Jüdisch-Theologisches Seminar in Breslau

Jüdisch-Theologisches Seminar in Breslau

Das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau, dessen offizieller Name Jüdisch-Theologisches Seminar Fraenckel'scher Stiftung lautete, war ein Rabbinerseminar in Breslau. Es wurde am 10. August 1854 eröffnet. Die bedeutende jüdische Bildungseinrichtung wurde von den Nationalsozialisten 1938 geschlossen, hat jedoch im Jewish Theological Seminary of America in New York City eine Fortsetzung gefunden.

Inhaltsverzeichnis

Gründung und weitere Entwicklung

Breslau wurde seit 1854 eines der wichtigsten Zentren jüdischer Wissenschaft in Europa. In diesem Jahr wurde das Jüdisch-Theologische Seminar als Rabbiner-Seminar, d. h. Anstalt zur Heranbildung von Rabbinern und zur Erteilung des entsprechenden Diploms (Hattarat Hora'a) eröffnet. Es bot uneingeschränkte Freiheit der Forschung, allerdings auf Basis des traditionellen jüdischen Gesetzes, dessen Einhaltung von Lehrern und Schülern verlangt wurde (wörtlich: auf dem Boden des positiven und historischen Judentums fortzubauen).

Das Seminar bestand ursprünglich aus drei Abteilungen: 1. Rabbinerabteilung mit siebenjähriger Ausbildung für Studierende mit Universitätsreife; 2. Vorbereitungskurs (Präparandie) für Studierende mit Sekundareife; 3. der Lehrerabteilung (die beiden letzten Abteilungen wurden noch vor dem Jahr 1900 aufgelöst).

Es war das erste deutsche Rabbinerseminar und zu seiner Zeit die bedeutendste Institution für die Ausbildung von Rabbinern in Europa.

Gegründet wurde es nach einem entsprechendem Ratschlag Abraham Geigers (der bereits 1836 die Errichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät an einer Universität vorgeschlagen hatte) auf Grund testamentarischer Verfügung aus dem Nachlass des Kommerzienrats Jonas Fraenckel, sodann vom Kuratorium der Kommerzienrath Fraenckel'schen Stiftungen selbständig verwaltet.

Erster Direktor war der Dresdner Oberrabbiner Zacharias Frankel (1801-1875). Nach dem Tode Frankels wurde Leser Lazarus Direktor (bis 1879), nach dessen Tod wurden die dem Direktor eingeräumten Befugnisse dem Lehrerkollegium übertragen.

Der Hauptdozent für talmudische Wissenschaft und rabbinische Literatur fungierte als Seminarrabbiner, ihm allein stand die Ausstellung der Hattarat Hora'a zu. Seminarrabbiner waren David Joel (1880-1882), Israel Lewy (1883-1917), Saul Horovitz (1917-1921), Michael Guttmann (1922-1934).

Die Seminarbibliothek zählte über 30 000 Bände; Frankels „Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums“ erschien seit 1851 und war ein wichtiges Forum zur Präsentation der Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung sowie nicht zuletzt der Selbstvergewisserung des Seminars (sie erschien bis 1939).

Das Jüdisch-Theologische Seminar diente auch als Vorbild bei der Errichtung jüdischer Hochschulen (Berlin 1870 durch Abraham Geiger: Hochschule für die Wissenschaft des Judentums) sowie weiterer Rabbinerseminare (Budapest 1877: Landesrabbinerschule; Wien 1883: Israelitisch-Theologische Lehranstalt).

