Asklepios von Tralleis

Asklepios von Tralleis

Asklepios von Tralleis (griechisch Ἀσκληπιός Asklēpiós, auch Asklepios von Tralles) war ein spätantiker Philosoph (Neuplatoniker). Seine Geburt fällt vielleicht noch ins späte 5. Jahrhundert, seine Tätigkeit ins 6. Jahrhundert. Er stammte aus der Stadt Tralleis im Westen Kleinasiens und studierte in Alexandria.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Über das Leben des Asklepios ist fast nichts bekannt. Aus seinen eigenen Angaben geht hervor, dass er ein Schüler des angesehenen Neuplatonikers Ammonios Hermeiou war, der in Alexandria lehrte. Wie sein Lehrer gehörte Asklepios der alten Religion an, stand also in Opposition zum Christentum, das damals Staatsreligion war.[1] Er ist nicht zu verwechseln mit einem gleichnamigen Gelehrten, der ebenfalls Schüler des Ammonios war und Medizin unterrichtete.[2]

Werke

Asklepios verfasste zwei Werke, die erhalten geblieben sind: einen Kommentar zum Anfang (Bücher A bis Z) der Metaphysik des Aristoteles und einen Kommentar zur Einführung in die Arithmetik des Nikomachos von Gerasa. Beide Kommentare fußen vor allem auf Aufzeichnungen, die Asklepios im Unterricht des Ammonios anfertigte, und geben somit weitgehend die Ansichten des Ammonios wieder. Der Metaphysik-Kommentar ist die wichtigste Quelle für die Metaphysik des Ammonios. Asklepios fügt Material hinzu, das aus dem nur unvollständig erhaltenen Metaphysik-Kommentar des Alexander von Aphrodisias stammt; er ist auch von Alexander stark beeinflusst. Ob ihm eine vollständige Abschrift von Alexanders Werk vorlag, ist allerdings ungewiss. Auch den Metaphysik-Kommentar des Syrianos hat er verwendet.[3]

Lehre

Wie sein Lehrer Ammonios vertritt Asklepios die in Neuplatonikerkreisen verbreitete Ansicht, dass die aristotelische Philosophie im Wesentlichen mit dem Platonismus übereinstimme. Aristoteles habe nicht Platons Ontologie verworfen, sondern nur deren irrige Deutung bei manchen Platonikern.[4] Daher pflegt Asklepios aristotelische Positionen zu verteidigen, doch wenn er anderer Meinung ist als Aristoteles, schreckt er nicht vor Kritik zurück. Ein eigenständiges Dasein der Ideen lehnt er ab; er meint, dass die Ideen im Demiurgen (Schöpfer) existieren.[5]

Rezeption

Johannes Philoponos, ein anderer Schüler des Ammonios, verfasste einen Metaphysik-Kommentar, für den der Kommentar des Asklepios eine Hauptquelle war. Das wesentlich ausführlichere Werk des Philoponos erzielte im Mittelalter und in der Renaissance eine weit stärkere Nachwirkung als das des Asklepios.[6]

In der modernen Forschung wird die Frage, ob die Kommentare des Asklepios bloße Kompilationen sind oder eine philosophische Eigenleistung des Asklepios erkennbar ist, unterschiedlich beurteilt. Leonardo Tarán nimmt an, dass Asklepios kaum eigene Gedanken eingebracht habe.[7] Ähnlich negativ urteilten schon im 19. Jahrhundert Alfred Gercke und Michael Hayduck, der Herausgeber des Metaphysik-Kommentars. Andere Untersuchungen haben zu einer günstigeren Einschätzung geführt; so meint beispielsweise Arthur Madigan, Asklepios habe sich relativ unbefangen um ein Verständnis der Philosophie des Aristoteles bemüht, statt nur seine eigene Denkweise zu präsentieren.[8]

Textausgaben

  • Leonardo Tarán (Hrsg.): Asclepius of Tralles: Commentary to Nicomachus' Introduction to Arithmetic. The American Philosophical Society, Philadelphia 1969
  • Asclepii in Aristotelis metaphysicorum libros A–Z commentaria, hrsg. Michael Hayduck. Verlag Georg Reimer, Berlin 1888 (Commentaria in Aristotelem Graeca Bd. 6 Teil 2; kritische Ausgabe)

Literatur

  • Rosa Loredana Cardullo: Asclepio di Tralle: pensatore originale o mero redattore ἀπὸ φωνῆς? In: Maria Barbanti u.a. (Hrsg.): ΕΝΩΣΙΣ ΚΑΙ ΦΙΛΙΑ. Unione e amicizia. Omaggio a Francesco Romano. Catania 2002, S. 495–514
  • Concetta Luna: Trois études sur la tradition des commentaires anciens à la Métaphysique d’Aristote. Brill, Leiden 2001, ISBN 90-04-12074-2

Anmerkungen

  1. Henry J. Blumenthal: Alexandria as a Centre of Greek Philosophy in Later Classical Antiquity. In: Illinois Classical Studies. Band 18, 1993, S. 307−325, hier: 322; Jean-Yves Guillaumin: La structure du chapitre 1, 4 de l’Institution Arithmétique de Boèce et le cours d’Ammonios sur Nicomaque. In: Revue d’histoire des sciences. Band 47, 1994, S. 249−258, hier: 253.
  2. Leendert G. Westerink: Philosophy and Medicine in Late Antiquity. In: Janus. Band 51, 1964, S. 169–175, hier: 172 und Anm. 11.
  3. Luna (2001) S. 142–189; Dominic J. O’Meara: Pythagoras Revived. Oxford 1989, S. 121f.
  4. Cristina D’Ancona: Il neoplatonismo alessandrino: alcune linee della ricerca contemporanea. In: Adamantius. Band 11, 2005, S. 9−38, hier: 34−36.
  5. Zur Kritik an Aristoteles siehe Arthur Madigan: Syrianus and Asclepius on Forms and Intermediates in Plato and Aristotle. In: Journal of the History of Philosophy. Band 24, 1986, S. 149–171, hier: 161, 164f. Zu Asklepios’ Verständnis der Ideenlehre siehe neben Madigan auch Klaus Kremer: Der Metaphysikbegriff in den Aristoteles-Kommentaren der Ammonius-Schule. Münster 1961, S. 144–147.
  6. Leendert G. Westerink: Deux commentaires sur Nicomaque: Asclépius et Jean Philopon. In: Revue des Études grecques. Band 77, 1964, S. 526−535; Paul Moraux: Der Aristotelismus bei den Griechen von Andronikos bis Alexander von Aphrodisias. Band 2, Berlin 1984, S. 94f.; Tarán (1969) S. 10.
  7. Tarán (1969) S. 8.
  8. Madigan (1986) S. 170f. Vgl. Cardullo (2002) S. 507–513 (Übersicht über die Wertungen in der Forschung seit dem 19. Jahrhundert).

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