Induskultur

Induskultur

Die Indus-Kultur oder Indus-Zivilisation, teilweise auch nach Harappa, einem der Hauptausgrabungsplätze am Ravi, Harappa oder Harappa-Kultur genannt, war eine der frühesten städtischen Zivilisationen, die sich etwa in den Jahren 2800 v. Chr. bis 1800 v. Chr. entlang des Indus im Nordwesten des indischen Subkontinents entwickelte.

Der Name Sindhu-Sarasvati-Zivilisation, eine alternative Benennung dieser Kultur, basiert auf der Theorie, dass es sich hierbei um eine Zivilisation handelt, die in der vedischen Literatur erwähnt wird.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Stätten der Indus-Kultur

Erst seit dem Jahr 1922, als britische Archäologen, eigentlich auf der Suche nach Spuren Alexanders des Großen, im Gebiet des heutigen Pakistans auf Überreste einer unbekannten Kultur stießen, ist diese frühe Hochkultur überhaupt bekannt. Sie erstreckte sich über fast das gesamte heutige Pakistan sowie Teile Indiens und Afghanistans, insgesamt 1.250.000 km², und war damit flächenmäßig größer als das antike Ägypten und Mesopotamien zusammen. Neben diesen war sie eine der drei frühesten Zivilisationen der Welt. Sie kannte bereits Städteplanung, Schrift und Architektur.

Bis heute sind über 1050 Fundorte identifiziert, hauptsächlich entlang des Indus. Zusätzlich gibt es Hinweise auf einen anderen, heute ausgetrockneten, großen Fluss östlich des Indus, der mit dem antiken Ghaggra-Hakra oder Sarasvati identisch sein könnte. Über 140 antike Städte und Siedlungen wurden an seinem Lauf gefunden. Die beiden größten urbanen Zentren der Harappakultur waren wohl Harappa und Mohenjo-Daro, daneben gab es noch große Städte bei Dholavira, Ganweriwala, Lothal und Rakhigarhi. Zu ihrer Blütezeit hatte die Indus-Kultur vermutlich über fünf Millionen Einwohner.

Die Quellenlage zur Harappa-Kultur ist im Gegensatz zu den anderen beiden Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien sehr begrenzt. Erst etwa zehn Prozent ihrer Siedlungen wurden ausgegraben. Weder ist ihre Schrift entschlüsselt noch ist ihr Verschwinden ab etwa 1900 v. Chr. geklärt. Selbst Texte des Sanskrit aus dem 1. vorchristlichen Jahrtausend erwähnen diese frühe Kultur nicht direkt. Ebenfalls ist nicht sicher, welche Sprache die Menschen damals sprachen oder wie sie sich selbst nannten.

Die Indus-Kultur ist möglicherweise mit dem Sumerianischen Meluha zu identifizieren.

Entdeckung und Erforschung der Indus-Kultur

Obwohl die Ruinenstätte in Harappa schon länger bekannt war und erstmals 1844 von Charles Masson in seinem Buch Narrative of Various Journeys in Balochistan, Afghanistan and The Panjab als „eine aus Ziegeln errichtete, zerstörte Befestigung“ beschrieben wurde, ist ihre Bedeutung erst sehr viel später erkannt worden. Im Jahr 1857 verwendeten die Briten beim Bau der Ostindischen Eisenbahn von Karatschi nach Lahore zur Befestigung der Trasse gebrannte Ziegel, die sie auf dem nahe gelegenen Ruinenfeld in Harappa fanden. Die Fundlage in Harappa ist daher im Vergleich zu Mohenjo-Daro recht schlecht. Auch Mohenjo-Daro war schon längere Zeit bekannt, hier interessierte man sich jedoch eher für die Reste eines buddhistischen Klosters aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., das auf den Ruinen errichtet worden war. Im Jahre 1912 fand J. Fleet im damaligen Britisch-Indien Siegel mit unbekannten Schriftzeichen, was in Europa das Interesse der wissenschaftlichen Öffentlichkeit auf sich zog. Daraufhin wurden in den Jahren 1921/22 unter anderem in Harappa und Mohenjo-Daro unter der Leitung von John Marshall, dem damaligen Direktor des britischen Antikendienstes, Grabungen durchgeführt. Die Ähnlichkeit der beiden ausgegrabenen Städte machte schnell deutlich, dass hier eine bisher unbekannte Hochkultur entdeckt worden war. Bis 1931 wurden in Mohenjo-Daro mehr als 10 Hektar der Stadt freigelegt, danach fanden jedoch nur noch kleinere Grabungen statt, unter anderem im Jahr 1950 durch den Briten Mortimer Wheeler. Seit der Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947 befindet sich das Siedlungsgebiet der Harappa-Kultur auf pakistanischem und indischem Territorium. In Pakistan übernahmen Amerikaner, Franzosen, Briten und Deutsche zusammen mit pakistanischen Archäologen die weitere Forschungsarbeit, während in Indien der indische Antikendienst die Arbeit weiterführte. Großen Einfluss auf die Indus-Forschung hatten und haben, neben den bereits erwähnten und anderen Archäologen, der Brite Aurel Stein, der Inder Nani Gopal Majumdar und der Deutsche Michael Jansen.

