Walter Bochow

Walter Bochow

Walter Bochow (* 9. September 1889 in Leipzig; † wahrscheinlich 1946 in Russland[1]) war ein deutscher Journalist.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Tätigkeit als Journalist und Nachrichtenmann

Bochow lebte seit den 1920er Jahren als Journalist in Berlin. 1924 heiratete er die Journalistin und Übersetzerin Hansi Blüthgen.[2]

Seit 1932 arbeitete Bochow im politischen Sekretariat des Politikers Franz von Papen[3] von dem er gleichwohl nur eine geringe Meinung hatte.[4] Ab 1933 war Bochow im „Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers“ tätig, dem Papen als stellvertretender Regierungschef der im Januar 1933 gebildeten Regierung Hitler vorstand. Spätestens seit der Übernahme der Gestapo-Leitung durch Reinhard Heydrich im April 1934 – womöglich aber bereits seit 1933 – agierte Bochow als Spitzel für den nationalsozialistischen Sicherheitsdienst (SD), in dessen Auftrag er in der Zeit bis zum 30. Juni 1934 die Mitarbeiter der Vizekanzlei ausspionierte. Unter anderem setzte Bochow den SD auch über die, ihm in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter der Vizekanzlei bekannt gewordenen, auf eine konservative Restauration abzielenden Staatsstreichpläne in Kenntnis, die zu dieser Zeit vom Führungspersonal der Vizekanzlei ausgearbeitet wurden: die treibenden Kräfte hinter diesen Plänen, die sich direkt gegen den nationalsozialistischen Herrschaftsanspruch richteten, waren Papens Pressechef Herbert von Bose, Papens Adjutanten Fritz Günther von Tschirschky und Wilhelm Freiherr von Ketteler sowie der Redenschreiber Edgar Jung.

Aufgrund dieses, ihm durch Bochows Informantentätigkeit bekannt gewordenen, Wissens zerschlug der SD die Widerstandsgruppe in der Vizekanzlei am 30. Juni 1934 im Zuge der als „Röhm-Putsch“ bekannt gewordenen politischen Säuberungswelle. Bochow selbst hielt sich in den Räumlichkeiten der Vizekanzlei auf, als diese von der SS besetzt wurde, wobei von Bose erschossen wurde. Während die SS andere Mitarbeiter der Kanzlei – darunter Tschirschky, Friedrich Carl von Savigny und Walter Hummelsheim – verhaftete, gestattete die SS Bochow das Gebäude zu verlassen.[5]

Tätigkeit in Wien (1934 bis 1938)

In den folgenden dreieinhalb Jahren – von August 1934 bis Frühjahr 1938 – arbeitete Bochow als Journalist im Wiener Büro der britischen Tageszeitung Daily Express. Da sein Verrat an seinen Kollegen in der Vizekanzlei zunächst verborgen geblieben war, übernahm Bochow in Wien zugleich die Tätigkeit eines Nachrichtenmanns in freier Mitarbeit für seinen alten Kollegen von Ketteler, der nun als Attaché an der deutschen Botschaft in Wien tätig war. Das Amt des Botschafters selbst bekleidete zu dieser Zeit Bochows alter Chef von Papen, der nach den Ereignissen vom 30. Juni als Vizekanzler zurückgetreten war und von Hitler stattdessen als Diplomat in den Alpenstaat entsandt worden war. Seine Funktion als Spitzel des SD behielt Bochow nach wie vor bei. Auf diesem Weg blieb der SD über die anhaltende Gegnerschaft Kettelers zum NS-System unterrichtet, der versuchte, der deutschen Österreichpolitik von der vermeintlich sicheren Stellung der Wiener Botschaft aus entgegenzuwirken und zuletzt sogar Attentatspläne gegen Hitler vorbereitete. Als Ketteler unmittelbar nach der deutschen Besetzung Österreichs im März 1938 ermordet wurde, kam beinahe sofort der Verdacht auf, dass Bochow derjenige gewesen sei, der ihn dem SD ans Messer geliefert habe.

Die Ermordung Wilhelm von Kettelers

Kurz nachdem Fritz Günther von Tschirschky 1972 in seinen Memoiren offen aussprach, dass nach seiner festen Überzeugung Bochow Ketteler „auf dem Gewissen habe“, wurde der Mordfall Ketteler Ende der 1970er Jahre – nach fast 40 Jahren – wieder aufgerollt. Nach einer vorübergehenden Verfahrenseinstellung gelang es schließlich der Braunschweiger Staatsanwaltschaft im Jahr 1994 nachzuweisen, dass Bochow tatsächlich derjenige gewesen war, der Ketteler an den SD verraten hatte: Die Staatsanwaltschaft konnte einen Aktenvermerk des SD-Hauptamtes vom 22. Juni 1938 ausfindig machen, in dem der SD-Offizier Horst Böhme, ein enger Mitarbeiter Heydrichs und der Mörder Kettelers, notiert, dass dem Papenkreis „in irgendeiner Weise klar geworden“ sei, „welche Rolle Bochow zuletzt gespielt hat“. An gleicher Stelle schlug Böhme vor, dass Bochow zukünftig eine feste Stellung im Deutschen Nachrichtenbüro (DNB) erhalten solle, denn seine Arbeit als Zuträger habe er „in den vergangenen Monaten […] für den Sicherheitsdienst Reichsführer SS unentgeltlich geleistet“. Diese Arbeit sei „gut und für den SD außerordentlich wichtig“ gewesen. Eine drei Wochen später niedergeschriebene Notiz hielt fest, dass Heydrich angeordnet habe, „dass Bochow wegen seiner Wichtigkeit in der bekannten Sache weiter unterstützt werden“ solle. Anlass der Ermordung Kettelers sei, den Braunschweiger Ermittlern zufolge, die dem SD durch Bochow zugespielte Information gewesen, dass Ketteler kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich mit seinem Kollegen Graf Kageneck in die Schweiz gefahren war, um dort wichtige Dokumente Papens und Botschaftsunterlagen zu deponieren. Der habe zumal befürchtet, unter diesen Dokumenten könne sich auch ein im Besitz Papens vermutetes, für Hitler gefährliches, Testament Hindenburgs befinden. Heydrich habe daraufhin Böhme mit der Ermordung Kettelers beauftragt. Somit könne Bochow, als der Anlassgeber des Mordes, neben Heydrich – als dem Auftraggeber – und Böhme – als dem Exekutoren – als der Hauptverantwortliche für den Mord an Ketteler angesehen werden.[6]

Nach Forschungen des Historikers Lutz Hachmeister starb Bochow wahrscheinlich 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft.[7]

Einzelnachweise

  1. Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six. Beck, München 1998, ISBN 3-406-43507-6, S. 19.
  2. Wer ist wer?, 1958, S. 103.
  3. Selfton Delmer: Die Deutschen und ich. Überarbeitete Sonderausgabe. Nannen-Verlag, Hamburg 1963, S. 170.
  4. Selfton Delmer: An Autobiography. Band 1: Trail Sinister. Secker & Warburg, London 1961, S. 231.
  5. Die neue Weltbühne. Wochenschrift für Politik Kunst, Wirtschaft. Bd. 30, Nr. 27–52, 1934, ZDB-ID 202668-5, S. 986.
  6. Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six. Beck, München 1998, ISBN 3-406-43507-6, S. 19–20.
  7. Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six. Beck, München 1998, ISBN 3-406-43507-6, S. 19.

Weblinks


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