Henscheid

Henscheid
Eckhard Henscheid

Eckhard Henscheid (* 14. September 1941 in Amberg, Oberpfalz) ist ein deutscher Schriftsteller.

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Leben

Ursprünglich wollte Henscheid nach dem Abitur am Gregor-Mendel-Gymnasium in Amberg Musiklehrer werden, studierte dann aber in München Germanistik und Publizistik. Den Abschluss als Magister Artium erreichte er mit einer Arbeit über Gottfried Keller und arbeitete anschließend als Journalist in Regensburg und als Redakteur in Frankfurt am Main. Seit 1971 lebte er lange als freier Schriftsteller abwechselnd in Frankfurt, Amberg und Arosa (Schweiz), mittlerweile lebt er mit seiner Frau in Amberg.

Zusammen mit F. K. Waechter, F. W. Bernstein, Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, Peter Knorr, Bernd Eilert und Hans Traxler gehörte Eckhard Henscheid zur Neuen Frankfurter Schule, die unter anderem im Satiremagazin Titanic publizierte. Dort war er 1979 auch Miterfinder und lange Zeit Mitautor der Kolumne Humorkritik.

Charakteristisch für Henscheids Werk ist – weit über seinen Kampf gegen das „Dummdeutsche“ in jeder Form hinaus – die Vielzahl der von ihm gepflegten Gattungen und Genres. Seine Arbeiten umfassen Erzählungen, Romane, Idyllen, Märchen, Satiren, Essays, Lyrik, Nonsens-Dichtung, Polemiken und Glossen, Literatur-, Kunst- und Musikkritik. Dabei verknüpft er eigenständige sprachliche Virtuosität mit Motiven aus der Romantik und dem gesellschaftskritischen Impetus der Frankfurter Schule.

Henscheids Romane (die sogenannte Trilogie des laufenden Schwachsinns und Dolce Madonna Bionda), die Idylle Maria Schnee und etliche Erzählungen zeigen eine männliche Zentralfigur in Phasen des psychischen Zerfalls beziehungsweise der Verfallenheit an eine fixe Idee. Henscheids Zentralfiguren widmen sich der Beobachtung bis hin zum Voyeurismus und zur Idolatrie. Das defekte Roman-Subjekt bewegt sich in einer gleichfalls dysfunktionalen, verrückten Außenwelt. Weil der Romancier Henscheid hier häufig realistisch Fakten aus der Entstehungszeit seiner Texte verwendete, wurde seine Epik zunächst weithin verkürzt als Satire verstanden.

Die Trilogie arbeitet mit Ich-Erzählern, doch auch danach bleibt eine sehr bewusste Erzählposition bestehen, etwa in der Syntax des in Echtzeit gedachten Satzes in Maria Schnee: Der Leser tritt in den Kopf der Zentralfigur ein. Henscheid montiert – meist verdeckt – Literatur- und Opernzitate in seine Texte ein. So erweist er insbesondere Fjodor M. Dostojewski und Franz Kafka die Reverenz auch und gerade als Humoristen. Henscheid teilt Italo Svevos Interesse am Alter, zu stilistischer Rücksichtslosigkeit ermunterte ihn sichtlich Arno Schmidt.

Im Juli 1970 nahm Henscheid – damals als SPD-Mitglied – an der „Besetzung“ des Springerhochhauses teil. Die „Besetzung“ ereignete sich im Rahmen einer satirischen Aktion der pardon-Redaktion, der Henscheid damals angehörte; nämlich „wider die Volksverhetzung durch die Bild-Zeitung“.

In den frühen 1990er Jahren hatte Henscheid gerichtliche Auseinandersetzungen in Fragen der Kunstfreiheit mit der Unternehmensberaterin Gertrud Höhler und dem Sohn des Nobelpreisträgers Heinrich Böll, René Böll. Henscheid hatte Heinrich Böll zuvor in einer Rezension unter anderem als „steindumm“ und „korrupt“ bezeichnet, über eine Werbeaktion Höhlers für American Express hatte er einen Artikel namens Sie muß verrückt sein in konkret veröffentlicht. In beiden Fällen unterlag Henscheid, der sich auf die Meinungsfreiheit berief, schließlich vor Gericht.[1] Das Bundesverfassungsgericht wies eine Beschwerde gegen ein vorheriges Urteil eines Landgerichtes zurück, da die Böll-Rezension eine nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckte Schmähkritik sei.[2] Die gerichtliche Auseinandersetzung mit dem „linken Bauernfänger“ (Henscheid) Gerhard Zwerenz endete 1986 mit einem Vergleich.

