Soziale Probleme

Soziale Probleme

Der Begriff Soziale Frage bezeichnet die Auseinandersetzung mit den sozialen Missständen, die mit der Industriellen Revolution einhergingen, das heißt mit dem Übergang von der Agrar- zur sich verstädternden Industriegesellschaft auftraten. In England war der Beginn dieses Übergangs etwa ab 1750 zu verzeichnen, in Deutschland ab dem 19. Jahrhundert. Schon geraume Zeit davor kristallisierte sich dramatisches Elend großer Bevölkerungsgruppen heraus. Eine erste Phase umfasste in Deutschland etwa die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie war geprägt von einer wachsenden Bevölkerung, dem Niedergang des alten Gewerbes und einem allmählichen Aufkommen der Fabrikindustrie.

Kernprobleme der Sozialen Frage waren der Pauperismus und die Existenzunsicherheit von Bauern, ländlichem Gesinde, Handwerkern, Arbeitern und kleinen Kontorangestellten.

Im Laufe der Zeit verschoben sich die Problemlagen. Etwa zwischen den 1850er und den 1870er Jahren erfuhr die Industrie einen starken Aufschwung, während sich der Niedergang des Heimgewerbes und die Krise des Handwerks fortsetzten. Eine dritte Phase war in Deutschland seit etwa 1870 von der Hochindustrialisierung und vom Übergang zur Industriegesellschaft geprägt. Die Soziale Frage wurde nun vornehmlich zur Arbeiterfrage. Massenhafte Abwanderung vom Lande in die städtischen Industriezentren, Begleiterscheinungen der Großstadtbildung und die gesellschaftliche Integration der Industriearbeiterschaft beschäftigten die politisch Verantwortlichen ebenso wie die bürgerliche Öffentlichkeit. Je nach Problemwahrnehmung und Interessenlage wurden unterschiedliche Lösungsansätze zur Sozialen Frage entwickelt.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff „Soziale Frage“ entstand ab etwa 1830 und umschreibt zunächst die mit dem Bevölkerungs- und Städtewachstum entstehende Verelendung, dann die mit dem Gesellenüberschuss (daher auch der „Handwerksburschenkommunismus“ von Wilhelm Weitling) und den Arbeitsbedingungen der Frühindustrialisierung (12-Stunden-Tag, Kinder- und Frauenarbeit) verbundenen Konflikte. Die soziale Krise wurde vielfach fühlbar (Unterernährung und frühes Siechtum, Untergang kleiner Wirtschaftsbetriebe – Höfe, Einzelhandel, Handwerk –, Wohnungsnot in den anwachsenden Großstädten, starke Binnenmigration, neue Kriminalitätsformen).

Zunächst wird der Terminus in der deutschsprachigen Literatur als Übersetzung des französischen „question sociale“ verwendet, um die gesellschaftliche Situation in anderen Staaten Westeuropas darzustellen. Ein erster Nachweis findet sich in der am 30. April 1840 in Augsburg erschienenen Korrespondenz Heinrich Heines aus Paris.[1] In gesellschaftspolitischen Schriften und Untersuchungen zur Situation in Deutschland erlangte der Begriff erst um 1848 eine herausgehobene, programmatische Bedeutung.[2] In Parteiprogrammen wie dem Eisenacher Programm (1869) der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, oder dem Gothaer Programm (1875) der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (später SPD) findet der Begriff ebenfalls Erwähnung.

Entstehung und Merkmale

Die Soziale Frage ergab sich aus der Notlage wirtschaftlich schwacher sozialer Gruppierungen. Zu den Hauptursachen zählten ein sich beschleunigendes Bevölkerungswachstum sowie die Folgen von Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit.

