Alföld-Linearkeramik

Alföld-Linearkeramik

Die Alföld-Linearbandkeramik, auch östliche Linearbandkeramik genannt, ist eine früh- bis mittelneolithische archäologische Kultur. Sie ist nach der ungarischen Großen Tiefebene (Alföld) und nach der Hauptverzierungsart der Gefäßkeramik benannt, die sich aus geritzten Motiven zusammensetzt. Die Alföld-Linearbandkeramik ist eng mit der westlichen Linearbandkeramik verwandt. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Ostungarn, über Rumänien, die Slowakei bis in die Karpato-Ukraine.

Absolutchronologisch datiert die Alföld-Linearbandkeramik parallel zu ihrer westlichen Komponente etwa in die Zeit zwischen 5500 v. Chr. und 4900 v. Chr.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte

Die Alföld-Linearbandkeramik hat in der Forschung nie die gleiche Aufmerksamkeit erhalten wie ihre westliche Schwester, möglicherweise, weil sie die Forschungsgeschichte ihres Gebietes beschränkt ist. Erste Funde einer späten Stufe der Alföld-Linearbandkeramik, der sog. Bükker Kultur, beschrieb F. von Tompa bereits 1929. In den 1930er Jahren ergrub J. Banner mehrere Siedlungen der Szakálhát-Gruppe und konnte diese Erscheinung von der klassischen Alföld-Linearbandkeramik trennen. In den folgenden Jahrzehnten lieferten zahlreiche kleinere Grabungen (fast ausschließlich in Ungarn) weiteres Material der Alföld-Linearbandkeramik und ihrer späten Erscheinungen, der eben genannten Szakálhát-Gruppe, der Tiszadob-Gruppe und den Regionalgruppen Esztár, Szilmeg und Bükk. N. Kalicz und J. Makkay gelang es in ihrem großen Werk über die „Linienbandkeramik in der Großen Ungarischen Tiefebene“ (Budapest 1977), diese Fülle von Einzelerscheinungen zu erfassen und chronologisch, chorologisch und typologisch zu gliedern. Neuere Forschungen konnten beim Bau der Autobahn M8 durch N. Kalicz, J. Koós und F. Domboróczki in Füzesabony-Gubakút und Mezökövesd-Mocsolyás durchgeführt werden. Sie lieferten wichtige Erkenntnisse zum Siedlungswesen und Totenritual der Alföld-Linearbandkeramik.

Verbreitungsgebiet

Das Entstehungsgebiet der Alföld-Linearkeramik liegt am Flusssystem der Theiß. Es umfasst die namensgebende Alföld-Tiefebene im östlichen Ungarn und reicht darüber hinaus noch bis in die östliche Slowakei, die Karpatoukraine und ins nordwestliche Rumänien. Begrenzt wurde das Verbreitungsgebiet im Norden und Osten von den Karpaten. Ein siedlungsleerer Raum bildete im Westen die Grenze zum Donaugebiet. Die südliche Grenze bildete das mittlere Theißgebiet, an welches sich das Siedlungsgebiet der Körös-Kultur anschloss. In den jüngeren Phasen dehnte sich das Verbreitungsgebiet der Alföld-Linearkeramik weiter nach Süden bis zur Grenze der Vinča-Kultur und nach Rumänien aus.[1]

Chronologische Gliederung

Anhand der Keramik kann die Alföld-Linearbandkeramik in mehrere Stufen untergliedert werden. Die älteste Stufe wird bisweilen nach einem wichtigen Fundort als Szatmár-Gruppe benannt und ist in weiten Teilen des Verbreitungsgebietes einheitlich ausgeprägt. In ihrer weiteren Entwicklung zerfällt die Alföld-Linearbandkeramik (wie auch die westliche Linearbandkeramik!) in viele kleine Regionalgruppen, die sich durch ihre Keramik unterscheiden lassen. Die wichtigsten regionalen Gruppierungen sind die Bükker Kultur, die Tiszadob-Gruppe und die Szakálhát-Gruppe Ostungarns, die Raskovce-Gruppe in der Slowakei und die sog. Ciumesti-Kultur Rumäniens.

Siedlungswesen

Lange Zeit wurde vermutet, dass die Träger der Alföld-Linearbandkeramik in sogenannten Grubenhäusern lebten, denn Hausgrundrisse wurden nicht gefunden. Neuere Ausgrabungen in Füzesabony-Gubakút jedoch erbrachten Grundrisse großer Langhäuser, wie sie auch die westliche Linearbandkeramik kennt. Es handelt sich hierbei um Bauten, deren Aufgehendes von Ständerpfosten getragen wird. Die Abstände zwischen den Pfosten sind mit Flechtwerk verbunden, das mit Lehm beworfen wird und so die Wände bildet. Da sich Befunde zum Aufgehenden der Häuser nicht erhalten haben, ist die Lage von Türen und Fenstern und die Höhe der Häuser nicht gesichert rekonstruierbar.

Materielle Kultur

Keramik

Das Formengut der Keramik der Alföld-Linearbandkeramik umfasst Schalen, Schüsseln mit gerader und geknickter Wandung, halb- bis dreiviertelkugelige Gefäße (so genannte Kümpfe), Becher, Näpfe und Flaschen. Besonders bemerkenswert sind Schalen und Schüsseln, die auf einem hohen zylindrischen Fuß ruhen. In der ältesten Stufe der Alföld-Linearbandkeramik ist die Keramik organisch gemagert. Sie weist Verzierung in Form breiter geritzter Linien auf, die kurvolineare und rektilineare Motive bilden. Bereits in der ältesten Stufe tritt auch bemalte Keramik auf. Die Bemalung ist in weiß, rot oder schwarz auf die Gefäßoberfläche aufgebracht. In jüngeren Phasen der Alföld-Linearbandkeramik ist die Keramik kaum noch organisch gemagert. Bemalung und Ritzverzierung existieren weiter parallel. In der jüngsten Ausprägung der Alföld-Linearbandkeramik treten zahlreiche Einzelerscheinungen auf, die eine Unterteilung in die in Südungarn verbreitete Tiszadob-Gruppe, die in Nordungarn verbreitete Szakálhát-Gruppe, die westlich anschließende Bükker Kultur und die Esztár-Piscolt-Raskovce-Gruppe in Ostungarn, Rumänien und der Slowakei rechtfertigen. Diese Gruppen können anhand des Motivschatzes auf ihrer Keramik voneinander unterschieden werden.

