Naturfaserverbundwerkstoff

Naturfaserverbundwerkstoff
Türinnenverkleidung aus hanffaserverstärktem Kunststoff (Matrix Polyethylen PE)

Naturfaserverstärkter Kunststoff, kurz NFK, ist ein Faser-Kunststoff-Verbund aus einem Kunststoff (z. B. Polyesterharz, Epoxidharz oder Polyamid) und Naturfasern. Er wird sowohl als langfaserverstärkter als auch als kurzfaserverstärkter Kunststoff eingesetzt. Naturfaserverstärkte Kunststoffe erhalten über die eingearbeiteten Naturfasern eine Stabilität, die ohne sie nicht möglich wäre. Der Hauptanwendungsbereich liegt im Fahrzeugbau, vor allem in der Konstruktion von Verkleidungsbauteilen im Fahrzeuginneren.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Trabant 601

Naturfaserverstärkte Kunststoffe wurden erstmals in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Form von Naturfaserverbundwerkstoffen in chemischen Bindemitteln wie Phenolharzen eingesetzt. 1941 stellte der Automobilbauer Henry Ford ein Auto mit einer Karosserie aus harzgebundenen Hanffaser, das Hemp Car, vor. Bis in die 1980er Jahre wurden vor allem duroplastische Werkstoffe aus Holz- und Baumwollfasern als Materialien im Automobilbau eingesetzt. Während diese international vor allem für Fahrzeugteile im Innenausbau verwendet wurden, bildeten sie beim Trabant der DDR das Material für die gesamte Karosserie. Auch die Fahrerkabinen von LKW bestehen international zur Gewichtsersparnis aus Baumwollfaserwerkstoffen in Phenolharzeinbettung.

Heute bestehen viele Bauteile im Innenraum von PKW aus naturfaserverstärkten Kunststoffen, darunter beispielsweise Türinnenverkleidungen, Bauteile des Armaturenbretts, Säulenverkleidungen und andere. Dabei werden heute unterschiedliche Fasern wie Hanf- und Flachs, Abacá und weiterhin Baumwolle und Holz eingesetzt, als Matrix dienen Kunststoffe wie Polypropylen und Polyethylen.

Eingesetzte Materialien

Polymere

Prinzipiell wird bei den Polymeren zwischen duroplastischen und thermoplastischen Kunstoffen unterschieden. Beiden ist jedoch gemein, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, auftretende Lasten gleichmäβig auf das Verstärkungselement, die Naturfaser, zu übertragen. Dafür ist eine gute Anbindung zwischen Faser und Matrix Grundvoraaussetzung. In Naturfaserverbundwerkstoffen ist es oftmal schwierig diese Anbindung zu gewährleisten, da die Naturfasern, bedingt durch ihre Hydrophilität, die auf die groβe Zahl an Hydroxylgruppen der Cellulose zurückzuführen ist, oftmals nur schwache Wechselwirkungen mit den Polymeren zulassen. Eine schlechte Haftung zwischen Polymer und Faser führt aber zu deutlich schlechtern mechanischen Eigenschaften des Verbundwerkstoffes. Auf Grund dessen werden den meisten Polymeren sogennante Haftvermittler zugesetzt, die starke chemische Bindungen sowohl mit dem Kunststoff als auch mit der Naturfaser ausbilden können.

Duroplasten zeichnen sich durch eine irreversible, starke Vernetzung der einzelnen Moleküle. Unter Temperatureinwirkung erweichen sie nicht sondern beginnen sich zu zersetzten, dadurch sind naturfaserverstärkte duroplastische Werkstoffe in der Regel nicht rezyklierbar und können deshalb nur thermisch weiterverwertet werden. Die am häufigsten eingesetzten Polymere sind Phenol- und Epoxidharze.

Thermoplastische Kunststoffe verformen sich unter Temperatureinfluss, wodurch der Prozess des Schmelzens und Verfestigen reversibel wird und die Werkstoffe umformbar und rezyklierbar werden. Die am häufigsten eingesetzten thermoplastischen Kunststoffe sind Polypropylen und Polyethylen, Polystyren, Polycarbonat und Polyamide.

Naturfasern

Ein Vielzahl von verschieden Naturfasern können für die Produktion von naturfaserverbundwerkstoffen eingesetzt werden. Die Fasern unterscheiden sich teilweise drastisch sowohl in Form und Länge, als auch in chemischer Zusammensetzung und mechanischen Eigenschaften. Dies wiederum hat groβen Einfluss auf die Verarbeitungsmöglichkeiten der Fasern und auf die Eigenschaften der Verbundwerkstoffe.

