Nassim Taleb

Nassim Taleb

Nassim Nicholas Taleb (* 1. Januar 1960 in Amioun, Libanon) (arabischنسيم نيقولا نجيب طالب‎) ist ein Essayist, Epistemologist, Forscher in den Bereichen Zufall und Wissen und ehemaliger Finanzmathematiker[1][2][3][4]. Er arbeitete als Spezialist für komplexe Finanz-Derivate[5] in mehreren Wall-Street-Unternehmen, bevor er eine zweite Karriere als Wissenschaftler begann und sich mit der Erkenntnistheorie von Zufallsereignissen und dem Umgang mit unvorhergesehenen seltenen Ereignissen (von ihm „schwarze Schwäne“ genannt) beschäftigte[6].

Talebs eigenwilliger literarischer Ansatz besteht darin, philiosophische Ausführungen mit fiktiven, oft semi-autobiographischen Erzählungen zu mischen.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Talebs Wurzeln liegen in Amioun im Libanon. Er stammt aus einer griechisch-orthodoxen Familie. Er ist Sohn von Najib Taleb, einem Onkologen und Anthropologen, und Minerva Ghosn. Seine Familie spielte eine bedeutende Rolle in der libanesischen griechisch-orthodoxen Gemeinschaft: mütterlicherseits waren sowohl sein Großvater als auch sein Urgroßvater Vizepremierminister des Libanon; väterlicherseits war sein Großvater Richter am obersten Gerichtshof und sein Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater war Gouverneur der ottomanischen semi-autonomen Provinz Libanon. Im Libanesischen Bürgerkrieg ab 1975 verlor die Familie ihren Einfluss und ihren Reichtum.

Taleb schloss als MBA an der Wharton School der University of Pennsylvania sowie als Ph.D. in Betriebswissenschaft an der Universität Paris-Dauphine ab[7]. Er ist gegenwärtig Ehrenprofessor für Risikoanalyse am polytechnischen Institut der New York University[8] und Gastprofessor für Marketing (Kognitionswissenschaft) an der London Business School. Er war Professor an der University of Massachusetts Amherst, außerordentlicher Professor für Mathematik am Courant Institute der New York University, und Fakultätsmitglied an der Wharton Business School.

Empirica LLC, ein Unternehmen, das sich früher im Besitz von Taleb befand, beteiligt sich an Hedgefonds und betreibt Forschung, doch der Hauptteil der Geschäftstätigkeit besteht aus Strategien zum Portfolio-Schutz für Hedgefonds.[9] Taleb ist Berater von Universa Investments, einem Investmentunternehmen, das sich auf asymmetrische Auszahlungen spezialisiert.

Als Börsenhändler ging Taleb mit einer skeptischen und anti-mathematischen Betrachtungsweise gegenüber Risiko und Ungewissheit vor und misstraute Modellen und Statistiken. Er zeigte seine Geringschätzung für Akademiker in diesen Gebieten. Seine früheren Arbeitgeber waren UBS, CS-First Boston, Banque Indosuez, CIBC-Wood Gundy, Bankers Trust, BNP Paribas sowie Chicago Mercantile Exchange.

Taleb sieht sich weniger als Geschäftsmann, sondern vielmehr als Epistemologist des Zufalls, der durch Börsenhandel persönliche Unabhängigkeit erlangte, wie er in seinem Buch Narren des Zufalls (original: Fooled by Randomness) darlegt. Dieses Werk wurde nach seinem Erscheinen 2001 zum Kultbuch an der Wall Street. Es wurde in 23 Sprachen übersetzt. [10]

Taleb spricht fliessend Englisch, Französisch und klassisches Arabisch, beherrscht auch Italienisch und Spanisch und liest klassische Texte in Griechisch, Latein, Aramäisch und Hebräisch sowie in kanaanäischer Schrift.[11]

Forschung und Theorien zum Zufall

Taleb bezeichnet sich selbst als einen „skeptischen Empiristen“ und glaubt, dass Naturwissenschaftler, Ökonomen, Historiker, politische Entscheidungsträger, Geschäftsleute und Bankiers Opfer einer Illusion sind; sie überschätzen den Wert von rationalen Erklärungen für beobachtete Daten und unterschätzen das Auftreten von unerklärbarer Zufälligkeiten in diesen Daten. Er stellt sich in die Tradition von skeptischen Philosophen wie Sokrates, Sextus Empiricus, Al-Ghazali, Pierre Bayle, Montaigne, David Hume und Karl Popper und glaubt dass wir viel weniger wissen als wir glauben zu tun, und dass die Vergangenheit nicht in naiver Weise dazu benutzt werden sollte, um die Zukunft vorauszusagen.

