Immigrationshintergrund

Immigrationshintergrund

Migrationshintergrund ist ein Ordnungskriterium der deutschen amtlichen Statistik zur Beschreibung einer Bevölkerungsgruppe, die aus seit 1950 eingewanderten Personen und deren Nachkommen besteht.

Die Formel „Personen mit Migrationshintergrund“ bezeichnet somit ein anderes Segment der Bevölkerung als Ausländer, da viele Menschen mit Migrationshintergrund deutsche Staatsangehörige sind. Wiederum kamen auch vor 1950 Ausländer nach Deutschland, die bis heute nicht eingebürgert sind; etwa als Kriegsflüchtlinge in den beiden Weltkriegen.

Als rein statistische Kategorie sagt der Begriff weiterhin nichts über das subjektive Zugehörigkeitsempfinden einer Person zur deutschen oder einer ausländischen Kultur aus.

Inhaltsverzeichnis

Definition des Statistischen Bundesamtes

Selbstgemachte deutsch-türkische Fahne zur Fußballweltmeisterschaft 2006 in Berlin-Neukölln

Seit dem Mikrozensus 2005 ermitteln die Statistischen Landesämter und das Statistische Bundesamt indirekt Daten zum Migrationshintergrund. Grundlage dafür ist eine Änderung des Mikrozensusgesetzes von 2003, das die Aufnahme von Fragen zur Feststellung des Migrationshintergrundes in den Befragungen 2005 bis 2012 vorsieht. Konkret werden Angaben zur Zuwanderung, Staatsangehörigkeit und Einwanderung des jeweiligen Befragten sowie dessen Eltern erfragt. Als Personen mit Migrationshintergrund definiert werden „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“[1]. Somit gehören auch Spätaussiedler und deren Kinder zu den Personen mit Migrationshintergrund.

Diese Personen müssen keine eigene Migrationserfahrung haben und leben in einem Drittel der Fälle seit ihrer Geburt in Deutschland. Bei den zwei Dritteln, die eine eigene Migrationserfahrung haben, spricht man auch von „Zugewanderten“[2]

Im Jahr 2006 lebten nach dieser Definition 15,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Dies entspricht 19 % der Wohnbevölkerung (82 Millionen), davon hatten 10 % die deutsche und 9 % eine ausländische Staatsangehörigkeit. Die beiden größten Migrationsgruppen sind demnach etwa fünf Millionen Spätaussiedler aus Russland und ca. 2,5 Millionen Türkeistämmige.

Mit 10,4 Millionen stellen die seit 1950 Zugewanderten – das ist die Bevölkerung mit eigener Migrationserfahrung – zwei Drittel aller Personen mit Migrationshintergrund. Ausländerinnen und Ausländer machen 2006 mit 7,3 Millionen oder 8,9 % der Bevölkerung nur etwas weniger als die Hälfte aller Personen mit Migrationshintergrund aus, die Deutschen mit 7,9 Millionen oder 9,5 % der Bevölkerung etwas mehr als die Hälfte. Personen mit Migrationshintergrund sind im Durchschnitt deutlich jünger als jene ohne Migrationshintergrund (33,8 gegenüber 44,6 Jahre). In den jungen Alterskohorten sind sie stärker vertreten als in den alten. Bei den unter Fünfjährigen stellen Personen mit Migrationshintergrund im Jahr 2008 ein Drittel dieser Bevölkerungsgruppe.[2] In einigen westdeutschen Großstädten haben 40 % der Grundschüler einen Migrationshintergrund.[3]

