Nelly Kröger-Mann

Nelly Kröger-Mann
Grab Heinrich Manns mit Gedenktafel für seine Frau Nelly auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin

Nelly Mann (geb. Emmy Johanna Westphal, auch Nelly Kröger; * 15. Februar 1898 in Ahrensbök; † 17. Dezember 1944 in Los Angeles) kam aus einfachsten sozialen Verhältnissen und geriet durch ihre Verbindung mit dem Schriftsteller Heinrich Mann in die betont standesbewusste Familie um den Nobelpreisträger Thomas Mann. Sie scheiterte in ihrem Kampf um Selbstbehauptung und Anerkennung in diesem großbürgerlich-intellektuellen Umfeld.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft

Vor dem Standesbeamten in Ahrensbök nahe Lübeck, damals zum Großherzogtum Oldenburg, heute zum Kreis Ostholstein gehörig, gab eine Hebamme zu Protokoll „daß von der unverehelichten Dienstmagd Bertha Margaretha Elise Westphal, evangelischer Religion, am 15. Februar des Jahres 1898 ein Kind weiblichen Geschlechts geboren worden sei, welches die Vornamen Emmy Johanna erhalten habe.“[1] Als wahrscheinlicher Vater galt lange Zeit der Viehhändler Noah Troplowitz, aus Oberschlesien zugezogen, bei dem die Mutter in Dienst stand; eine neuere Biografie vermutet als Vater einen Landbriefträger, der Ahrensbök und Umgebung mit Post versorgte. Für beide Annahmen lassen sich Indizien anführen, aber keine Beweise finden. Nach Volksschulabschluss und einer Lehre als Näherin nahm das Mädchen Emmy den eher zeitgemäßen Rufnamen Nelly an. Ihre Mutter zog nach Niendorf an der Lübecker Bucht, um dort den Fischer Nicolaus Wilhelm Heinrich Kröger zu heiraten. Nelly bekam dadurch zu ihrer einen Schwester noch vier Halbgeschwister. Am 30. Dezember 1920 wurde sie in einer standesamtlichen Erklärung „einbenannt“, das heißt: Kröger erklärte, dass die Tochter seiner Frau seinen Namen tragen dürfe.[2] Eine Adoption im juristischen Sinne war das nicht. Seither wird der Name Kröger oft, aber unzutreffend als Nellys Geburtsname genannt.

Leben in Berlin

Bald darauf verließ Nelly Niendorf in Richtung Berlin. Sie fand eine Schlafstelle in der Invalidenstraße und Arbeit in einer der zahlreichen Konfektionswerkstätten im Osten der Stadt. Danach mietete sie ein möbliertes Zimmer im bürgerlichen Stadtteil Charlottenburg, Kantstraße 156 gegenüber dem Tanzpalast Delphi – so erinnert sich ihr Halbbruder Walter, der sie in Berlin besuchte, dem sie auch die Arbeiterviertel der Stadt zeigte und ihre politisch linke Gesinnung erklärte. 1925 heiratete sie einen zweifelhaften jungen Bankier namens Werner Schmidt, ein unerwünschtes Kind wurde wahrscheinlich weggegeben, die Ehe rasch wieder geschieden; auch diese Episode ist nur unzulänglich belegt.[1] Eine Freundin überredete Nelly, in einer Bar als Animierdame zu arbeiten – ungewiss ist, ob es sich um die Bajadere in der Kleiststraße oder die Kakadu-Bar in der Joachimstaler Straße handelte. Als attraktive Erscheinung – großgewachsen, blond und vollschlank – war sie in ihrem neuen Beruf durchaus erfolgreich.