Taleb konzentriert sich nun auf die Forschungstätigkeit im Bereich der Philosophie des Zufalls und die Rolle von Unbestimmtheit in Wissenschaft und Gesellschaft[12] mit besonderem Gewicht auf der Geschichtsphilosophie und der Rolle von glücklichen oder unglücklichen Zufallsereignissen mit großen Auswirkungen, die er „schwarze Schwäne“ („black swans“) nennt.

Taleb glaubt, dass die meisten Menschen „schwarze Schwäne“ ignorieren, weil es für uns angenehmer ist, die Welt als geordnet und verständlich zu betrachten. Taleb nennt diese Blindheit „platonischer Fehlschluss“ und legt dar, dass dies zu drei Verzerrungen führt:

  1. erzählerische Täuschung (narrative fallacy): Das nachträgliche Schaffen einer Erzählung, um einem Ereignis einen erkennbaren Grund zu verleihen.
  2. Spieltäuschung (ludic fallacy): Der Glaube daran, dass der strukturierte Zufall, wie er in Spielen anzutreffen ist, dem unstrukturierten Zufall im Leben gleicht. Taleb beanstandet Modelle der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie wie den Random Walk.
  3. Statistisch-regressive Täuschung (statistical regress fallacy): Der Glaube, dass sich das Wesen einer Zufallsverteilung aus einer Messreihe erschließen lässt.

Er postuliert auch eine "dreifache Eintrübung" (triplet of opacity) auf die Geschichte und ihre Auswirkung auf die Gegenwart:

  1. die Illusion, gegenwärtige Ereignisse zu verstehen
  2. die rückblickende Verzerrung von historischen Ereignissen
  3. die Überschätzung von Sachinformation, kombiniert mit einer Überbewertung der intellektuellen Elite

Taleb, ein Anti-Platonist, glaubt, dass Universitäten sich besser auf Öffentlichkeitsarbeit verstehen als auf das Schaffen von Wissen. Wissen und Technologie werden ihm zufolge durch „stochastische Bastelei“ geschaffen und kaum je durch zielgerichtete Forschung. [3] [4] paragraphs 32 & 33 & 54

Taleb stellt sich gegen bedeutende Theorien der Sozialwissenschaften. Er unterstützt Experimente und das Sammeln von Fakten, aber lehnt es ab, daraus verallgemeinerte platonische Theorien zu bilden, die sich nicht auf harte Fakten stützen.

Im Einklang mit seinem Anti-Platonismus mag es Taleb nicht, wenn seine Ideen „Theorien“ genannt werden. Da er sich gegen allgemeine Theories und Top-down-Konzepte stellt, verwendet er nie das Wort „Theorie“ in Verbindung mit dem „schwarzen Schwan“. Der Ausdruck Black Swan theory ist für ihn ein Widerspruch in sich, und er fordert von seinen Lesern, den „schwarzen Schwan“ nicht zu „platonifizieren“. Vielmehr würde er Taleb seine Idee als „Anti-Theorie“ oder „Schwarze-Schwan-Vermutung“ (Black Swan conjecture) bezeichnen.

Er lehnt die akademische Aura rund um Wirtschaftstheorien ab. Seiner Meinung nach leiden sie unter dem Problem der „Platonizität“. In einem Artikel mit dem Titel „The pseudo-science hurting markets“, (Die marktschädigende Pseudowissenschaft) ruft Taleb dazu auf, den Wirtschaftsnobelpreis abzuschaffen und legt dar, dass durch Wirtschaftstheorien ein gewaltiger Schaden angerichtet werden kann.

Warnung vor einer globalen Finanzkrise

In seinem im April 2007 publizierten Buch Der schwarze Schwan warnt er von den Gefahren, die durch die Konzentration und gegenseitige Abhängigkeiten im Bankenwesen geschaffen werden. Er sah insbesondere Institutionen wie Fannie Mae einem extremen Risiko ausgesetzt und kritisierte Wissenschaftler, welche dieses Risiko herunterspielten. Durch die Finanzkrise ab 2007 sieht er sich in seinen Aussagen bestätigt[13]. Die nach seinen Strategien geführten Anlagen warfen im Verlauf der Finanzkrise massive Gewinne ab[14].

