Leidener Klammersystem

Leidener Klammersystem

Das Leidener Klammersystem ist ein 1931 auf dem Internationalen Orientalistenkongress in Leiden beschlossenes System zur einheitlichen Edition epigraphischer Texte (d. h. von Texten, die ursprünglich in Form von Inschriften vorlagen und in gedruckter Form reproduziert werden).

Durch die Bestückung des Textes mit bestimmten Klammern und anderen Schriftzeichen (Sigla) soll auf Besonderheiten der Originalinschrift hingewiesen werden, deren Kenntnis mitunter von unerlässlicher Bedeutung bei der Untersuchung und für das Verständnis eines Textes, sowie der Bewertung seines quellenmäßigen Wertes und seiner wissenschaftlichen Verortung ist.

Das Leidener Klammersystem ist heute das allgemein verwandte System bei der wissenschaftlichen Publikation antiker Inschriften (z. B. der Res Gestae Divi Augusti). Wichtige Verlagseditionen, die das Leidener Klammersystem verwenden, sind u. a. die Loeb Classical Library, die Sammlung Tusculum, die Collection Budé und die Bibliotheca Teubneriana.

Übersicht der wichtigsten Sigla

Siglum Beschreibung
[ ] Eckige Klammern zeigen an, dass der umklammerte Abschnitt auf der Originalinschrift beschädigt und nicht mehr oder zumindest nur sehr schwer lesbar ist und für die gedruckte Publikation vom Herausgeber ergänzt wurde. Die restaurierten Schriftzeichen sind als wahrscheinlich bis an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit eingestufte Wiedergaben des unlesbaren Originals. (extent known)
[...] Punkte auf der Zeile geben die bestimmbare Anzahl von nicht rekonstruierbaren Buchstaben an (in diesem Fall drei).
[— —] Spiegelstriche geben eine unbestimmbare Anzahl von nicht rekonstruierbaren Buchstaben an.
( ) Runde Klammern weisen darauf hin, dass der umklammerte Teil eines Wortes im Original weggelassen wurde, d. h. dass das Wort abgekürzt wurde. Der in solche Klammern eingefaßte Inhalt komplettiert die verwendete Abkürzung.
Beispiel: P(ontifex) M(aximus) bedeutet, dass statt des ausgeschriebenen Pontifex Maximus in der Originalinschrift nur PM zu finden ist.
Beispiel: Smikylion (Sohn) des Eukalides
< > Spitze Klammern zeigen an, dass der Herausgeber einen Fehler der Originalinschrift (z. B. Rechtschreibfehler oder eine irrtümliche Zahlenangabe) korrigiert hat.
{ } Geschweifte Klammern umgeben Text, den der Herausgeber als überflüssig tilgt (z. B. versehentlich doppelt geschriebene Wörter oder Wortteile).
ạḅ Punkte unter Buchstaben kennzeichnen Unsicherheit bei der Lesung des Textzeugen. Rekonstruktionsmerkmale weisen nicht eindeutig auf ein bestimmtes Graphem hin.
... Punkte auf der Zeile geben die Anzahl der vermuteten nicht rekonstruierbaren Buchstaben an (Griechisch und Papyrologisch)
+++ Pluszeichen auf der Zeile geben die Anzahl der vermuteten nicht rekonstruierbaren Buchstaben an (Römisch)
[[abc]] Die doppelte Umklammerung eines Textabschnittes wird in der wissenschaftlichen Nomenklatur als „Rasur“ bezeichnet, das heißt, der umklammerte Abschnitt wurde noch in der Antike absichtsvoll aus einer Inschrift entfernt. Die Gründe hierfür sind meist politisch motiviert: so ließ z. B. der römische Kaiser Caracalla den Namen seines Bruders und Mitregenten Geta, nachdem er diesen ermordet hatte, aus Inschriften tilgen, die beide als gleichberechtigte Herrscher nannten.
v
vv
vacat
für "leer" kennzeichnen eine unbeschriftete Stelle im Textzeugen.
| Senkrechte Striche markieren einen Zeilenanfang.
|| Senkrechte Doppelstriche markieren den Zeilenanfang jeder fünften Zeile.

Bei der Benutzung älterer Inschrifteneditionen ist zu beachten, dass dort einige Klammerzeichen eine andere Bedeutung haben können; so kann <…> auch eine Tilgung durch den Herausgeber bedeuten, (…) eine Korrektur durch den Herausgeber.

Literatur

  • Cook, B.F.: Greek Inscriptions. Vol. V der Serie "Reading the Past", University of California Press, 1987. ISBN 0-520-06113-6.

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