Die am häufigsten für die Produktion von Faserverbundwerkstoffen eingesetzten Fasern sind die heimischen Flachs- und Hanffasern, sowie subtropsiche und tropische Fasern wei zum Beispiel Jute, Kenaf, Ramie oder Sisal. Es ist aber auch möglich Celluloseregeneratfasern einzusetzten. Auch Holzfasern werden als Füll- und Verstärkungsmaterial eingesetzt. Eine besondere Rolle kommt hier den sogennanten Wood-Plastic-Composites zu, da sie eine Klasse innerhalb der naturfaserverstärkten Kunststoffe bilden.

Biopolymere

In den letzten Jahren wurde Forschung im Bereich der Biopolymere stark intensiviert. Durch den Einsatz dieser Kunststoffe lassen sich medizinisch unbedenkliche, biologisch abbaubare Verbundwerkstoffe herstellen, die oftmals vergleichbare Eigenschaften aufweisen wie natur- und glasfaserverstärkte erdölbasierte Polymere.

Mittlerweile sind eine Vielzahl von sowohl duroplastischen als auch thermoplastischen Polymeren verfügbar, die sich als Matrix für Verbundwerkstoffe einsetzten lassen. Einer der am häufigsten eingesetzten Biokunstoffe, ist das aus Maisstärke hergestellte PLA. Diese Polymere liegen preislich allerdings in dem meisten Fällen deutlich überhalb der erölbasierten Kunststoffe, weshalb deutlich seltener für industrielle Zwecke eingesetzt werden.

Verarbeitung

Da sich die Naturfasern deutlich von glas- und Carbonfasern unterscheiden, ist es oftmals nötig die gängigen Herstellungsverfahren für Faserverbundwerkstoffe den Besonderheiten der Naturfasern anzupassen.

Dazu gehören zum Beispiel ihre begrenzte thermische Stabiltät, was auch die Auswahl der möglichen thermoplastischen Kunststoffe stark eingrenzt, und ihre starke Hydrophilität. Dennoch ist es heutzutage, durch Anpassungen existierender und Herstellungsverfahren und die Entwicklung neuer Prozesse, möglich Naturfaserverbundwerkstoffe mit einer Vielzahl verschiedener Verfahren zu verarbeiten. Eines der wichtigsten Verarbeitungsverfahren für NFK ist das Formpressen, bei dem Fasermatten zur Herstellung der Bauteile verwendet werden und sowohl thermoplastische als auch duroplastische Kunststoffe eingesetzt werden können. Zu den neueren Verarbeitungsverfahren, denen groβe Wachstumschancen eingeräumt werden, zählen der Naturfaser-Spritzguss und das Extrusionsverfahren. Weitere Verfahren für die Verarbeitung von NFK sind Pultrusion, RTM oder auch SMC.

Eigenschaften

Naturfaserverbundwerkstoffe besitzen eine Reihe von Eigenschaften die sich als Werkstoff interessant machen.

So verfügen die Naturfasern in der Regel über eine deutlich geringere Dichte als Glasfasern oder mineralische Füllstoffe, was, bei einem entsprechend hohen Faservolumenanteil, zu einder deutlichen Gewichtsersparnis eines Bauteils führen kann. Da die Naturfasern aber auch hohe Steifigkeiten und Festigkeiten aufweisen, ergibt sich so ein groβes Substitutionspotential für glasfaserverstärkte und gefüllte Kunststoffe. Ein groβes Problem dieser Werkstoffe ist allerdings ihre oft relativ geringe Schlagzähigkeit, welche sich aber durch den Zusatz von Naturfasern mit hoher Dehnfähigkeit verbessertn lässt.

Des Weiteren sind die Naturfasern und somit auch die Verbundwerkstoffe aus medizinischer Sicht deutlich unbedenklicher, was zu einer verbesserten Arbeitssicherheit führt. Naturfaserverbundwerkstoffe weisen auch eine deutliche geringere Splitterneigung als glasfaserverstärkte Kunststoffe auf.

