Kurt Julius Goldstein

Kurt Julius Goldstein

Kurt Julius Goldstein (* 3. November 1914 in Scharnhorst/Westfalen; † 24. September 2007 in Berlin) war ein deutsches Mitglied der Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg, Überlebender von Auschwitz und des Todesmarsches von Buchenwald. Kurt Julius Goldstein war Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitz Komitees und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten.

Als NS-Verfolgter berichtete Kurt Goldstein in zahllosen Zeitzeugengesprächen an Schulen und bei Veranstaltungen von seinem Leben. Von Beruf war er Journalist und Rundfunkintendant.

Kurt Julius Goldstein spricht zu den Delegierten der VVN-BdA Bundesversammlung, Mai 2004

Inhaltsverzeichnis

Leben

Weimarer Republik und NS-Zeit

Julius Goldstein wurde 1914 in Scharnhorst (heute ein Stadtbezirk von Dortmund) als jüngstes von vier Geschwistern (zwei Mädchen, zwei Jungen) geboren. Seine Eltern waren der 1920 seinen Kriegsverletzungen aus dem Ersten Weltkrieg erlegene, pazifistisch orientierte Kaufhausbesitzer Emil Goldstein aus Hamm (Westfalen) und Ida Cohen aus Wittmund. Bereits in der Schule machte er Erfahrung mit dem aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland. Seine verwitwete Mutter zog 1923 mit ihren vier Kindern nach Hamm um. Zunächst Mitglied des linken jüdischen Jugendbundes „Kameraden“, schloss Julius Goldstein sich 1928 dem von Max Reimann geleiteten Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) an und trat 1930 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. Zu seinem Schutz erhielt er den Decknamen "Kurt Berger", den er bei allen Parteiaktivitäten verwendete. 1932 wurde er „wegen kommunistischer Umtriebe“ in Hamm der Schule verwiesen, konnte seine Abiturvorbereitung aber in Münster fortsetzen. Am 28. Februar 1933, dem Morgen nach dem Reichstagsbrand, erhielt er eine Warnung, dass er polizeilich gesucht werde und tauchte bei einer befreundeten Bergarbeiterfamilie in Scharnhorst unter. Am 3. April 1933 festgenommen, gelang es ihm zu fliehen - und so der doppelten Verfolgung als Jude und als Kommunist zunächst zu entkommen.

Anschließend ging er zu Verwandten nach Luxemburg und dann weiter nach Paris, wo er sich auf Anraten der örtlichen KP-Organisation der zionistischen Organisation Hechaluz anschloss. In einem von dieser Organisation betriebenen Hachschara-Lager in Luxemburg und als Hilfsarbeiter bei einem Weinbauern in Lunac (bei Villefranche-de-Rouergue, Département Aveyron) erhielt er landwirtschaftliche Kenntnisse, die ihn auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten, wo er sich von Juni 1935 bis zur Jahresmitte 1936 aufhielt. Ab November 1936 nahm Goldstein als Interbrigadist am Spanischen Bürgerkrieg teil, wo er bei Caspe verwundet wurde und später als Politkommissar einer Einheit in Vic und später in Santa Coloma de Farners fungierte. Nach der Demobilisierung der Internationalen Brigaden 1938 und dem Sieg Francisco Francos 1939 wurde er im Februar 1939 zunächst im französischen Sammellager Saint-Cyprien (Pyrénées-Orientales) interniert, ab Mai 1939 in Gurs, und nach Beginn des Zweiten Weltkriegs als angeblicher deutscher Spion im Lager Le Vernet. Im Juli 1942 wurde Goldstein an Deutschland ausgeliefert und über das KZ Drancy nach Auschwitz (Häftlings-Nr.: 5 88 66) verschleppt. Bei der Zwangsarbeit in den Kohlengruben des Außenlagers Jawischowitz leistete er weiter Widerstand und erhielt von der SS den Spitznamen „Judenkönig“. Goldstein überlebte 30 Monate im Konzentrationslager und im Januar 1945 den Todesmarsch nach Buchenwald und war am Häftlingsaufstand Anfang April 1945 beteiligt. Zusammen mit anderen Häftlingen leistete er am 11. April 1945 den Schwur von Buchenwald.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Krieg engagierte sich Goldstein zunächst in Berlin in der KPD/SED. Er arbeitete als Jugendsekretär der KPD und wurde Vorsitzender des Landesjugendausschusses in Thüringen. 1946 kehrte Goldstein in seine Heimatstadt Dortmund zurück und agitierte auch hier für die KPD. Später war er 1. Sekretär des FDJ-Zentralbüros in der Bundesrepublik. 1951 siedelte er in die DDR über.