Steingeräte

Charakteristisch für die frühesten Stufen der Alföld-Linearkeramik, also die Protolinienbandkeramik bzw. Szatmár-Gruppe sind kleine geschliffene, trapezoide Beile. Weiterhin treten auch größere Beile auf, die einen leicht konvexen Querschnitt aufweisen. Diese Form hält sich auch noch in den jüngeren Stufen. In der jüngeren Linienbandkeramik treten große Schuhleistenkeile hinzu. Eine weitere Neuerung sind die ersten Steingeräte mit Lochung. Hierzu zählen Äxte und Keulen. Letztere treten kugelig oder diskusförmig auf.[2]

Das bevorzugte Material zur Herstellung von Steingeräten war, insbesondere im nördlichen Theißgebiet, Obsidian. Dieser kommt im Verbreitungsgebiet der Alföld-Linearkeramik ausschließlich im Sempliner Gebirge im ungarisch-slowakischen Grenzgebiet vor und wurde bis in eine Entfernung von 500 km verhandelt. Depotfunde von Kernstücken und fertigen Geräten sowie Produktionswerkstätten lassen auf eine Spezialisierung von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen bei der Herstellung und beim Handel der Steingeräte schließen.[3]

Knochenartefakte

Die Alföld-Linearbandkeramik kennt ein großes Spektrum verschiedener Knochengeräte. Pfrieme, Harpunen, aber auch löffel- und spatelartige Geräte kommen vor. Bisweilen wurden Geräte auch aus Hirschhorn gefertigt. Insgesamt treten Knochengeräte im archäologischen Fundmaterial aber nur sehr spärlich auf.[4]

Kult und Religion

Kultische Äußerungen der Alföld-Linearbandkeramik liegen aus dem gesamten Verbreitungsgebiet vor. Es treten menschliche Statuetten, Gesichtsgefäße, geritzte menschliche Darstellungen und selten auf Gefäße applizierte Darstellungen auf. Als Besonderheit muss man sogenannte "Mischwesen" erwähnen, menschliche Gesichter auf vierbeinigen Körpern. Darstellungen von Tieren sind seltener. Aus Tiszacsege stammt ein Gefäß in Form eines Schweines, das in die älteste Stufe der Alföld-Linearbandkeramik datiert (die sog. Szatmár-Gruppe). Jünger sind Gefäßreste in Tierform aus dem slowakischen Sarisské Michal'any: Sie datieren in die Zeit der Bükker Kultur und der Tiszadob-Gruppe. Erdwerke, wie sie in der westlichen Linearbandkeramik bekannt sind, sind im Bereich der Alföld-Linearbandkeramik bislang noch nicht gefunden worden.

Totenritual

Bisher sind nur wenige Bestattungen der östlichen Linearbandkeramik bekannt. Es handelt sich meist um Hocker, die mit wenigen keramischen Beigaben beerdigt wurden. Echte Gräberfelder sind selten; für die älteste Stufe der östlichen Linearbandkeramik ist jüngst ein Gräberfeld mit mehreren Bestattungen in Mezőkövesd-Mocsolyás ergraben worden.

Literatur

  • N. Kalicz, J. Koós, Eine Siedlung mit ältestneolithischen Gräbern in Nordostungarn. In: A. Krenn-Leeb, J.-W. Neugebauer, A. Pedrotti (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Neolithikums in Mitteleuropa. Preist. Alpina 37/1, 2001 (2002), 45-79.
  • N. Kalicz, J. Makkay, Die Linienbandkeramik in der Großen Ungarischen Tiefebene (Budapest 1977).
  • J. Lichardus, Studien zur Bükker Kultur. Saarbrücker Beitr. Altertumskunde 12 (Bonn 1974).
  • Joachim Preuß (Hrsg.): Das Neolithikum in Mitteleuropa. Kulturen – Wirtschaft – Umwelt vom 6. bis 3. Jahrtausend v. u. Z. Übersichten zum Stand der Forschung. Band 1/2. Verlag Beier & Beran, Weißbach 1998, ISBN 3-930036-10-X, S. 268–273.
  • M. Strobel, Ein Beitrag zur Gliederung der östlichen Linienbandkeramik. Versuch einer Merkmalsanalyse. Saarbrücker Stud. Altertumskunde 4/5, 1995/96, 9-98.
  • F. v. Tompa, Die Bandkeramik in Ungarn. Die Bükker- und die Theiss-Kultur. Arch. Hungarica 5-6 (Budapest 1929).
  • Utak a múltba. Az M3-as autópálya régészeti leletmentései (Budapest 1997).

Einzelnachweise

  1. Beier: Das Neolithikum in Mitteleuropa 1/2. S. 268.
  2. Beier: Das Neolithikum in Mitteleuropa 1/2. S. 269.
  3. Beier: Das Neolithikum in Mitteleuropa 1/2. S. 269–270.
  4. Beier: Das Neolithikum in Mitteleuropa 1/2. S. 270.

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