Kratylos

Kratylos

Kratylos ist ein sprachphilosophische Themen behandelnder Dialog Platons, der nach 399 v. Chr. entstanden ist. Er gehört zusammen mit den Dialogen Theaitetos, Sophistes und dem Politikos zur zweiten Tetralogie der platonischen Werke. In ihm setzt sich Platon mit der Frage auseinander, wie die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zustande kommt.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Der nach dem Philosophen Kratylos benannte Diskussionspartner des Hermogenes behauptet in diesem Dialog, dass jedes Ding von Natur aus einen richtigen Namen hat. Als Gegenspieler vertritt Hermogenes die Auffassung, dass ein Begriff dadurch richtig wird, dass seine Bedeutung durch eine Vereinbarung hergestellt wird. Kratylos argumentiert, dass Sätze und damit auch Wörter wahr oder falsch sein können. Die richtige Bedeutung erkennt man an der Wahrheit einer Aussage. Hermogenes hält dagegen, dass man eine Sprache erfinden kann, in der es möglich ist, wahre Aussagen zu machen.

Sokrates, der von den beiden als Schiedsrichter aufgefordert wird, verweist schließlich darauf, dass man die Wirklichkeit bereits kennen muss, um zu beurteilen, ob eine Aussage richtig ist beziehungsweise ob ein Begriff in der richtigen Bedeutung verwendet wurde. Entsprechend sind Begriffe nur Namen des Erkannten. Sprache aus sich heraus ist danach ohne Bedeutung. Gegen Hermogenes spricht, dass die Konventionen nicht beliebig sind, sondern dass die Namen der Dinge oftmals eine zeichenhafte Entsprechung haben. Gegen Kratylos spricht, dass manche Namen für die Dinge als Zeichen wenig geeignet sind. Offen bleibt auch die Frage, woher der Erfinder wusste, dass er mit ihnen die natürlichen Eigenschaften eines Dinges bezeichnet. Den Ausweg aus diesem Dilemma suchte Platon, indem er anstelle der Namen das Wesen der Dinge (eidos) für die Erkenntnis als grundlegend ansah.

Sprachwissenschaftliche Bedeutung

Die von Platon aufgestellte Problematik wurde fast unverändert in der sprachwissenschaftlichen Diskussion des 20. Jahrhunderts aufgegriffen. Dabei wurden bisher differenziertere Erklärungen in Richtung der Meinung des Kratylos und des Hermogenes gefunden. Von Ferdinand de Saussure wurde 1916 [1] die These vertreten, dass sprachliche Zeichen auf Konventionen innerhalb einer Sprachgemeinschaft beruhen. Sprachwissenschaftlich ist das die These der Arbitrarität. Auch die 1907 entwickelte These der Ikonizität der Zeichen, die auf den Philosophen Charles S. Peirce und die von ihm entwickelte triadische Semiotik (relationales Dreieck: Objekt-Zeichen-Interpretant) [2] zurückzuführen ist, berücksichtigt die Notwendigkeit der Interpretation durch das Subjekt. Das Ikon ist ein wahrnehmungsnahes Objektmerkmal mit bildhaftem Charakter, das durch Interpretation zum Zeichen wird [3]. Jedoch benötigt die These Peirce eine „erklärende Hypothese“ (Peirce), die durch Abduktion gebildet werden muss und sich nicht verifizieren lässt.[4] Das Bezeichnende (Saussure: signifiant) weist oftmals Ähnlichkeiten zum Bezeichneten (Saussure: signifié) auf. Das Bezeichnete wird durch ein Zeichen wahrnehmbar. Ein klassisches Beispiel sind Tierlaute wie das Bellen eines Hundes oder das Muhen einer Kuh (siehe auch Onomatopoesie). Ikonische Ähnlichkeiten finden sich auch in Wort- und Satzstrukturen (Morphologie und Syntax). Ein weiterer Typ der Ikonizität ist die Metapher. Ikonizität spielt in der Bildsemantik von Roland Barthes eine wesentliche dekonstruktionistische Rolle. Von ihm wird die Rückführung von Sinn auf Natur als Mythos aufgezeigt. Danach gibt es nicht die Wahrheit, sondern nur die sozial und geschichtlich gebildete Wahrheit für denjenigen, der dem Zeichen eine Bedeutung zuweist.[5] Wittgenstein „betont, dass die Bedeutung eines Wortes in seinem Gebrauch liege.“ [6] Vor diesem Hintergrund finden sich gegenüber der offenen Haltung Platons zu dem dargestellten Dilemma heute viele differenzierte Sichtweisen in der modernen Sprachwissenschaft.

Siehe auch: Abbildtheorie, Widerspiegelungstheorie, Naturalistischer Fehlschluss

Literatur

  • Josef Derbolav: Platons Sprachphilosophie im Kratylos und in den späteren Schriften, Darmstadt 1972
  • Gerard Genette: Mimologiken. Reise nach Kratylien, Frankfurt a. M. 2001
  • Ernst Heitsch: Willkür und Problembewusstsein in Platons Kratylos, Stuttgart 1984
  • Rudi Keller: Zeichentheorie. Zu einer Theorie semiotischen Wissens, Franke, Tübingen 1995
  • Michael Palmer: Names, reference and correctness in Plato’s Kratylos, New York u. a. 1989
  • Rudolf Rehn: Der logos der Seele: Wesen, Aufgabe und Bedeutung der Sprache in der Platonischen Philosophie, Hamburg 1982.
  • Jetske C. Rijlaarsdam: Platon über die Sprache. Ein Kommentar zum Kratylos, Utrecht 1978
  • Elisabeth Leiss: Sprachphilosophie. W. de Gruyter, Berlin, New York 2009, S. 31-46 (ausführliche Interpretation: Kratylos bezöge sich konsistent auf die Inhaltsseite von Apellativa - gegen Coseriu, Baxter 1992, Joseph 2000, Sedley 2003, Riley 2005)

Quellen

  1. Anm. 1916 veröffentlichten Schüler Saussures die Mitschriften: Cours de linguistique générale
  2. Vgl. genauer: Michael H.G. Hoffmann: Peirces Zeichenbegriff: seine Funktionen, seine phänomenologische Grundlegung und seine Differenzierung [1]
  3. Michael H.G. Hoffmann: Peirces Zeichenbegriff: seine Funktionen, seine phänomenologische Grundlegung und seine Differenzierung [2]
  4. Vgl. Ansgar Richter: Der Begriff der Abduktion bei Charles S. Peirce, Lang, Frankfurt/Main 1995, vgl. Michael H.G. Hoffmann: Peirces Zeichenbegriff: seine Funktionen, seine phänomenologische Grundlegung und seine Differenzierung [3], Jörg Seidel: Die Theorie der Abduktion bei Charles Sanders Peirce und Umberto Eco [4]
  5. vgl. Barthes (1963): Mythen des Alltags.
  6. Siegfried Jäger, Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. 4. erw. Aufl., Duisburg/Münster 2004, S. 106

Weblinks

 Wikisource: Κρατύλος – Quellen und Volltexte (Griechisch)

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