Die überwiegend noch auf dem Lande lebende Bevölkerung wuchs in Europa nach 1815 ungewöhnlich stark an. Gründe dafür könnten in der gesamteuropäischen Klimaerwärmung liegen, die von den 1780er Jahren an sicherere Ernten ermöglichte. Medizinische und hygienische Fortschritte trugen ihrerseits zum Bevölkerungswachstum bei, z.B. die Einführung der Pockenimpfung durch Edward Jenner 1796 und eine verbesserte chirurgische Ausbildung, wie sie zunächst für die Militärchirurgie unter Napoleon I. eingeführt wurde.

Die Bauernbefreiung durch Aufhebung der Grundherrschaft erzwang von den Landwirten eine Abgeltung alter Frondienste, die oft in der Form von Landabtretung geschah. Die nunmehr persönlich freien Bauern verblieben auf unwirtschaftlich kleinen Höfen, fielen in Verschuldung und wurden durch das so genannte Bauernlegen aus ihrem Besitz gekauft. Die Aufhebung des Zunftzwangs im Handwerk führte in Verbindung mit der Abwanderung vom Lande zu einem Anstieg der Gesellenzahl sowie – bei sinkenden Löhnen im Handwerk und steigender Arbeitslosigkeit – zum sogenannten Handwerksburschenelend.

Steigender Problemdruck

Signifikante gesellschaftliche Armut wie auch Versuche ihrer Milderung vor allem auf kirchlicher und kommunaler Basis gab es zwar längst, bevor die „Soziale Frage“ als Begriff in Gebrauch kam. Die neuartigen Formen und die Nachwirkungen der die monarchischen Herrschaftssysteme und die Kirchen beunruhigenden Französischen Revolution förderten aber die Tendenz, dass die zunehmende Armut breiter Bevölkerungsschichten in der öffentlichen Meinung und in alten und neuen Wissenschaftszweigen (Jurisprudenz, Nationalökonomie, Soziologie) entsprechend thematisiert wurde.

Die Brisanz der Sozialen Frage ergab sich aus dem als völlig neuartig und radikal empfundenen sozialen Wandel. Die europäische spätfeudale Agrargesellschaft mit handels- und gewerbekapitalistischen Städten als überregionalen Märkten (Max Weber) wandelte sich zu einer kapitalistischen – erst merkantilistisch, dann industriell geprägten – Gesellschaft (siehe: Industrielle Revolution).

Die allmähliche Auflösung der traditionellen sozialen Gemeinschaften wie etwa der Großfamilie oder der Bindung an den Grundherrn zerriss auch die traditionell eng verflochtenen sozialen Netze. Die ein Überangebot an Arbeitskräften in den Städten bewirkende Landflucht drückte dort das Lohnniveau, so dass mehrere Mitglieder einer Familie eine Lohnarbeit suchen mussten; die dadurch auf den Arbeitsmarkt drängenden Frauen und Kinder senkten das Lohnniveau weiter, Arbeitszeiten von 12 und mehr Stunden pro Tag sowie Nacht- und Sonntagsarbeit wurden erzwungen; auf Gesundheit (chronische Vergiftungen, Silikose) und betrieblichen Unfallschutz wurde kaum geachtet. Arbeitsverhältnisse und Lebensbedingungen der Lohnarbeiterschaft trugen alle Züge einer Verelendung: erbärmliche Wohnverhältnisse in verwanzten Mietskasernen, oft nur ein Zimmer pro Familie, die Betten tagsüber zusätzlich von Schlafburschen belegt. Das Familienleben war unter solchen Verhältnissen ungekannten Belastungen ausgesetzt und tendierte zur Auflösung mit der Konsequenz persönlicher Vereinzelung, Verrohung der Sitten, Schulmangel, Prostitution, auch Kinderprostitution, und Bandenbildung, daraus folgend zu einem Komplex gesundheitlicher Schäden (Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, „Englische Krankheit“ durch Vitaminmangel, Krätze, Verlausung, Trunksucht) und sinkender Lebenserwartung.