Entwicklung

Die frühesten bekannten Hinweise menschlicher Aktivitäten auf dem Gebiet des heutigen Pakistans stammen aus der Altsteinzeit und sind etwa 500.000 Jahre alt. Um etwa 8000 v. Chr. vollzog sich hier der Übergang vom Jäger und Sammler hin zum Bauern und Viehzüchter und damit verbunden eine Sesshaftwerdung. Die Indus-Kultur entwickelte sich aus diesen frühen Ackerbau-Kulturen, die auch in den Hügeln von Belutschistan im heutigen Pakistan auftauchten. Die am besten erforschte Stätte dieser Zeit ist Mehrgarh, die um 6500 v. Chr. entstand. Diese Bauern domestizierten Weizen und Rinder und benutzten ab 5500 v. Chr. auch Töpferwaren. Ab etwa 4000 v. Chr. wurden zudem Erbsen, Sesam, Datteln und Baumwolle angebaut und auch der Wasserbüffel, der bis heute essentiell ist für die Landwirtschaft in Süd-Asien, wurde domestiziert. Die Besiedlung des Industals geschah wohl von den Rändern hin zum Zentrum. Ab dem vierten vorchristlichen Jahrtausend ist die Amri-Kultur im Industal bezeugt. Sie geht an vielen Orten wie Amri direkt der eigentlichen Indus-Kultur voraus.

2600 v. Chr. wandelten sich die kleinen Dörfer in Städte mit mehreren Tausend Einwohnern, die nicht mehr primär in der Landwirtschaft tätig waren. Es entstand eine Kultur, die im Umkreis von 1000 Kilometern einheitlich konstruierte Städte hervorbrachte. Das plötzliche Auftreten scheint die Folge einer geplanten und bewussten Anstrengung gewesen zu sein. So wurden einige Städte komplett umgebaut, um einem wohldurchdachten Plan zu entsprechen, oder auch von Grund auf neu angelegt, was sich beispielsweise in Mohenjo Daro sehen lässt, wo keine Spuren vorheriger Siedlungen gefunden wurden. Der Aufbau vieler der größeren Städte im Industal ähnelt sich frappierend, so dass die Harappa-Zivilisation wohl die erste war, die Städteplanung entwickelte. Frühere Gelehrte konnten dieses plötzliche Auftreten nur durch externe Faktoren wie Eroberung oder Zuwanderung erklären. Neuere Erkenntnisse beweisen aber, dass die Harappa-Kultur tatsächlich aus den Ackerbau-Kulturen in diesem Gebiet hervorging.

Wirtschaft

Landwirtschaft

Die Techniken der damaligen Landwirte sind heute aufgrund der nur spärlich überlieferten Informationen weitestgehend unbekannt. Fakt ist aber, dass die Landwirtschaft der Harappa-Zivilisation extrem produktiv gewesen sein muss, um die vielen Tausend Stadtbewohner, die nicht primär in der Landwirtschaft tätig waren, zu ernähren. Klar ist auch, dass kein Reis angebaut wurde, der damals als Nutzpflanze noch unbekannt war, sondern vorwiegend Weizen. Zu den beachtlichen technologischen Errungenschaften, die schon vor der Indus-Kultur in dieser Region gemacht wurden, zählt der Pflug, der von Wasserbüffeln gezogen wurde. Zweifellos machten die damaligen Bauern vom fruchtbaren Schlamm des Indus Gebrauch, ähnlich wie die Landwirte in Ägypten bis zum Bau des Nasser-Stausees, doch reichte diese simple Methode wohl nicht aus, um große Städte zu ernähren.