Anfang Oktober 1996 unterstützte Henscheid die Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform.

Immer wieder hat sich Henscheid aus einstmals nahestehenden redaktionellen Zusammenhängen zurückgezogen, so zum Beispiel seit 1996 von der Schirrmacherschen FAZ, nach 1975 von pardon, zeitweise sogar von der Titanic. Ein besonderer Fall ist der Rückzug von konkret: Im Februar 1999 gab Henscheid auf Grund von Differenzen mit Chefredakteur Hermann L. Gremliza seine langjährige Mitarbeit bei der Zeitschrift konkret auf. Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten in der Walser-Bubis-Kontroverse[3] und generell über den Inhalt des Begriffs „Antisemitismus“, welchen konkret Henscheid zugeschrieben hatte.

Im Juni 2000 übernahm Henscheid die Heidelberger Poetik-Dozentur. Im Mittelpunkt der Vorlesungen stand das Komische in der Literatur.[4] Weitere Gastdozenturen fanden in Klagenfurt (2001) und Göttingen (2007) statt.

Henscheid hat zweimal der konservativen Wochenzeitung Junge Freiheit Interviews gegeben, das erste davon ging ein in die Textsammlung des Buchs Der Streit um Martin Walser, in dem Walser gegen FAZ-Schirrmachers Unterstellungen von „Antisemitismus“ im Zusammenhang mit dem Roman Tod eines Kritikers verteidigt wird.

Im Jahr 2004 unternahm Henscheid zusammen mit Egon Bahr, dem Schriftsteller Jürgen Roth und anderen geladenen Gästen im Staatsauftrag der Präsidenten Wladimir Putin und Johannes Rau eine Wolgareise. Gespräche am Runden Tisch mit Künstlern, Musikern, Dozenten und Wissenschaftlern sowie kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Workshops in den Sparten Musik, Literatur und Theater standen auf dem Programm.

