Friedensspiele

Friedensspiele

Mit der Gattungsbezeichnung Friedensspiele charakterisiert die Spielpädagogik die Gesamtheit von Spielen, die ohne Sieger und Verlierer auskommen und deren Regelwerk auf ein aggressionsloses, konkurrenzfreies, friedliches Miteinander der Spielgemeinschaft ausgerichtet ist. Der singularische Begriff Friedensspiel findet zur Etikettierung eines Einzelspiels wie des Erdballspiels Verwendung.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Friedensspiele stellen eine relativ junge Gattung im Rahmen der Spielgeschichte dar. Der Gattungsbegriff taucht erst im Gefolge und aus dem Gedankengut der Friedensbewegung der 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Spielliteratur auf. Die Friedensspiele entwickelten sich parallel zu und im Austausch mit der New-Games-Bewegung, die in den USA eine Veränderung der vorherrschenden Spielkultur anstrebte. Die Erfinder wollten einen Kontrast setzen zu den ihnen überrepräsentiert erschienenen Kriegsspielen und konkurrenzorientierten Sportspielen, die sich bereits durch eine entsprechende Terminologie kennzeichneten. Der Spielbestand bildete sich aus altbekannten und neuen Spielformen, die sich unter der Friedensidee als eigene Gattung formierten. Ein Großteil des Spielrepertoires erwuchs aus den sogenannten Kleinen Spielen, die aus der Antike überliefert waren und seit Guts Muths und Jahn im deutschen Kulturbereich unter erzieherischen Ambitionen wiederbelebt und ergänzt wurden. Aus den amerikanischen New Games kamen weitere Spielkreationen als sog. ‚Neue Spiele’ hinzu.[1] [2]

Charakter

Bei den Friedensspielen handelt es sich im Wesentlichen um pädagogisch und politisch orientierte Spielformen, die erzieherische Absichten verfolgten und die allgemeine Spieleinstellung im Sinne der Friedensidee beeinflussen wollten. Unter Bezeichnungen wie ‚Spiele ohne Sieger’,[3] ‚Spiele ohne Verlierer’‚[4] ‚Spiele ohne Tränen’[5] sollte eine neue Spielkultur geschaffen werden, die, frei von Aggressionen und Kampf, Spaß statt Leistung, Miteinander statt Gegeneinander, Kooperation statt Konkurrenz, gemeinsames Tun ohne Verlieren propagierte.

Sie wurde mit einer Flut von Publikationen und Spielsammlungen[6] auch über das Fernsehen bekannt gemacht und auf großen Volks- und Spielfesten einer breiten Öffentlichkeit praktisch nahegebracht, aber im freien Kinderspiel kaum praktiziert. Ihr Anliegen bestand vor allem darin, die konkurrenzorientierten Sport- und Kampfspiele und die aggressiven Kriegsspiele im Spielbereich zurückzudrängen und Alt und Jung, Mädchen und Jungen sowie sämtliche Gesellschaftsschichten dabei im gemeinsamen Spiel zusammenbringen. Das kontrastierende Erlebnisfeld im Spielen sollte besonders auch den Spielbedürfnissen der Schwächeren, Behinderten, stets zu den Verlierern zählenden, entgegenkommen und ihnen zu neuen Spielperspektiven und Spielfreude jenseits des Siegens und Unterliegens verhelfen.[7]