Zacharias Frankel gehörte ehemals dem traditionellen Flügel der aufkommenden Bewegung des Reformjudentums an. Nach der zweiten rabbinischen Reformkonferenz (Frankfurt am Main 1845) trat er zurück, nachdem er zu der Überzeugung gelangt war, dass ihre Positionen äußerst radikal waren. 1854 wurde er der Leiter eines neuen Rabbinerseminars, des Jüdisch-Theologischen Seminars Fraenckel'scher Stiftung zu Breslau. In seinem Hauptwerk Darkhei HaMishnah (Wege der Mischna) untermauerte Rabbiner Frankel wissenschaftlich, dass das jüdische Recht nicht statisch ist, sondern sich immer auf sich wandelnde Bedingungen hin entwickelt hatte. Diesen Zugang zum Judaismus nannte er 'positiv-historisch', was bedeutete, dass das jüdische Recht und die jüdische Tradition als normativ akzeptiert werden sollten, man jedoch offen sein müsse dafür, das Recht in der gleichen historischen Weise zu verändern und zu entwickeln, in der sich der Judaismus historisch entwickelte.

Das Seminar erlebte nach dem Ersten Weltkrieg zunächst einen Aufschwung; es wurde nun auch modernes Hebräisch in den Lehrplan aufgenommen. Doch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung sah sich die Institution zunehmenden Schwierigkeiten ausgesetzt. Obwohl nach der Reichspogromnacht 1938 die Nationalsozialisten das Seminar schlossen und die Bibliothek auflösten, wurden einige Aktivitäten noch eine Zeitlang im Untergrund weitergeführt; die zwei letzten Studenten wurden am 21. Februar 1939 ordiniert.

Bekannte Lehrer und Schüler

Lehrer des Seminars

Dozenten waren u. a. Zacharias Frankel, Heinrich Graetz, Markus Brann, Israel Lewy, Isaak Heinemann, Jacob Bernays, Manuel Joël, Benedikt Zuckermann, Jacob Freudenthal, David Rosin, Michael Guttmann, Jacob Guttmann, Albert Lewkowitz, Israel Rabin und Guido Kisch.

  • Jacob Bernays (1824–1881), Klassischer Philologe
  • Heinrich Graetz (1817–1891), Historiker und Gegner von Heinrich von Treitschke, des Wortführers des Intellektuellenantisemitismus
  • Adolf Wolf Posnanski (* 3. Juni 1854 in Lubraniec, nahe Warschau); Mitglied des Direktoriums der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judenthums, Berlin, wurde nicht "naturalisiert"

Schüler des Seminars

Bis zur Schliessung 1938 hatte das Seminar weit über 700 Schüler, von denen etwa 130 das Rabbinerdiplom erhielten; von den Schülern, die zum Teil große Gelehrte wurden, seien genannt: Wilhelm Bacher, Leo Baeck, Philipp Bloch, Hermann Cohen, Ismar Elbogen, Ismar Freund, Max Grunwald, Moritz Güdemann, Jacob Guttmann, Adolf Hepner, David Kaufmann, Adolph Kohut, Alexander Kohut, Josef Perles, Joachim Prinz, Paul Rieger, Adolf Schwarz, Heinemann Vogelstein, Hermann Vogelstein und Samuel Löb Zitron.

Literatur

  • Markus Brann, Geschichte des Jüdisch-Theologischen Seminars (Fraenckel'sche Stiftung) in Breslau. Festschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum der Anstalt. s. n., Breslau 1904 (Nachdruck. Olms, Hildesheim 2010, ISBN 978-3-487-13948-7 (Rara zum deutschen Kulturerbe des Ostens)).
  • Guido Kisch (Hrsg.), Das Breslauer Seminar. Jüdisch-Theologisches Seminar (Fraenckelscher Stiftung) in Breslau 1854–1938. Gedächtnisschrift. = The Breslau Seminary. Mohr, Tübingen 1963.
  • Andreas Brämer: Rabbiner Zacharias Frankel. Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert. Olms, Hildesheim u. a. 2000, ISBN 3-487-11027-X (Netiva 3), (Zugleich: Berlin, Freie Univ., Diss., 1996: Zacharias Frankel.).
  • Carsten Wilke: Interkulturelle Anbahnungen. Das Rabbinat und die Gründung des Jüdisch-Theologischen Seminars Breslau 1854. In: Kalonymos. 7, H. 2, 2004, S. 1–3 (PDF; 620 KB).

Weblinks

Siehe auch


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