Internet 2.0

Internet 2.0

Web 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets, speziell des WWW steht und damit in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten eine Abgrenzung von früheren Nutzungsarten postuliert.

Der Begriff wurde 2004 von Dale Dougherty und Craig Cline zum ersten Mal verwendet und erhielt nach dem Artikel „What is Web 2.0“ von Tim O'Reilly vom 30. September 2005[1] erhebliches Medienecho, auch außerhalb des englischen Sprachraumes. Er ist jedoch umstritten und wird beispielsweise von Tim Berners-Lee, dem Begründer des World Wide Web, kritisch gesehen.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Der Begriff „Web 2.0“ bezieht sich weniger auf spezifische Technologien oder Innovationen, sondern primär auf eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets [2]. Die Benutzer erstellen, bearbeiten und verteilen Inhalte in quantitativ und qualitativ entscheidendem Maße selbst, unterstützt von Wikis, Blogs und Mikroblogs, Foto- und Videoportalen. Die Inhalte werden nicht mehr nur zentralisiert von großen Medienunternehmen erstellt und über das Internet verbreitet, sondern auch von einer Vielzahl von Nutzern, die sich mit Hilfe sozialer Software zusätzlich untereinander vernetzen [3] sowie Social-Bookmarking-Portale, aber auch die schon länger bekannten Tauschbörsen sowie Politcommunitys und Virtuelle Welten. Im Marketing wird versucht, vom Push-Prinzip (Stoßen: aktive Verteilung) zum Pull Prinzip (Ziehen: aktive Sammlung) zu gelangen und Nutzer zu motivieren, Webseiten von sich aus mit zu gestalten.

Hintergrund

Der Begriff grenzt die interaktiven Nutzungsarten von einem angeblichen Web 1.0 ab, in dem es nur wenige „Bearbeiter“ (Personen und Organisationen, die Inhalte für das Web erstellten bzw. Informationen bereitstellten) aber zahlreiche „Benutzer“ (Konsumenten, welche die bereitgestellten Inhalte passiv nutzten) gegeben habe.

Ebenfalls wird angeführt, dass das Web zu Beginn überwiegend aus statischen HTML-Seiten bestanden habe, von denen viele für längere Zeit unverändert ins Netz gestellt und nur gelegentlich überarbeitet oder in größeren Zeitabständen ausgetauscht wurden. Damit sich Seiten auch von mehreren Menschen effizient bearbeiten und verwalten lassen, seien Content-Management-Systeme und aus Datenbanken gespeiste Systeme entwickelt worden, die während der Laufzeit die Inhalte von Seiten dynamisch (nicht zu verwechseln mit Dynamic HTML) austauschen oder neue Inhalte einzusetzen helfen.

Folgende Entwicklungen haben ab etwa 2005 aus Sicht der Befürworter des Begriffs zur veränderten Nutzung des Internets beigetragen:

  • Die Trennung von lokal verteilter und zentraler Datenhaltung schwindet: Auch Anwender ohne überdurchschnittliche technische Kenntnis oder Anwendungserfahrung benutzen Datenspeicher im Internet (z. B. für Fotos). Lokale Anwendungen greifen auf Anwendungen im Netz zu; Suchmaschinen greifen auf lokale Daten zu.
  • Die Trennung lokaler und netzbasierter Anwendungen schwindet: Programme aktualisieren sich selbstständig über das Internet, laden Module bei Bedarf nach und immer mehr Anwendungen benutzen einen Internet-Browser als Benutzerschnittstelle.
  • Neben einer strengen Rollenverteilung zwischen Bearbeitern oder Informationsanbietern auf der einen Seite und reinen Benutzern oder Informationskonsumenten auf der anderen Seite sind einfache Angebote zu teil- oder zeitweise stattfindendem Rollentausch getreten: Anwender mit kaum mehr als durchschnittlicher EDV-Kenntnis stellen eigene Beiträge auf Server (siehe User Generated Content), pflegen Weblogs und verlagern auch private Daten ins öffentliche Netzwerk.
  • Es ist nicht mehr die Regel, die einzelnen Dienste getrennt zu nutzen, sondern die Webinhalte verschiedener Dienste werden über offene Programmierschnittstellen nahtlos zu neuen Diensten verbunden (siehe Mashups).
  • Durch Neuerungen beim Programmieren browsergestützter Applikationen kann jeder durchschnittlich befähigte Nutzer, selbst wenn er nicht programmieren kann, viel leichter als bisher aktiv an der Informations- und Meinungsverbreitung teilnehmen.