Verwendung des Begriffs

Der Begriff Migrationshintergrund wurde von der Essener Pädagogikprofessorin Ursula Boos-Nünning bereits in den 1990er Jahren geprägt. Hintergrund der Wortneuschöpfung war der Umstand, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs viele Menschen aus postkommunistischen Staaten nach Deutschland zuwanderten, die beanspruchten, als deutsche Volkszugehörige im Sinne des Art. 116 GG und § 6 BVFG sofort die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten. Gleichwohl hatte diese aus Deutschen bestehende Bevölkerungsgruppe ähnliche Probleme zu bewältigen wie Zuwanderer, die als Ausländer nach Deutschland gekommen waren (z.B. das Problem der mangelhaften Beherrschung der deutschen Sprache[4]). Der Begriff „Migrationshintergrund“ wurde auch als Lösung für solche Fälle empfunden, in denen Ausländer eingebürgert wurden. Dadurch, dass die Eingebürgerten (wie die Spätaussiedler) in die Rubrik „Deutsche“ eingeordnet werden, kann das Phänomen der Migrationsfolgen methodisch nicht angemessen erfasst werden.

Über den Weg der Kinder-und Jugendberichts der Bundesregierung 1998, an dem Boos-Nünning mitarbeitete, fand der Terminus dann seinen Weg in die Öffentlichkeit. Der Begriff wird vor allem seit 2006 zunehmend verwendet, insbesondere als Reaktion auf die Tatsache, dass die meisten in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern seit 2000 bei der Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Davor wurden für in Deutschland lebende Menschen, die im Ausland geboren wurden oder Eltern haben, die seit 1950 aus dem Ausland zugezogen sind, meist die Begriffe „Deutsche ausländischer Herkunft“ bzw. „Ausländer“ oder die entsprechende Nationalität (Türken, Italiener, usw.) verwendet.

Das Statistische Bundesamt berief sich bei der Definition des Begriffs für den Mikrozensus 2005 seinerseits darauf, der Begriff sei „in Wissenschaft und Politik seit langem geläufig“ und werde „trotz seiner Sperrigkeit immer öfter verwendet.“ Er drücke aus, „dass zu den Betroffenen nicht nur die Zuwanderer selbst – d.h. die eigentlichen Migranten – zählen sollen, sondern auch bestimmte ihrer in Deutschland geborenen Nachkommen.“ Das Amt räumt allerdings ein, dass es schwierig sei, den Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ trennscharf zu verwenden.

Der Begriff „Migrationshintergrund“ hat sich in den Medien und auch in der Alltagssprache stark verbreitet. Der Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ ersetzt den ungenauen Begriff „ausländische Mitbürger“, der streng genommen noch nie einen Sinn ergab (Oxymoron), da Ausländer nicht Inhaber von Bürgerrechten und Bürger nicht „ausländisch“ sind.

Auch der Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ wurde von dem als „Euphemismus-Tretmühle“ bekannten Mechanismus erfasst. Bei vielen stellen sich inzwischen dieselben Konnotationen wie bei dem Begriff „Ausländer“ ein. Deshalb wurde das Wort „Migrationshintergrund“ auch als „Unwort des Jahres“ vorgeschlagen[5]. Gegen den Vorschlag, „Menschen mit Migrationshintergrund“ als Kategorie der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) einzuführen, wurde im Januar 2009 heftig protestiert[6]. Nach Art. 3 GG wie nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist es verboten, mit der „ethnischen Herkunft“ eines Menschen Rechtsfolgen zu verbinden. Niemandem darf also wegen der Tatsache, dass er selbst oder seine Vorfahren nach Deutschland zugewandert sind, diskriminiert werden.

Henryk M. Broder hingegen kritisiert nicht die diskriminierenden Untertöne in dem Begriff „Migrationshintergrund“, sondern die Praxis, die Tatsache der Migration als Entschuldigung für abweichendes Verhalten aller Art bei den von Migration Betroffenen anzuführen (in seinem polemischen Buch Hurra, wir kapitulieren!)[7]

Inzwischen wird der Begriff in den Medien auch scherzhaft in nicht-politischen Kontexten verwendet („Deutsche Wörter und ihr Migrationshintergrund“[8], „Übelkeit mit Migrationshintergrund“[9], „Königsspeise mit Migrationshintergrund“ [10]).