Werk

Wichtigste Buchveröffentlichungen

  • Nassim Nicholas Taleb: Narren des Zufalls: Die verborgene Rolle des Glücks an den Finanzmärkten und im Rest des Lebens. Wiley-VCH 2001/2008, ISBN 978-3-527-50432-9
  • Nassim Nicholas Taleb: Der schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Hanser Wirtschaft 2008, ISBN 978-3-446-41568-3

Auswahl wissenschaftlicher Publikationen

Zusammenarbeit

  • Taleb arbeitet mit Benoit Mandelbrot an einer Theorie des Risikomanagements.[15]
  • Zusammen mit Daniel Goldstein arbeitet Taleb an einem Projekt, das empirisch die Intuition von Leuten gegenüber ökologischer und folgenreicher Ungewissheit testet.[16]
  • Taleb ist Mitglied der Zurich.Minds Community.

Auszeichnungen

Taleb erhielt im Februar 2001 einen Platz in der Derivatives Hall of Fame.[17]

2007 gewann Taleb den GetAbstract International Book Award. Zu den früheren Preisträgern gehören Benoit Mandelbrot, Malcolm Gladwell, Robert Shiller und Chris Anderson.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman zählt Taleb zu den weltweit bedeutendsten Intellektuellen und lobt sein Buch Der schwarze Schwan[18]

Kritik

Talebs Vorbringen, dass sich Statistiker als Pseudowissenschaftler herausstellten, sobald finanzielle Risiken auftauchen, weil dann die Statistiker versuchten, ihre mangelnde Kompetenz durch komplizierte mathematische Gleichungen zu verdecken, hat allgemein Kritik von Statistikern hervorgerufen. Dabei hat die US-Statistiker-Vereinigung insbesondere Talebs Schreibstil und dessen Bezugnahme auf die statistische Literatur angegriffen. Robert Lund meint, dass "Black Swan" manchmal "unbekümmert vorgeht und zu großartigen Übertreibungen neigt; der berufsmäßige Statistiker wird das Buch für universell naiv halten"[19]. Für Aaron Brown steht fest, als ob "Taleb nie etwas von nicht-parametrischen Methoden, Datenanalysen, Visualisierungsinstrumenten oder belastbaren Schätzungen gehört habe[20]. Westfall und Hilbe beklagen trotz ihres Lobes, dass Talebs Kritik "oftmals unzutreffend und manchmal unerhört ist. Sein Buch liest sich wie die Unterhaltung eines Erzählers anstatt einer straff argumentierenden wissenschaftlichen Arbeit"[21].

Einzelnachweise

  1. Nassim Nicholas Taleb: the prophet of boom and doom, Bryan Appleyard, The Sunday Times, 1. Juni 2008
  2. The Risk Maverick, Stephanie Baker-Said, Bloomberg L.P., Mai 2008
  3. Nassim Nicholas Taleb at The Sunday Times Oxford Literary Festival, Susannah Herbert, The Times Online, 2. April 2008
  4. Straight From the Black Swan’s Mouth, Stephen J. Dubner, The New York Times, 21. Mai 2007
  5. Bio Taleb (2006). Abgerufen am 17. Oktober 2006.
  6. Learning to Expect the Unexpected (2006). Abgerufen am 19. September 2006.
  7. French Thesis Database. Abgerufen am 12. Oktober 2008. ]
  8. [1],
  9. Nassim Talebs Website (2006). Abgerufen am 19. September 2006.
  10. Stone, Amey. „Profiting from the Unexpected “, News Analysis, Businessweek, 24. Oktober 2005. Zugriff am 19. September 2006. 
  11. Kolman, Joe. „The World According to Nassim Taleb “, Derivatives Strategy magazine, Dezember/Januar 1997. Zugriff am 19. September 2006. 
  12. Prof. Nassim Nicholas Taleb - Running with Randomness. Isenberg School of Management. University of Massachusetts Amherst (1. Februar 2006). Abgerufen am 19. September 2006.
  13. The Black Swan: Quotes & Warnings that the Imbeciles Chose to Ignore
  14. [2], Stephanie Baker-Said, Bloomberg L.P., 14. Oktober 2008
  15. Benoit Mandelbrot, Nassim Taleb. „A focus on the exceptions that prove the rule “, Financial Times, 23. März 2006. Zugriff am 5. Juni 2007. 
  16. D. G. Goldstein, N. N. Taleb: We don't quite know what we are talking about when we talk about volatility. In: Journal of Portfolio Management. Im Druck. 
  17. 2000 Hall of Fame. Derivatives Strategy magazine (März 2000). Abgerufen am 19. September 2006.
  18. Daniel Kahneman choice for naming an influential intellectual
  19. Robert Lund, "Revenge of the White Swan", 2007, in: American Statstician 61(4), Seite 189-192
  20. Aaron Brown, "Strong language on Black Swans", in: American Statistician 61(3), Seite 195-197
  21. P. Westfall und J. Hilbe, "The Black Swan: Praise and Criticism", in: The American Statistician 61(3), Seite 193-194

Siehe auch

Weblinks


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