Entstehung des Begriffs

Am 30. September 2005 schrieb Tim O'Reilly einen Artikel[4], der das Thema grundlegend erklärt. Die hier abgebildete TagCloud zeigt die Prinzipien des Web 2.0. Sie wurde von Markus Angermeier am 11. November 2005 veröffentlicht.[5]

Der Begriff „Web 2.0“ wird Dale Dougherty (O'Reilly-Verlag) und Craig Cline (MediaLive) zugeschrieben, die gemeinsam eine Konferenz planten. Dougherty meinte, das Web sei in einer Renaissance, bei der sich die Regeln und Geschäftsmodelle verändern. Er stellte eine Reihe von Vergleichen an: „DoubleClick war Web 1.0; Google AdSense ist Web 2.0. Ofoto war Web 1.0; Flickr ist Web 2.0.“. Dougherty bezog John Battelle ein, um eine geschäftliche Perspektive zu erarbeiten. Daraufhin veranstalteten O’Reilly Media, Battelle und MediaLive die erste Web-2.0-Konferenz im Oktober 2004. Die Konferenz findet seitdem jährlich im Oktober statt.

CMP Technology (heutiger Eigentümer von MediaLive) hat den Begriff "Web 2.0" in Verbindung mit Konferenzen[6] in den USA als sogenannte Service Mark (Dienstleistungsmarke) angemeldet. In diesem Zusammenhang erregte der Begriff im Frühjahr 2006 Aufmerksamkeit, als eine nichtkommerzielle Organisation den Begriff für eine eigene Konferenz verwendete und von CMP anwaltlich abgemahnt wurde. Insbesondere in Weblogs wurde diese Maßnahme zum Teil scharf kritisiert.

O’Reilly und Battelle fassten Schlüsselprinzipien zur Charakterisierung von Anwendungen zusammen, die dem Begriff „Web 2.0“ zugeordnet werden können:

  • das Web als Plattform (anstatt des lokalen Rechners)
  • Daten-getriebene Anwendungen (Inhalte sind wichtiger als das Aussehen)
  • Die Vernetzung wird verstärkt durch eine „Architektur des Mitwirkens“. (Jeder kann mitmachen.)
  • Innovationen beim Aufbau von Systemen und Seiten durch die Verwendung von Komponenten, welche von verschiedenen Entwicklern erstellt worden sind und beliebig miteinander kombiniert werden können (ähnlich dem Open-Source-Entwicklungsmodell)
  • einfache Geschäftsmodelle durch das verteilte, gemeinsame Nutzen von Inhalten und technischen Diensten
  • das Ende des klassischen Softwarelebenszyklus; die Projekte befinden sich immerwährend im Beta-Stadium
  • Die Software geht über die Fähigkeiten eines einzelnen Verwendungszwecks hinaus.
  • es wird nicht nur auf die Vorhut von Web-Anwendungen abgezielt, sondern auf die breite Masse der Anwendungen

Tim O'Reilly hat den Unterschied auch anhand einiger Anwendungen dargestellt, von denen manche allerdings nicht Teil des Webs sind. (Verweis zur Liste siehe [4])

Aufkommen gängiger Begriffe, die dem Begriff Web 2.0 zugeordnet werden, im Zeitverlauf. [7]


Technik

Aus technischer Sicht bezeichnet „Web 2.0“ auch eine Anzahl von bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entwickelten Methoden, von denen viele erst mit dem Aufkommen einer großen Zahl breitbandiger Internetzugänge weltweit und allgemein verfügbar wurden. Typische Techniken, Internet-Anwendungen bzw. Leistungen sind folgende:

  • Abonnementdienste mit RSS/Atom oder ähnlichem, bei denen Informationen zwischen Websites ausgetauscht werden
  • Techniken, die es ermöglichen, Web-Anwendungen wie herkömmliche Desktop-Anwendungen zu bedienen (z. B. AJAX)
  • Weblogs (persönliche „Tagebücher“ im Netz)
  • Anwendungen für soziale Netzwerke
  • Webservices
  • Bürgerjournalismus-Internetseiten

Abonnementdienste

Manche Betreiber von Websites, z. B. Zeitungen, stellen Inhalte der Website in einer Form zur Verfügung, die der Benutzer abonnieren kann. Neue Inhalte werden automatisch heruntergeladen und dem Benutzer durch ein geeignetes Programm angezeigt.