Zusammensetzung der Menschen mit Migrationshintergrund

Nach Status und Generationszugehörigkeit

Nach Aussagen des Statistischen Bundesamtes[11] setzte sich die Menge der Menschen mit Migrationshintergrund im Jahr 2005 folgendermaßen zusammen:

  • Zugewanderte Ausländer (1. Generation): ca. 36 Prozent
  • In Deutschland geborene Ausländer (2. und 3. Generation): ca. 11 Prozent
  • Spätaussiedler: ca. 12 Prozent
  • Eingebürgerte zugewanderte Ausländer: ca. 20 Prozent
  • Personen mit mindestens einem zugewanderten Elternteil oder Elternteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit: ca. 21 Prozent

Nach der geographischen Herkunft der Zugewanderten

Der afrodeutsche Fußballnationalspieler Gerald Asamoah, der 2005 an der Kampagne „Du bist Deutschland“ teilnahm

Europa ist für die Zuwanderung nach Deutschland quantitativ besonders bedeutsam. 59,9 % der Zugewanderten stammten im Jahre 2008 aus Europa. 23,5 % von ihnen stammen aus den 27 Mitglied­staaten der Europäischen Union. Die elf bedeutendsten Herkunftsländer sind:

  • Türkei (mit 14,2 % aller Zugewanderten),
  • Russische Föderation (8,4 %),
  • Polen (6,9 %),
  • Italien (4,1 %),
  • Serbien und Montenegro (3,4 %),
  • Kasachstan (3,3 %),
  • Rumänien (3,0 %),
  • Kroatien (2,5 %),
  • Griechenland sowie Bosnien und Herzegowina (jeweils 2,2 %)
  • Ukraine (1,9 %)[2]

Geläufig ist auch die Unterscheidung zwischen autochthonen und allochthonen Mitbürgern. Als Allochthone werden Menschen mit Migrationshintergrund gezählt, als Autochthone Menschen ohne Migrationshintergrund.

Nach Milieu

Die „Sinus“-Studie Soziale Lage und Grundorientierung teilt Menschen mit Migrationshintergrund in vier Milieus ein:

  • Bürgerliche Migranten-Milieus: 38 Prozent
  • Traditionsverwurzelte Migranten-Milieus: 23 Prozent
  • Ambitionierte Migranten-Milieus: 24 Prozent
  • Prekäre Migranten-Milieus: 24 Prozent[12]

Situation in Österreich

Die Definition der Personen mit Migrationshintergrund entspricht in Österreich jener der von der UNECE herausgegebenen "Recommendations for the 2010 censuses of population and housing". Demnach bezeichnet man in Österreich Personen mit Migrationshintergrund als solche, wenn beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Weiters wird differenziert zwischen:

  • Migranten der ersten Generation: Personen, deren eigener Geburtsort wie jener beider Elternteile im Ausland liegt.
  • Migranten der zweiten Generation: Personen, deren eigener Geburtsort in Österreich liegt und jener beider Elternteile im Ausland.

Nach dieser Definition hatten in Österreich im Jahr 2008 1,427 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund. 1,075 Millionen davon sind selbst nach Österreich zugezogen (und entsprechen damit den Migranten der ersten Generation). Die verbleibenden 0,353 Millionen Personen sind bereits in Österreich geboren, der Geburtsort beider Elternteile liegt jedoch im Ausland. Fast die Hälfte der Personen mit Migrationshintergrund ist im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft.[13]

Migrationshintergrund und Gesundheit

Menschen mit Migrationshintergrund in der lebenden Generation haben schlechtere Gesundheitschancen. Mütter- und Säuglingssterblichkeit ist erhöht. Die Sterblichkeit von Säuglingen und Kleinkindern ist um 20 % erhöht. Kleinkinder und Schulkinder sind durch Unfälle überdurchschnittlich stark gefährdet[14].