1929 entwickelte sich eine enge Beziehung zu einem regelmäßigen Barbesucher, einem wesentlich älteren Herrn von annähernd 60 Jahren. Heinrich Mann war 1928 nach Berlin gezogen, nachdem er sich von seiner Frau Maria Kanová, einer tschechischen Schauspielerin, getrennt hatte; 1930 wurde die Ehe geschieden. Er wohnte nicht weit entfernt von Nellys Arbeitsstelle: Uhlandstraße 126, eine großbürgerliche Wohngegend. Als Schriftsteller war er längst weithin anerkannt und kommerziell erfolgreich, etwa durch den Roman Der Untertan von 1914. Der weltweit gefeierte Film Der blaue Engel mit Marlene Dietrich entstand nach einem früheren Werk Heinrich Manns, dem Roman Professor Unrat von 1904 und wurde 1930 uraufgeführt. 1931 wurde der Autor zum Präsidenten der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste berufen. Der konservative Dichter und Essayist Gottfried Benn lobte ihn („der Meister, der uns alle schuf“), die politisch links orientierte Zeitschrift Die Weltbühne schlug sogar vor, ihn im April 1932 zum Reichspräsidenten zu wählen. Trotz der krassen sozialen Unterschiede gab es zwischen Nelly Kröger und Heinrich Mann einige Gemeinsamkeiten: beide stammten aus Lübeck oder seiner Umgebung, beide hatten ähnliche politische Überzeugungen und beide fanden offenbar das fremde Milieu des jeweils anderen sehr reizvoll.

Nelly hatte einen Liebhaber, von dem Heinrich Mann auch wusste - es entstand ein klassisches Dreiecksverhältnis. Rudi Carius war Kommunist; als bekannter, aktiver KPD-Genosse und entschiedener Gegner der Nationalsozialisten wurde er gesucht und musste sich gleich nach deren Machtergreifung am 30. Januar 1933 verstecken.

Auch Heinrich Mann musste sich bedroht fühlen. Noch im Februar 1933 erschien an den Litfaßsäulen ein Plakat mit dem Dringenden Appell zur Bildung einer Aktionseinheit von SPD und KPD gegen die NSDAP, unterzeichnet von Heinrich Mann, Käthe Kollwitz, Albert Einstein und anderen; der gleiche Appell war vor der Reichstagswahl im Juli 1932 schon einmal veröffentlicht worden - in beiden Fällen bekanntlich erfolglos. Am 21. Februar verließ Heinrich Mann fluchtartig Berlin und Deutschland, reiste nach Sanary-sur-Mer an der französischen Mittelmeerküste - vorübergehend Zufluchtsort einer ganzen Reihe von emigrierten deutschen und österreichischen Intellektuellen - und weiter nach Nizza.

Emigration

Südfrankreich

Nelly blieb zunächst in Berlin und traf sich mehrmals heimlich mit Rudi Carius, der in der Stadt untergetaucht war. Schließlich verabredeten sich beide zur gemeinsamen Flucht und gelangten mit Hilfe von Nellys Stiefvater Kröger von Saßnitz nach Dänemark und von dort über Le Havre nach Nizza. Nelly lebte mit Heinrich Mann zusammen in dessen Wohnung an der Promenade des Anglais. Rudi Carius wohnte in einem kleinen Hotel in der Nähe und nahm später auf Seiten der Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco teil. Danach war er in einem französischen Lager interniert, wurde an Nazi-Deutschland ausgeliefert und war bis 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesperrt. Nach der Befreiung lebte er in der DDR, wo er 1971 verstarb. Unter deutschen Emigranten in Nizza – Treffpunkt war das Café Monnod an der Place Masséna – wurde Nelly nicht als unebenbürtige Geliebte eines bedeutenden Autors behandelt, sondern vor allem als Erzählerin guter Geschichten geschätzt, erinnerte sich der Schriftsteller Hermann Kesten. Dessen Mutter urteilte: „Diese Nelly ist ein tapferes Mädchen mit dem Sinn fürs Gute. Sie hat falsch begonnen und sie wird vielleicht auch falsch enden, aber dazwischen lebt sie goldrichtig; wer einen solchen Mann gewinnt, muss sehr liebenswert sein oder sehr heftig lieben.“[3]

