Religionsmonitor

Religionsmonitor

Der Religionsmonitor ist eine religionssoziologisch angelegte, internationale und interdisziplinäre empirische Untersuchung zu Religiosität und Glaube weltweit. Die Erhebung wurde von der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit Religionswissenschaftlern, Soziologen, Psychologen und Theologen entwickelt und 2007 erstmals durchgeführt. Sie soll in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, um auch die Entwicklung von Religiosität empirisch erfassen und darstellen zu können. Zumal sie sich frühzeitig im Internet präsentierte und dort auch Teilnahme ermöglicht, wurde und wird sie auch online intensiv (kritisch und lobend) diskutiert.

Inhaltsverzeichnis

Methodik

Die Erhebung umfasst 21 Länder aus allen Kontinenten und Weltreligionen: Australien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Guatemala, Indien, Indonesien, Israel, Italien, Marokko, Nigeria, Österreich, Polen, Russland, die Schweiz, Spanien, Südkorea, Thailand, die Türkei und die USA. Die Stichprobe umfasst pro Land 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen, sie berücksichtigt dabei soziodemografische Faktoren wie die Geschlechterverteilung oder die verschiedenen Altersgruppen (ab 18 Jahren) entsprechend ihres prozentualen Anteils an der Gesamtbevölkerung. Die Befragung wurde vor Ort vom Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid durchgeführt, der jeweiligen Infrastruktur des Landes angemessen entweder als Telefoninterview oder als persönliches Interview (Face to face).

Der Religionsmonitor will sowohl traditionelle als auch neue Formen von Religiosität erfassen. Ihm liegt ein substanzieller Religionsbegriff zugrunde, der sowohl in allen Religionen anwendbar sein soll als auch einer größtmöglichen individuellen Religiosität entsprechen soll; es werden sowohl theistische als auch pantheistische Semantiken sowie andere spezifische Themen wie der Bereich Spiritualität analysiert. Der Religionsmonitor erfasst das religiöse Empfinden und die religiösen Erfahrungen der Menschen unabhängig von Konfessionszugehörigkeiten.

Fragen

Der Religionsmonitor beinhaltet insgesamt fast 100 Fragen. Er erhebt dabei insbesondere sechs Kerndimensionen von Religiosität: 1. das Interesse an religiösen Themen, 2. den Glauben an Gott oder etwas Göttliches, 3. die öffentliche religiöse Praxis, 4. die private religiöse Praxis 5. religiöse Erfahrungen sowie 6. die allgemeine Alltagsrelevanz der Religion. Die Fragemodule wurden in 20 Sprachen übersetzt und in allen Ländern einheitlich durchgeführt, nur einzelne Items wurden unter interreligiösen Gesichtspunkten angepasst (beispielsweise werden Hindus und Buddhisten gefragt, ob sie einen Hausaltar besitzen, Muslime werden nach der Häufigkeit des Pflichtgebetes gefragt, etc.). Bei allen Fragen gab es für die Interviewer die Möglichkeit, „weiß nicht / keine Angabe“ oder teilweise zusätzlich „habe noch nie darüber nachgedacht“ zu notieren.

Indexierung

Die Ergebnisse der Fragemodule werden zusätzlich in einem Zentralitätsindex verdichtet, woraus sich eine Zuordnung nach Hochreligiösen, Religiösen und Nichtreligiösen ergibt. Bei den Hochreligiösen spielen religiöse Inhalte eine zentrale Rolle in der Persönlichkeit, die Religiösen sind für religiöse Inhalte und Deutungsmuster jedenfalls „ansprechbar“, während im Leben der Nichtreligiösen religiöse Praktiken, Inhalte und Erfahrungen kaum vorkommen. Diese Gliederung nach der Zentralität von Religion ermöglicht es, Aussagen zum Grad der Religiosität innerhalb der Vergleichsgesellschaften zu treffen und Konsequenzen für gesellschaftliche Dynamiken abzuleiten.

Ergebnisse

Der Religionsmonitor zeigt eine starke religiöse Heterogenität in den befragten Ländern. Das umfangreiche Datenmaterial bietet eine aktuelle Bestandsaufnahme der Religiosität weltweit und wird von sozial- und religionswissenschaftlichen sowie theologischen Disziplinen sowie von Medien, Religionsgemeinschaften und politischen Akteuren weiter interpretiert. Einen Überblick über alle Länderergebnisse sowie Analysen und Kommentare sind auf der Homepage des Religionsmonitors öffentlich zugänglich und werden in verschiedenen Publikationen dokumentiert.

