Starfighter-Krise

Starfighter-Krise
Lockheed F-104G „Starfighter“

Die Starfighter-Affäre war eine politische Affäre in der Bundesrepublik Deutschland, die sich aufgrund der Umstände der Beschaffung der Lockheed F-104 „Starfighter“ entwickelte.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die deutsche Luftwaffe hatte bei der Suche nach einem Abfangjäger 1957, die Wahl zwischen den US-amerikanischen Maschinen Lockheed F-104 „Starfighter“, sowie der Grumman F-11F „Tiger“ und der französischen „Mirage III“. Auf allerhöchster Ebene und gegen den Rat vieler Experten wurde vom damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß eine Entscheidung für den „Starfighter“ als zukünftigen deutschen Abfangjäger getroffen.

Oberstleutnant Werner und Major Krupinski flogen 1957 sowohl die „Tiger“ als auch die amerikanische Version des „Starfighters“ und bewerteten Letztere als deutlich überlegen. Probleme bereitete lediglich die amerikanische Avionik, da sie den deutschen Vorstellungen nicht entsprach - aber laut Lockheed ohne Schwierigkeiten getauscht werden konnte. 1958 wurden auch die „Mirage III“ eingehend erprobt, die Entscheidung für den „Starfighter“ wurde dabei gefestigt. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt sowohl die „Mirage III“ als auch die „Tiger“ nur als Prototypen verfügbar, wohingegen der F-104 bereits in der amerikanischen Serienversion erprobt werden konnte.

Mängel

Die schlimmsten Mängel versuchte man zu beheben, indem die Prototypen der deutschen Version einen verstärkten Rumpf, ein anderes Triebwerk und eine komplett überarbeitete Navigationsausrüstung bekamen, was die Maschine schwerer und komplizierter machte. Obwohl also von vornherein klar sein musste, dass man hier viel Geld für ein eigentlich nicht ausgereiftes Flugzeug ausgab, kam es schließlich zur Bestellung der F-104G (G=Germany).

Nachdem die ersten F-104 im Februar 1960 in Deutschland eingetroffen und ins Geschwader aufgenommen waren, stellte man als erstes fest, dass einige Instrumente im Cockpit nicht funktionsfähig waren. Dies wurde reklamiert und später auch behoben. Am 21. Februar 1962 wurde durch Oberleutnant Schultz die erste F-104F zum Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“ in Nörvenich überführt. Am 22. Mai kam es durch den Ausfall des Nachbrenners zum ersten tödlichen Unfall in Deutschland. Auch zuvor war es im Testbetrieb zu Triebwerksausfällen und zu einem Bruch des Bugfahrwerks gekommen.

Bis zum Juni 1962 waren genügend „Starfighter“ beschafft, um das erste Geschwader bilden zu können. Aus diesem Anlass sollten in Nörvenich am 20. Juni eine Feierstunde und ein Flugtag mit Kunstflugdarbietungen stattfinden. Am 19. Juni 1962, einen Tag vor der geplanten Veranstaltung, kamen bei einem schweren Unfall aufgrund eines Pilotenfehlers nach Absturz der vier F-104F alle vier Piloten ums Leben.[1]

Dieses war innerhalb weniger Wochen der zweite tödliche Unfall mit „Starfightern“ in Deutschland. Die für den 20. Juni geplante Flugschau wurde abgesagt. Trotzdem erfolgte am 20. Juni die offizielle Indienststellung der F-104G beim Geschwader „Boelcke“.

Allein 1965 ereigneten sich 27 Starfighter-Unfälle mit 17 Toten. Unter anderem ein Zusammenstoß der Maschine von Hauptmann Heltzel mit einer zivilen Dornier Do 28 mit anschließender Notlandung. Nach weiteren, teilweise tödlichen Unfällen erhielt die gesamte F-104-Flotte der Luftwaffe im gleichen Jahr zweimal ein völliges Startverbot. Doch auch verschiedene Maßnahmen hatten nicht den Erfolg, den Jet in einen dauerhaft flugsicheren Zustand zu bringen - zumindest nicht in der gelieferten Version mit amerikanischer Technik.

Lockheed-Skandal

Noch bevor weitere Unfälle geschahen, ergaben sich für Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ernsthafte Probleme aufgrund des „Starfighters“. Nach Enthüllungen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel 1966, interessierte sich die Öffentlichkeit plötzlich für die Umstände des Vertragsabschlusses mit Lockheed - vor allem um die Frage, warum nicht die technisch eindeutig bessere „Mirage“ gekauft worden war.[2]

Es wurde bekannt, dass Strauß als Verfechter der atomaren Aufrüstung Deutschlands ein Flugzeug haben wollte, das Atomwaffen „bis zum Ural“ tragen konnte. Jedoch war Paris nicht zu einem deutsch-französischen atomaren Bündnis bereit. Die Amerikaner dagegen versprachen Strauß, im Ernstfall auch nukleare Sprengköpfe zur Verfügung zu stellen. Es war außerdem bekannt, dass Lockheed beim Export des „Starfighter“ in andere Länder Schmiergeld gezahlt hatte. Da auch Franz Josef Strauß vor seinem Besuch bei Lockheed noch die „Mirage“ favorisierte und sich nach seiner Rückkehr für die F-104 aussprach, kam schnell der Verdacht auf, dass auch der deutsche Minister bestochen worden sei (→Lockheed-Skandal). Ein entsprechender Untersuchungsausschuss des Bundestags kam aber zu dem Schluss, dass sich eine Bestechung nicht nachweisen ließ. Der Vorwurf wurde daher fallengelassen.