Hinweise auf Dämme oder Bewässerungskanäle wurden bis heute nicht gefunden; falls es Vorrichtungen dieser Art gab, sind sie vermutlich bei den zahlreichen Überflutungen in der Gegend zerstört worden. Aus einer kürzlich in Indien entdeckten Stadt weiß man jedoch, dass damals Regenwasser in massiven, aus dem Fels gehauenen Reservoirs gesammelt wurde, das die Städte während Trockenperioden versorgen konnte.

In der Harappa-Kultur wurde Weizen, Gerste, Linsen, Kichererbsen, Erbsen, Baumwolle und Flachs angebaut. Gujarat gehörte zum Einflussbereich der Harappa-Kultur (Sorath-Harappa), war aber wegen des Fehlens größerer Flüsse auf Regenfeldbau angewiesen und zeigt daher deutliche Unterschiede in der Wirtschaftsweise. In Fundstellen der späten Harappa-Kultur wie Rojdi und Kuntasi überwiegt bei den Pflanzenresten die Kutkihirse, außerdem wurden Reste der quirligen und roten Borstenhirse gefunden. Weizen und Gerste sind nur spärlich belegt. Aus Rangpur und Lothal stammen Topfscherben, die angeblich mit Reisstroh gemagert waren. Das ist bisher der einzige und unsichere Nachweis für die Domestikation von Reis in der Harappa-Kultur. Sichere Reste von Reis stammen erst aus dem späten 2. Jahrtausend. Ob der Wasserbüffel domestiziert war oder nur gejagt wurde, ist unklar. Wegen zahlreicher Knochenfunde nimmt man an, dass das Huhn seit der späten Harappa-Kultur als Haustier gehalten wurde. Aus Kalibangan stammen Spuren des Ackerbaus mit der Arl aus der frühen Harappa-Kultur.

Handwerk und Gewerbe

Die handwerkliche Produktion war häufig in Werkstätten im eigenen Haus aber auch in eigenen Handwerkervierteln am Stadtrand angesiedelt. Manche Produkte wurden in Massenproduktion hergestellt. Das Spektrum der handwerklichen Produkte war breit und umfasste u.a.:

  • Textilwaren: Die Indus-Kultur pflanzte als erste Baumwolle an und produzierte z. B. Lendentücher und lange Umhänge, die die Standardbekleidung darstellten. Die Stoffe wurden teils in leuchtenden Farben gefärbt.
  • Ton- und Steinwaren: Eine große Vielfalt an Gegenständen mit großem Formreichtum wurde hergestellt. Zum Teil war dies Massenware für den täglichen Gebrauch, zum Teil kostbarere Einzelstücke. Produziert wurden Küchengefäße (z. B. Kochgeschirr, Servierplatten, Wasserkrüge, große Vorratsbehälter, kleine Salbentöpfe), Kinderspielzeug (Tierfigürchen), Schreibstifte, Würfel, Spielsteine oder Mausefallen.
  • Werkzeuge und Waffen: Hergestellt wurden z. B. Messer, Rasiermesser, Hämmer, Äxte, Bohrer, Hackbeile, Schwerter und Pfeilspitzen. Die meisten schweren Geräte wurden aus Stein, Knochen oder Holz, Messer und Rasiermesser aus Kupfer hergestellt. Bronze war aufgrund von Zinnmangel knapp.
  • Schmuck: Eine große Rolle spielte die Schmuckindustrie, die eine große Vielfalt von Produkten herstellte. Hauptmaterialien waren neben Metall und Halbedelsteinen vor allem Muscheln. Armreifen aus Stein, die manchmal eine kurze Inschrift tragen, waren auch sehr beliebt.
  • Muschelverarbeitung: Ein besonders beliebtes Rohmaterial waren Muscheln, aus denen zahlreiche unterschiedliche Objekte produziert wurden.

Es bestand eine relativ intensive, auch räumliche gewerbliche Arbeitsteilung. Ausgrabungen entlang des Ghaggra, eines heute ausgetrockneten Flusses östlich des Indus, legen nahe, dass sich die Siedlungen auf jeweils eine oder mehrere Produktionstechniken spezialisierten. So wurde beispielsweise in einigen Städten eher Metall verarbeitet, während andere bevorzugt Baumwolle produzierten.