Die sozialepidemiologische Forschung weist immer wieder darauf hin, dass eine besondere Belastung von Migrantinnen und Migranten auch in der zweiten und dritten Generation nachweisbar ist.[15]

Migrationshintergrund und schulische Erfolge

Schulische Erfolge

Thränhardt bezeichnet Aussagen über Schüler mit Migrationshintergrund als „wenig trennscharf und aussagekräftig“. Es gibt sowohl Gruppen, die sehr gut im deutschen Schulsystem abschneiden, als auch solche, die sehr schlecht abschneiden. Am wenigsten Schulerfolg haben die Gruppen der Staatsangehörigen Italiens und Serbien-Montenegros: in beiden Gruppen finden wir mehr Sonderschüler als Gymnasiasten. Das Gros der Schüler in diesen beiden Gruppen ist darüber hinaus in der Hauptschule zu finden, nur kleinere Prozentsätze besuchen Gymnasien und Realschulen.

Unter Schülern mit spanischer, russischer, polnischer, kroatischer und auch bosnischer Zugehörigkeit dagegen finden sich viele Realschüler und Gymnasiasten. Sie erzielen ähnliche schulische Erfolge wie die deutschen Schüler.[16]

Bei Kindern mit ex-jugoslawischem Hintergrund liegen die schulischen Leistungen im deutlich besseren Bereich als bei ihren türkischen und italienischen Mitschülern, jedoch nicht so gut wie bei Aussiedlern und deutschen Schülern (siehe Tabellen).

Kinder mit griechischem Migrationshintergrund gehen statistisch gesehen sogar häufiger aufs Gymnasium als Deutsche[17]. Keine andere Einwanderergruppe in Deutschland hat in der Schule mehr Erfolg als die Vietnamesen: Über 50 Prozent ihrer Schüler schaffen den Sprung aufs Gymnasium. Damit streben mehr vietnamesische Jugendliche zum Abitur als deutsche. [18].

Laut Cornelia Kristen (2002) erhalten Schüler aus einigen Migrantengruppen trotz gleicher Leistungen schlechtere Schulnoten. Diese führen dazu, dass sie schlechtere Schulen besuchen müssen.[19]

Noten im Fach Deutsch (nach Migrationshintergrund)
Deutschnote Türkisch Italienisch Ex-Jugoslawisch Aussiedler Autochthone Deutsche
1,0 bis 2,4 6,3 % 6,7 % 19,8 % 22,3 % 33,5 %
2,5 bis 3,0 18,9 % 12,2 % 18,9 % 26,9 % 26,2 %
3,1 bis 6,0 74,4 % 81,1 % 61,3 % 50,8 % 40,3 %
Noten im Fach Mathematik (nach Migrationshintergrund)
Mathematiknote Türkisch Italienisch Ex-Jugoslawisch Aussiedler Autochthone Deutsche
1,0 bis 2,4 14,9 % 11,1 % 23,6 % 33,7 % 36,9 %
2,5 bis 3,0 20,5 % 14,4 % 20,8 % 31,1 % 24,7 %
3,1 bis 6,0 64,4 % 74,4 % 55,7 % 35,3 % 38,4 %
Bildungsübergang zu einer höheren Schulform (nach Migrationshintergrund)
Übergang Türkisch Italienisch Ex-Jugoslawisch Aussiedler Autochthone Deutsche
zum Gymnasium 8,6 % 7,8 % 20,8 % 28,2 % 34,5 %
zur Realschule 16,2 % 10,6 % 19,8 % 34,0 % 30,1 %
zur Hauptschule 75,3 % 81,7 % 59,4 % 37,9 % 35,4 %


Die Noten sind der wichtigste Faktor für die besuchte Schulform, jedoch nicht der einzige. Deutsche besuchen auch bei gleich schlechten Noten seltener die Hauptschule als Ausländer. Sie gehen statt dessen häufiger zur Realschule. Beim Übergang auf das Gymnasium gibt es jedoch keinen Effekt der Nationalität mehr, wenn man die Noten kontrolliert.[19] Ausländerkinder haben vor allem dann schlechte Chancen auf ein Gymnasium oder eine Realschule zu gehen, wenn sie eine Schule mit vielen anderen Ausländerkindern besuchen. Auf solchen Schulen zeigen sie schlechtere Leistungen und erreichen schlechtere Noten als auf sozial heterogeneren Schulen.[19] Dieses Ergebnis gewinnt angesichts der ausgeprägten ethnischen Segregationstendenzen im deutschen Grundschulsystem eine besondere Bedeutung. Denn gerade in segregierten Schulsystemen gelangen Migrantenkinder besonders häufig in Grundschulklassen, deren Schülerschaft relativ leistungshomogen auf niedrigem Niveau zusammengesetzt ist.[20]

