Große Inschrift

Große Inschrift
Ausschnitt aus dem Stadtrecht von Gortys

Das Stadtrecht von Gortys (griechisch Γόρτυς) oder Gortyn, auch bekannt als Große Inschrift, ist das älteste bekannte europäische Gesetz. Es stammt aus der Zeit um 500 v. Chr. bis 450 v. Chr. und befindet sich in Gortys auf Kreta.

Inhaltsverzeichnis

Die Inschrift

Inschrifttafeln im Odeion

In den 1880er Jahren führten italienische Archäologen in Gortys Ausgrabungen durch; 1884 entdeckten Federico Halbherr und Ernst Fabricius Inschrifttafeln.

Die aus 42 Steinblöcken zusammengesetzte Inschrift befand sich ursprünglich an den Wänden eines öffentlichen Gebäudes an der Agora der antiken Polis. Erhalten sind nur 12 der Tafeln, die sich auf den Wänden eines hellenistischen Gebäudes befanden, das in römischer Zeit in den Bau eines Odeions mit einbezogen wurde.

Der Text ist in einem altdorischen Dialekt verfasst und besteht aus zwölf Kolumnen mit je 53 bis 55 Zeilen; die Zeilenführung verläuft im Boustrophedon ("wie ein Ochse wendet" - gemeint ist: beim Pflügen); dabei wird abwechselnd von links nach rechts und von rechts nach links geschrieben; bei der Schrift von rechts nach links sind die Buchstaben spiegelverkehrt. In diesem frühgriechischen Alphabet fehlen noch die Zeichen Φ ("Phi"), Χ ("Chi"), Ψ ("Psi"), Ζ ("Zeta"), Η ("Eta") und Ω ("Omega").

Inhalt

Steintafeln der „Großen Inschrift“
Vollständige Abschrift der 12 Kolumnen des Stadtrechts von Gortys unter Beibehaltung des Boustrophedons

Inhaltlich handelt es sich bei dieser längsten erhaltenen griechischen Inschrift eher um eine Art Novellierung älterer, nicht bekannter Gesetze als um eine Neukodifikation.

Kodifiziert sind Regelungen aus

  • Familienrecht, z. B. die Adoption, die Rechtsstellung geschiedener Frauen und Witwen, die Rechtsstellung nach einer Scheidung geborener Kinder und die von Kindern aus Mischehen (zwischen Sklaven, Freien und Ausländern)
"Wenn Mann und Frau sich scheiden, soll sie das Ihrige haben, was sie mitbrachte zu dem Manne, und von dem Ertrage die Hälfte, wenn solcher aus ihrem eigenen Vermögen vorhanden ist, und von dem, was sie einwob (erarbeitete), die Hälfte, was es auch ist ..."
"Wer einen Freien oder eine Freie vergewaltigt, soll hundert Stateren erlegen...wenn aber ein Freier einen Häusler oder Häuslerin, soll er fünf Drachmen...erlegen (bezahlen)...Wer seine eigene Sklavin vergewaltigt, soll zwei Stateren bezahlen".[1]
  • Prozessrecht, z.B. wurden der Veräusserung von Liegenschaften sowie bei Scheidungen und Adoptionen "Gedächtnismänner" oder "Merker" (griechisch μνημόνες, Mnemónes) beigezogen, auch bei Liegenschaftsstreitigkeiten als Auskunftspersonen; ferner wird die Beweislast geregelt:
„Was das Gesetz vorschreibt zu urteilen, sei es gemäß der Zeugen, sei es gemäß der Eidesaussage, das soll der Richter urteilen, wie es das Gesetz vorschreibt; von den anderen Sachen soll er aufgrund der Prozeßaussagen unter Eid entscheiden.“

Literatur

  • Josef Kohler/E. Ziebarth, Das Stadtrecht von Gortyn und seine Beziehungen zum gemeingriechischen Rechte (Göttingen, 1912) ISBN 380-67009-7-4
  • Johannes u. Theodor Baunack, Die Inschrift von Gortyn, 1972 380-67009-8-2
  • Franz Bücheler/Ernst Zitelmann, Das Recht von Gortyn Scientia Verlag (1960)
  • Ewald Weiss, Die große Inschrift von Gortyn und ihre Bestimmungen über Selbsthilfe und Prozess (1948), in: E. Berneker (Hg), Zur griechischen Rechtsgeschichte 315 ff (1968).
  • Rainer R. Metzger, Untersuchungen zum Haftungs- und Vermögensrecht von Gortyn Verlag Schwabe, Basel (1973) ISBN 379-65168-1-5
  • Adonis Vasilakis, Die große Inschrift des Gesetzeskodex von Gortyn. Verlag MYSTIS, Heraklion 2005 ISBN 960-88534-2-7
  • Link, St., „Wenn die einen teilen wollen, die anderen aber nicht…: zum Grossen Gesetz von Gortyn, col. 5, 28-54“ Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 7 (2004)

Belege

  1. Stefan Link, die Nötigung des Mündels in Gortyn (IC IV 72,16-20) Online

Weblinks


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