Binnenhandel

Anders als in den 1950er Jahren vermutet und aus den Kulturen in Mesopotamien bekannt, herrschte im Industal vermutlich keine zentrale Tempelwirtschaft, die über Tribute die Überschüsse einsammelte und (nach Abzug eines mehr oder weniger großen Anteils für die Elite) an die verschiedenen Spezialistengruppen nach Bedarf verteilte. Vielmehr basierte der Austausch innerhalb der schon recht arbeitsteiligen Wirtschaft vorwiegend auf dem Handel.

Dieser wurde durch bedeutende Fortschritte in der Transporttechnologie begünstigt. Diese Fortschritte schlossen sowohl von Ochsen gezogene Karren, die denen im heutigen Südasien benutzten sehr ähnelten, als auch Boote und Schiffe ein. Die meisten dieser Schiffe waren vermutlich kleine Flachbodensegelboote, wie sie auch heute noch am Indus anzutreffen sind.

Die wichtigsten Güter des Binnenhandels waren vermutlich Baumwolle, Holz, Getreide, Vieh und weitere Lebensmittel. Ein hochstandardisiertes und sehr feines System von Maßeinheiten wurde verwendet, um den Handel zu organisieren (und vermutlich auch, um Steuern einzutreiben).

Außenhandel

Nach der Verteilung der Artefakte der Indus-Zivilisation zu urteilen umspannte das Handelsnetz eine große Fläche, die sich über Teile Afghanistans, die Küstenregionen im heutigen Iran, Nord- und Zentralindien und Mesopotamien erstreckte.

Wichtige Importgüter waren

Wichtige Exportgüter:

  • Baumwollwaren, für die die Induskultur damals das Monopol hatte und deren leuchtende Farben begehrt waren
  • Holz (Zedern aus der Kaschmir-Region, Teak aus den Punjab-Wäldern)
  • Elfenbein
  • Edelsteine
  • Schmuck
  • evtl. Gewürze
Reste der Hafenanlage in Lothal im heutigen Indien

Vor allem mit Sumer ist ein reger Warenaustausch, sowohl über Land (durch das heutige Iran) als auch über See (via Dilmun, heute Bahrain), durch Funde und Dokumente in Sumer belegt. So wurde zum Beispiel im Grab der Königin Puabi, die um 2500 v. Chr. in Ur in Mesopotamien lebte, Karneol-Schmuck aus der Indusregion gefunden. Zudem benutzt eine sumerische Inschrift, die sich vermutlich auf die Indus-Kultur bezieht, den Namen Meluha, was der einzige Hinweis darauf ist, wie sich die Menschen im Industal damals genannt haben könnten. Zentrum des Handels scheint Mohenjo Daro gewesen zu sein, wo Verwaltungs- und Handelsstrukturen identifiziert werden konnten.

Wasserstraßen bildeten das Rückgrat der damaligen Transportinfrastruktur. Neben den o.g. Binnenschiffen gab es auch größere, meerestaugliche Schiffe. Archäologen haben bei Lothal an der Küste des Arabischen Meeres Reste eines großen ausgebaggerten Kanals und Hafendocks entdeckt, dazu möglicherweise das älteste künstliche Hafenbecken der Welt; für die damalige Zeit sehr fortschrittlich.

Für den Außenhandel wurden mehrere Handelsstationen weit außerhalb des Industals angelegt, außer dem o.g. Lothal im Süden auch weitere im Westen gelegene.

Städtebau

Der Übersichtsplan von Kalibangan (Rajasthan, Nordwestindien) illustriert den Aufbau einer typischen Stadt der Indus-Kultur: Eine zitadellenartige Oberstadt im Westen und eine Unterstadt mit durchgehenden Nord-Süd-Achsen im Osten bilden jeweils parallelogrammförmige Stadtbezirke.

Fast alle größeren Siedlungen der Indus-Kultur hatten eine ähnliche, streng geometrische städtebauliche Struktur. Eine zitadellenartige Oberstadt im Westen überragt die räumlich getrennte und annähernd parallelogrammförmige, rechteckige oder quadratische Unter- bzw. Wohnstadt im Osten. Die größte bisher gefundene antike Stadt im Industal ist Mohenjo-Daro („Hügel der Toten“), die im heutigen Pakistan in der Provinz Sindh direkt am Indus liegt. Gemeinsam mit anderen wichtigen archäologischen Stätten wie Kot Diji, Lothal, Harappa und Kalibangan zeichnet sie sich durch die einheitlich hohe Qualität des Städtebaus, insbesondere ihrer Wasserversorgung und Kanalisation, aus. Der britische Archäologe Stuart Piggott formulierte 1950, dass die Städte der Indus-Kultur schachbrettartig angelegt seien, ähnlich wie heute New York. Tatsächlich verlaufen jedoch nur die Nord-Süd-Achsen durchgehend, während die Ost-West-Straßen knickachsig sind.[1] Gleichwohl zeugt die einheitliche Stadtarchitektur von fortgeschrittenen Kenntnissen in der Städteplanung und Hygiene sowie von einer effizienten Regierung. Monumentalbauten sakraler oder kultischer Natur waren der Indus-Kultur unbekannt.

