Jean Soubeyran

Jean Soubeyran
Jean Soubeyran als „Harlekin“ (Pantomime)

Jean Soubeyran (* 3. Januar 1921 in Paris; † 3. September 2000 in Hannover) war ein französischer Pantomime, Schauspieler, Regisseur, Choreograf, Professor und Autor. Den größten Teil seines Lebens verbrachte und wirkte er in Deutschland und ist daher vor allem dort als Vertreter der modernen Pantomime bekannt geworden, die er auch in das Schauspielertheater integrierte und wieder aus der Vergessenheit hob.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Soubeyran studierte zunächst zwei Jahre Schauspiel bei Charles Dullin und Pantomime bei Decroux, bevor er 1945/46 an der Comédie-Française unter der Regie von Barrault in einem Mimodrama auftrat.[1] Er spielte jahrelang im Ensemble Marceaus, unter anderem in Der Mantel, bevor er als Solopantomime auf der Bühne stand.[2] Er ging „auf Wanderschaft“ durch Frankreich, die Schweiz und Deutschland (dort zuerst in der französischen Besatzungszone)[3] und ließ sich danach zunächst in Dortmund nieder, „weil damals der Boden für Pantomime in Deutschland fruchtbarer war.“[4] Einer seiner Schüler dort war bereits Günter Titt.[5]

Schon seit Mitte der 1940er-Jahre begann er selbst zu unterrichten[6] und ab den 1950er-Jahren Vorträge über „modernes Theater und die Pantomime” zu halten.[7] Seit dieser Zeit bestand auch sein bis 1957 existierendes, in Dortmund gegründetes und später in Düsseldorf residierendes Ensemble, das bald Fernsehauftritte in Deutschland[8] und 1955 beim niederländischen TV-Sender VPRO eine eigene Sendung hatte[9]. 1956 folgte eine ausgedehnte Gastspielreise unter anderem durch die DDR.[10] Im selben Jahr gab Soubeyran auf Einladung der Folkwang Hochschule in Essen erstmals an einer Schauspielschule Unterricht in Pantomime (die dort 1962 durch Günter Titt zu einem festen Bestandteil der Schauspielausbildung und 1965 ein eigenes Studienfach wurde).[11]

Jean Soubeyran als „Harlekin“ (Pantomime)

1957 ging er nach Ost-Berlin, da er von Brecht ein Jahr vorher durch seine Bekanntschaft mit ihm noch in dessen Exil in der Schweiz beauftragt wurde, die Fastnachtsszene in Leben des Galilei[12] am Berliner Ensemble im Theater am Schiffbauerdamm zu choreografieren. Zusätzlich war er für das Schauspielertraining zuständig. Nach dem Tod Brechts wurde die Inszenierung von Erich Engel fertig gestellt und 1957 aufgeführt.[13] Dort blieb er zwei Jahre. Dann übernahm er die Titelrolle im Film Der junge Engländer[14] und wurde von Walter Felsenstein an die Komische Oper geholt, wo er auch zwei Jahre blieb.[15]

Als 1961 die Berliner Mauer errichtet wurde, beschloss er wieder in die BRD zu gehen, wo er als Schauspieler und Pantomime Rollen übernahm, so zunächst am Neuen Theater Hannover,[16] später auch am Theater Bonn.[17] Außerdem erhielt er als Choreograf oder Regisseur Engagements an Theatern, z. B. am Schauspielhaus Hamburg, am Schillertheater Berlin und am Niedersächsischen Staatstheater Hannover.[18] Ebenso 1961 gründete er mit zum Teil früheren Mitgliedern in Essen ein neues eigenes Ensemble, das auch Gastspiele gab.[19]

1966 veranstaltete er in Essen die „Tage der Pantomime“, das (nach 1962 in Berlin und 1965 in Zürich) dritte internationale Pantomimenfestival, an dem René Quellet und das Duo Albert le Vice/Dominique Thommy (Le cabaret mimique) aus der Schweiz, Pierre Byland aus Frankreich, José Luis Gómez aus Spanien sowie Karl-Heinz Thyssen, Helfried Foron, Peter Siefert, Ellen Dorn, eine der damals wenigen weiblichen Pantomimen, die Pantomimenklasse der Folkwang Hochschule unter der Leitung von Günter Titt und Studierende der Westfälischen Schauspielschule Bochum unter der Leitung von Klaus Boltze teilnahmen.[20]