Alba et al. (2004) stellten fest, dass vor allem türkische und italienische Migrantenkinder im deutschen Bildungssystem schlecht abschnitten und nicht die Leistungen erbrachten, die ihrer Intelligenz entsprachen. Griechische Migranten hingegen schnitten gut ab.[21]

Unterschiedliche schulische Erfolge in Ost- und Westdeutschland

In allen ostdeutschen Bundesländern gibt es unter ausländischen Jugendlichen mehr Abiturienten und weniger Sonderschüler als in allen Westländern. In Brandenburg verlassen sogar 44 Prozent aller ausländischen Jugendlichen die Schule mit dem Abitur. Damit gibt es in Brandenburg sogar mehr Abiturienten unter Zuwanderern als unter Deutschen. Es gibt frühzeitige Förderprogramme (besonders für Spätaussiedler) und flächendeckend Kindergärten[22].

Ergebnisse der PISA-Studie

Mit der Sonderstudie Where Immigrant Students Succeed – a comparative Review of Performance and Engagement from PISA 2003 (deutscher Titel: Wo haben Schüler mit Migrationshintergrund die größten Erfolgschancen? – Eine vergleichende Analyse von Leistung und Engagement in PISA 2003) wurde ermittelt, ob Migrantenkinder im Schulsystem ebenso erfolgreich sind wie autochthone Schüler.

Ein erstes Ergebnis war, dass kein ausschlaggebender Zusammenhang zwischen dem Umfang der zugewanderten Schüler in den Beispielländern einerseits und dem Umfang der zwischen Migrantenkindern und einheimischen Schülern beobachteten Leistungsunterschiede andererseits besteht. Dies widerlege die Annahme, wonach sich ein hohes Zuwanderungsniveau negativ auf die Integration auswirke.

Im Ländervergleich dieser Studie ist Deutschland das Schlusslicht bei der Integration von Migrantenkindern der zweiten Generation. Obschon den Migrantenkindern von der Studie Lernbereitschaft und eine positive Einstellung attestiert wurde, sind ihre Erfolgschancen im deutschen Bildungssystem geringer als in jedem anderen der 17 untersuchten Staaten:

  • Im Durchschnitt liegen Migrantenkinder gegenüber einheimischen Kindern um 48 Punkte zurück; in Deutschland jedoch um 70 Punkte. Am größten sind die Unterschiede in den Naturwissenschaften, am geringsten in der Lesekompetenz [23].
  • Während in fast allen anderen teilnehmenden Staaten in der zweiten Generation die Migrantenkinder höhere Leistungspunktzahlen erreichen, sinken diese in Deutschland noch einmal extrem: Migrantenkinder der zweiten Generation liegen hinter ihren Mitschülern rund zwei Jahre zurück. Über 40 % erreichen von ihnen nicht die Grundkenntnisse der Leistungsstufe 2 in Mathematik und schneiden auch in der Lesekompetenz ähnlich schlecht ab.

Detailliertere, auf die PISA 2000 Untersuchung aufbauende Studien zeigen, dass im Ergebnis nicht die Herkunft als solche, sondern (neben der im Elternhaus gesprochenen Sprache [Esser 2001; Kristen 2002] das Ausbildungsniveau der Eltern, insbesondere der Mutter, über den Bildungserfolg entscheidet [24] – ein Zusammenhang, der gleichermaßen auch für die einheimische Bevölkerung festgestellt wurde.


