Der Sturz des Ikarus

Der Sturz des Ikarus
Dädalus und Ikarus, Relief in der Villa Albani (Rom)

Ikarus (bekannt auch unter seinem latinisierten Namen Icarus, griechisch Íkaros) war in der griechischen Mythologie der Sohn des Dädalus (griechisch: Daidalos; lateinisch: Daedalus). Beide wurden als Strafe für den Ariadnefaden von König Minos im Labyrinth des Minotauros auf Kreta gefangen gehalten. Da Minos die Seefahrt kontrollierte, erfand Daedalus Flügel für sich und seinen Sohn. Dazu befestigte er Federn mit Wachs an einem Gestänge. Vor dem Start schärfte er Ikarus ein, nicht zu hoch und nicht zu tief zu fliegen, da sonst die Feuchte des Meeres beziehungsweise die Hitze der Sonne zum Absturz führen würde. Zuerst ging alles gut, aber nachdem sie Samos und Delos zur Linken und Lebinthos zur Rechten passiert hatten, wurde Ikarus übermütig und stieg so hoch hinauf, dass die Sonne das Wachs seiner Flügel schmolz, die Federn sich lösten und er ins Meer stürzte. Der verzweifelte Daedalus, der sicher in Sizilien ankam, benannte das Land Ikaria zur Erinnerung an sein Kind. Dort errichtete er einen Tempel für Apollon und hängte seine Flügel als Opfer für den Gott hinein. Der Ikarus-Mythos wird im Allgemeinen so gedeutet, dass der Absturz und Tod des Übermütigen die Strafe der Götter für seinen unverschämten Griff nach der Sonne ist. Nach Ovid (s. u.) ließen die Götter Ikarus aus Rache sterben, weil Dädalus seinen Neffen und Schüler Perdix aus Neid auf sein Können ermordet hatte.

Inhaltsverzeichnis

Ikarus-Sage in der Darstellung Ovids

Statue des Ikarus, römisch, Joanneum Graz

Die Ikarus-Sage ist uns am vollständigsten von Ovid in seiner Ars amatoria, II, 21-96, sowie auch in seinen Metamorphosen (Ovid) (VIII, 183-235) überliefert. Der Text des letztgenannten Werkes wird hier so wörtlich wie möglich, ohne die Form des Hexameters (Daédalus íntereá Cretén longúmque perósus …) beizubehalten, wiedergegeben:

Dädalus, der inzwischen die Insel Kreta und die lange Verbannung hasste, und der berührt war von der Liebe zu seinem Geburtsort, war durch das Meer eingesperrt. "Mag er (=Minos)", sagte er, "Länder und Meere (Wellen) versperren; aber der Himmel steht sicher offen; wir werden dort gehen; Mag er auch alles besitzen, die Luft (den Luftraum) besitzt (beherrscht) Minos nicht."
Sprach's und richtet seinen Geist auf unbekannte Künste und erschafft die Natur neu (erneuert die Natur). Denn er legt die Federn der Reihe nach hin, bei der kleinsten angefangen, wobei immer einer langen eine jeweils kürzere folgt, so dass man glauben könnte, sie wären auf einer Anhöhe gewachsen. So stieg einst die Panflöte allmählich mit unterschiedlichen Schilfrohren an.
Dann verbindet er alle Federn in der Mitte mit einer Leinenschnur und ganz unten mit Wachs, und biegt die so zusammengefügten Federn mit einer leichten Krümmung, um echte Vögel nachzuahmen.
Der kleine Ikarus stand dabei, und ohne zu wissen, dass er seine eigene Gefahr anfasst, greift er bald mit freudestrahlendem Gesicht nach Flaumfedern, die ein vorüberziehender Lufthauch bewegt hatte; bald machte er mit dem Daumen das gelbe Wachs weich und behinderte das wunderbare Werk seines Vaters durch sein Spiel. Nachdem die letzte Hand an das Unternehmen gelegt worden war, schwang der Baumeister selbst seinen Körper in die doppelten Flügel im Gleichgewicht hinein und schwebte in der bewegten Luft.
Er unterrichtet auch seinen Sohn, und sagt, "Ich ermahne dich, Ikarus, dich auf mittlerer Bahn zu halten, damit nicht, wenn du zu tief gehst, die Wellen die Federn beschweren, und wenn du zu hoch fliegst, das Feuer sie versengt. Zwischen beiden fliege! Ich befehle dir auch, nicht den Bootes, den Großen Wagen oder das gezückte Schwert des Orion anzuschauen. Nimm deinen Weg unter meiner Führung." Zugleich gibt er ihm Flugvorschriften und passt seinen Schultern die unbekannten Flügel an.
Zwischen der Arbeit und seinen Mahnungen wurden die greisen Wangen nass, und es zitterten die väterlichen Hände. Er gab seinem Sohn Küsse, die nicht wiederholt werden sollten. Und durch die Federn erhoben, fliegt er voraus und fürchtet um seinen Begleiter, wie ein Vogel, der von seinem hohen Nest seine zarten Nachkommen in die Luft geführt hat, und er ermahnt ihn zu folgen und lehrt ihn verhängnisvolle Künste und bewegt selbst seine Flügel und schaut auf die seines Sohnes zurück.
Diese sah jemand, während er mit zitternder Angelrute Fische fing, oder ein Hirte, der sich auf seinen Stab oder ein Bauer, der sich auf seinen Pflug stützte, und staunte und glaubte, dass solche, die ihren Weg durch die Lüfte nehmen könnten, Götter seien. Und schon war auf der linken Seite das der Iuno (griechisch: Hera) heilige Samos (sowohl Delos als auch Paros waren zurückgelassen worden) und auf der rechten Seite Lebinthos und das an Honig reiche Kalymne, als der Knabe begann, sich am kühnen Flug zu erfreuen, sich von seinem Führer trennte und, angezogen durch die Begierde nach dem Himmel, einen höheren Weg nahm. Die Nähe der glühenden Sonne machte das duftende Wachs, das Band der Federn, weich. Das Wachs war geschmolzen. Jener schwingt die nackten Arme, und da er keinen Flugapparat mehr hat, bekommt er keine Luft zu fassen, und sein Mund, der den väterlichen Namen ruft, wird durch das blaue Wasser aufgenommen, das von ihm seinen Namen bekam.
Und der unglückliche Vater – nun schon nicht mehr Vater – rief: "Ikarus!". "Ikarus!" rief er. "Wo bist du? In welcher Gegend soll ich dich suchen?" "Ikarus!" wollte er (noch einmal) rufen. Da erblickte er die Federn in den Wellen, und er verfluchte seine Künste und barg den Körper in einem Grab; und die Erde wurde nach dem Namen des Bestatteten benannt.

lateinischer Originaltext

Daedalus interea Creten longumque perosus exilium tactusque loci natalis amore clausus erat pelago. 'terras licet' inquit 'et undas obstruat: et caelum certe patet; ibimus illac: omnia possideat, non possidet aera Minos.' dixit et ignotas animum dimittit in artes naturamque novat. nam ponit in ordine pennas a minima coeptas, longam breviore sequenti, ut clivo crevisse putes: sic rustica quondam fistula disparibus paulatim surgit avenis; tum lino medias et ceris alligat imas atque ita conpositas parvo curvamine flectit, ut veras imitetur aves. puer Icarus una stabat et, ignarus sua se tractare pericla, ore renidenti modo, quas vaga moverat aura, captabat plumas, flavam modo pollice ceram mollibat lusuque suo mirabile patris impediebat opus. postquam manus ultima coepto inposita est, geminas opifex libravit in alas ipse suum corpus motaque pependit in aura; instruit et natum 'medio' que 'ut limite curras, Icare,' ait 'moneo, ne, si demissior ibis, unda gravet pennas, si celsior, ignis adurat: inter utrumque vola. nec te spectare Booten aut Helicen iubeo strictumque Orionis ensem: me duce carpe viam!' pariter praecepta volandi tradit et ignotas umeris accommodat alas. inter opus monitusque genae maduere seniles, et patriae tremuere manus; dedit oscula nato non iterum repetenda suo pennisque levatus ante volat comitique timet, velut ales, ab alto quae teneram prolem produxit in aera nido, hortaturque sequi damnosasque erudit artes et movet ipse suas et nati respicit alas. hos aliquis tremula dum captat harundine pisces, aut pastor baculo stivave innixus arator vidit et obstipuit, quique aethera carpere possent, credidit esse deos. et iam Iunonia laeva parte Samos (fuerant Delosque Parosque relictae) dextra Lebinthos erat fecundaque melle Calymne, cum puer audaci coepit gaudere volatu deseruitque ducem caelique cupidine tractus altius egit iter. rapidi vicinia solis mollit odoratas, pennarum vincula, ceras; tabuerant cerae: nudos quatit ille lacertos, remigioque carens non ullas percipit auras, oraque caerulea patrium clamantia nomen excipiuntur aqua, quae nomen traxit ab illo. at pater infelix, nec iam pater, 'Icare,' dixit, 'Icare,' dixit 'ubi es? qua te regione requiram?' 'Icare' dicebat: pennas aspexit in undis devovitque suas artes corpusque sepulcro condidit, et tellus a nomine dicta sepulti.