Da es unmittelbar in der Indusebene keine nennenswerten Natursteinvorkommen gibt, bestehen alle erhaltenen Baustrukturen überwiegend aus luftgetrockneten Lehmziegeln. Nur in den Fundamenten größerer Bauanlagen wurde gelegentlich auch Naturstein eingesetzt. Holz kam vermutlich nur in Deckenkonstruktionen zum Einsatz. Bautechnisch bevorzugten die Architekten der Indus-Kultur rechtwinkliges Mauerwerk im Blockverband. Runde Brunneneinfassungen, die weder aus den vorharappanischen Kulturen noch den parallel in Mesopotamien und Ägypten existierenden Hochkulturen erhalten sind und daher wahrscheinlich eine Neuerung in der gesamten Baugeschichte darstellten[2], wurden aus keilförmigen Ziegeln gemauert. Gewölbe waren dagegen mit Ausnahme des Kraggewölbes unbekannt.

Typischer Aufbau am Beispiel von Mohenjo Daro

Mohenjo-Daro ist die wohl am besten erforschte Stadt der Indus-Zivilisation. In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhundert führte der britische Antikendienst hier umfangreiche Grabungen durch und legte große Teile der Stadt, die in den letzten 4500 Jahren vom Schlamm des Indus vollständig begraben worden war, frei. Wohl zum Schutz gegen Überschwemmungen wurde die Stadt auf einer künstlichen Plattform aus gebrannten Ziegeln und Erde errichtet. An einen höher gelegener Bereich, der etwa 200 m breit und 400 m lang war und als Zitadelle bezeichnet wird, schloss sich ein als Unter- oder Wohnstadt bezeichneter Bereich an, wo sich die Wohnhäuser befanden. Zwischen der Zitadelle und der Unterstadt befand sich ein Freiraum von etwa 200 m. Hauptstraßen von zehn Meter Breite durchzogen die Unterstadt in Nord-Süd-Richtung, und kleinere Nebenstraßen zweigten rechtwinklig von ihnen in Ost-West-Richtung ab. So entstanden Häuserblocks, in denen wohl die Einwohner der Stadt lebten.

Die Zitadelle, deren Zweck unbekannt ist, wobei jedoch eine defensive Funktion vermutet wird, weist einen weitaus weniger schematisierten Grundriss als die blockartige Unterstadt auf. Hier wurde 1925 ein großes, aus speziellen gebrannten Ziegeln erbautes Becken entdeckt, das etwa 7 m x 12 m maß und über zwei Treppen bestiegen werden konnte. Es war von einem Laubengang umgeben und wurde von einem eigenen Brunnen, der sich in einem Nebenraum befand, mit Wasser versorgt. Ob es sich hierbei um ein Badebecken zur rituellen Waschung oder eine öffentliche Badeanstalt handelte, ist nicht bekannt. Ebenfalls auf der Plattform befand sich ein großes Gebäude, aus Backsteinen errichtet, das als Kornspeicher bezeichnet wird, wobei auch diese Funktion nicht bewiesen ist.

Häuser

Die in Straßenblocks gelegenen, rechteckigen Wohnhäuser in der Unterstadt waren sehr zweckmäßig aufgebaut und aus gebrannten Ziegeln konstruiert. Etwa 50 Prozent der Häuser waren zwischen 50 und 100 m² groß, fast ebenso viele zwischen 100 und 150 m² und einige wenige hatten sogar 210 bis 270 m² Wohnfläche. Nach außen geschlossen und schmucklos, bestanden sie typischerweise aus einem mit der Straße durch einen Vorraum verbundenen Innenhof, um den die eigentlichen Räume angeordnet waren. In diesem Innenhof, häufig teilweise überdacht, spielte sich das tägliche Leben ab. Über den Räumen befanden sich oft Dachterrassen, die durch Treppen erreichbar waren. Das typische Haus verfügte über eine eigene Toilette, die zur Straße hin lag und über Tonröhren mit einer öffentlichen Kanalisation verbunden war. Wasser lieferte der eigene Brunnen. Das Niveau der Wasserver- und entsorgung war extrem hoch und ist in manchen Teilen Pakistans und Indiens bis heute nicht wieder erreicht worden.

