Umdeutung (Sprachwissenschaft)

Umdeutung (Sprachwissenschaft)

Als Umdeutung bezeichnet man in der Sprachwissenschaft die Verwendung eines bereits vorhandenen Worts oder eines Ausdrucks einer Sprache in einer anderen, neuen Bedeutung. Diese Bedeutung kann zur bisherigen dazukommen oder diese auch ersetzen, je nach Kontext. Die Umdeutung ist ein spezieller onomasiologischer Vorgang, sie gehört also in den Bereich der Wortschöpfung und Sprachentwicklung.

Veranlassung für Umdeutungen kann sein, daß:

  • eine neue Begrifflichkeit auftaucht, für die bisher ein Wort fehlt. So gab es im Englischen das Wort file - mit der Bedeutung ‚Akte‘ oder ‚Ordner‘ und auch ‚Fahrspur‘ - welches einige Zeit nach der Einführung der Computertechnik mit der zusätzlichen Bedeutung ‚Datei‘ ausgestattet wurde. Eine Verwechslungsgefahr bestand zunächst nicht, weil weder im Straßenverkehr noch in Büros Computer oder ihre Dateien vorkamen. Mit dem Einzug der PCs in die Bürowelt kam später die Notwendigkeit, gelegentlich zwischen computer file ‚Datei der EDV‘ und paper file ‚Papier-Akte‘ zu unterscheiden.
  • eine Begrifflichkeit entfällt und der Ausdruck für eine scheinbar ähnliche Sache oder einen ähnlichen Vorgang erneut oder weiter benutzt wird. Der Ausdruck ‚blau machen‘ steht in der heutigen Umgangssprache für das ungenehmigte Fernbleiben von der Lohnarbeit oder vom Dienst. Ursprünglich wurde damit eine relative Ruhephase beim Blaufärben bezeichnet, in der Stoffe trocknen mußten und die Färber andere Arbeiten ausführen oder Pause machen konnten.
  • eine Aussage für eine Gruppe - auf Englisch als in-group bezeichnet - verständlich sein soll, für Außenstehende aber nicht. Das ist gelegentlich bei der Jugendsprache und durchgehend bei Geheimsprachen, wie dem Rotwelschen der Fall. Um auffällige Neuschöpfungenv zu vermeiden, gibt man alltäglichen Wörtern neue geheime Bedeutungen, so daß jemand, der zufällig einen Teil einer Konversation hört, kaum merkt, daß hier etwas verheimlicht wird. In der Kofferaner Musikantensprache heißt das eigene Dorf Schtotsem, der Klarname ist Kofferen.[1] Mehrere Orte in der Gegend heißen Stotzheim. Auftraggeber und Konkurrenten werden glauben gemacht, eine vielbeschäftigte - und damit angesehene und teure - Kapelle fahre ihrem nächsten Engagement entgegen oder komme vom vorigen. Heimreisen und Pausen werden verschleiert.

Einzelnachweise

  1. Peter Honnen: Geheimsprachen im Rheinland. Eine Dokumentation der Rotwelschdialekte in Bell, Breyell, Kofferen, Neroth, Speicher und Stotzheim. 2 Auflage. Rheinische Mundarten Rheinland-Verlag, Köln 2000, ISBN 3-7927-1728-X, Teil IV. Kofferen (= Rheinische Mundarten, Band 10) (Mit einer CD).

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