In der DDR wurde Goldstein politischer Mitarbeiter der Westabteilung des Zentralkomitee der SED und wechselte 1956 zum Rundfunk der DDR, wo er bis zu seiner Pensionierung 1978 als Funktionär in leitender Stellung tätig war. 1957 kam er zum Deutschlandsender, dessen Intendant er von 1969 bis 1971 war. Nach der Umbenennung in Stimme der DDR 1971 war er bis 1978 Intendant dieses Senders. 1976 wurde Goldstein Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees und von 1982 bis 1991 Sekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer in Wien. Seit 1994 war er Ehrenvorsitzender des Interessenverbandes der Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, der Verfolgten des NS-Regimes und der Hinterbliebenen (IVVdN).

Goldstein war Träger des Bundesverdienstkreuzes, arbeitete für viele internationale Organisationen, war Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitz Komitees und Ehrenvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Seit 1996 war er Ehrenbürger Spaniens. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit ehrte am 20. Mai 2005 Kurt Julius Goldstein im Auftrag des Bundespräsidenten mit dem „Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Bis zu seinem Lebensende berichtete er unermüdlich in Zeitzeugengesprächen, bevorzugt an Schulen, über die NS-Zeit.

Kurt Goldstein war seit 1951 verheiratet und hatte fünf Kinder. Er starb am 24. September 2007 in Berlin. Seine Urne wurde am 20. Oktober im Beisein von etwa 400 Trauergästen in der Grabanlage „Pergolenweg“ auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt. [1] [2]

Familie

Über den Verbleib seiner Familie ist bis heute nur wenig bekannt. Sein älterer Bruder Günter Goldstein (*1910), der in Bonn Medizin studierte, wurde am 5. März 1933 in Hamm verhaftet, über die provisorischen KZs Bonn und Brauweiler dann nach KZ Börgermoor geschafft. Später gelang es Günter Goldstein offenbar, nach Palästina zu fliehen.[3]

Zitate

„Ich hatte keine Lust, in eisiger Kälte an der Rampe zu stehen und mir von den Rednern, unter anderem den deutschen, anzuhören, wie gut sie doch alle mit der Vergangenheit umgehen. Ich finde das zum Kotzen.“

Kurt Goldstein auf die Frage, warum er dem 60. Gedenktag in Auschwitz fernblieb.

»Ich bin ein Glückskind. Als ich 1933 am 5. April verhaftet wurde, bin ich denen entkommen. In Spanien habe ich von 1936 bis 1938 an der Front gestanden, aber mich traf keine tödliche Kugel. Ich bin nach Auschwitz gekommen. Die Nazis haben Millionen umgebracht. Mich haben sie in Auschwitz nie erwischt. Ich bin also ein Glückskind. Und wenn Sie mich jetzt nach meinen Kindern fragen, dann sage ich, ich bin ein Glückskind. Die haben alle Arbeit, gute Arbeit, ihre Frauen haben Arbeit.« 

»Ich bin ein deutscher jüdischer Kommunist. In Deutschland bin ich geboren. Jude zu sein ist ein Stück meiner kulturellen, und Kommunist zu sein, ein Stück meiner politischen Identität.« 