Wirkung

Die Gestalt des Ikarus ist in der europäischen Kultur immer wieder Anreger und Gegenstand künstlerischer, wissenschaftlicher und technischer Schöpfungen geworden. An Beispielen sind zu nennen:

Simon Benetton: Ikarus 1993

Malerei

  • Der Sturz des Ikarus (Brueghel)
  • Der Sturz des Ikarus (Saraceni), Carlo Saraceni (1585–1620).
  • Der Sturz des Ikarus (Molzahn), Johannes Molzahn
  • Der Sturz des Ikarus (Radziwill)

Literatur

  • Axel Kutsch: Ikarus fährt Omnibus. Neue Gedichte, 2005, ISBN 3-935221-47-9
  • Alberto Vazquez-Figueroa: Ikarus, 2004, ISBN 3-548-25899-9
  • Herbert Jennings Rose: Griechische Mythologie, 9. Aufl.; München, Beck 1997, ISBN 3-406-33223-4
  • Sin Yoo; Ikarus, Dädalus, Sisyphus. Drei mythische Modelle des Widerstands bei Wolf Biermann, Berlin 2005, ISBN 3-86573-048-5
  • Jean-Jacques Rousseau: Der neue Dädalus. (Übers. von Klaus H. Fischer); Klaus H. Fischer: Rousseaus Schrift über die Aeronautik. Schutterwald/Baden 2000, ISBN 978-3-928640-58-9)

Musik

  • Ikarus:Österreichischer Produzent und Musiker
  • Ikarus: deutsche Band
  • Daedalous: deutsche Band aus Heimsheim "Fall Of Icarus"
  • Strom & Wasser: Ikarus, erschienen auf "Spielt keine Rolle"
  • Costa Cordalis: Ikarus,
  • Reinhard Mey: Ikarus, Lied auf dem gleichnamigen Album, 1975
  • Wolf Biermann: Ballade vom preussischen Ikarus
  • Flutlicht: Icarus (The Flight)
  • Iron Maiden: The Flight of Icarus
  • Thrice: The Melting Point of Wax, Daedalus
  • Saltatio Mortis: Daedalus
  • Wilfried: Ikarus
  • Tanzwut: Ikarus
  • Emperor: An Elegy of Icaros
  • Lotto King Karl: Ikarus, Lied auf dem gleichnamigen Album, 2006
  • Puhdys: Ikarus
  • Regina Spektor: Lacrimosa
  • Yngwie J. Malmsteen: Icarus' Dream Suite Op.4, erschienen auf dem Album "Rising Force", welches 1984 auf Polydor veröffentlicht wurde
  • Angra: Metal Icarus, erschienen 1998 auf dem Album "Fireworks"
  • Tony Levin: Icarus, erschienen auf dem Album "Waters Of Eden", 2000
  • Syncopix: Icarus, erschienen auf dem Album "Icarus", 2008
  • Alesana: Icarus, erschienen auf dem Album "On frail wings of vanity and wax", 2006
  • New Model Army: "Too Close Too The Sun", Album "Carnival"
  • Peter Reber: Dr Ikarus
  • Diablo: Icaros, erschienen auf dem gleichnamigen Albun "Icaros" im Jahre 2008

Bildende Kunst

Film

Wissenschaft und Technik

Siehe auch


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