Leistungspunkte in Mathematik der 15jährigen Schüler
Schüler ohne Migrationshintergrund Schüler der ersten Generation* Schüler der zweiten Generation**
OECD-Durchschnitt 523 475 483
Deutschland 525 454 432
*im Ausland geboren, ausländische Eltern – **im Erhebungsland geboren, ausländische Eltern


Dass Jugendliche ausländischer Herkunft, die selbst zugewandert sind, nach dieser Tabelle bessere Ergebnisse erzielen als Jugendliche ausländischer Herkunft, wäre allerdings ein statistischer Fehlschluss. Denn die Familien der in Deutschland geborenen Schüler ausländischer Herkunft stammen größtenteils aus der Türkei, und türkischstämmige Migranten schneiden bei PISA besonders schlecht ab. Bei den Jugendlichen, die selbst zugewandert sind, sind Jugendliche aus Aussiedlerfamilien stärker repräsentiert. Diese sind sind meistens leistungsstärker. Man kann also nicht sagen, dass sich in Deutschland über die Generationen hinweg die Lage verschlechtert. Im Gegenteil: Innerhalb der einzelnen Herkunftsgruppen scheint die Bildungssituation von Generation zu Generation besser zu werden.[25]

Für jedes einzelne Herkunftsland gilt, dass in Deutschland geborene Jugendliche ausländischer Herkunft bessere Ergebnisse erzielen als Jugendliche, die im Ausland geboren wurden. Beispielhaft sei das für den Fall der Jugendlichen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei für den Bereich Mathematik gezeigt.[23] Es gilt in ähnlicher Weise für andere Herkunftsgruppen und die Bereiche Naturwissenschaften und Lesekompetenzen:

Herkunft der Familie Migrationsstatus Leistungspunkte Mathematik
Ehem. Jugoslawien In Deutschland geboren 472
Ehem. Jugoslawien Zugewandert 420
Türkei In Deutschland geboren 411
Türkei Zugewandert 382

Es wurde bereits in anderen Studien darauf hingewiesen, dass Jugendliche türkischer Herkunft eine „Risikogruppe“ sind und im deutschen Schulsystem weniger lernen als andere Jugendliche ausländischer Herkunft und schlechtere Schulen besuchen als diese. Die Gründe dafür sind umstritten.

Effekte sprachlastiger Testaufgaben

Es wäre möglich, dass das schlechte Abschneiden der Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei PISA ein Ergebnis sprachlastiger Testaufgaben wäre. Die Aufgaben bei PISA unterschieden sich hinsichtlich ihrer Sprachlastigkeit. Insbesondere Aufgaben, die technische Fähigkeiten messen, kommen mit minimalen sprachlichen Instruktionen und wenig Text aus, andere wiederum sind sehr sprachlastig.

Es wurde überprüft, ob Schüler mit Migrationshintergrund weniger sprachlastige Aufgaben besser lösten. Das war nicht der Fall. Stattdessen deutet sich das Gegenteil an: Schüler mit Migrationshintergrund schneiden bei sprachlastigen Aufgaben etwas besser ab als bei relativ sprachfreien. Die Gründe dafür sind ungeklärt. Es wird deutlich, dass die niedrige mittlere Kompetenz der Schüler mit Migrationshintergrund nicht durch schlechtere Ergebnisse in sprachabhängigen Teilkompetenzen bedingt ist.[23]

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Olaf Beuchling: Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger – Migration, Integration und schulischer Erfolg in einer vietnamesischen Exilgemeinschaft. Waxmann, 2003, ISBN 978-3-8309-1278-1.
  • Jürgen Duschek, Julia Weinmann u. a.: Leben in Deutschland. Haushalte, Familien und Gesundheit – Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2005, S. 73 (via destatis.de)
  • Ruth-Esther Geiger: Ihr seid Deutschland, wir auch. Junge Migranten erzählen. Suhrkamp, 2008, ISBN 978-3-518-46009-2