Wissenschaft

Die detailliert geplanten und ingenieurmäßig errichteten Städte zeugen vom fortgeschrittenen Stand der damaligen Wissenschaft. Die Menschen der Indus-Kultur erreichten eine erstaunliche Präzision beim Messen von Längen, Massen und der Zeit. Sie waren vermutlich die ersten, die einheitliche Gewichte und Maße entwickelten und benutzten. Ihre Messungen waren extrem präzise. Ihr kleinstes Längenmaß, das auf einer Skala aus Elfenbein in Lothal gefunden wurde, entsprach etwa 1,704 mm, die kleinste Einheit, die jemals auf einer Skala der Bronzezeit entdeckt wurde. Gewichte basierten auf Einheiten von 0,05; 0,1; 1; 2; 5; 10; 20; 50; 100; 200 und 500, wobei jede Einheit etwa 28 Gramm schwer war. Auch das Dezimalsystem war bereits bekannt und im Einsatz.

Als Baumaterial kamen erstmals in der Geschichte der Menschheit gebrannte Ziegel mit den perfekten, noch heute gebräuchlichen Proportionen 1:2:4 zum Einsatz. Auch in der Metallurgie wurden neue Techniken entwickelt, mit denen die Handwerker der Harappa-Kultur Kupfer, Bronze, Blei und Zinn verarbeiteten.

Funde aus dem Jahr 2001 aus Mehrgarh legen nahe, dass auch Grundlagen der Medizin und Zahnheilkunde beherrscht wurden.

Kunst

Als „Priesterkönig“ gedeutete Steinfigur der Indus-Kultur aus Mohenjo-Daro

Verglichen mit den Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien wurden am Indus recht wenige Steinplastiken gefunden. Unter anderem wurden Köpfe sowie auf Podesten thronende Widder entdeckt, was auf eine sakrale Bedeutung hinweist.

Dagegen stellten die Menschen der Indus-Kultur Schmuck in vielen Variationen her. Ausgangsstoffe waren sowohl verschiedene Edelsteine wie Karneol, Achat, Jaspis und Lapislazuli, als auch Gold (seltener), Kristalle und anderes Steingut. Mit hoher handwerklicher Geschicklichkeit, unter anderem durch Schleifen und Polieren, wurden so Armringe, Ketten und Kopfschmuck hergestellt.

Daneben wurden viele kleinere Skulpturen aus Ton entdeckt, oft schlanke weibliche Figuren, die vermutlich Fruchtbarkeitssymbole darstellten, und Tierfiguren, die sehr detailliert gearbeitet waren.

Wie kleine Ton- und Bronzefiguren, die entsprechende Szenen darstellen, beweisen, wurden auch der Tanz, die Malerei und die Musik großgeschrieben. Auf einem Siegel entdeckten Archäologen die Darstellung eines harfenähnlichen Instruments, und auch zwei Objekte aus Lothal konnten als Saiteninstrumente identifiziert werden.

Sprache und Schrift

Hauptartikel: Indus-Schrift

Trotz vielfältiger Versuche ist die Indus-Schrift, die mit keiner bekannten Schrift verwandt ist, bis heute nicht sicher entschlüsselt. Typische Inschriften sind nicht länger als vier oder fünf Zeichen, die längste bekannte Inschrift umfasst 26 Zeichen. In der Induskultur hatten allerdings alle ein Siegel (z. B. in Form eines Löwen), mit dem sie sich schriftlich verständigen konnten. Es war wie ihre persönliche Unterschrift.

Niedergang und Kollaps

Über 700 Jahre lebten die Menschen der Indus-Zivilisation in Wohlstand, und ihre Handwerker fertigten Produkte von überdurchschnittlicher Schönheit und Qualität. Aber fast genau so plötzlich, wie die Indus-Kultur auftrat, verschwand sie auch wieder.

