Großforschung

Großforschung

Die Großforschung oder Big Science bezeichnet die außerhalb von Universitäten, quasi-industriell betriebene Form der Wissenschaft, die im Wissenschaftsbetrieb seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts verstärkt anzutreffen ist. Dazu zählen vor allem große Forschungseinrichtungen, wie sie zum Beispiel 1942 mit dem Manhattan-Projekt (Los Alamos National Laboratory) eingerichtet wurden. Aber auch die gesamte Entwicklung der wissenschaftlichen Praxis lässt sich als eine Veränderung von der durch Individuen betriebenen „Little Science“ zur organisierten „Big Science“ beschreiben, wie Derek de Solla Price 1963 in Little Science, Big Science[1] darlegt und Walther Umstätter für das Internetzeitalter als eine „Fließbandproduktion des Wissens“ bezeichnet.[2]

Zum Komplex der Großforschung gehören auch ausreichende Systeme zur Dokumentation, um Doppelarbeit zu vermeiden. Alvin M. Weinberg legte dazu 1963 im so genannten Weinberg-Report[3] als Reaktion auf den Sputnik-Schock Empfehlungen für einen besseren Wissensaustausch vor.

Inhaltsverzeichnis

Großforschung in Deutschland

Die Geschichte der Großforschung in Deutschland beginnt 1911 mit der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), der Vorläuferin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Während ältere Institutionen des Deutschen Reiches wie das Deutsche Gesundheitsamt (1876) oder die Physikalisch-Technische Reichsanstalt (1887) noch zentrale staatliche Aufgaben bei der Gesundheitskontrolle und der Normung wahrgenommen hatten, standen bei der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft forschungs- und industriepolitische Interessen im Vordergrund.

Die Gründung unter dem Einfluss von Friedrich Althoff, Ministerialdirektor im preußischen Kultusministerium, markiert den Beginn einer staatlichen Wissenschaftspolitik. In Wirtschaft und Staat setzte sich die Erkenntnis durch, dass Wissenschaft ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor war, dabei drohte Deutschland im Vergleich zu Konkurrenten wie Großbritannien und Frankreich zurückzufallen. Bis 1914 entstanden Institute für physikalische Chemie und Elektrochemie, für Chemie, für experimentelle Therapie und für Arbeitsphysiologie sowie das heute noch existierende Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr.

1914–1945

Im ersten Weltkrieg überwogen militärische Gesichtspunkte in der Forschungspolitik, so wurde am Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie unter Fritz Haber die Herstellung von Giftgas erforscht. Militärische Bedeutung hatte auch die Ammoniaksynthese aus Wasserstoff und Stickstoff zur Herstellung von Sprengstoff und Kunstdünger. Außerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft entstanden die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin-Adlershof (1912) und die Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen (1918).

In der Weimarer Republik konnte die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ihre Tätigkeit trotz Verlust von Kapitalvermögen und Namensgeber fortsetzen. Zusätzlich wurde 1920 die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, eine Vorgängerin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, gegründet.

Im Dritten Reich traten dann wieder militärische Aspekte und insbesondere die Luftfahrt in den Vordergrund. Als Gegenstück zum amerikanischen Manhattan-Projekt kann man die Raketenforschung in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde unter der Leitung von Wernher von Braun betrachten.

1945–1989

1948 wurde die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Max-Planck-Gesellschaft umbenannt, die Notgemeinschaft fusionierte 1951 mit dem Deutschen Forschungsrat zur Deutschen Forschungsgemeinschaft. Nach dem Königsteiner Staatsabkommen von 1949 war die Forschungspolitik Ländersache, die Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft im selben Jahr erfolgte daher durch das Bayerische Wirtschaftsministerium.

Mit der Einrichtung des Bundesministeriums für Atomfragen und dem Atomgesetz wurde 1955 die Erforschung der Kernenergie als bundespolitische Aufgabe definiert. Bis 1960 entstanden der erste deutsche Kernreaktor in Karlsruhe (KFK), die Kernforschungsanlage Jülich (KfJ), die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt (GKSS), das Hahn-Meitner-Institut (HMI) in Berlin, das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg und das Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching.

Seit Beginn der 1960er Jahre wurde dann versucht, das in der Kernforschung etablierte Prinzip der Großforschung auf weitere Anwendungsbereiche zu übertragen. Mit Unterstützung des für Forschungsfragen zuständigen Staatssekretärs Wolfgang Cartellieri entstanden unter anderem die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR), die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und schließlich 1979 das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI).

Seit 1989

Nach der Wiedervereinigung stand das Problem der Integration der Akademie der Wissenschaften der DDR in die westdeutschen Forschungseinrichtungen im Vordergrund. Neu gegründet wurden das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). 2001 wurde die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mit der Fraunhofer-Gesellschaft fusioniert.

Siehe auch

Literatur

  • Alvin M. Weinberg: Probleme der Großforschung. Suhrkamp, 1970, ISBN 3-518-06350-2
  • Gerhard A. Ritter: Großforschung und Staat in Deutschland. Ein historischer Überblick. München: Beck 1992. ISBN 3-406-34073-3
  • Margit Szöllösi-Janze: Großforschung - woher? Zur Geschichte der Großforschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Physik und Didaktik 19, 1991, S. 220–233.

Quellenangaben

  1. Derek de Solla Price: Little Science, Big Science, Suhrkamp, 1974 [1]
  2. Walther Umstätter: Die Nutzung des Internets zur Fließbandproduktion von Wissen. In: Organisationsinformatik und Digitale Bibliothek in der Wissenschaft. Gesellschaft für Wissenschaftsforschung, 2001, ISBN 3-934682-34-0, S. 179-199 (pdf)
  3. Alvin M. Weinberg: Science, Government, and Information. 1963 Deutsche Übersetzung

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