Arbeitsbedingungen

Eisenwalzwerk von Adolf von Menzel

Durch das Angebot an Arbeitskräften aus dem Zustrom überzähliger Landarbeiter und in der industriellen Konkurrenz unterlegener Handwerker konnten Unternehmer teilweise mit Löhnen nahe dem Existenzminimum produzieren und erzielten einen bis heute unerreichten relativen Reichtum.

Die Arbeitsbedingungen waren schwer und es herrschte strenge Arbeitsdisziplin. Arbeiter die aufbegehrten oder arbeitsunfähig waren, konnten mangels wirksamer Arbeitsmarktgesetzgebung durch neue Landflüchtlinge ersetzt werden. In englischen Industriestädten betrug die durchschnittliche Lebensarbeitszeit bis zur "Arbeitsunfähigkeit" etwa 15 Jahre. Das Durchschnittsalter der Industriearbeiter in Manchester lag bei nur 18 Jahren. Der Arbeitslohn konnte bei zehnminütigem Zuspätkommen um einen halben Tageslohn gekürzt werden. Ebenso konnten bei fehlerhafter Arbeitsleistung oder Werkzeugbruch Lohnabzug verhängt werden. Üblich waren auch Verlängerung der täglichen Arbeitszeit (bis zu 18 Stunden), keine Sonntagsruhe, unzureichender oder fehlender Arbeitsschutz (Transmissionsbänder der Dampfmaschinen waren eine große Gefahrenquelle). Es gab auch keine Altersversorgung, Unfallversicherung oder Schutz gegen Willkür durch Vorgesetzte, wie z. B. Kündigungsschutz.

Der Gesetzgeber kannte zu dieser Zeit keine oder kaum regulierende ordnungspolitische Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt (s. a. Manchesterkapitalismus). Polizei und Militär dienten innenpolitisch primär der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Armenemeuten und Hungerdemonstrationen wurden oft brutal niedergeschlagen und führten zu Verletzten, Toten sowie Inhaftierungen und auch Hinrichtungen der Anführer.

Frauen- und Kinderarbeit

Glashütte Eleonorehain / Böhmen 1890 Kinderarbeit beim Eintragen

Die Arbeiter verdienten oftmals zu wenig, um ihre Familie zu ernähren. So mussten vor allem in (noch herkömmlich) kinderreichen Familien auch Frauen und Kinder Lohnarbeiten annehmen. Frauen arbeiteten in Heimarbeit, anstatt wie früher im Verlagssystem, sowie in der bedeutenden Textilindustrie. Frauen waren bei Arbeitgebern sehr beliebt, da sie feinmechanisch kundiger und psychisch sehr belastbar waren und somit auch intensiver und länger arbeiten konnten; vor allem aber waren sie billiger, da ihre Lohn deutlich unter dem der männlichen Arbeiter lag.

Die Kinderarbeit gibt es in der ländlichen Familienwirtschaft seit Menschengedenken, aber mit der Industrialisierung nahm sie im 18. und 19. Jahrhundert in Europa und den USA Ausmaße an, die die Gesundheit und Bildung der Arbeiterkinder massiv beeinträchtigte. Kinder wurden auch im Untertagebau eingesetzt, da sie kleiner waren und deswegen bei schmalen Flözen im Streb und engen Stollen Kohle oder Erz effektiver als Erwachsene hereingewinnen konnten. In England arbeiteten Kinder im Sommer bis zu 64 und im Winter 52 Stunden in der Woche unter Tage. In Webereien (Cotton Mills) waren sogar 80 Stunden pro Woche üblich.

Kinderarbeit, Newberry, South Carolina. 1908.