Da Naturfasern unabhängig vom stark schwankenden Erdölpreis und relativ preisstabil sind ergibt eine deutlich bessere Planbarkeit was die Herstellungskosten dieser Werkstoffe angeht. Zu dem benötigen die Naturfasern deutlich weniger Energie in der Herstellung als Glas- oder Carbonfasern, was neben niedrigeren Herstellungskosten auch zu einer deutlich verbesserten CO2-Bilanz der Werkstoffe führt, welche zudem noch dadurch begünstigt wird, dass Naturfasern fast CO2-neutral und rückstanndsfrei verbrennen.

Neben dem arbeitsmedizinsichen Aspekt ergeben sich noch weitere Vorteile bei der Verarbeitung dieser Werkstoffe. So verursachen die Naturfasern eine deutliche geringere Abrasion im Werkzeug und durch die notwendige Reduktion der Verarbeitungstemperaturen verkürzen sich die Zykluszeiten in der Produktion und der Energieverbrauch ist geringer.

Anwendung

Haupteinsatzgebiet sowohl für thermoplastische, als auch für duroplastische Naturfaserverbundwerkstoffe ist die Automobilindustrie.

In den Jahren von 1999 bis 2005 wurde ein eine Steigerung des Materialeinsatzes von 15.000 t Material auf 30.000 t in der deutschen Automobilindustrie erfasst, was eine durchschnittliche Menge von etwa 3,6 kg NFK pro PKW ergibt [1]. Naturfaserverbundwerkstoffe werden von praktisch allen namhaften Automobilherstellern eingesetzt. Typische Einsatzgebiete sind neben der Türinnenverkleidung, auch Dachhimmel, Armaturenbretter oder auch Hutablagen.


Die Menge der eingesetzen naturfaserverstärkten Kunststoffe für nicht-automobile Anwendungen beläuft sich in Deutschland auf etwa 2.000 Tonnen[1]. Da die Anwendungen dieser Werkstoffe aber nicht immer aktiv bekannt gemacht wird, ist es schwierig alle Produkte die NFK beinhalten zu erfassen. Zu den bekannsten Anwendungen zählen eine Schleifscheibenträger aus Polypropylen und Hanf, Urnen, eine Handyoberschale, diverse Verpackungsmaterialien, Kinderspielzeug, Koffer oder auch Möbel.

Einzelnachweise

  1. a b Michael Carus, Christian Gahle, Cezar Pendarovski, Dominik Vogt, Sven Ortmann, Franjo Grotenhermen, Thomas Breuer, Christine Schmidt: “Studie zur Markt- und Konkurrenzsituation bei Naturfasern und Naturfaserwerkstoffen (Deutschland und EU)” Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR), 2008


Literatur

  • Michael Karus, Sven Ortmann, Dominik Vogt, Jörg Müssig: Naturfaserverstärkte Kunststoffe. Pflanzen - Rohstoffe, Produkte. Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V., Gülzow 2006 (PDF-Download)
  • Jörg Müssig, Michael Carus: Bio-Polymerwerkstoffe sowie holz- und naturfaserverstärkte Kunststoffe. In: Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe Teil II. Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V., Gülzow 2007 (PDF-Download)
  • A. K. Bledzki, O. Faruk, V. E. Sperber, "Cars from Bio-Fibres." Macromolecular Materials and Engineering Ausgabe 291, 2006, S. 449-457
  • Kim L. Pickering (Hrsg.): „Properties and performance of natural-fibre composites“, Woodhead Publishing Limited, Cambridge, 2008, ISBN 978-1-84569-267-4
  • Amar K. Mohanty, Manjusri Misra, Lawrence T. Drzal, (Hrsg.): “Natural fibers, biopolymers, and biocomposites”, Taylor & Francis Group, Boca Ranton, FL 2005, ISBN 084931741X
  • Tim Huber, Jörg Müssig, Erwin Baur, Frank Otremba: “Verstärkung aus der Natur”, Kunststoffe, 2008, Ausgabe 98 (7), Seiten 97-101
  • nova (Hrsg.): „Produktkatalog Naturfaser-Spritzguss“, Hürth: nova-Institut GmbH, 2007, (ISBN 978-3-9805840-9-8), S. 10 – 13
  • K. Van de Velde, P. Kiekens, „Material Properties, Biopolymers: overview of several properties and consequences on their applications“, Polymer Testing Ausgabe 21, 2002, S. 433–442
  • P.A. Fowler, J.M. Hughes & R.M Elias, “Review Biocomposites: technology, environmental credentials and market forces”, Journal of the Science of the Food and Agriculture Ausgabe 86, 2006, S. 1781-1789

Web-Links

Informationsportal zu Naturfaserverbundwerkstoffen


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