Komische Dichtung

Komische Dichtung

Die komische Lyrik kann mit Robert Gernhardt als „Sonderweg der deutschen Hochkomik“ betrachtet werden und hat eine lange Tradition in der deutschen Literatur bzw. Lyrik. Sie erreicht ihre Wirkung auf unterschiedlichste Weise: hier als Ballade in äußerlich traditioneller Form, die von einem komischen Ereignis erzählt (zahlreiche von Heinrich Heines Gedichten gehören zu dieser Kategorie), dort als Spiel mit der Sprache und geballter Wortwitz, der Übergänge zu Dada und Unsinnspoesie oder Lautpoesie aufweisen kann („Ottos Mops“ und andere Werke von Ernst Jandl sind eher hier einzuordnen).

Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, dass sie ihren Witz meist nicht aus einer bloßen Pointe schöpfen (die womöglich nicht einmal zu benennen wäre), sondern aus einer mehr oder weniger durchgängig originellen sprachlichen oder inhaltlichen Gestaltung. Das erzielte Lachen kann daher auch ein Lachen der Verblüffung über waghalsige, aber gelungene Konstruktionen sein. Dabei werden manchmal überraschende Perspektiven auf die Möglichkeiten und Begrenztheiten des Mediums Sprache eröffnet sowie alltagsweltliche Einblicke erweitert und auf den Kopf gestellt. Heine wie auch Erich Kästner und andere geben noch dem befreitesten Lachen manchmal so sogar noch eine tiefere Bedeutung und eine unaufdringliche „politisch-philosophische Dimension“.

Zu den prominentesten Autoren komischer Lyrik gehören neben den bisher genannten Joachim Ringelnatz, Christian Morgenstern, Kurt Tucholsky und Wilhelm Busch. Aber auch Teile des lyrischen Werkes von Bertolt Brecht und Johann Wolfgang von Goethe und zahlreicher anderer können der komischen Lyrik zugerechnet werden. Zu den wesentlichen Autoren der Gegenwart gehören Robert Gernhardt und andere Vertreter der Neuen Frankfurter Schule sowie Ror Wolf, Thomas Gsella und Steffen Jacobs. In jüngerer Zeit erweitern Autoren wie Michael Schönen, Alex Dreppec, Jan Kaiser und Klaus Cäsar Zehrer das Bild.

Inhaltsverzeichnis

Beispiele

Heinrich Heine (1797-1856)
Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang. 

„Mein Fräulein! Sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.“
Joachim Ringelnatz (1883-1934)
Die Ameisen

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
Wilhelm Busch (1832-1908)
Die Selbstkritik hat viel für sich

Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich:
So hab ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;
Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
Und viertens hoff ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Daß ich ein ganz famoses Haus. 
Christian Morgenstern (1871-1914)
Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

„Der Werwolf“,- sprach der gute Mann,
„des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt.
den Wenwolf,- damit hat's ein End'.“

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch 'Wer' gäb's nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind-
er hatte ja doch Weib und Kind!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.
Alex Dreppec (*1968)
Lädierter Lattenrost

Ludwig liebte Lottes Lüsternheit,
Lockender Locken Liebenswürdigkeit.
Lotte liebte Ludwig leichtberitten.
Ludwigs Lagerstättes Latten litten.
Lottes lebensfrohe Liebeslust
Lädierte leider Ludwigs Lattenrost.
Lottes liebster Ludwig lachte lediglich.
Lädierte Latten? Lamentieren? Lächerlich.
Liebkoste lieber Lottes Leberflecken,
Liebte lückenloses Lendenlecken.
Lothar leimte Ludwigs Lattenrost lattenweise.
Lotte leckte lieber Ludwigs Latte leise.

[mit Genehmigung des Autors]
Michael Schönen (*1970)
Der eigensinnige Elefant

So oft sie sagen: „Mach Diät!“
winkt er nur ab, ganz Majestät.
Der Elefant, das ist der Grund,
liebt an sich jedes Elepfund. 
Verschreibt Diäten nur, verschreibt,
wenn's Euch beliebt: Er bleibt beleibt.

[mit Genehmigung des Autors]

Anthologien

  • Lieber Gott, Du bist der Boß, Amen! Dein Rhinozeros : Komische deutschsprachige Gedichte des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Christian Maintz, Sanssouci 2000, ISBN 3-7254-1173-5
  • Eine Laus im Uhrgehäuse : Komische Gedichte von Morgenstern bis Gernhardt. Reclam, ISBN 3-379-20007-7
  • Hell und Schnell. Hg. v. Robert Gernhardt und Klaus Cäsar Zehrer, S. Fischer 2004, ISBN 3-10-025505-4
  • Deutsche Unsinnspoesie. Hg. v. Klaus P. Dencker, Reclam 1978, ISBN 3-15-009890-4
  • Poetische Sprachspiele: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Klaus P. Dencker. Reclam, ISBN 3-15-018238-7
  • Lustige Lyrik : Fünfzig komische Gedichte. Hg. v. Harry Fröhlich. Reclam 2003. ISBN 3-15-018446-0
  • Die komischen Deutschen: 878 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren. Hg. v. Steffen Jacobs, Zweitausendeins, ISBN 3-86150-531-2
  • Bilden Sie mal einen Satz mit ... Ein Dichterwettstreit.. Hg. v. Robert Gernhardt 7und Klaus Cäsar Zehrer, S. Fischer, ISBN 978-3596174379
  • Wortbeben. Komische Gedichte. Hg. v. Jan-Eike Hornauer, Lerato-Verlag 2007, ISBN 978-3-938882-61-0

Literatur

Weblinks


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