»Ich würde mich freuen, wenn bei uns in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten der Sozialismus so stark und schön wäre, wie ich ihn mir vor sechzig Jahren erträumt habe. Probleme gäbe es dabei noch genug. Ich wünschte, wir hätten den Sozialismus zu dem gemacht, was die Menschen anzieht.« »Wir glaubten an die Reformierbarkeit der DDR, denn ihr antikapitalistischer Ansatz war richtig. Auf keinen Fall wollten wir das in der DDR begonnene Werk gefährden. Und wir wollten uns nicht im Globke-Oberländer-Kiesinger-Staat wiederfinden. (...) Das Ziel bleibt, wenn es auch in weite Ferne gerückt ist.« 

»Wir hatten zwar gestern den Mut, unter Einsatz unseres Lebens gegen den Faschismus in all seinen Formen und Erscheinungen zu kämpfen. Aber als unsere eigenen Kameraden in der Partei- und Staatsführung den antifaschistischen Gedanken für Deformationen, für Druck und Terror gegen Andersdenkende mißbrauchten, haben wir geschwiegen. Aus all dem haben wir unsere Lehren zu ziehen.« 

»Wir haben Auschwitz verlassen, aber Auschwitz hat uns nie verlassen. Viele von uns quälen sich noch heute in ihren Auschwitzalbträumen durch die Nächte, und bei manchen sind die qualvollen Erinnerungen in die Tiefen der Gefühlswelt ihrer Kinder und Enkel vererbt.« 

»Spricht man von Auschwitz, dem Synonym für alle Naziverbrechen, muß man auch immer daran denken, daß es das Gemeinschaftswerk der Naziführung, ihres Staatsapparates und der deutschen Großindustrie war.« 

»Wer feste Dämme gegen den faschistischen Ungeist errichten will, wer erfolgreich den Anfängen wehren will, muß beharrlich und kontinuierlich Überzeugungsarbeit leisten. Lehren aus der Geschichte zu erschließen, sie für die Nachgeborenen begreiflich, ja erlebbar zu machen, ist dabei ein unersetzliches Mittel.«

»Ich muß Menschen gern haben, wenn ich die Ideen, die ich vertrete, richtig vertreten will.«

Werke

  • Die Reichen sollen zahlen! Was erwarten Sie vom Lastenausgleich. Frankfurt/M.: Parteivorstand der Kommunistischen Partei Deutschlands, 1948.
  • Wir sind die letzten – fragt uns. Reden und Schriften 1974–2004, hrsg. von Friedrich-Martin Balzer. 2. Aufl. Bonn: Pahl-Rugenstein, 2005, ISBN 3-89144-362-5

Einzelnachweise

  1. „Letzte Ruhestätte am Pergolenweg.“, junge Welt, 22. Oktober 2007
  2. „Bekennender Optimist“ Zwei Trauerreden bei der Beisetzung Goldsteins, dokumentiert in junge Welt, 25. Oktober 2007
  3. http://books.google.de/books?id=i74vCJxizH4C&pg=PA599, sowie Schuder/Hirsch (s. Lit.), S.76 bzw. 137

Literatur

  • Rosemarie Schuder und Rudolf Hirsch: Nr. 58 866: „Judenkönig“ - Das Leben des Kurt Julius Goldstein. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage, mit einem Geleitwort von Hans Coppi, Berlin 2009, ISBN 978-3-86650-781-4
  • Mechtild Brand: Geachtet – geächtet. Aus dem Leben Hammer Juden in diesem Jahrhundert. Hamm: Stadt Hamm, 1991. (S. 86–104)
  • Ingrid Strobl: Vorwärts und nicht vergessen. Kurt Julius Goldstein. Ein Porträt. Produktion, Verleih und Vertrieb: Friedrich-Martin Balzer, VHS-Video 1994, 56 Minuten, inzwischen auch als DVD über www.friedrich-martin-balzer.de
  • Achim Engelberg: Wer verloren hat, kämpfe. Dietz-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-320-02110-8

Film

  • Ingrid Strobl: Vorwärts und nicht vergessen. Kurt Julius Goldstein. Ein Porträt. Produktion, Verleih und Vertrieb: Friedrich-Martin Balzer, VHS-Video 1994, 56 Minuten, inzwischen auch als DVD über www.friedrich-martin-balzer.de

Einzelnachweise


Weblinks


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