In Nizza verfügte Heinrich Mann noch über ausreichend Geld für ein angenehmes Leben. Er schrieb die beiden Bände über Jugend und Vollendung des Königs „Henri Quatre“, eines seiner Hauptwerke, und engagierte sich in zahlreichen Publikationen für den Kampf aller demokratischen Kräfte gegen den Faschismus. Dazu pflegte er Kontakte mit anderen Emigranten, auch mit der Familie seines Bruders Thomas, die sich Nelly gegenüber beleidigend ablehnend verhielt (Thomas Mann bezeichnete sie als „die schreckliche Trulle“ und “eine arge Hur“, seine Frau Katia nannte sie nur „das Stück“). Bei alledem fand er wenig Zeit für Nelly. Sie begann zu trinken und unternahm zwei Selbstmordversuche. Am 9. September 1939, acht Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, beurkundete ein französischer Standesbeamter in Nizza die Eheschließung von Heinrich Mann – 1933 aus Deutschland ausgebürgert, aber seit 1936 tschechoslowakischer Staatsbürger, wie auch sein Bruder Thomas – mit Emmy Johanna Kröger, staatenlos und ohne Beruf.

Im Frühsommer 1940 war Frankreich besiegt. Die Nordhälfte des Landes war von der deutschen Wehrmacht besetzt, Südfrankreich stand unter der Verwaltung der Vichy-Regierung, die mit dem Besatzungsregime kollaborierte. Für die deutschen Emigranten wurde die Situation bedrohlich. Am 12. September 1940 brachen die drei Ehepaare Franz und Alma Werfel, Lion und Marta Feuchtwanger sowie Heinrich und Nelly Mann, dazu Golo Mann, der Sohn Thomas´, zur Flucht über die Pyrenäen auf. Varian Fry, ein US-amerikanischer Helfer vom Emergency Rescue Committee, begleitete sie. Über Perpignan ging es zum spanisch-französischen Grenzort Cerbère, dann mühsam über steile Fußpfade nach Spanien. Heinrich Mann, inzwischen 69 Jahre alt, musste von Nelly gestützt werden; rückblickend war er sicher, dass er den Weg ohne ihre Hilfe nicht bewältigt hätte. Die nächsten Stationen waren Madrid und Lissabon, von dort führte die Reise mit einer der letzten verfügbaren Schiffspassagen nach New York City, schließlich nach Hollywood.

Kalifornien

In den Filmstudios fand Heinrich Mann schlecht bezahlte Beschäftigung als script writer (wie auch die emigrierten Autoren Feuchtwanger und Alfred Döblin), schrieb Unverkäufliches, befand sich materiell und psychisch bald in Schwierigkeiten. Von seinem weit erfolgreicheren Bruder Thomas wurde er finanziell unterstützt. Der, wie die ganze Familie Mann, behandelte Nelly nach wie vor herablassend und riet Heinrich zu schneller Trennung. Nelly tippte inzwischen Manuskripte ab, geriet in persönliche Streitereien, wurde öffentlich als Alkoholikerin und Anhängerin des Nationalsozialismus denunziert. Katia Mann hätte ihr wohl helfen können, tat dies aber nicht. Nelly fand 1941: „Jetzt sind wir auf dem Gefrierpunkt“ - das Haus Thomas Mann sei an allem schuld. Sie trug nach Kräften zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei, arbeitete in einer Klinik – wahrscheinlich als Nachtschwester, nach anderer Quelle als Tellerwäscherin -, entwickelte unter der Last finanzieller Probleme, der Sorge um ihren altersschwachen Mann und der Ablehnung durch die Familie aber auch paranoide Züge. Nach einem eher harmlosen Verkehrsdelikt unter Alkoholeinfluss drohte eine Gerichtsverhandlung, sie unternahm erneut einen Selbstmordversuch und wurde danach in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen.