Ab etwa 2000 v. Chr. kamen anscheinend größere Probleme auf. Die großen Städte wurden verlassen, und diejenigen Einwohner, die blieben, waren unterernährt. Um 1800 v. Chr. waren die meisten Städte aufgegeben. In den folgenden Jahrhunderten gingen die Erinnerungen und Errungenschaften der Indus-Kultur – im Gegensatz zu den Kulturen in Ägypten und Mesopotamien – komplett verloren. Die Harappa-Kultur hinterließ keine Monumentalbauten wie die Pyramiden in Ägypten oder die zahlreichen Zikkurat-Tempel in Mesopotamien, die ihre Existenz bewiesen und ihre Erinnerung lebendig erhalten hätten. Man kann vermuten, dass dies nicht möglich war, da es im Industal wenig geeignete Steine gibt, obwohl das auch auf Mesopotamien zutrifft. Eventuell war den Menschen der Indus-Kultur auch das Konzept von großen Monumentalbauten fremd. Es wurden weder Königsgräber noch überhaupt wertvolle Grabbeigaben gefunden. Männer und Frauen wurden auf gleiche Weise beerdigt. Diese Indikatoren deuten auf eine wenig hierarchische Gesellschaft hin.

Man spricht heute nicht mehr von einem relativ plötzlichen Untergang der Indus-Kultur, sondern von einem allmählichen Niedergang. In dessen Verlauf ist ein Fragmentierungsprozeß zu erkennen: Die einheitliche Kultur mit dichtem Handelsnetz zerbrach in verschiedene regionale Kulturen, die unterschiedlich stark von der Indus-Zivilisation beeinflusst waren. Offensichtlich kam es auch zu Migrationen: Einige Menschen der Indus-Kultur scheinen Richtung Osten gewandert zu sein, in die Ganges-Ebene, andere wanderten zur fruchtbaren Ebenen von Gujarat im Süden (West-Indien). Auch die Keramiktradition überlebte noch einige Zeit. Im wesentlichen verschwanden also nicht die Menschen, sondern ihre Zivilisation: die Städte, die Schrift und die Handelsnetzwerke. Dieser Niedergang war jedoch nie vollständig, da viele Zivilisationsmerkmale überlebten und in spätere Hochkulturen eingingen: handwerkliches Wissen, Kunst, Landwirtschaft und möglicherweise Elemente der Sozialstruktur.

Die Gründe für den Niedergang sind unklar. Die vor allem in der Mitte des letzten Jahrhunderts populäre Theorie, der Untergang der Induskultur sei allein mit dem Erscheinen arischer Nomaden im Industal zu erklären, hat heute nicht mehr viele Anhänger. Heute wird das Zusammenspiel eines ganzen Bündels von Faktoren ökologischer, klimatischer, politischer oder auch wirtschaftlicher Art diskutiert, die im einzelnen jedoch noch nicht gesichert sind:

  • Klimatische Veränderungen können eine bedeutende Rolle gespielt haben. Das Industal war um 2600 v. Chr. bewaldet und wimmelte vor Tieren. Es war feuchter und grüner als heute. So konnten die Menschen der Indus-Kultur ihre Nahrung während Dürreperioden oder bei Hochwasser durch Jagen ergänzen. Es ist bekannt, dass sich um 1800 v. Chr. das Klima im Industal änderte: Es wurde bedeutend kühler und trockener. Möglicherweise verlagerten sich die Monsunregen nach Osten. Der geringere Niederschlag könnte schließlich nicht mehr ausgereicht haben, die Felder zu bewässern.
  • Wichtig könnte das Austrocknen großer Teile des Ghaggra-Hakra-Flusssystems gewesen sein, dessen Quelle aus tektonischen Gründen in die Gangesebene umgeleitet wurde, wobei es einige Unsicherheiten über den genauen Zeitpunkt dieses Ereignisses gibt. Durch das Austrocknen des Ghaggra-Hakra ging ein bedeutender Teil des fruchtbaren Ackerlandes verloren.
  • Die jahrhundertelange intensive Bewirtschaftung kann dazu beigetragen haben, allmählich den Boden zu erschöpfen.
  • Möglicherweise hat (wie in Sumer) eine jahrhundertelange falsche Bewässerungstechnik, die zu wenig auf Entwässerung achtete und durch starke Verdunstung Salzrückstände hervorbrachte, eine allmähliche Versalzung des Ackerlandes bewirkt.
  • Die Überweidung durch die großen Schaf- und Ziegenherden, mit denen die ständig wachsende Bevölkerung ihren Fleischbedarf deckte, kann die Vegetation der Berghänge so weit reduziert haben, dass der Boden erodierte und der natürliche Wasserhaushalt gestört wurde.
  • Der enorme Holzbedarf (Baumaterial und Brennstoff für die Ziegeleien) hat vermutlich ganze Wälder vernichtet, was die Niederschläge weiter verringerte und im ohnehin trockener gewordenen Land die Wüsten wachsen ließ.
  • Der Untergang der Indus-Zivilisation könnte mit dem Ende des Sumerischen Reiches und dem Wegfall der Handelsbeziehungen zusammenhängen.
  • Auch kriegerische Auseinandersetzungen werden als mögliche Ursache diskutiert. Die in Zentralasien siedelnden Völker erlebten ein Bevölkerungswachstum und dehnten ihren Siedlungsraum aus. Auch Reiterstämme aus der iranischen Hochebene drangen in das Gebiet der Indus-Kultur ein.
  • Ebenso können Krankheiten beim Ende der Harappa-Kultur eine Rolle gespielt haben.

