Russland-Krise

Russland-Krise

Als Russlandkrise (auch Rubelkrise) bezeichnet man die durch massiven Kapitalabfluss ausgelöste Wirtschaftskrise in Russland in den Jahren 1998 und 1999. In Russland wird diese Krise häufig mit dem Begriff Default (russ. дефолт) bezeichnet.

Erste Anzeichen für eine wirtschaftliche Krise hatte es bereits im Gefolge der Turbulenzen der Asienkrise im Herbst 1997 gegeben. Durch die dortige Krise waren die Anleger in Russland nervös geworden und es kam zu einem verstärkten Kapitalabfluss. Dadurch geriet die Währung, der russische Rubel, unter Druck. Zeitgleich hatte die russische Regierung einen hohen Bedarf für kurzfristige Kredite, um Lücken im Haushalt zu schließen.

Inhaltsverzeichnis

Binnenverschuldung

Der russische Präsident Boris Jelzin entließ am 23. März 1998 die Regierung des russischen Ministerpräsidenten Wiktor Tschernomyrdin unter dem Vorwurf, er habe die wirtschaftspolitischen Probleme des Landes nicht energisch genug angegangen.

Beim Amtsantritt des neuen russischen Ministerpräsidenten Sergei Kirijenko (13. März kommissarisch, 24. April vom Parlament bestätigt) besaß der russische Staat ein hohes Haushaltsdefizit. Der Staat konnte aufgrund mangelnder Steuereinnahmen, mangelnder Rentabilität staatlicher Betriebe, Korruption, Schattenwirtschaft sowie ausländische Investoren abschreckende komplizierte Zoll- und Steuergesetze die Haushaltsziele nicht einhalten. Er konnte kaum die Zinsen der Kredite (30% des Etats) und die staatlichen Lohnschulden (Streik der Bergarbeiter; Rentner, Soldaten, Ärzte, Lehrer) begleichen.

Das Hauptproblem der russischen Wirtschaft war eine Binnenverschuldung und Zahlungskrise. Fabriken konnten ihre Arbeitnehmer nicht bezahlen, da sie für ihre Waren kein Geld bekamen. Die Fabriken konnten nicht für den verbrauchten Strom zahlen, weshalb die Energiekonzerne wiederum keine Steuern an den Staat abführten.

Der größte Anteil der Schuldner waren Staatsbetriebe und Kommunen. Gewinner dieser Krise waren die sogenannten russischen Oligarchen, die mit dem Betrieb von Energie- und Rohstoffunternehmen riesige Vermögen angehäuft hatten.

Der extrem teure Präsidentschaftswahlkampf Jelzins gegen den Kommunisten Gennadi Sjuganow 1996 wurde zudem von Banken und Industrieunternehmen der Oligarchen bereitgestellt, die Jelzin nach der Wahl vor Steuerbehörden „schützte“. Nur etwa fünf Millionen der 148 Millionen Einwohner Russlands zahlten regelmäßig Steuern.

Sparkurs

Kreditzusagen und ein Finanzplan des Internationalen Währungsfonds beinhalteten einen strengen Sparkurs. Am 27. Mai kam es an russischen Finanzmärkten zu starken Kursschwankungen. Zusätzlich stiegen die Zinsen für kurzfristige Staatsanleihen stark an. Wegen der bisherigen instabilen Situation blieb eine wirtschaftliche Erholung trotz einer wirtschaftlichen Beruhigung aus. Im Mai 1998 konnte die Regierung ihre Schuldverschreibungen nur unter massiven Zinserhöhungen (Zinssatz 80 %) am Markt absetzen. Um den Rubel nicht abzuwerten und den IWF von der Sanierung des Staatshaushaltes zu überzeugen verdreifachte die Zentralbank am 27. Mai 1998 die Leitzinsen auf 150%, während Präsident Jelzin per Dekret am 26. Mai ein Sparpaket verordnete, das eine Einsparung von ca. 40 Milliarden Rubel vorsah. Der IWF gab darauf seine Kredittranche von 670 Millionen Dollar bekannt. Der Staat stellte die Ölunternehmen Rosneft, Slawneft-Megionneftegaz, Sibur und Lukoil und die Telefon-Holding Swjasinvest zur Privatisierung. Nach dem Verfall der Ölpreise auf dem Weltmarkt fanden sich jedoch kaum Interessenten und der Verkauf scheiterte. Am 4. Juni senkte die Zentralbank die Leitzinsen auf 60%.

Reformversuche

Der IWF kritisierte am 18. Juni die Geschwindigkeit der Reformen und verschob die Auszahlung. Obwohl der IWF am 25. Juni die ausstehenden Kreditranchen genehmigte, fielen die russischen Aktien weiter. Am 1. Juli legte Kirijenko dem Parlament ein Sparpaket vor, das Einsparungen von umgerechnet 6 Milliarden Dollar im Jahr vorsah, und von dessen Billigung weitere Kredite des IWF zur Stabilisierung des Rubel abhingen. Die Regierung beschloss wegen des mangelnden Reformwillens der Duma wesentliche Punkte einer Steuerreform per Verordnung. Wegen der schleppenden Umsetzung der Reformen kürzte der IWF die erste Zahlung des Kredits. Der Versuch Kirijenkos, den kommunistischen Oppositionspolitiker Juri Masljukow als Industrie- und Handelsminister in die Regierung einzubauen wurde vom Parlament nicht honoriert. Nach einer teilweisen Annahme des Sparpakets durch die Duma Mitte Juli gewährten die Weltbank und der IWF Russland für die nächsten beiden Jahre 22,6 Milliarden Dollar Kredit. Am 20. Juli genehmigte der IWF einen Überbrückungskredit von 11,2 Milliarden Dollar, am 6. August die Weltbank einen Kredit von 1,5 Milliarden Dollar.