Populäre Anwendungen hierfür sind z. B. das Anzeigen der neuesten Schlagzeilen der bevorzugten Zeitung auf dem Desktop oder Information über neu eingetroffene E-Mails in einem Webmail-Postfach. Solche Abonnementdienste heißen üblicherweise Feed, die zu Grunde liegenden Protokolle sind i. d. R. RSS oder Atom.

Web-Service

Als Web-Service wird ein über das Web abrufbares Daten- oder Datenauswertungsangebot bezeichnet, das Programmen standardisierte Abfrage- bzw. Datenaustauschwege bietet. Ein Web-Service ist nicht darauf ausgelegt, unmittelbar durch Menschen benutzt zu werden.

Im Zusammenhang mit dem so genannten Web 2.0 meint man mit Web-Services Zusammenfassungen von Diensten verschiedener Anbieter zu einem neuen, leistungsfähigeren oder umfassenderen Dienst für Internetnutzer.

Beispielanwendungen:

  • Verschiedene Suchmaschinen ermöglichen den Internet-Benutzern, von ihrer eigenen Website aus eine Suchanfrage an den Suchdienst abzuschicken. Selbstverständlich können auch Programme solche Web-Services von Internet-Suchmaschinen verwerten.
  • Websites, mit deren Hilfe man seine Bibliothek (z. B. LibraryThing) verwalten kann, nutzen Web-Services von Internetbuchhändlern, für die Suche nach Büchern, Autoren etc. Der Web-Service-Anbieter liefert Datensätze mit Angaben zu den gefundenen Büchern, teilweise mit einer Abbildung des Titelbildes.

Semantisches Web

Der Begriff Web 2.0 wird auch mit dem Semantischen Web in Verbindung gebracht. Dies betrifft etwa die Verwendung von Elementen wie FOAF und XFN zur Beschreibung sozialer Netzwerke, die Entwicklung von Folksonomies als vereinfachte Variante der Ontologien, der Verwendung von Geotagging oder RDF-basierten Feeds, die Verwendung von Mikroformaten, bis hin zur Erstellung von Ontologien mit Hilfe von Wikis.

Das Semantic Web beschreibt eine Technologieentwicklung hin zu einer höheren Interoperabilität durch den Einsatz von Standards wie etwa XML, RDF und OWL. Die Verarbeitung der Information durch Maschinen soll damit erhöht werden.

Kritik

Kritik am Begriff

Tim Berners-Lee, der Begründer des WWW, sagt von dem Begriff Web 2.0 in einem IBM-Developer-Works-Podcast[8][9]: „Natürlich halte ich 'Web 2.0' für einen Jargonausdruck, von dem niemand weiß, was er wirklich bedeutet.“ („I think Web 2.0 is of course a piece of jargon, nobody even knows what it means“). Er vertritt die Ansicht, dass das angeblich „neue Netzverständnis“ des Web 2.0 in Wahrheit nichts anderes als das ursprüngliche Netzverständnis ist, das bereits dem Web 1.0 zugrunde lag („Web 1.0 was all about connecting people“).

Berners-Lee konzipierte das Web von Anfang im gleichen Maße zum Publizieren wie zum Konsumieren der Inhalte. [10] Tatsächlich war auch der erste von ihm entwickelte Webbrowser bereits Editor und Browser zugleich.[11]

Zudem wird von Kritikern angeführt, dass der Begriff „Web 2.0“ lediglich normale, konsequente Weiterentwicklungen im WWW verallgemeinert. So ist nach Meinung vieler Kritiker der Begriff Web 2.0 eine Marketingblase, welche vermeidet, Neuerungen genau zu beschreiben, indem viele Neuentwicklungen ohne genaue Unterscheidung dem Web 2.0 zugeschlagen werden, auch wenn sie von anderen Technologien oder Zielsetzungen ausgehen. Beispielsweise fasst man unter dem Oberbegriff „Web 2.0“ so Unterschiedliches zusammen wie netzwerkgestützte Anwendungen, die lokale Anwendungen ersetzen (Client-Server-Anwendungen), und soziale Netzwerkanwendungen.

