Grafotaktik

Grafotaktik

Graphotaktik (auch Grafotaktik) ist ein Teilgebiet der Graphemik und die Lehre von den Regularitäten einer spezifischen Schriftsprache (beispielsweise des Deutschen), hinsichtlich ihrer möglichen Kombinationen von Graphemen zu Schreibsilben, Morphemen und Wörtern. Betrachtet werden also die syntagmatischen Relationen der Grapheme untereinander, d. h. die Regeln, nach denen sich die Grapheme zu möglichen Wörtern (bzw. Wortbestandteilen) einer bestimmten Sprache zusammenfügen lassen.

Jedes Wort (bzw. Wortform) hat eine innere Struktur:

  1. Wortkern (bestehend aus Vokal- bzw. Kerngraphemen), z. B. Schauer.
  2. Worteingang und Wortausgang (bestehend aus Konsonanten- bzw. Randgraphemen), z. B. Schauer. Wortein- und -ausgang können im Deutschen unbesetzt sein (Beispiel: Abend, Ehe, See, ich)
  3. Wortbrücke (zwischen zwei Kernen, bestehend aus Konsonanten- bzw. Randgraphemen), z. B. Schalter.

Das deutsche Wort <Strumpf>, das auch gleichzeitig einem Morphem und einer Schreibsilbe entspricht, lässt sich demnach beschreiben als: (R)(R)(R)(K)(R)(R)(R) (R = Randgraphem, K = Kerngraphem). Aufgrund dieser Basis lässt sich nun ermitteln, von welchen Vertretern ihrer Klasse die Platzhalter (R) bzw. (K) besetzt werden können. So lässt sich bereits intuitiv feststellen, dass ein geschriebenes Wort <Skrulz> ein graphematisch mögliches deutsches Wort sein könnte, während <Mnlutppß> die Distributionsbeschränkungen innerhalb des deutschen Grapheminventars verletzen würde. Es gilt nämlich für jede Sprache, dass bestimmte Grapheme oder Klassen von Graphemen in bestimmten Stellungen und Kombinationen nicht vorkommen können. Diese Regeln sind in jeder Sprache unterschiedlich.
Im Unterschied zur Phonotaktik gibt es aber für graphotaktische Strukturen keine natürlich fundierten Distributionsbeschränkungen (wie in der Phonotaktik phonetische, z. B. aufgrund der Sonoritätshierarchie in einer Silbe), da Buchstaben grundsätzlich beliebig kombinierbar sind (es sei denn, man nimmt "leichtere Lesbarkeit" als einen "natürlichen" Faktor an). Die Beschränkungen sind eben rein sprachspezifisch, z. T. ästhetisch/rezeptiv begründet und historisch gewachsen bzw. per Reform bestimmt (Doppel-i, -u und -ü, in Analogie zu aa, ee, oo, konnten sich in der Regel im Deutschen nicht etablieren, da sie v. a. handschriftlich verwechslungsanfällig sind).

Setzt man schließlich graphotaktische Erkenntnisse mit phonotaktischen in Beziehung, lassen sich u. a. orthographisch relevante phonographische Regularitäten beschreiben, z. B. Regeln zur graphischen Worttrennung oder orthographische Distributionsbeschränkungen wie:

(1) kein ie am Wortanfang, da /i:/ hier in der Regel durch i oder ih wiedergegeben wird;
(2) kein sch am Wortanfang vor t und p, da /ʃ/ am Wortanfang vor /t/ und /p/ in der Regel durch s wiedergegeben wird.

Literatur

  • Hartmut Günther und Otto Ludwig: Schrift und Schriftlichkeit, Berlin, New York 1994. ISBN 3-11-011129-2
  • Gisela Zifonun, Ludger Hoffmann, Bruno Strecker e.a.: Grammatik der deutschen Sprache, Bd. 1, Berlin, New York 1997, ISBN 3-11-014752-1, S.246-308.
  • Manfred Kohrt: Phonotaktik, Graphotaktik und die graphische Worttrennung, in: Probleme der geschriebenen Sprache, Berlin 1988, S.125-165.
  • Utz Maas: Rechtschreibung und Rechtschreibreform, Sprachwissenschaftliche und didaktische Perspektiven, in: Zeitschrift für germanistische Linguistik 22.2, 1994, S.152-189.
  • Peter Eisenberg: Die Schreibsilbe im Deutschen, in: Schriftsystem und Orthographie, hrsg. von P. Eisenberg/H. Günther, Tübingen 1989, S.57-84.
  • Peter Eisenberg: Linguistische Fundierung orthographischer Regeln, Umrisse einer Wortgraphematik des Deutschen, in: Homo scribens, hrsg. von Jürgen Baurmann e.a., Tübingen 1993, S.67-91.

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