1833 wurde das erste Gesetz zum Schutz der Kinder in England erlassen: Arbeitsverbot für Kinder unter neun Jahren in Textilfabriken, Nachtarbeitsverbot und maximal 12-Stundentag für Jugendliche unter 18 Jahren. Etwa zehn Jahre später folgte ein Verbot der Untertagearbeit für Kinder (Mindestalter: zehn Jahre) und Frauen. Ähnliche Gesetze wurden bald darauf in Deutschland und Österreich (Arbeitsverbot für Kinder unter Zwölf) erlassen. Preußen erließ deshalb 1839 ein „Regulativ“, das Kindern unter zehn Jahren die Arbeit in Fabriken verbot, sowie ein Sonntags- und Nachtarbeitsverbot für 10- bis 16-jährige. Im Jahr 1853 wurde das Mindestalter für die Fabrikarbeit auf zwölf Jahre angehoben (neun Jahre plus drei Jahre Schulpflicht). Zur Durchsetzung der Gesetze wurde die Gewerbeaufsicht eingeführt. Im Handwerk, Gewerbe und vor allem in der Landwirtschaft gab es aber weiterhin keinen gesetzlichen Schutz für Kinder. Obwohl Kinder fast genauso viel wie ein Erwachsener arbeiten mussten, bekamen sie nur etwa ein Zehntel des durchschnittlichen Lohnes eines Mannes.

Die Wohnungssituation

Slum in Glasgow, 1871

Durch das Wachstum der Städte wuchs auch die Wohnungsnot. Es bildeten sich Slums, behelfsmäßige Wohnbezirke ohne Anbindung an die städtische Infrastruktur sowie Mietskasernen. Zudem war es üblich, sich ein Bett im Schichtbetrieb mit einem Schlafburschen zu teilen. Die Wohnungsnot war für heutige Verhältnisse in Industrienationen ohne Gleichen, bis zu 10 Personen wohnten auf 14 m². Es fehlte in den Slums an Wasser- und Abwasserleitungen (für mehr als hundert Menschen gab es nur eine Toilette). Später wurden für die Arbeiter massiver gebaute, mehrgeschossige Mietskasernen errichtet („Schnitterkasernen“ auf dem Land). Wasser und Klosett gab es für alle gemeinsam am Gang. Die Wohnungen der Industriellen Revolution hatten bis zum Bauhaus durch die Bauweise mit Innenhöfen nur wenig Licht (Berliner Zimmer) und waren oft feucht. Die Wohnungsknappheit verursachte hohe Mietausgaben für die Arbeiter, die bis zu drei Viertel des Lohns ausmachten.

Lösungsansätze

Zur Lösung der sozialen Frage bildeten sich verschiedene gesellschaftliche und politische Organisationen und Parteien neu: die Genossenschaftsbewegung, die Arbeiterbewegung, die Organisationen der Kirchen, die auf den Grundsätzen der christlichen Soziallehre aufbauen, die neu gegründeten Gewerkschaften und neue politische Parteien.

Zudem erließ der Gesetzgeber nach und nach zahlreiche Gesetze und Verordnungen und gründete zu deren Durchsetzung neue Exekutiven, die schließlich in der umfangreichen Sozialgesetzgebung heutiger Industrienationen mündete.

Die drängenden Probleme führten zu einer vielfältigen gesellschaftlichen Mobilisierung und Politisierung, die je nach sozialer Interessenlage und Sicht unterschiedliche Lösungsansätze hervorbrachten. So engagierten sich u. a. bäuerliche, bürgerliche und kirchliche Initiativen, dann auch (früh-)sozialistische und marxistische Bewegungen sowie Verantwortliche in Staat und Wissenschaften.

Gesellschaftliche Gruppen

Neben neuzeitlichen Genossenschaften und z. B. dem katholischen Kolping-Bund entwickelten sich Arbeitervereine und Gewerkschaften, dann auch Parteien als politische Interessenvertreter der ausgebeuteten Lohnarbeiterschaft (im Deutschen Reich u. a. die SPD). Aus der Sicht der Arbeiterbewegung resultierte die Soziale Frage zentral aus dem Klassengegensatz zwischen Kapitaleignern (Bourgeoisie) und Lohnabhängigen (Proletariat).

