ein Laufbildschutz gem. §95 UrhG, jedoch umfasst dieser nicht das Recht der Wiedergabe von Funksendungen gem. §22 UrhG. Zu beachten ist jedoch, dass die Übertragungen oft auch weitere Inhalte umfassen, welche urheberrechtlich geschützt sind, zum Beispiel Musik. Hierfür kann es nötig sein, eine Lizenz, etwa der Verwertungsgesellschaft GEMA, zu erwerben.[9]

Da Sportverbände wie FIFA oder UEFA mit den Austragungsorten von Wettbewerben bei Welt- und Europameisterschaften umfassende Verträge schließen, sind die betroffenen Städte oft vertraglich dazu verpflichtet, die Forderungen der veranstaltenden Sportverbände zu unterstützen.[10] Dies kann etwa zu Auflagen bei notwendigen Genehmigungen durch die Stadt führen.

Fußball-WM 2006

beidseitige LED-Videowand in Frankfurt mitten im Main

Das Konzept zum Fan Fest FIFA WM 2006™ wurde gemeinsam von der FIFA, dem WM-Organisationskomitee und den zwölf WM-Städten entwickelt. In jeder dieser WM-Städte fand im Rahmen dieser offizieller Fan-Feste eine öffentliche Übertragung der Spiele der Fußball-WM statt. Die FIFA finanzierte in den zwölf Austragungsorten, als sogenanntes Fan Fest „Stadtname“ je eine Großleinwand mitsamt der Technik und den Fernsehbildern. Mit der Hilfe der offiziellen Sponsoren wollte die FIFA jedoch höchstens 700 000 Euro pro WM-Stadt ausgeben, alle weiteren Kosten mussten die einzelnen Städte aufbringen.

In der Frankfurter MainArena wurden die Spiele auf einer 9 x 16 Meter großen beidseitigen LED-Videowand, die mitten im Main auf 22 Meter langen Hydraulikstelzen installiert wurde, übertragen. So konnten beide Mainufer als Public-Viewing-Flächen für bis zu 50.000 Zuschauer genutzt werden. Diese künstliche Insel wog ohne die Bildschirme 160 Tonnen.

In Hamburg wurde eine Großleinwand auf dem Heiligengeistfeld neben dem Millerntor-Stadion aufgebaut. In Stuttgart erfolgte die Übertragung auf fünf Großbildwänden auf dem Schlossplatz. Auf dem Friedensplatz in Dortmund stand eine Großbildwand, sowie in unmittelbarer Nähe des WM-Stadions in der Dortmunder Westfalenhalle. In Berlin fanden neben dem offiziellen Fanfest auf der Straße des 17. Juni, bei dem bis zu 750.000 Zuschauer anwesend waren, weitere Live-Übertragungen anderer Veranstalter u. a. im Sony Center, in der Waldbühne und in der temporären Adidas-Arena statt. In Düsseldorf wurde das Paul-Janes-Stadion am Flinger Broich zum „Stadtwerke Düsseldorf Fan Stadion“ umgestaltet. Bis zu 12.600 Fans konnten auf der größten Public-Viewing-Veranstaltung in einer Nicht-Austragungsstadt alle WM-Spiele live miterleben. In München standen Großbildwände im Olympiapark.

Markenschutz

Geschütztes Public-Viewing-Logo

Am 30. Oktober 2007 wurde der Begriff Public Viewing beim Markenregister des Deutschen Patent- und Markenamt in Verbindung mit einem Logo als Bild-/Wortmarke eingetragen. Rechteinhaber ist eine Firma aus Magdeburg, die Großbildwände vermietet.

Die Eintragung beim DPMA hat allerdings keinen Einfluss auf die Verwendung des Begriffes selbst. Denn der Markeninhaber kann Lizenzgebühren nur verlangen, wenn der Begriff in Verbindung mit seinem eingetragenen Logo (siehe Grafik) verwendet wird. Ein Versuch, den Begriff Public Viewing selbst als reine Wortmarke zu schützen, wurde laut DPMA-Register zurückgewiesen. (Begründung: Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft sowie beschreibende (freihaltungsbedürftige) Angabe (§ 8 Abs.2 Nr. 1 u. 2).)

Lärmschutz

Public-Viewing-Veranstaltungen im Freien, die bis in die Nachtstunden nach 22 Uhr hineinreichen, dürfen in Deutschland nur durchgeführt werden, wenn die immissionsrechtlichen Lärmschutzanforderungen zum Schutz der Nachtruhe erfüllt werden. Damit solche Veranstaltungen während der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 stattfinden konnten, wurde eigens für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis 31. Juli 2010 eine Verordnung über den Lärmschutz bei öffentlichen Fernsehdarbietungen im Freien über die Fußball WM 2010 erlassen[11]. Entsprechende Bestimmungen galten bereits während der Fußball-WM 2006 und der Fußball-EM 2008.

Verschiedenes

Die Direktübertragung für das gemeinschaftliche Mitverfolgen vieler Zuschauer von Großereignissen gab es schon bei den Olympischen Sommerspielen 1936 - dort konnte man in sogenannten Fernsehstuben die Wettkämpfe zusammen öffentlich anschauen.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6., überarbeitete Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 2007. hier online
  2. Anatol Stefanowitsch: Public Viewing – Bremer Sprachblog, Institut für allgemeine und angewandte Sprachwissenschaft, 8. Juni 2008
  3. Public get say on ghost ship firm, BBC News, 24. Februar 2005, abgerufen am 11. Juni 2008
  4. New telescope open to public, BBC News, 5. April 2003, abgerufen am 11. Juni 2008
  5. Public viewing for former Pontiff, BBC News, 3. Juni 2001, abgerufen am 11. Juni 2008
  6. SABC agrees public-viewing World Cup 2010 deal, betreffend public-viewing während der Fußball-Weltmeisterschaft 2010, sportbusiness.com, 1. April 2008, abgerufen am 11. Juni 2008
  7. Börries von Notz: Public Viewing während der WM ohne Lizenz?, 8. März 2006.
  8. Niko Härting, Fabian Reinholz: Fußball WM 2006 – Public Viewing, 11. Mai 2006.
  9. GEMA – Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte: GEMA-Sondertarif für die Fußball-EM und die Olympischen Spiele, 6. Juni 2008.
  10. Wiener Zeitung: Brisanter Vertrag zur Fußball-EM 5. Juli 2007
  11. Verordnungsentwurf der Bundesregierung mit Begründung
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