Aus dem Krankenhaus schrieb sie am 30. Januar 1944:

„Lieber Heinrich, bedenke, als Du krank warst,… ich habe Dich auch nicht in eine Anstalt gebracht… Ich kann nicht denken an das, was ich die letzten zwei Jahre gelitten habe, und nur weil ich in meiner tiefsten Demütigung ein Glas Wein zu viel getrunken habe und oft betrunken war, habe ich nicht ganz meinen Verstand verloren. Nun will ich leben! Es ist ganz an Dir, daß wir in Güte und ohne noch mehr Aufsehen zu machen diese Angelegenheit ordnen. Sonst zwingst Du mich, etwas zu tun, was Dir bestimmt… leid tut.“

Knapp ein Jahr später, am 17. Dezember 1944, nahm sie sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben, „…man muss leider sagen, zum Glück“, kommentierte Golo Mann das Ereignis[1] Heinrich Mann berichtete in einem Brief an einen Freund: „Sie starb in der Ambulanz… Dieses letzte Jahr war Jammer und Schrecken… Personen, die nichts wissen, versuchen mir anzudeuten, es sei besser so… Nein. Zurückkehren an Orte, wo ich sie hatte und bringe sie nicht mehr mit? Ich verlasse kaum noch die Wohnung, die doch ihre war.“[4] Er starb fünf Jahre später, beide wurden auf dem Friedhof in Santa Monica beigesetzt. 1961 wurde allein seine Urne nach Berlin überführt, und auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in der Chausseestraße beigesetzt. Am Fuß einer Stele mit der Porträtplastik des Schriftstellers erinnert eine kleine Gedenktafel, nachträglich angebracht, an „Nelly Mann, geb. Kröger“; auch hier wird also nicht der richtige Geburtsname genannt.

Literarische Spuren

Nellys Biographie bis zur Begegnung mit Heinrich Mann wird in dessen Roman Ein ernstes Leben von 1932 weitgehend zutreffend wiedergegeben, allerdings ohne die uneheliche Geburt zu erwähnen. Hermann Kesten erinnerte sich, dass Nelly ihm 1937 erzählte, sie habe ihr Leben auf Heinrich Manns Drängen aufgeschrieben, der habe das Manuskript gelesen, sehr gelobt und danach ins Kaminfeuer geworfen: „Dann… setzte sich der Heinrich hin und schrieb mein ganzes Buch noch einmal.“ Heinrich Mann äußerte dazu im Dezember 1944, kurz nach Nellys Tod: „Ein ernstes Leben ist ein Werk, das mehr oder weniger der Roman meiner geliebten Verstorbenen ist.“ Nelly Mann gilt auch als Vorbild für die literarische Figur der Gabrielle d’Estrées, die „reizende Gabrielle“, Geliebte des Königs Heinrich IV. in Heinrich Manns Roman Henri Quatre.

Literatur

  • Kirsten Jüngling: „Ich bin doch nicht nur schlecht.“ Nelly Mann. Die Biografie. Propyläen, Berlin 2008, ISBN 978-3-549-07269-1.
  • Joachim Seyppel: Abschied von Europa: Die Geschichte von Heinrich und Nelly Mann, dargestellt durch Peter Aschenbach und Georgiewa Mühlenhaupt. Aufbau-Verlag, Berlin/Weimar 1979.

Weblinks

Fußnoten

  1. a b c Berliner Zeitung: Das schwarze Schaf der Familie, 1. Dezember 2001
  2. suite101.de: Das Leben der Nelly Mann: Das komplizierte Sein an der Seite des berühmten Heinrich Mann, 28. Februar 2008
  3. Kalenderblatt in Bayern 2: Nelly Kroeger und Heinrich Mann fliehen um ihr Leben, 12. September 2002
  4. Biografie von Nelly Mann-Kröger auf FemBio

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