Einzelnachweise

  1. Statistisches Bundesamt Deutschland: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Erschienen am 4. Mai 2007, [1], abgerufen am 28. Mai 2008
  2. a b c Statistisches Bundesamt Deutschland: Leichter Anstieg der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, Pressemitteilung Nr. 105 vom 11. März 2008, abgerufen am 16. April 2008
  3. Man spricht (nicht nur) Deutsch, Die Zeit, abgerufen am 20. Januar 2008
  4. Wolfgang Gärthe: Feststellung von Qualifikationen und Kenntnissen von Migrantinnen und Migranten: Assessmentverfahren als Grundlage von Integrationsplänen, S. 31 (PDF)
  5. Unwort II: Migrationshintergrund. In: Handelsblatt, 16. Januar 2008, [2], eingesehen 28. Mai 2008.
  6. Kriminalstatistik: Heftige Kritik an Ramsauers Straftäter-Vorschlag. In: Der Spiegel vom 3. Januar 2009 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,599262,00.html
  7. Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren!. Wolf Jobst Siedler jr., Berlin 2006, ISBN 978-3-937989-20-4.
  8. Sören Kittel: Deutsche Wörter und ihr Migrationshintergrund. In: Die Welt. 20. August 2008, [3], eingesehen 28. Mai 2008
  9. Markus Zens: Übelkeit mit Migrationshintergrund. In: wissenschaft.de, [4], eingesehen 28. Mai 2008.
  10. Peter Wagner: Königsspeise mit Migrationshintergrund. In: Spiegel Online, 6. August 2008, [5], eingesehen 28. Mai 2008
  11. Carsten Wippermann / Berthold Bodo Flaig: Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Heft 5/2009 vom 26. Januar 2009. S.4 http://www.bpb.de/files/R32I01.pdf
  12. Carsten Wippermann / Berthold Bodo Flaig: Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Heft 5/2009 vom 26. Januar 2009. S.8 http://www.bpb.de/files/R32I01.pdf
  13. Pressemitteilung der Statistik Austria
  14. Antje Richter: Armutsprävention – ein Auftrag für Gesundheitsförderung. In: Margherita Zander: Kinderarmut. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14450-2, S. 202.
  15. Zu dieser Problematik gab es einen Themenkomplex während einer Tagung in Bielefeld[6]
  16. Thränhardt, Dietrich. Spanische Einwanderer schaffen Bildungskapital: Selbsthilfe-Netzwerke und Integrationserfolg in Europa. Universität Münster. http://egora.uni-muenster.de/pol/personen/thraenhardt/bindata/05.12.2006_Spanische_Einwanderer_schaffen_Bildungskapital.pdf ; Stand: 12. Februar 2009
  17. Panagiotis Kouparanis: Migrantenkinder mit Bildungserfolg abgerufen am 20. Januar 2008
  18. Die Zeit: Integration: Das vietnamesische Wunder, abgerufen am 24. Januar 2009
  19. a b c Hauptschule, Realschule oder Gymnasium? Ethnische Unterschiede am ersten Bildungsübergang; Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; Jg. 54, Heft 3, 2002, S. 534–552
  20. Peter Rüesch: Spielt die Schule eine Rolle? Schulische Bedingungen ungleicher Bildungschancen von Immigrantenkindern. Eine Mehrebenenanalyse. Lang, Bern 1998.
  21. Richard Alba, D. Johann Handl und Walter Müller: Ethnische Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 46 (2), 1994, S. 209–237
  22. TAZ vom 19. April 2006: Ostlehrer integrieren Migrantenkinder besser abgerufen am 22. Januar 2008
  23. a b c Ramm, Prenzel, Heidemeier, Walter: Soziokulturelle Herkunft: Migration. In: PISA-Konsortium Deutschland: PISA 2003: Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland. New York: Waxmann, 2004
  24. vgl. Neue Erkenntnisse aus der PISA-Studie, isoplan, 30. Mai 2003, mit Verweis auf eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung und siehe die (englischsprachige) Studie Michael Fertig: Who’s To Blame? The Determinants of German Students’ Achievement in the PISA 2000 Study (PDF), „RWI: Discussion Papers“, No. 4, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, 2003
  25. Spiegel Online vom 6. Dezember 2007: Am härtesten trifft es die Migranten. [7]

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