Beurteilung

Nach der Euphorie und einem Boom in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist die Einschätzung der Menschenbildung durch Friedensspiele nach und nach einer Ernüchterung und kritischen Auseinandersetzung gewichen. In der Spielpädagogik zählen die Friedensspiele heute aus unterschiedlichen Gründen zu den umstrittenen Spielformen.[8] Angstdenken, Wunschdenken und Spielrealität werden in der Spielpädagogik sowohl bei den Kriegsspielen als auch bei den Friedensspielen kontrovers diskutiert. Siegbert A. Warwitz / Rudolf nehmen diesen Dialog auf und stellen die Argumente der Kritiker und Freunde der Friedenspiele in einer eingehenden Bestandsaufnahme einander gegenüber.[9] Dabei fallen auf der Ablehnerseite vor allem die geringe Neigung, sich auch mit alternativen Spielformen und dem beschaulichen Spiel zu befassen als Kritikpunkte ins Gewicht. Bei den Befürwortern werden andererseits die Instrumentalisierung des Spiels, die Überschätzung des Transfergedankens sowie das zu geringe Spannungspotenzial und die im Gefolge geringe Akzeptanz durch die Spielenden bemängelt. Die Spielrealität zeigt - nicht nur bei den starken Spielern- sehr bald das Eintreten von Langeweile und die Forderung nach Wettkampf. Schon Frederik Jacobus Johannes Buytendijk [10] und Hans Scheuerl [11] warnten vor einer übertriebenen und damit die Spielfreude beeinträchtigenden Funktionalisierung des Spielens. Trotzdem ist bestimmten Spielformen wie z.B. dem ‚Erdball’, dem ‚Drachenspiel’ oder dem ‚Gordischen Knoten’ eine gemeinschaftsbildende Wirkung bei hoher Attraktivität nicht abzusprechen. Friedensspiele sind daher heute, soweit sie sich von der Ideologiebefangenheit befreit haben, in der Spielpädagogik als Alternativen zur einseitigen Konkurrenzorientierung und als Bereicherung der Spielmöglichkeiten nicht mehr wegzudenken.

Literatur

  • F. J. J. Buytendijk: Wesen und Sinn des Spiels. Berlin 1933
  • J. Deacove: Spiele ohne Tränen. 2 Bde. Ettlingen 5. Auflage 1985
  • A. Fluegelman / S. Tembeck: New games. Die neuen Spiele. Bd. 1. 18. Aufl. Mülheim an der Ruhr 1996
  • A. Fluegelman: Die neuen Spiele. Bd. 2. 12. Auflage Mühlheim/Ruhr 1996
  • J. Griesbeck: Spiele ohne Verlierer. München 1996
  • T. Orlick: Neue kooperative Spiele. Mehr als 200 konkurrenzfreie Spiele für Kinder und Erwachsene. Weinheim und Basel . 4. Auflage 1996
  • A. Rudolf / S.A. Warwitz : Spielen – neu entdeckt. Grundlagen-Anregungen-Hilfen. Freiburg 1982
  • H. Scheuerl: Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen. Weinheim und Basel 11. Auflage 1990
  • H.P. Sibler u.a.: Spiele ohne Sieger. Ravensburg 1976
  • S.A. Warwitz / A. Rudolf: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. Baltmannsweiler 2. Auflage 2004

Einzelbelege

  1. A. Fluegelman / S. Tembeck: New games. Die neuen Spiele Bd. 1. 18. Aufl. Mülheim an der Ruhr 1996
  2. A. Fluegelman: Die neuen Spiele Bd. 2. 12.Auflage Mühlheim/Ruhr 1996
  3. H.P. Sibler u.a.: Spiele ohne Sieger. Ravensburg 1976
  4. J. Griesbeck: Spiele ohne Verlierer. München 1996
  5. J. Deacove: Spiele ohne Tränen. Ettlingen. 5. Auflage 1985
  6. T. Orlick: Neue kooperative Spiele. Mehr als 200 konkurrenzfreie Spiele für Kinder und Erwachsene. Weinheim und Basel . 4. Auflage 1996
  7. A. Rudolf / S.A. Warwitz : Spielen – neu entdeckt. Grundlagen-Anregungen-Hilfen. Freiburg (Herder) 1982
  8. S.A. Warwitz / A. Rudolf: Umstrittene Spielformen. In: Dies.: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. Baltmannsweiler 2. Auflage 2004. S. 126-151
  9. S.A. Warwitz / A. Rudolf: Friedensspiele. In: Dies.: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. Baltmannsweiler 2. Auflage 2004. S. 145-151
  10. F.J.J. Buytendijk: Wesen und Sinn des Spiels. Berlin1933
  11. H. Scheuerl: Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen. Weinheim und Basel 11. Auflage 1990

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