Emil Sieg

Emil Sieg

Emil Sieg (* 12. August 1866 in Frauenhagen, Uckermark; † 23. Januar 1951 in Göttingen) war ein deutscher Indologe und bedeutender Tocharologe.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Emil Sieg, Sohn eines uckermärkischen Mühlenbesitzers und Landwirtes, besuchte das Gymnasium in Prenzlau, um anschließend ab 1885 in Berlin, Tübingen und München Klassische Philologie und Sanskrit zu studieren. In München konnte er, aufgrund des Lehrstuhlinhabers für Indologie Ernst Kuhn, erstmals für Sanskrit begeistert werden. 1888 kehrte Sieg nach Berlin zurück und wurde 1891 mit seiner Dissertation über ein Werk zur Phonologie vedischer Texte promoviert, zu der ein Jahr später eine Fortsetzung erschien.[2]

Nach der Promotion bezog Sieg nochmals die Universität für ein Semester. In Göttingen wurde „in dem einen Semester, wie Sieg in seinem selbstgeschriebenen Lebenslauf bekennt, […] die entscheidende Grundlage für seine spätere Beschäftigung mit den Sanskrit-Grammatikern gelegt."[3]

Im August 1896 habilitierte Sieg sich mit der Schrift: „Ein alphabetisch geordnetes „Specimen“ einer Zusammenstellung und Auswertung der Angaben der spätvedischen exegetischen und sonstigen Literatur für die Sagenstoffe des Rgveda“. Ein Teil dieser Arbeit ist in der Abhandlung über die Legenden der Rigveda und die indische Erzähltradition, die 1902 veröffentlicht wurde, fertig ausgearbeitet worden.[4] Anerkennung für dieses Werk erhielt Sieg unter anderem in Ernst Windisch Geschichte über die Sanskrit-Philologie:

„Siegs Stärke besteht nicht in phantastischen Vermutungen, sondern in der methodischen Ausnutzung des Überlieferten, […] Siegs Schrift […] beweist den Wert der alten Überlieferung, läßt aber auch deren Wandelbarkeit erkennen, das Absterben alter Stoffe und das Aufkommen neuer.“

Ernst Windisch: Geschichte der Sanskrit-Philologie und indischen Altertumskunde, Berlin 1992, Seite 409.

Nach 12-jähriger Tätigkeit als Privatdozent für indische Philologie in Berlin[5] lehrte Sieg ab 1909 als Professor in Kiel und hielt Vorlesungen zu indogermanischen Sprachen und Sanskritübungen[6], bevor er 1920 auf das Ordinariat in Göttingen berufen wurde und dort bis zu seinem Tod verblieb.[7]

Leistungen

Die deutschen-Turfan Expeditionen

Das Netz der Seidenstraße

Die Berichte von europäischen Reisenden und Gelehrten über die Entdeckungen und Funde entlang der Seidenstraße erweckten am Ende des 19. Jahrhunderts auch bei Albert Grünwedel, dem Direktor der Indischen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Berlin, Interesse. Durch die vier von Grünwedel initiierten Turfanexpeditionen, gelangen tausende Reste von Malereien und anderen Kunstobjekten, sowie ca. 40.000 Textfragmente nach Berlin.[8]

Auf Anregung von Professor Richard Pischel, ordentlicher Professor für Vergleichende Sprachwissenschaft und Indologie an der Universität Halle, wurden Sieg und sein ehemaliger Schüler Wilhelm Siegling zur Sichtung des Handschriftenmaterials herangezogen, woraufhin sie die erhaltenen Teile einer dort entdeckten Sanskrit Grammatik editierten und diese Manuskripte zu studieren begannen.[9] Als erstes Resultat dieser Arbeit erschien 1907 „Bruchstücke einer Sanskrit Grammatik aus Sängim-Agiz, Chinesisch Turkestan“. Ein zweite Publikation mit dem Titel „Neue Bruchstücke der Sanskrit Grammatik aus Chinesisch Turkestan“ erschien ein Jahr später.[10]

Die Tocharische Sprache

Während Sieg und Siegling mit den Skripten arbeiteten, stellten sie fest, dass eine große Anzahl an Manuskripten in einer unbekannten Sprache geschrieben wurde und bezeichneten sie daher zunächst als „unarisch“.