Geschichte des Industals als Zeittafel

6500 v. Chr. (unsichere Datierung) Mehrgarh älteste entdeckte Siedlung im Industal
2600 v. Chr. Hochkultur beginnt: Stadtplanung, Kanalisation
1800 v. Chr. Untergang der Indus-Kultur
1500 bis 600 v. Chr. Vedische Zeit
500 v. Chr. Beginn der buddhistischen Gandhara-Kultur, etwa 1000 Jahre
711 n. Chr. Erster islamischer Einfluss
1526 bis 1761 Mogulreich, Blütezeit des Islam auf dem indischen Subkontinent
1859 bis 1947 Britische Herrschaft
ab 1947 Teilung in die Staaten Indien und Pakistan

Belege

  1. Klaus Fischer, Michael Jansen, Jan Pieper: Architektur des indischen Subkontinents. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1987, S. 111
  2. Klaus Fischer, Michael Jansen, Jan Pieper: Architektur des indischen Subkontinents. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1987, S. 137

Literatur

Allgemeines

  • Bridget und Raymond Allchin: The rise of civilization in India and Pakistan. Nachdruck Cambridge u. a. 1988.
  • D. K. Chakrabarti: Indus Civilization Sites in India: New Discoveries. Marg Publications, Mumbai 1004, ISBN 81-85026-63-7.
  • Dorian Fuller: An agricultural perspective on Dravidian historical linguistics: archaeological crop packages, livestock and Dravidian crop vocabulary. In: Peter Bellwood/Colin Renfrew, Examining the farming/language dispersal hypothesis. Cambridge 2002, S. 191–213.
  • S. P. Gupta: The Indus-Saraswati Civilization: Origins, Problems and Issues. 1996. ISBN 81-85268-46-0.
  • Michael Jansen: Die Indus-Zivilisation. Wiederentdeckung einer frühen Hochkultur. DuMont, Köln 1986. ISBN 3-7701-1435-3
  • B. B. Lal: India 1947-1997: New Light on the Indus Civilization. 1998, ISBN 81-7305-129-1.
  • B.B. Lal: The Earliest Civilization of South Asia (Rise, Maturity and Decline). 1997.
  • Gregory Possehl: Ancient cities of the Indus. Delhi 1979.
  • Gregory Possehl: The Indus Civilization. A Contemporary Perspective. Lanham 2002.
  • Jim G. Shaffer: The Indus Valley, Baluchistan and Helmand Traditions: Neolithic Through Bronze Age. In: Chronologies in Old World Archaeology. Hrsg. von R.W. Ehrich. University of Chicago Press, Chicago 1997.

Materielle Kultur

  • Alexandra Ardeleanu-Jansen: Die Terrakotten in Mohenjo-Daro. Eine Untersuchung zur keramischen Kleinplastik in Mohenjo-Daro, Pakistan (ca. 2300-1900 v. Chr.), Aachen 1993.

Sprache und Schrift

  • Asko Parpola: Deciphering the Indus Script. Cambridge 1994.
  • Michael Witzel: The Languages of Harappa (Early linguistic data and the Indus civilization). In: J. Kenoyer (Hrsg.): Proceedings of the conference on the Indus civilization. Madison 1998; Text online.
  • weitere Veröffentlichungen von Asko Parpola, Gregory Possehl und Iravatham Mahadevan.

Film

Weblinks



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