Sonderstudie zu muslimischer Religiosität in Deutschland

Auf internationaler Ebene analysiert der Religionsmonitor mit Indonesien, der Türkei, Marokko, Nigeria und Israel fünf verschiedene islamisch (mit)geprägte Länder. In Deutschland ist die Fallzahl der Muslime bei einer Stichprobengröße von 1.000 repräsentativ ausgewählten Personen mit 21 zu gering, um wissenschaftlich vertretbare Aussagen treffen zu können. Als Weiterentwicklung des Religionsmonitors wurde daher im Jahr 2008 in einer Sonderstudie (repräsentativ; Stichprobengröße: 2.000; bundesweit) die muslimische Religiosität in Deutschland untersucht. Dabei wurden sowohl die kulturell-sprachlichen Wurzeln (Türkisch, Arabisch, Bosnisch, Persisch) als auch die großen Glaubensrichtungen innerhalb des Islam in Deutschland (Schiiten, Sunniten, Aleviten) berücksichtigt. Dabei wurden 90 Prozent der Muslime in Deutschland als religiös eingestuft, 41 Prozent davon sogar als hochreligiös (zum Vergleich: in der deutschen Gesamtgesellschaft wurden 70 Prozent als religiös eingestuft, davon 18 Prozent als hochreligiös). Die Ergebnisse im Einzelnen wurden in einer eigenen Publikation in deutscher, englischer und türkischer Sprache online abrufbar veröffentlicht.[1]

Online-Umfrage

Als Ergänzung zur internationalen Erhebung des Religionsmonitors bietet die Bertelsmann Stiftung eine Online-Umfrage in deutscher, englischer, spanischer und türkischer Sprache an. Damit kann jeder Nutzer den Fragebogen selbst beantworten, sein persönliches Religiositätsprofil erstellen und mit den repräsentativen Ergebnissen seines Landes vergleichen. Für Gruppen wie Schulklassen, Hochschulseminare oder Kirchengemeinden steht neben der Einzelumfrage auch eine Gruppenfunktion zur Verfügung.

Kritik und Lob

Gerade auch der neue Ansatz der Online-Öffnung führte unmittelbar zu Diskussionen, Kritik und Lob in Medien und Blogosphäre.

Kritisiert wurde vor allem:

  • dass die Einbeziehung des "Interesses an religiösen Themen" in den Zentralitätsindex auch erklärten Religionskritikern unter Umständen "Religiosität" zumaß. [2]
  • dass die Einbeziehung der "öffentlichen religiösen Praxis" in den Zentralitätsindex unterschiedlichen Traditionen nicht gerecht würde. So sind traditionelle Jüdinnen und Musliminnen nicht zum wöchentlichen Synagogen- bzw. Moscheegebet verpflichtet, was ihren Index zugunsten z.B. von Christinnen absenken würde.
  • dass bei der bisherigen Auswertung und Kommentierung vor allem Experten aus dem christlichen Kulturkreis zu Wort kamen.[3]

Gewürdigt wurde vor allem:

  • dass endlich mehr empirische und international oft zum ersten Mal vergleichbare Datensätze verfügbar wurden.[4]
  • dass auswertende Wissenschaftler und Journalisten die Datensätze (inkl. der Indices) frei und unzensiert verwenden können.[5]
  • dass sowohl viele Daten wie Publikationen online kostenlos zugänglich gemacht wurden.[6]
  • dass endlich repräsentativ erhobene Daten zur Religiosität von Nichtchristen in Deutschland verfügbar gemacht würden.[7]

Vergleichbare Arbeiten und Studien bietet das Pew Forum on Religion & Public Life[8] in den USA.

Literatur

  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2009, ISBN 978-3-89204-949-4
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007, ISBN 978-3-579-06465-9
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Religionsmonitor 2008 – USA: Überblick zu religiösen Einstellungen und Praktiken, Gütersloh 2008
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Religionsmonitor 2008 – Europa: Überblick zu religiösen Einstellungen und Praktiken, Gütersloh 2008
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Religionsmonitor 2008 – Spanien: Überblick zu religiösen Einstellungen und Praktiken. Gütersloh 2008
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Religionsmonitor 2008 – Muslimische Religiosität in Deutschland: Überblick zu religiösen Einstellungen und Praktiken, Gütersloh 2008

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Übersicht kostenfreie Downloads - http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-30D54A6C-EB8C783D/bst/hs.xsl/85217_85220.htm?suchrubrik=
  2. Bettina Winsemann: Huch, ich bin ja religiös. Telepolis 23. Dezember 2007, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26928/1.html
  3. Reinhart Kirste: Anmerkungen zum Religionsmonitor 2008 der Bertelsmannstiftung, in: Michael Klöcker / Udo Tworuschka (Hg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland. München: Olzog, EL 17, 2008, Nr. I-14.11.6, 12 S., http://www.rpi-virtuell.net/workspace/users/535/Rezensionen/Rz-Religionsmonitor.pdf
  4. Reinhart Kirste: Anmerkungen zum Religionsmonitor 2008 der Bertelsmannstiftung, in: Michael Klöcker / Udo Tworuschka (Hg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland. München: Olzog, EL 17, 2008, Nr. I-14.11.6, 12 S., http://www.rpi-virtuell.net/workspace/users/535/Rezensionen/Rz-Religionsmonitor.pdf
  5. Michael Blume: Persönliche Religiosität im Kontext - Der Religionsmonitor, Chronologs 14. August 2008, http://www.chronologs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/willkommen/2009-08-14/pers-nliche-religiosit-t-im-kontext-der-religionsmonitor
  6. Rontaler Zeitung 15. Mai 2008 (Titelgeschichte): Wir sind gläubiger, als wir glauben., http://rontaler.ch/uploads/media/2008_20_01-16_01.pdf
  7. Jörg Lau: Muslime in Deutschland: hoch religiös und tolerant, ZeitOnline 26. September 2008, http://blog.zeit.de/joerglau/2008/09/26/muslime-in-deutschland-hoch-religios-und-tolerant_1312
  8. Link: http://pewforum.org/

Wikimedia Foundation.

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