Werke

Bücher

  • Trilogie des laufenden Schwachsinns (Romantrilogie)
    • Die Vollidioten – Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972. 1973
    • Geht in Ordnung – sowieso – – genau – – – Ein Tripelroman über zwei Schwestern, den ANO-Teppichladen und den Heimgang des Alfred Leobold. 1977
    • Die Mätresse des Bischofs. 1978
  • Verdi ist der Mozart Wagners – Eine Art Opernführer. 1979
  • Ein scharmanter Bauer (Erzählungen und Bagatellen). 1980
  • Beim Fressen beim Fernsehen fällt der Vater dem Kartoffel aus dem Maul. Erzählung. 1981
  • Der Neger (Negerl) (zusammen mit Immanuel Kant). München 1982
  • (Hrsg. mit F. W. Bernstein) Unser Goethe – Ein Lesebuch. 1982
  • Roßmann, Roßmann... – Drei Kafka-Geschichten. Haffmans, Zürich 1982
  • Dolce Madonna Bionda. 1983
  • Wie Max Horkheimer einmal sogar Adorno hereinlegte (Anekdoten über Fußball, Kritische Theorie, Hegel und Schach). 1983
  • Dummdeutsch - Ein Wörterbuch. 1985
  • Helmut Kohl. Biographie einer Jugend. 1985
  • Frau Killermann greift ein (Erzählungen und Bagatellen). 1985
  • (Mit F. W. Bernstein)Literarischer Traum- und Wunschkalender. Haffmans, Zürich 1985
  • Mein Lesebuch (Anthologie). Fischer Taschenbuch 1986
  • Sudelblätter (Aufzeichnungen). 1987
  • (Mit F. W. Bernstein) TV-Zombies - Bilder und Charaktere. Haffmans, Zürich 1987
  • (Mit Bernd Eilert) Eckermann und sein Goethe. Ein Schau-/Hörspiel getreu nach der Quelle: Illustrationen von F. W. Bernstein). Frankfurt am Main 1987
  • Maria Schnee – Eine Idylle. 1988
  • Wir standen an offenen Gräbern (Nachrufe). 1988
  • Kleine Trilogie der großen Zerwirrnis. 1988
  • Standardsituationen (Fußballdramen). 1988
  • Die Wurstzurückgehlasserin. Fünf Erzählungen. 1988
  • Die drei Müllerssöhne (Märchen und Erzählungen). Zürich 1989
  • Was ist eigentlich der Herr Engholm für einer? – Ausgewählte Satiren und Glossen 1969–1989. 1989
  • Hoch lebe Erzbischof Paul Casimir Marcinkus – Ausgewählte Satiren und Glossen 1970–1990, 2. Folge. München 1990
  • Wie man eine Dame verräumt – Ausgewählte Satiren und Glossen 1969–1990, 3. Folge. 1990
  • Die Wolken ziehn dahin. Feuilletons. Haffmans, Zürich 1992
  • Da lacht das runde Leder (Fußball-Anekdoten, mit Illustrationen von F. W. Bernstein). Haffmans, Zürich 1992
  • Die Lieblichkeit des Gardasee. Gesammelte Erzählungen. 1993
  • Erledigte Fälle. Bilder deutscher Menschen (mit Illustrationen von Hans Traxler). München 1993
  • An krummen Wegen - Gedichte und Anverwandtes. Haffmans, Zürich 1994
  • (Mit Regina Henscheid) Die Zwicks. Fronvögte, Zwingherrn und Vasallen. Haffmans, Zürich (1995)
  • (Mit Gerhard Henschel und Brigitte Kronauer) Kulturgeschichte der Mißverständnisse – Studien zum Geistesleben. Reclam, Ditzingen 1997
  • 10:9 für Stroh - Drei Erzählungen. 1998
  • Goethe unter Frauen – Elf biographische Klarstellungen. 1999
  • Meine Jahre mit Sepp Herberger. 1999
  • Jahrhundert der Obszönität. 2000
  • Warum Frau Grimhild Alberich außerehelich Gunst gewährte - Neue musikalische Schriften (mit Illustrationen von F. W. Bernstein). 2001
  • (Mit Oliver Maria Schmitt) Erotik pur mit Flirt-Faktor – Worte der Woche und Verwandtes. 2002
  • Der Streit um Martin Walser (mit Martin Walser u.a.), 2002
  • Die Nackten und die Doofen – Aufsätze zur Kulturkritik. 2003
  • Gesammelte Werke. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2003 ff. (bis 2008 erschienen 10 Bände)
  • Auweia, Infantilroman, Kunstmann 2007.
  • Gott trifft Hüttler in Vaduz, Eine kleine Kulturgeschichte, Kunstmann 2008.

Tonträger

Auszeichnungen

  • Italo-Svevo-Preis 2004
  • Kulturpreis der Stadt Amberg 2005, laut Henscheid „als Danksagung für geförderten Fremdenverkehr“.

Literatur

  • Eckhard Henscheid. Edition Text und Kritik, München 1990, ISBN 3-88377-364-6 (Aufsatzsammlung)
  • Michael Matthias Schardt (Hrsg.): Über Eckhard Henscheid. Rezensionen von "Die Vollidioten" (1973) bis "Die drei Müllerssöhne" (1989). Igel, Paderborn 1991, ISBN 3-927104-08-6
  • Michael Ringel: Bibliographie Eckhard Henscheid 1968-1990. Igel, Paderborn 1992, ISBN 3-927104-16-7
  • Ivo Wessel: Geht in Ordnung – sowieso – – genau – – –. Der Schriftsteller Eckhard Henscheid. CD-ROM-Katalog zur Ausstellung in Kaiserslautern vom 25. Juni–17. August 2001. Wessel, Berlin 2001
  • Marc Fabian Erdl: Die Legende von der Politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos, transcript, Bielefeld 2004, ISBN 978-3-89942-238-2, darin: die Fälle René Böll und Gertrud Höhler (Auszug, pdf, hier: S. 5)

Quellen

  1. M. F. Erdl: Die Legende von der politischen Korrektheit S. 17 [1]
  2. ITR2-VL07-BVerfG: Henscheid-Böll
  3. Informationen zum Heft 07 2002, konkret
  4. Pressestelle der Universität Heidelberg: Heidelberger Poetik-Dozentur 2000 mit dem Schriftsteller Eckhard Henscheid, 29. Mai 2000

Weblinks


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