Ab 1968 wurde er als Pantomimeregisseur und Choreograf fest an die Wuppertaler Bühnen geholt, nachdem er dort vorher schon einzelne Regiearbeiten ausführte.[21] 1972 wurde er als Professor in der Abteilung Schauspiel an die Hochschule für Musik und Theater Hannover gerufen, wo er früher auch schon Gastdozent war.[22] Zu seinen Schülern gehörten etwa die späteren Schauspieler und Regisseure Ulrike Folkerts, der Brandt-Sohn Matthias Brandt,[23], Renan Demirkan,[24] Peter Henze[25] und Werner Müller, der zunächst vor allem als Pantomime und Clown bekannt wurde[26]; zu den vormaligen Mitgliedern seiner Pantomimegruppe die Schauspieler und Regisseure Gudrun Orsky,[27] Peter Siefert[28] und der Schauspieler, Regieassistent und Autor Günter Lanser[29]. Pantomimeunterricht bei Soubeyran erhielt auch der Schauspieler Pit Krüger. 1983 arbeitete er mit Anton Plate am Text zu dessen Oper Lisabella und Lorenzo.[30]

Nach seiner Pensionierung 1986 wirkte er bis zu seinem Tod immer noch an zahlreichen freien Theaterprojekten[31] sowie im Film Flüchtig[32] mit.

Wirkung

Jean Soubeyrans Verdienst war es, die Ideen von Decroux, der die Pantomime als eine „Sprache“ mit einer eigenen „Grammatik“ etablierte, kongenial umgesetzt und in das Schauspielertheater integriert[33] und damit diese fast vergessene Kunst in Deutschland, aber auch in den Niederlanden und in Österreich, wohin er Gastspielreisen unternahm,[34] wieder populär und zudem zu einem eigenen anerkannten Unterrichtsfach im Bereich „Schauspiel“ gemacht zu haben. Außerdem lässt sich feststellen, dass alle deutschen Pantomimen direkt oder indirekt Schüler von ihm sind,[35] sofern sie nicht an anderen Schulen wie etwa der École Jacques Lecoq ausgebildet wurden. Damit leistete er Pionierarbeit auf dem Gebiet der deutschen Pantomime.[36]

Einzig die Verwirklichung seines Traums, ein eigenes deutsches Pantomimentheater nach den Vorbildern der Gruppen von Fialka und Tomaszewski zu gründen, scheiterte an geeigneter Unterstützung.[37]

Jean Soubeyran bei einem Vortrag über „Die Kunst der Pantomime“ im NWDR

Zitat

„Die Pantomime ist keine Scharade. Wenn das Publikum sie nicht versteht, liegt der Fehler nicht beim Publikum, sondern beim Mimen. Das Publikum soll nicht nachher, sondern gleichzeitig verstehen, ich möchte fast sagen vorher. Der Mime erfüllt die Erwartungen des Publikums. Das Publikum des Mimen ist nicht passiv, sondern aktiv.

Pantomime ist Handlung. Es gibt in der Pantomime keine Bewegung an sich wie im Tanz. Bewegung, Haltung und Gestik ergeben sich aus der Wirklichkeit. Die Pantomime vereinfacht, komprimiert reale Vorgänge. Sie stellt das Besondere am Gewöhnlichen dar.

Die Pantomime will nicht die Schönheit, sondern die Wahrheit.“[38]

Aufführungen (Auswahl)

Filmografie

Jean und Brigitte Soubeyran in „Im Zirkus“ (Pantomime)

Familiäres Kompendium

Seine erste Ehefrau Brigitte Soubeyran, eine bekannte und erfolgreiche Theaterregisseurin in der DDR, war in den 1950er- und 1960er-Jahren als Pantomimelehrerin, Choreografin und Bewegungsregisseurin am Berliner Ensemble und am Deutschen Theater Berlin beschäftigt, bevor sie ihre eigene Inszenierungstätigkeit an der Volksbühne Berlin begann,[43] die sie dort bis 1979 ausübte.[44] Danach setzte sie diese Tätigkeit am Theater Chemnitz fort.[45]

Ihr gemeinsamer Sohn Manuel Soubeyrand[46] war Regisseur u. a. am Volkstheater Rostock und ist Intendant der Württembergischen Landesbühne Esslingen.[47]

Seine zweite Frau Ellen Soubeyrand war zeitweilig Mitglied seines Ensembles und übersetzte sein Buch Die wortlose Sprache unter ihrem Geburtsnamen Dorn ins Deutsche.[48]