Tocharisches Manuskript aus dem Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin

Mit der Hilfe einiger weniger bilingualer Manuskripte konnten Sieg und Siegling die Dokumente entschlüsseln und reichten 1908 einen Aufsatz unter dem Titel „Tocharisch, die Sprache der Indoskythen, Vorläufige Bemerkungen über eine bisher unbekannte Literatursprache“ in Berlin ein. Es gelang ihnen zu beweisen, dass die Sprache der indo-europäischen Sprachengruppe zugeschrieben werden müsse und dass diese eher aus dem europäischen als dem indo-iranischen Raum stamme. Außerdem konnten sie belegen, dass die Sprache zwei Dialekte besäße, welche sie Tocharisch A und B nannten.[11]

Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts arbeiteten Sieg und Siegling gemeinsam an Texten des Dialekts A der Tocharischen Sprache. Diese Texte haben ihren Ursprung in Qaraschal, Kasachstan, dem östlichsten Expeditionsgebiet der Deutschen. Sieg und Siegling beschlossen zunächst alle Manuskripte in Tocharisch A zu bearbeiten, jedoch wurde ihre Arbeit 1915 unterbrochen, als Siegling in die Armee eingezogen wurde. Daraufhin veröffentlichte Sieg die erste Edition unter den Titeln „Die Geschichte von den Löwenmachern in tocharischer Version“ und „Das Märchen von dem Mechaniker und dem Maler in tocharischer Fassung“.

Nach Sieglings Rückkehr von der Front widmeten sie sich, nun wieder gemeinsam, Tocharisch B und begannen mit der Arbeit an der Udana, einer buddhistischen Schrift aus kurzen Texten des Palikanon. Als Siegling 1946 verstarb, veröffentlichte Sieg das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit[12] im Jahr 1949 unter dem Titel „Tocharische Sprachreste, Sprache B“, welches Texte, Übersetzungen und ein Glossar enthielt.[13]

Sieg sind die wegweisenden Arbeiten über die tocharischen Sprachreste, sowie eine ausführliche tocharische Grammatik, die er in Zusammenarbeit mit Siegling und Wilhelm Emil Heinrich Schulze 1931 veröffentlichte, zu verdanken.[14] Die Entzifferung des Tocharischen blieb unumstritten, jedoch gerieten Sieg und Siegling, hinsichtlich der Sprachbenennung, zunehmend in Kontroversen mit Fachkollegen. Angesichts dessen wurde vor allem in der englischsprachigen Literatur vorgeschlagen, die Bezeichnungen Tocharisch A und B durch Turfanisch bzw. Kuchisch zu ersetzen. Da die Zuordnung der beiden Varianten zu diesen zwei verschiedenen Regionen jedoch ebenfalls spekulativ sei, hat sich dieser Vorschlag bisher nicht durchgesetzt.[15]

Schriften (Auswahl)

  • Verzeichnis der Bibliotheca Indica und verwandter Indischer Serien nach Werken und Nummern. Harrassowitz, Leipzig 1908.
  • Maitrisimit und „Tocharisch“. Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1916, ISBN 978-3-11-119137-9.
  • Tocharische Sprachreste: Königlich preussische Turfanexpeditionen. Vereinigung wissenschaftlicher Verleger, Stuttgart 1921.
  • Tocharische Grammatik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1931.
  • Und dennoch „Tocharisch“. Akademie der Wissenschaften, Berlin 1937.
  • Tocharische Sprachreste: Sprache B/ H. 2. Fragmente Nr 71 - 633. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1953.
  • Kleine Schriften. Steiner, Stuttgart 1991, [Nachdr.] / hrsg. von Klaus Ludwig Janert, ISBN 3-515-04021-8.