Des Weiteren lege der Begriff Web 2.0 vereinfachend nahe, das Internet sei interaktiver geworden – obwohl es schon seit den Anfängen des Internet rege Usenet-Gemeinden gegeben habe; genau wie später im WWW auch viele Foren-Communities. Daher beinhalte Web 2.0 nichts Neues. Auch seien die verwendeten Techniken schon lange, bevor sie unter diesem Begriff verwendet wurden, vorhanden gewesen.

Kritik an den mit dem Begriff verbundenen Techniken

Kritikern zufolge könnten viele der mit dem Begriff verbundenen interaktiven Konzepte dem Benutzer einen Teil seiner Autonomie nehmen und damit zum Kern neuer Strategien werden, in denen allein eine stete Bindung an den Anbieter die Aktualität und die Vollständigkeit einzelner Angebote sichere. So sei eine neue Orientierung des Nutzerverhaltens entstanden, die mit spezialisierten Anwendungen unter dem Schlagwort Soziale Software unterstützt werde.

Literatur

  • Tom Alby: Web 2.0. Konzepte, Anwendungen, Technologien; Hanser Verlag, 2007, ISBN 978-3-446-40931-6.
  • Vitaly Friedman: Praxisbuch Web 2.0: Moderne Webseiten programmieren und gestalten; Galileo Verlag, 2007, ISBN 978-3-8362-1087-4.
  • Paul Alpar, Steffen Blaschke (Hrsg.): Web 2.0: Eine empirische Bestandsaufnahme; Vieweg+Teubner, 2008, ISBN 978-3-8348-0450-1.
  • Tim Berners-Lee und Mark Fischetti: Weaving the Web: The Past, Present and Future of the World Wide Web by its inventor; 1999.
  • Shapiro, Andrew L.: The Control Revolution. How the Internet is Putting Individuals in Charge and Changing the World We Know, Public Affairs, 1999, ISBN 978-1891620195
  • Graham Cormode, Balachander Krishnamurthy: Key Differences between Web 1.0 and Web 2.0, First Monday, Bd. 13, Nr. 6
  • Erik Möller: Die heimliche Medienrevolution – Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern; Verlag Heinz Heise, 2006, ISBN 3-936931-36-4, 1. Auflage als freier Download (PDF).
  • Gernot Gehrke, Lars Gräßer: Web 2.0 – Schlagwort oder Megatrend? Fakten, Analysen, Prognosen; kopaed verlagsgmbh, 2007, ISBN 978-3-86736-206-1
  • Graham Vickery, Sacha Wunsch-Vincent: Participative Web and User-Created Content: Web 2.0, Wikis and Social Networking; OECD, 2007, ISBN 978-92-64-03746-5

Siehe auch Literaturliste Social Software

Einzelnachweise

  1. Deutsche Übersetzung des Artikels „What is Web 2.0“ von Tim O'Reilly
  2. Competence Site (01. März 2007): E-Interview mit Prof. Wolfgang Prinz - Web 2.0 - Bedeutung, Chancen und Risiken
  3. Neue Zürcher Zeitung (18. Mai 2007): Präventivschlag gegen journalistische Neugier
  4. a b Tim O'Reilly: What Is Web 2.0: Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software. (deutsche Übersetzung)
  5. Markus Angermeier: Web 2.0 Mindmap. Deutsche Version
  6. Artikel über die Kontroverse rund um den als Marke geschützten Begriff, oreilly.com
  7. Jürgen Schiller García: Web 2.0 Buzz Time bar. 2006-09-21. Abgerufen am 2006-10-29.
  8. developerWorks Interviews: Tim Berners-Lee (Transkript als Textdatei, englisch)
  9. Telepolis: „Web 2.0 ist nutzloses Blabla, das niemand erklären kann“ von Wolf-Dieter Roth
  10. Berners-Lee, Tim und Fischetti, Mark, Weaving the Web : The Past, Present and Future of the World Wide Web by its inventor (1999)
  11. Tim Berners-Lee's original World Wide Web browser (CERN)

Weblinks


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