Energiekaskade

Energiekaskade

Der Begriff Kaskadeneffekt wird als eine Metapher für sehr verschiedenartige Prozesse verwendet, die im Sinne einer Kaskade (ital. cascata, [stufenweiser] Wasserfall) stufenweise umgesetzt werden. Sofern sich ein Prozess über mehrere Stufen aufschaukelt und allmählich stärker wird, spricht man auch von einem Lawineneffekt.

Inhaltsverzeichnis

Energiekaskade

Von Kaskadeneffekt kann man auch bei Energiekaskaden sprechen, wie sie bei Verwirbelungseffekten im Wasser auftreten (vgl. turbulente Strömung). Ferner treten Energiekaskaden bei Stoffwechselprozessen in biologischen Zellen auf, wo stufenweise biochemische Energiequanten freigesetzt werden, oder auch in ökologischen Systemen im Sinne des Energieflusses. Das Kaskadenprinzip verhindert hier, dass die chemische gespeicherte Energie, die z. B. durch Photosynthese aufgebaut wurde, wieder schlagartig oder ungeregelt frei wird. Erst durch Kaskadeneffekte sind die vielfältigen biologischen und ökologischen Prozesse möglich.

Elektronische, maschinelle und biologische Energiekaskaden können generell zur Stabilisierung von Prozessabläufen führen (Kaskadenschaltung). In der Elektro- und Regeltechnik spricht man daher auch von Kaskadenschaltung oder Reihenschaltung der Module bzw. Prozesse (hierzu vgl. Kaskadierung). Durch den Kaskadeneffekt kann unter Umständen eine höhere Wirkung erreicht werden als mit nur einem einzelnen Modul, z. B. im Falle hintereinander geschalteter Spannungsverdoppler, die zu einem Vielfachen der elektrischen Spannung führen.

Informationen (Signale) werden durch den Kaskadeneffekt allerdings in der Regel nicht verändert.

Sozialkaskade

Der Begriff Kaskadeneffekt ist auch ein in der Systemischen Sozialarbeit nach Milowiz benutzter Begriff, der eine stufenweise absteigende soziale Karriere beschreibt:

Im „Normalfall“ finden sich die Betroffenen eines Schicksalsschlages nach einiger Zeit im Rahmen ihres sozialen Netzes in einer Situation wieder, die der vor dem Schicksalsschlag vergleichbar ist – durch ein Zusammenwirken eigener Aktivitäten und Hilfe von der Umgebung. So etwa findet man nach dem Verlust eines Arbeitsplatzes nach einiger Zeit wieder einen Arbeitsplatz und kann die Zeit bis dahin mit oder ohne fremde Hilfe finanziell überbrücken.

Im ungünstigen Fall aber tritt der Kaskadeneffekt ein: Die Betroffenen und ihre Umgebung verhalten sich so, dass die Reaktionen auf einen Schicksalsschlag jeweils weitere Schicksalsschläge auslösen, statt die vorhergehenden zu kompensieren, so dass die Betroffenen sich stufenweise in einer immer schlechteren Situation wiederfinden.

In unserem Beispiel etwa könnte der Arbeitsplatzverlust verändertes Verhalten (Unsicherheit, Aggression etc.) bei der betroffenen Person auslösen und einen Partner dazu veranlassen, die betroffene Person zu verlassen. Damit wird der Freundeskreis gespalten. Außerdem ist damit häufig ein Wohnungsverlust verbunden. Wenn der/die Betroffene in ähnlicher Weise wie vorher reagiert (Unsicherheit, Aggression), ist weiterer sozialer Abstieg kaum mehr aufzuhalten: Verlust des Freundeskreises, Obdachlosigkeit, Verwahrlosung, Alkoholismus, Verlust des Arbeitsplatzes.

Ein bekannter kaskadenhafter Abstieg ist häufig die Karriere einer unverheirateten Frau, die schwanger wird: Durch die geringere Bewegungsfreiheit reduzieren sich die sozialen Kontakte und durch die Karenzzeit die Möglichkeit, beruflich auf dem laufenden zu bleiben. Dadurch sinken die beruflichen Chancen, während der finanzielle Bedarf steigt. Die Möglichkeit, in den gleichen gesellschaftlichen Kreisen zu bleiben, sinkt, was alles zusammen meist zu Arbeitsplatzverlust bzw. beruflichem Abstieg und damit auch zu sozialem Abstieg führt. Beruflicher und sozialer Abstieg zusammen aber ziehen meist Depressionen und psychosomatische Krankheiten nach sich, auch Alkoholismus kann folgen. Diese Karriere führt zu Obdachlosigkeit bzw. einem Leben von der Sozialhilfe. Der Kaskadeneffekt gilt in diesem Kontext als eine Sonderform der Eskalation: Die Probleme sowie die Reaktionen darauf werden immer intensiver, bis ggfs. eine endgültige Katastrophe den Verlauf beendet.

Kaskadeneffekt im Steuerrecht

Schachtelbeteiligungen: Bei Kapitalgesellschaften, die andere Kapitalgesellschaften als Tochtergesellschaften besitzen (Holding) führen Gewinne der Tochter auch zu Gewinnen der Mutter, wenn die Tochter die Gewinne an die Muttergesellschaft ausschüttet. Würde man die Gewinne bei Tochter und Mutter besteuern, würde es zu einem „Lawineneffekt“ führen; die Steuerbelastung würde umso größer, je länger die Beteiligungskette wird. Da der Gewinn Basis für die Wertermittlung (z. B. für Zwecke der Erbschaftssteuer) ist (siehe auch Stuttgarter Verfahren) würde auch hier der Effekt eintreffen. Eine Reihe von steuerlichen Vorschriften (z. B. der § 8b KStG) sollen diesen Effekt verhindern.

Umsatzsteuer: Im April 1967 wurden die ersten beiden MwSt-Richtlinien erlassen, mit denen eine allgemeine, mehrstufige, aber nicht-kumulative Umsatzsteuer eingeführt wurde. Diese Neuregelung wurde in der Finanzwissenschaft und Wirtschaft einhellig begrüßt, da der Kaskadeneffekt nun vermieden wurde. Vorher wurde die Umsatzsteuer bei jeder Veräußerung fällig. Kaufte der Unternehmer Vorprodukte (z. B. ein Autohersteller Batterien), so musste er auf den Kaufpreis Umsatzsteuer zahlen. Auf das ganze Auto (also auch auf die Batterie) fiel dann erneut Umsatzsteuer an. Kaufte nun der Batterienhersteller Batteriesäure, so entfiel hierauf beim Endverbraucher bereits 3fache Umsatzsteuer. Je länger die Produktionskette werde, umso stärker stieg kaskadenartig die Steuerbelastung. Die Folge war eine hohe Fertigungstiefe.

Literatur


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