Georg Ratzinger (Abgeordneter)

Georg Ratzinger (Abgeordneter)

Georg Ratzinger (Pseudonyme: Robert Waldhausen, Gottfried Wolf, * 3. April 1844 in Rickering, heute Ortsteil von Winzer; † 3. Dezember 1899 in München) war ein bayerischer römisch-katholischer Geistlicher, Sozialreformer, Publizist und Politiker der Bayerischen Patriotenpartei bzw. des Bayerischen Bauernbundes.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Ratzinger besuchte das Gymnasium in Passau von 1855 bis 1863, studierte Theologie in München von 1863 bis 1867 und wurde 1867 zum Priester geweiht. 1868 erlangte er in München den Doktortitel der Theologie.

Der Sozialkritiker Georg Ratzinger war neben seiner seelsorgerlichen Tätigkeit als Pfarrgeistlicher auch als Publizist und Politiker tätig. So war er von 1869 bis 1870 Kooperator in Berchtesgaden, von 1870 bis 1871 in Würzburg Redakteur der Zeitschrift „Fränkisches Volksblatt“, dann wieder von 1872 bis 1874 Kaplan in Landshut und anschließend bis 1876 in München Redakteur der Zeitschrift „Volksfreund“.

Für die Bayerische Patriotenpartei war er von 1875 bis 1877 Mitglied der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages, 1877 bis 1878 Mitglied des Reichstages. Von 1893 bis 1899 war er wiederum Mitglied der Kammer der Abgeordneten, diesmal zunächst als unabhängiger Abgeordneter, dann als Mitglied des Bayerischen Bauernbundes, ab 1894 wieder als unabhängiger Abgeordneter. Als solcher war er auch zwischen 1898 und seinem Tod wieder Mitglied des Reichstages.

Er selbst bezeichnete sich als „Reichsfeind“ und „klerikal-sozial“. Das militaristische Großmachtstreben Preußens lehnte er ab. Er war der Auffassung, dass Militarismus hauptsächlich auf den Schultern der steuerzahlenden Arbeiter und Bauern lastete und dem Monopolstreben des Großkapitals diene. Vorausschauend erkannte er bereits 1895, dass die militaristischen Tendenzen in einen Weltkrieg münden werden. Eine Abwendung dieses Schicksals erwartete er sich nur aus der Umgestaltung des Staates nach den Prinzipien der katholischen Soziallehre.

Eine seiner wichtigsten Schriften war eine Studie mit dem Titel „Die Volkswirthschaft in ihren sittlichen Grundlagen. Ethisch-sociale Studien über Cultur und Civilisation.“

Georg Ratzinger werden aber auch die beiden nachfolgend genannten pseudonym veröffentlichten antisemitischen Hetzschriften zugeschrieben. Zwar kann Ratzingers Identität mit deren beiden Verfasserpseudonymen nicht anhand schriftlicher Zeugnisse belegt werden, jedoch gilt sie in der Forschung auf Grund von Indizien als gesichert und wird nicht in Frage gestellt.[1] Unter dem Pseudonym „Dr. Robert Waldhausen“ erschien 1892 das Buch Jüdisches Erwerbsleben. Skizzen aus dem sozialen Leben der Gegenwart[2], in dessen Einleitung es z. B. heißt: Die Emanzipation der Juden […] konnte nicht anders, als zerstörend und zersetzend auf die ganze christliche Gesellschaft wirken.[3] Und 1897 wurde unter dem Pseudonym „Dr. Gottfried Wolf“ ein antisemitisches Pamphlet mit dem Titel Das Judentum in Bayern. Skizzen aus der Vergangenheit und Vorschläge für die Zukunft[4] publiziert. Auch in anderen, nicht pseudonym veröffentlichten Schriften Ratzingers, z. B. in Die Volkswirthschaft in ihren sittlichen Grundlagen, und in seinen Parlamentsreden lassen sich antisemitische Äußerungen und Tendenzen finden.[5]

Georg Ratzinger ist ein Großonkel des Papstes Benedikt XVI. und des römisch-katholischen Priesters und Kirchenmusikers Georg Ratzinger.