Spekulationen

Am Interbankenmarkt wurde am 12. August die Liquidität knapp. Geschäftsbanken durften daraufhin auf Anweisung der Notenbank keine unbegrenzten Mengen an fremden Währungen mehr kaufen.

Am 13. August empfahl der ungarisch-amerikanische Milliardär und Finanzmakler George Soros der russischen Regierung in der Londoner Times eine Rubelabwertung von 15-25%. Spekulationen um eine Abwertung des Rubel führten sogleich zu drastischen Kursverlusten an der Moskauer Börse. Nach Panikverkäufen und Kursverlusten bis zu 25% wurde der Handel an der Börse zeitweise ausgesetzt. Die Aktien fielen auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Durch den resultierenden Kapitalabfluss und die hohe Staatsverschuldung geriet der russische Rubel massiv unter Druck. Jelzin schloss jedoch am 14. August eine Abwertung des Rubels aus, wodurch die Aktienkurse die Verluste mehr als wett machten. Faktisch bedeutete dies den Staatsbankrott mit der Folge, dass auch Privatguthaben auf Bankkonten ihren Wert verloren.

Soros wurde von der Moskauer Wirtschaftspresse vorgeworfen, seine Empfehlung einer Rubelabwertung zu Devisenspekulationen genutzt zu haben, was dieser jedoch bestritt. Tatsächlich deutete sich der Rubelverfall bereits eine gewisse Zeit zuvor an, und ging auch zurück auf die mangelnde Fähigkeit der bisherigen russischen Regierungen, den Staatshaushalt von den Schulden unrentabler Staatsbetriebe zu entlasten. Soros fungierte nur als Auslöser der Krise, indem er die Überteuerung des Rubel öffentlich aussprach. Die Asienkrise sowie der Preisverfall bei Erdöl (Hauptexportgut Russlands) förderten die russische Währungskrise.

Abwertung des Rubel

Die russische Regierung konnte den unrealistisch gewordenen Kurs des Rubel nicht länger verteidigen. Sie hatte vergeblich versucht mit den 4,8 Milliarden Dollar Hilfsgeldern des IWF den Rubelkurs zu stützen. Am 17. August erweiterte sie den Dollar-Korridor des Rubel, was einer De-facto-Abwertung der Währung gleichkam. Der US-Dollar durfte danach zwischen 6,0 und 9,5 Rubel gehandelt werden. Zuvor durfte ein Mittelwert von 6,2 Rubel nur um maximal 15% nach oben oder unten überschritten werden. Das Versprechen der Regierung den Rubel nicht abzuwerten wurde so durch die Hintertür aufgegeben. Die Rückzahlung privater Auslandsschulden wurde für 90 Tage ausgesetzt und die Bedienung kurzfristiger Staatsanleihen eingestellt. Die Freigabe des Wechselkurses führte zu einer starken Abwertung des Rubels mit einem Wertverlust von 60 %. Dies wiederum verteuerte den Schuldendienst der Geschäftsbanken (bei Krediten in Fremdwährung) erheblich und führte zu einem Sturm der Privatanleger auf die Banken. Ein Großteil der Geschäftsbanken musste unter diesen Bedingungen Insolvenz anmelden.

Neue Regierung

Am 23. August entließ Jelzin Kirijenko nach fünf Monaten überraschend aus dem Amt. Ein Grund dafür war, dass Kirijenko nicht die Wirtschaftsprobleme gelöst habe, sowie dessen Entscheidung den Rubel abzuwerten. Jelzin sagte, er habe die Entlassung im Interesse der Stabilität und Kontinuität ausgesprochen. Kirijenko hatte zuvor im Parlament erklärt, Russland stehe am Anfang einer Finanzkrise, worauf weltweit die Kurse an den Finanzmärkten einbrachen. Mit der Entlassung Kirijenkos rettete Jelzin seine eigene Karriere, galt aber als angeschlagen. Erst nach einem Regierungswechsel, bei dem der vorherige und von Jelzin nun interimistisch eingesetzte Premierminister Wiktor Tschernomyrdin am 11. September durch den russischen Außenminister Jewgeni Primakow abgelöst wurde, wurde ein rigides Sparprogramm eingeleitet. Dadurch konnte das Vertrauen der Finanzmärkte wieder hergestellt und die Inflation im Jahr 1999 eingedämmt werden.

Für die große Mehrheit der Bürger bedeutete die Abwertung des Rubels existenzielle Kaufkraftverluste. Erst mit dem Jahr 2000 konnte sich der Binnenmarkt, getragen von den Rohstoffexporten, wieder erholen.

Die Russlandkrise hatte erhebliche Auswirkungen auf die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, denen die traditionellen Absatzmärkte wegbrachen. Bereits im Jahr 2006 verfügte die russische Regierung über erhebliche Devisenreserven.

Im Baltikum führte die Russlandkrise nach Jahren günstiger Wirtschaftsentwicklung zu einer Rezession im Jahr 1999.

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