Scherchen

Scherchen

Hermann Scherchen (* 21. Juni 1891 in Berlin; † 12. Juni 1966 in Florenz) war ein deutscher Dirigent.

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Leben

Nach frühem Violinunterricht in der Kindheit begann Scherchen seine Musikerlaufbahn als Bratschist in Berlin (1907–1910). Das Handwerk für seinen späteren Beruf des Dirigenten erlernte er hauptsächlich als Autodidakt.

In die 1910er Jahre fielen zwei prägende Ereignisse. Entscheidend für seine berufliche und künstlerische Entwicklung wurde seine Begegnung mit Arnold Schönberg 1911, mit dem er für die Uraufführung von dessen berühmtem Werk Pierrot lunaire zusammenarbeitete, welches er im folgenden Jahr auch auf einer Tournee dirigierte. 1917 erlebte er als ziviler Kriegsgefangener in einem Lager im Ural die russische Oktoberrevolution mit (er war zu Beginn des Ersten Weltkriegs während eines Dirigats in Lettland als feindlicher Ausländer von den Russen interniert worden).

1918 übersetzte er das Arbeiterlied Brüder, zur Sonne, zur Freiheit ins Deutsche und kehrte nach Berlin zurück. Er gründete ein Streichquartett („Scherchen-Quartett“) und die Musikzeitschrift Melos. Daneben begann er seine Lehrtätigkeit und wurde Leiter zweier Arbeiterchöre. In den folgenden Jahren dirigierte er in Leipzig (1920/1921) und Frankfurt am Main (1922–1924; als Nachfolger von Wilhelm Furtwängler. Er war Leiter der Museumskonzerte) und wirkte in Winterthur (1922–1947), als Generalmusikdirektor in Königsberg (1928–1931 und war daneben bis 1933 musikalischer Leiter des dortigen Rundfunksenders.

Ab 1923 engagierte sich Scherchen in der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). In diesem Umfeld lernte er auch Karl Amadeus Hartmann kennen, zu dessen Mentor er wurde. 1926 dirigierte Scherchen erstmalig bei den Donaueschinger Musiktagen. 1933 verließ der überzeugte Kommunist Deutschland wegen seiner Ablehnung des Nationalsozialismus. Nach 1933 gründete er Orchester in Brüssel und Wien mit den Namen „Ars Viva“ oder „Musica Viva“, deren Arbeit der zeitgenössischen Musik gewidmet war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Scherchen von 1945 bis 1950 musikalischer Leiter bei Radio Beromünster in der Schweiz und Chefdirigent des Studioorchesters beim Schweizer Rundfunk. Ab 1950 engagierte er sich bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und verhalf vielen der damaligen Avantgarde-Komponisten zu Uraufführungen. 1954 gründete Scherchen in seinem Wohnort Gravesano mit Unterstützung der UNESCO ein Studio für Forschungen auf dem Gebiet der Elektroakustik (Rundfunk- und Aufnahmetechnik). Von 1959 bis 1960 war er außerdem Chefdirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford.

Scherchen setzte sich in seiner Karriere wie kaum ein zweiter Dirigent für die Neue Musik ein. Er dirigierte viele Uraufführungen, darunter u.a. Werke von Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern, Paul Hindemith, Ernst Krenek, Richard Strauss, Karl Amadeus Hartmann, Edgar Varèse, Luigi Nono, Luigi Dallapiccola, Paul Dessau, Boris Blacher, Hans Werner Henze, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis. Daneben gründete er Ensembles, die sich der Aufführung zeitgenössischer Musik widmeten, und Zeitschriften, die sich publizistisch um deren Verbreitung bemühren.

Scherchen war als Dirigent für unkonventionelle Interpretationen bekannt. So existiert eine Aufnahme der 5. Sinfonie von Gustav Mahler, in welcher Scherchen erhebliche Striche in der Partitur vornahm.

Familie

Hermann Scherchen war nach einer kurzen Ehe mit der Schauspielerin Gerda Müller mit der chinesischen Komponistin Hsia Shu-sien verheiratet. 1937 wurde ihre Tochter Tona Scherchen geboren. Diese kehrte 1949 mit ihrer Mutter nach China zurück. Später machte sie sich einen Namen als Komponistin, vor allem nachdem sie 1972 nach Frankreich gezogen war.

Seine Schwester Helena war mit Sándor Radó verheiratet, den er während dessen Flucht 1944 eine Zeit lang in seiner Wohnung in Genf versteckte.

Auszeichnungen

Werke

  • Lehrbuch des Dirigierens, Leipzig 1929
  • Vom Wesen der Musik, Winterthur 1946
  • Musik für Jedermann, Winterthur 1950
  • Alles hörbar machen: Briefe eines Dirigenten 1920–1939, Berlin 1976
  • Aus meinem Leben, Berlin 1984
  • Schallplattenaufnahmen von mehreren hundert Werken vom Barock bis zur Moderne (wenige noch im Handel erhältlich)

Literatur

  • Marion Brück: Scherchen, Hermann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, S. 686 f.
  • Hansjörg Pauli (Hrsg.): Hermann Scherchen, Musiker. Ein Lesebuch. Edition Hentrich, Berlin 1986, ISBN 3-926175-01-X.

Weblinks


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