Am 25. August 1966 entließ Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel den Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Werner Panitzki auf eigenen Wunsch, da er in einem Interview die Beschaffung des Kampfflugzeugs als eine „rein politische Entscheidung“ kritisierte. Ebenso schied der Kommodore des Jagdgeschwaders 71, Erich Hartmann, aus.

Grund für die häufigen Abstürze blieben weiterhin Ausfälle und Defekte in allen Bereichen des Flugzeuges. Vor allem Elektronik, Triebwerk und damit verbunden die Hydraulik sorgten für Probleme. Als Ursachen hierfür sind mehrere Faktoren zu nennen:

  • Personalmangel: Der „Starfighter“ wurde innerhalb weniger Jahre bei der gesamten Luftwaffe eingeführt. Piloten wie auch Mechaniker waren daher einem enormen Umschulungsstress ausgesetzt. Zudem war aufgrund des Wirtschaftswunders und des erst kurz zurückliegenden Krieges die Bundeswehr kein attraktiver Arbeitsplatz, weshalb rund 10.000 Mechaniker fehlten. Seitens der Luftwaffe wurde teilweise sogar angeordnet, spezielle Komponenten nicht mehr routinemäßig zu warten, sondern erst bei festgestellten Fehlern zu reparieren, da die Mechaniker regelmäßig Fehler bei der Wartung machten.
  • Unterschiedliche Versionen: Die einzelnen Maschinen unterschieden sich bereits ab Werk in Bezug auf Elektronik, Software und sonstige Ausrüstung. Durch die später zur Behebung von Fehlern und Erhöhung der Flugsicherheit durchgeführten Änderungen vergrößerten sich die Unterschiede und führten zu noch mehr Verwirrung.
  • Infrastruktur: Die Fliegerhorste der Luftwaffe waren zum Zeitpunkt der Auslieferung des „Starfighters“ weitgehend noch im Bau. Es gab vielerorts nur einen großen Wartungshangar, die so genannte Werft. Die Flugzeuge standen so mehr oder weniger das ganze Jahr im Freien und waren Wind, Wetter, Hitze und Kälte ausgesetzt, was die Elektronik stark belastete.
  • Falsche Bauteile: Aus Kostengründen wurden durch die europäischen Hersteller viele Bauteile anders gefertigt als von Lockheed vorgesehen. Hydraulikleitungen wurden so beispielsweise nicht gebogen, sondern geknickt oder geschweißt.
  • Vogelschlag, schlechtes Wetter oder Grundberührung sowie Kollisionen mit anderen Flugzeugen waren ebenfalls für viele Abstürze verantwortlich.

Generell stiegen Zuverlässigkeit, Sicherheit und Einsatzbereitschaft deutlich, nachdem der Luftwaffeninspekteur Panitzki entschiedene Maßnahmen zur Verbesserung des Waffensystems durchsetzte. Diese Maßnahmen griffen jedoch erst, als Panitzki nicht mehr im Amt war, weswegen sein Nachfolger Luftwaffeninspekteur General Johannes Steinhoff als Bezwinger der Starfighterkrise gilt.[3] Bei seinen Piloten war das Flugzeug jedoch trotz der vielen Abstürze beliebt wie kein anderes: Steig- und allgemeine Flugleistungen waren atemberaubend. In der Öffentlichkeit behielt die Maschine bis zur endgültigen Ausmusterung jedoch ihren schlechten Ruf.

Zugute halten muss man der F-104 trotz der hohen Unfallquote jedoch, dass andere zeitgenössische Flugzeuge anderer Nationen ähnlich hohe Absturzzahlen hatten, z. B. die britische Lightning. Auch die Starfighter-Verlustraten der italienischen, amerikanischen und kanadischen Luftwaffe waren relativ gesehen ähnlich hoch.

Trivia

Hauptmann Heltzels Notlandung in Nörvenich fand 1988 Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde, da die Landegeschwindigkeit mit 435 km/h die höchste Geschwindigkeit war, mit der je ein Flugzeug erfolgreich aufgesetzt wurde.

Der britische Musiker Robert Calvert veröffentlichte 1974 eine LP unter den Namen Captain Lockheed And The Starfighters, auf der er sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigte und die Affäre als Aero-Spaceage Inferno (Songtitel) bezeichnete.

Die deutsche Elektroband Welle:Erdball hat in ihrem Song „Starfighter F-104G“ dem Tod Joachim von Hassels, des Sohnes Kai-Uwe von Hassels, ein Denkmal gesetzt.

Quellen

  1. Kunstflugstaffelabsturz
  2. http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=38223909&top=SPIEGEL
  3. Günther Rall: Mein Flugbuch. Erinnerungen 1938-2004. NeunundzwanzigSechs, Moosburg 2004, ISBN 3-9807935-3-2

Siehe auch

HS-30-Skandal


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