Literatur

  • Bechert, Heinz: Emil Sieg, in: Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaften in Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751-2001, Göttingen 2001, S. 380.
  • Fortson, Benjamin W.: Indo-European Language and Culture. An Introduction. 2. Ausgabe, Blackwell Publishing, Malden MA u. a. 2010.
  • Hartkopf, Werner: Die Akademie der Wissenschaften der DDR: Ein Beitrag zu ihrer Geschichte, Berlin 1983.
  • Stolberg-Wernigerode, Otto zu: Wilhelm Emil Heinrich Schulze, in: Neue deutsche Biographie. Bd. 23: Schinzel - Schwarz, hrsg. v. Hans Günter Hockerts für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2007, S. 728f.
  • Sieg, Emil: Nachruf auf Wilhelm Siegling, in: ZDMG, Bd. 99 (1945-49), S. 147-149.
  • Stache-Rosen, Valentina: German Indologists: Biographies of Scholars in Indian Studies with Writings in German, New Delhi 1981, Seite 169-171.
  • Vollbehr, Friedrich; Weyl, Richard: Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 1665-1954, Mit Angaben über die sonstigen Lehrkräfte und die Universitäts-Bibliothekare und einem Verzeichnis der Rektoren, Kiel 1956.
  • Waldschmidt, Ernst: Nachruf auf Emil Sieg, in: ZDMG, Bd. 101 (1951), S. 18-28.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hartkopf, Werner: Die Akademie der Wissenschaften der DDR: Ein Beitrag zu ihrer Geschichte, Berlin 1983, S. 379.
  2. Bechert, Heinz: Emil Sieg, in: Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaften in Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751-2001, Göttingen 2001, Seite 380.
  3. Waldschmidt, Ernst: Nachruf auf Emil Sieg, in: ZDMG, Bd. 101 (1951), S. 20.
  4. Waldschmidt, Ernst: Nachruf auf Emil Sieg, in: ZDMG, Bd. 101 (1951), S. 21.
  5. Vollbehr, Friedrich; Weyl, Richard: Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 1665-1954, Mit Angaben über die sonstigen Lehrkräfte und die Universitäts-Bibliothekare und einem Verzeichnis der Rektoren, Kiel 1956, Seite 157.
  6. http://www.uni-kiel.de/journals/content/below/index.xml, abgerufen am 2. Februar 2011.
  7. Stache-Rosen, Valentina: German Indologists: Biographies of Scholars in Indian Studies with Writings in German, New Delhi 1981, Seite 169 ff.
  8. http://idp.bbaw.de/pages/collections_de.a4d#2, abgerufen am 2. Februar 2011.
  9. Sieg, Emil: Nachruf auf Wilhelm Siegling, in: ZDMG, Bd. 99 (1945-49), S. 147.
  10. Bechert, Heinz: Emil Sieg, in: Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaften in Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751-2001, Göttingen 2001, Seite 380.
  11. Stache-Rosen, Valentina: German Indologists: Biographies of Scholars in Indian Studies with Writings in German, New Delhi 1981, Seite 169.
  12. Sieg, Emil: Nachruf auf Wilhelm Siegling, in: ZDMG, Bd. 99 (1945-49), S. 147 ff.
  13. Stache-Rosen, Valentina: German Indologists: Biographies of Scholars in Indian Studies with Writings in German, New Delhi 1981, Seite 170 f.
  14. Stolberg-Wernigerode, Otto zu: Wilhelm Emil Heinrich Schulze, in: Neue deutsche Biographie. Bd. 23: Schinzel - Schwarz, hrsg. v. Hans Günter Hockerts für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2007, Seite 729.
  15. Fortson, Benjamin W.: Indo-European Language and Culture. An Introduction. 2. Ausgabe, Blackwell Publishing, Malden MA u. a. 2010, Seite 351.

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