Literatur

  • Jean Soubeyran: Die wortlose Sprache (die Neuauflage zusätzlich Lehrbuch der Pantomime). Friedrich, Velber bei Hannover 1963; Orell Füssli, Zürich und Schwäbisch Hall 1984, ISBN 3280015499.
  • Hella Buchwald, Hans-Ulrich Buchwald (Hrsg.): Keltenvisionen. Ein Maskenspiel. Puppen und Masken, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-922220-55-X. (Bildband zu einer Inszenierung von Soubeyran am Scharniertheater Hannover)
  • Jürgen Sieckmeyer (Fotos) und Norbert Nobis (Einführung): Tod dem Mondschein oder Gelbe Ohrfeigen? Eine Futurismus-Collage. Sprengel Museum Hannover. Wienand, Köln 1992, ISBN 3-87909-305-9,

Einzelnachweise

  1. Jean Soubeyran und sein Pantomimen-Ensemble, Faltblatt Selbstauskunft, Düsseldorf o. J.
  2. Theaterlexikon, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1978
  3. Selbstauskunft, wie oben, und Hannoversche Allgemeine Zeitung, Ausgabe Nr. 2 vom 3. Januar 1991, Seite 10
  4. Soubeyran in Essener Tageblatt, nachträglich undatierbar, da Zeitung nicht mehr existent
  5. Essener Tageblatt, siehe zu Titt auch weiter unten im Artikel
  6. Universität Bern, Theaterlexikon, siehe unter Böttger, Ernst Georg
  7. Vortragsverzeichnis der Universität Stuttgart
  8. Selbstauskunft und Programmarchiv Deutsches Fernsehen
  9. Television Archive
  10. Ellen Soubeyrand, mündliche und schriftliche Mitteilungen
  11. Folkwang Hochschule
  12. Kapitel 10 der Berliner Fassung
  13. Ellen Soubeyrand; vergleiche dazu auch den Abschnitt „20. Jahrhundert“ in Pantomime
  14. Internet Movie Database; vergleiche dazu auch die Datenbank der DEFA-Stiftung
  15. Essener Tageblatt
  16. Hannoversche Allgemeine Zeitung
  17. Gilles Soubeyrand, mündliche und schriftliche Mitteilungen
  18. Gilles Soubeyrand
  19. Ellen Soubeyrand und Theaterlexikon
  20. Handzettel „Tage der Pantomime“ und Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 25. Oktober 1966
  21. Ellen Soubeyrand und Theaterlexikon
  22. Westdeutsche Allgemeine Zeitung und Gilles Soubeyrand
  23. Ellen Soubeyrand
  24. „Mein Vater ist auch immer ganz stolz gewesen, wenn er sie im Fernsehen gesehen hatte: ‚Sie war meine Schülerin‘.“ Gilles Soubeyran
  25. Theater Henze
  26. Werner Müllers Website
  27. Theater Bamberg, siehe unter Gudrun Orsky
  28. Ellen Soubeyrand; siehe auch die Folkwang Hochschule, wie oben
  29. Buchpräsentation des Rimbaud Verlags
  30. Anton Plate im Deutschen Musikrat
  31. Gilles Soubeyrand
  32. Filme von A bis Z
  33. Vergleiche Soubeyran: Die wortlose Sprache, a. a. O.
  34. Selbstauskunft
  35. Essener Tageblatt
  36. Westdeutsche Allgemeine Zeitung
  37. Essener Tageblatt
  38. Soubeyran: Die wortlose Sprache, a. a. O.
  39. Vergleiche Soubeyran: Die wortlose Sprache, Seite 36
  40. Siehe dazu auch das Programmheft
  41. Programmarchiv Deutsches Fernsehen
  42. Ellen Soubeyrand
  43. Theaterlexikon
  44. Volksbühne Berlin: Ergebnis der Suche
  45. Siehe hierzu etwa Mike Hahne bei Hans-Otto-Theater Potsdam
  46. Die unterschiedliche Schreibweise erklärt sich mit einem Fehler in der Geburtsurkunde von Jean Soubeyran. Gilles Soubeyrand: „Die richtige Schreibweise ist ‚Soubeyran’. Beim Ausstellen der Geburtsurkunde meines Vaters hatte sich der Beamte in Paris verschrieben und aus Versehen ein ‚d’ drangehängt. Dies wurde zu spät bemerkt, so dass der Name seitdem immer ‚falsch’ geschrieben werden muss. Die richtige Schreibweise hat dann mein Vater als Künstlernamen benutzt.“
  47. Württembergische Landesbühne Esslingen
  48. Ellen Soubeyrand

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