Manche der Unternehmen, die in größerem Umfang Lohnarbeiter beschäftigten, suchten deren Lage zu verbessern, indem sie ihnen günstige Wohnungen stellten (Werkwohnungsbau), zuweilen auch werkärztliche Dienste einrichteten und die Löhne etwas anhoben.

Auch die parallel anwachsende Frauenbewegung (Lohnangleichung, Kampf gegen die Prostitution), nach 1900 auch die Jugendbewegung (Hinwendung aus grauer Städte Mauern zur Natur) waren Antworten auf die Soziale Frage mit jeweils eigener Strategie der Problembekämpfung.

Staatliche Reformpolitik

Die staatliche Sozialpolitik des Deutschen Reiches versuchte eine Entschärfung dieser Konflikte durch Sozialreformen. Erste konkrete Lösungsansätze sind in der Sozialgesetzgebung Otto von Bismarcks zu finden, die 1883 mit dem Krankenversicherungsgesetz ihren Anfang nahm, dann auch eine Unfallversicherung (1884) und eine Alters- und Invaliditätsversicherung (1889) einführte, aus der 1891 die gesetzliche Rentenversicherung wurde. Dieser sozialpolitische Ansatz wurde alsbald von anderen Staaten übernommen und variiert.

In einem Kommentar aus historischer Sicht heißt es dazu: „Eine positive Lösung der sozialen Frage stellt Bismarcks Sozialgesetzgebung dar. Bismarck erkennt das Kernproblem: Die Unsicherheit der Existenz des Arbeiters“.[3] [4] Die unter dem Kaiser Wilhelm II. fortgesetzten Sozialreformen trugen zur Entschärfung des sozialen Elends bei und förderten eine bessere gesellschaftliche und politische Platzierung der sozialen Unterschichten im Deutschen Reich, machten jedoch nicht, wie es Bismarck angezielt hatte, die Arbeiter zu Gunsten der Monarchie der Arbeiterbewegung abspenstig.

Wissenschaften

Im Bereich der Wissenschaften wandten sich vorrangig die Nationalökonomie (vgl. den Kathedersozialismus) und die Sozialmedizin dem Problemfeld zu. Als erster deutscher Soziologe hat Ferdinand Tönnies 1907 mit seinem Werk „Die soziale Frage[5] darüber eine Abhandlung verfasst.

Katholische Kirche

Im Jahr 1891 thematisierte Papst Leo XIII. in seiner Enzyclica Rerum Novarum (Zur Arbeiterfrage) die sozialen Verwerfungen und Missstände und benannte seinerseits Lösungswege. [6]

In seiner Pfingstbotschaft im Jahr 1941 (zur sozialen Frage) erinnerte Papst Pius XII. an die Kernforderungen der Enzyclica Rerum Novarum[6] und ermahnte alle Menschen und Nationen eindringlich, schnellstmöglich nach Lösungen zu suchen.[7]

Ende des Schlagworts „Soziale Frage“

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Bedeutungserweiterung des Schlagworts der sozialen Frage. Diese Erweiterung führte in der Folge dazu, dass der Begriff selbst kaum mehr verwendet wurde, an seine Stelle traten weiter gefasste Begriffe wie „Sozialpolitik“ oder „Sozialreform“.[8]

Die großen Krisen ab 1914 (Erster Weltkrieg 1914–18, die Hyper-Inflation bis 1923, die „Weltwirtschaftskrise“ ab 1929, die populistische Verbrechensherrschaft ab 1933 und der Zweite Weltkrieg (1939-45)) wurden insofern nicht mehr als „Soziale Fragen“ diskutiert.

Der Ausbau des Sozialstaats und die Anhebung des allgemeinen Wohlstandniveaus nach 1950 trugen maßgeblich dazu bei, dass die „Soziale Frage“ als Arbeiterfrage in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zumindest in den Industrieländern als Begriff in Vergessenheit geriet.