Literatur

  • Johann Kirchinger und Ernst Schütz (Hg.): Georg Ratzinger (1844–1899). Ein Leben zwischen Politik, Geschichte und Seelsorge. Schnell & Steiner, Regensburg 2008, ISBN 978-3795420154 (Inhaltsverzeichnis als pdf-Datei)
  • Felix Dirsch: Solidarismus und Sozialethik. Ansätze zur Neuinterpretation einer modernen Strömung der katholischen Sozialphilosophie (= Schriften des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Band 55), Lit, Berlin 2006, ISBN 978-3825896614
  • Karl Otmar von Aretin: Franckenstein. Eine politische Karriere zwischen Bismarck und Ludwig II. Klett-Cotta, Stuttgart 2003, ISBN 978-3608942866
  • Olaf Blaschke: Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997. (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 122), ISBN 3525357850 (Zu Georg Ratzingers Antisemitismus u. a. ebd. S. 74, 139f., 157 und 270, zu den Pseudonymen: Waldhausen ebd. S. 108, Wolf ebd. S. 163)
  • Siegfried Brewka: Zentrum und Sozialdemokratie in der bayerischen Kammer der Abgeordneten 1893–1914 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Band 742), Peter Lang, Frankfurt/Main 1997.
  • Anton Hochberger: Der bayerische Bauernbund 1893–1914 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Band 99), Beck, München 1991.
  • Dieter Albrecht (Hrsg.): Die Protokolle der Landtagsfraktion der bayerischen Zentrumspartei 1893–1914. Band 1: 1893–1899 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Band 91), München 1989.
  • Rudolf Lill: Die deutschen Katholiken und die Juden in der Zeit von 1850 bis zur Machtübernahme Hitlers. In: Karl Heinrich Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch (Hg.): Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Band 2. dtv, München 1988, ISBN 3423044780, S. 370–420 (Zu Georg Ratzingers Antisemitismus ebd. S. 389.)
  • Alois Hundhammer: Geschichte des Bayerischen Bauernbundes. München 1924.
  • Ludwig Julius Fränkel: Ratzinger, J. Georg. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 53, Duncker & Humblot, Leipzig 1907, S. 215–218.
  • Manfred Hörner: Ratzinger, Georg. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 7, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-048-4, Sp. 1395–1397.

Anmerkungen

  1. Als erster und bis heute unwidersprochen hat bereits 1907 Ludwig Fränkel in seinem unter Literatur angegebenen Ratzinger-Artikel in der ADB die Identität Ratzingers mit Waldhausen und Wolf behauptet. Indizienbeweise dafür liefern: Michael Langer: Zwischen Vorurteil und Aggression. Zum Judenbild in der deutschsprachigen katholischen Volksbildung des 19. Jahrhunderts. Herder, Freiburg/Breisgau 1994, S. 402. Anm. 276. Sowie insbesondere: Manfred Eder: „Ich habe gar keine Abneigung gegen die Juden als solche“. Georg Ratzingers Haltung zum Judentum. In: Johann Kirchinger und Ernst Schütz (Hg.): Georg Ratzinger (1844–1899). Ein Leben zwischen Politik, Geschichte und Seelsorge. Schnell & Steiner, Regensburg 2008, S. 221–289. S. 221f., Anmerkung 5, und S. 254, Anmerkung 177. Vgl. zu Ratzingers Antisemitismus insgesamt: Rudolf Lill: Die deutschen Katholiken und die Juden in der Zeit von 1850 bis zur Machtübernahme Hitlers. In: Karl Heinrich Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch (Hg.): Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Band 2, dtv, München 1988 (= dtv/Klett-Cotta. Band 4478.) S. 370–420. S. 389. Olaf Blaschke: Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Band 122) S. 74, 139f., 157 und 270. Ausführlich und grundlegend vor allem aber Eders o. a. Aufsatz.
  2. Vgl. dazu: Manfred Eder „Ich habe gar keine Abneigung gegen die Juden als solche“. Georg Ratzingers Haltung zum Judentum. A. a. O. S. 230–252. Ferner: Giulio Busi: Papst gefährdet Verhältnis von Juden und Christen. In: Die Welt. 2. Februar 2009.
  3. Robert Waldhausen: Jüdisches Erwerbsleben. Skizzen aus dem sozialen Leben der Gegenwart. Abt, Passau 1892, S. 2. Hinweis auf Download des Buches unter Weblinks.
  4. S. den Hinweis auf die digitalisierte Fassung des Buches unter Weblinks. Vgl. dazu: Manfred Eder: „Ich habe gar keine Abneigung gegen die Juden als solche“. Georg Ratzingers Haltung zum Judentum. A. a. O. S. 256–265.
  5. Vgl.: Manfred Eder „Ich habe gar keine Abneigung gegen die Juden als solche“. Georg Ratzingers Haltung zum Judentum. A. a. O. S. 252–256 bzw. 266–277.

Weblinks


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