Weitere Verwendung des Begriffs

Im Deutschland der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde ein Versuch der Neubestimmung der Sozialpolitik vorgenommen.[9] Dabei wurde der Begriff der „neuen sozialen Frage[10] geprägt, der sich aber nicht dauerhaft im politischen Sprachgebrauch durchsetzen konnte.[11]

Das Schlagwort der „sozialen Frage“ wird in der heutigen [2009] gesellschaftspolitischen Diskussion nur noch sehr vereinzelt verwendet.[12] Faist hat es auf das Problem der globalisierten Durchsetzung der Bürgerrechte angewendet.[13]

Literatur

Monografien

  • Brakelmann, Günter: Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, 5., unveränd. Aufl. - Bielefeld: Luther-Verlag, 1975, ISBN 3-7858-0042-8
  • Fischer, Wolfram: Armut in der Geschichte: Erscheinungsformen und Lösungsversuche der „Sozialen Frage“ in Europa seit dem Mittelalter, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1982, ISBN 3-525-33465-6
  • Gottschalch, Wilfried u. a.: Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, München: Olzog 1969
  • Pankoke, Eckart: Sociale Bewegung, sociale Frage, sociale Politik: Grundfragen der deutschen „Socialwissenschaft“ im 19. Jahrhundert - Stuttgart: Klett 1970
  • Ritter, Gerhard A.: Soziale Frage und Sozialpolitik in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts, Opladen: Leske + Budrich, 1998, ISBN 3-8100-2193-8
  • Rivinius, Karl Josef (Hg.): Die soziale Bewegung im Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts, hgg. von Karl Josef Rivinius, Inter Nationes, Bonn-Bad Godesberg/München: Moos 1978, ISBN 3-7879-0105-1
  • Schraepler, Ernst: Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland. 1871 bis zur Gegenwart, 3., neubearb. u. erw. Aufl., Göttingen/Zürich: Muster-Schmidt 1996, ISBN 3-7881-1209-3
  • Tönnies, Ferdinand: Die Entwicklung der sozialen Frage bis zum Weltkriege, Unveränd. Nachdr. d. 4., verb. Aufl., Berlin u. Leipzig, de Gruyter, 1926. - Berlin: de Gruyter, 1989. - 169 S. (dt.). ISBN 3-11-012238-3

Aufsätze

  • Regina Görner: Die deutschen Katholiken und die soziale Frage im 19. Jahrhundert, S.145-198 in: Günther Rüther (Hg.): Geschichte der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Bewegung in Deutschland, Teil I, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1984, ISBN 3-923423-20-9

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Vgl. Pankoke, Eckart: Sociale Bewegung, sociale Frage, sociale Politik, Stuttgart 1970, S. 49, Fußnote 1.
  2. Vgl. bspw. K. Biedermann: Vorlesungen über Socialismus und sociale Fragen, Leipzig 1847 (zit. n. Pankoke, S. 49, Fußnote 2).
  3. Bruno Huhnt, Industrielle Revolution und Industriezeitalter, Seite 73, unter Hinweis auf die Ausführungen Otto von Bismarcks zur Begründung seiner sozialpolitischen Gesetzgebung, Reden im Deutschen Reichstag am 15. und 20. März 1884; Hg.: Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, 1966
  4. Bayerische Staatsbibliothek, Digitale Bibliothek - Münchener Digitalisierungszentrum (MDZ), Reichstagsprotokolle, Bd. 082, 05.Legislaturperiode 04.Session 1884, 9. Sitzung am Donnerstag, 20.03.1884 (Sitzungsbeginn: Seite 133), Rede Otto von Bismarck: Seite 161 ff., Seite 165
  5. Jüngste Ausgabe: Die Entwicklung der sozialen Frage bis zum Weltkriege, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1982, Einleitung: Cornelius Bickel.
  6. a b Papst Leo XIII: Enzyklika RERUM NOVARUM (1891) oder Online-Texte zur katholischen Soziallehre
  7. Pfingstbotschaft 1941, Papst Pius XII. zur Fünfzigjahrfeier des Rundschreibens Rerum novarum Papst Leos XIII. über die soziale Frage. (Pfingstsonntag, 1. Juni 1941) oder Online-Texte zur katholischen Soziallehre
  8. Vgl. Ritter, Gerhard A.: Soziale Frage und Sozialpolitik in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts, Opladen 1998, S. 4.
  9. Vgl. Stichwort Neue soziale Frage im Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung; aus: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.
  10. Vgl. Heiner Geißler: Die Neue Soziale Frage. Analysen und Dokumente. Herder Verlag, 1976, ISBN 978-3451075667.
  11. Vgl. Die Brockhaus Infothek: Die soziale Frage Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG.
  12. Vgl. Neonazis: Trittbrettfahrer der sozialen Frage, Pressemitteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. 2007.
  13. Ohne ableitende Begriffsdiskussion spricht er von der „transnationalen Sozialen Frage“ (Thomas Faist, The Transnational Social Question. Social Rights and Citizenship in a Global Context, in: International Sociology, Jg. 24, H. 1, 2009, S. 7–35).

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • soziale Probleme — ⇡ Theorie der Sozialpolitik, ⇡ gesellschaftliche Schwäche, ⇡ Lebenslage …   Lexikon der Economics

  • Soziale Arbeit — ist die Bezeichnung einer Angewandten Wissenschaft, die seit den 1990er Jahren als Ober und Sammelbegriff der traditionellen Fachrichtungen Sozialpädagogik und Sozialarbeit gebraucht wird. Soziale Arbeit ist zugleich die Bezeichnung der… …   Deutsch Wikipedia

  • Probleme der Kommunikation — Unter Probleme der Kommunikation werden zwei Bereiche von Problemstellungen und Problemlösungen zusammengefasst. Der erste Bereich betrifft das kommunikative Handeln, der zweite Bereich die Folgen des kommunikativen Handelns. In der alltäglichen… …   Deutsch Wikipedia

  • soziale Frage: Ein Problem des 19. Jahrhunderts —   Soziale Frage ist ein Ausdruck, der seine Blütezeit in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte und damals ein europäischer Begriff war. Es gab zu dieser Zeit eine internationale Debatte zur sozialen Frage, nämlich zu Armut, sozialer… …   Universal-Lexikon

  • Soziale Marktwirtschaft — ist ein gesellschafts und wirtschaftspolitisches Leitbild mit dem Ziel, „auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden“.[1] Das… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziale Nachhaltigkeit — ist eine Teildisziplin der Nachhaltigkeitsforschung und behandelt ganz allgemein die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit. Sie existiert im Drei Säulen Modell neben der ökonomischen und ökologischen Ebene. Inhaltsverzeichnis 1 Bedeutungen 1.1… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziale Netze — Soziale Netzwerke im Sinne der Informatik sind Netzgemeinschaften bzw. Webdienste, die Netzgemeinschaften beherbergen. Handelt es sich um Netzwerke, bei denen die Benutzer gemeinsam eigene Inhalte erstellen (User Generated Content), bezeichnet… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziale Indikatoren — oder Sozialindikatoren sind Messinstrumente der Sozialwissenschaften, mit denen Lebensqualität, Gesamtzustand und Entwicklungsvorgänge einer Gesellschaft quantitativ ermittelt und mit anderen Gesellschaften verglichen werden. Mit Sozialen… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziale Randgruppe — ist eine Bezeichnung für sehr verschiedene jeweils als nicht integriert geltende Bevölkerungsteile innerhalb der Gesellschaft. Diesem Begriff unterliegt eine Vorstellung von Gesellschaft, die gekennzeichnet ist durch die beiden Annahmen eines… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziale Randgruppen — Soziale Randgruppe ist eine Bezeichnung für sehr verschiedene jeweils als nicht integriert geltende Bevölkerungsteile innerhalb der Gesellschaft. Diesem Begriff unterliegt eine Vorstellung von Gesellschaft, die gekennzeichnet ist durch die beiden …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”