Neuroethologie

Neuroethologie

Die Neuroethologie (Verhaltensneurologie; gelegentlich auch noch: Verhaltensphysiologie) ist ein junges Teilgebiet der Biologie und verbindet die Methoden der Verhaltensforschung mit denen der Neurologie, der Neurobiologie und der Sinnesphysiologie.[1] Frühe Vertreter der Verhaltensphysiologie waren Karl von Frisch und Erich von Holst.

Untersucht werden in diesem Fachgebiet - heute in der Regel auf der Ebene einzelner Zellen oder kleinstmöglicher Zellgruppen - die Mechanismen, mit deren Hilfe Nervensysteme Verhalten erzeugen und kontrollieren.[2] Hierzu gehört u.a. die Aufnahme von Reizen aus der Umwelt (zum Beispiel Licht, chemische Signale, Druckreize), deren Weiterleitung ans Zentralnervensystem oder vergleichbare Verarbeitungszentren sowie alle Aspekte der Reaktion auf einen externen Reiz (zum Beispiel Muskelbewegungen, Lautäußerungen, Ausscheidung von Pheromonen).[3] Die Neuroethologie untersucht also die Details aller Elemente des "Schaltplans" von Verhalten einschließlich "Input" und "Output".[4]

Ein typisches Beispiel für derartige Untersuchungen ist heute die Analyse des Verhaltens von Langusten, die unter Wasser über erhebliche Entfernungen hinweg potentielle Nahrung (zum Beispiel tote Tiere) erriechen können und als Modellorganismus für die Analyse von olfaktorischem Verhalten (Riechverhalten) dienen.[5][6] Obwohl die bei Langusten für das Riechen zuständigen Nervenzellen weit weniger komplex verschaltet sind als bei Wirbeltieren, ist über das Zusammenspiel von reizempfindlichen Zellen an ihren Fühlern und an ihren Beinen, den zum Gehirn führenden Nervenzellen sowie der Umsetzung von Sinneseindrücken in zielgerichtete Bewegungen noch wenig bekannt.

Nicht-Wirbeltiere werden von Neuroethologen häufig als Versuchstiere den Wirbeltieren vorgezogen, weil die Analyse von Sinnesleistungen oft zunächst das Ausschalten der reizempfindlichen Organe erforderlich macht, sprich: deren Amputation; Experimente an Langusten oder anderen Krustentieren wecken hierbei regelmäßig weniger Kritik als vergleichbare Experimente an Mäusen oder Ratten. Es zeichnet sich jedoch ein Trend zur Untersuchung neuroethologicher Fragestellungen an Wirbeltieren ab.[7]

1981 wurde anlässlich des an der Universität Kassel von Jörg-Peter Ewert, D. J. Ingle und R. R. Capranica organisierten NATO-Advanced Study Institute Advances in Vertebrate Neuroethology die International Society for Neuroethology (ISN) gegründet. Ihr erster Präsident war Theodore Holmes Bullock. Der erste Kongress der ISN fand 1986 in Tokyo statt.

Neuroethologie Lehrbücher

  • Zupanc, G.K.H. (2004). Behavioral Neurobiology: An Integrative Approach. Oxford University Press. New York.
  • Carew, T.J. (2000) Behavioral Neurobiology: The Cellular Organization of Natural Behavior. Sinauer, Sunderland Mass.
  • Simmons, P., Young, D. (1999) Nerve Cells and Animal Behaviour. 2nd. Edn. Cambridge University Press. New York.
  • Camhi J. (1984) Neuroethology: Nerve Cells and the Natural Behavior of Animals. Sinauer Associates.
  • Guthrie, D. M. (1980) Neuroethology: An Introduction. Wiley, New York.
  • Ewert, J.-P. (1980) Neuroethology: An Introduction to the Neurophysiological Fundamentals of Behavior. Springer-Verlag. New York.
  • Ewert, J.-P. (1976) Neuroethologie: Einführung in die neurophysiologischen Grundlagen des Verhaltens. HT 181. Springer-Verlag Heidelberg, Berlin, New York.
  • Marler, P., Hamilton W.J. (1966) Mechanisms of Animal Behavior. John Wiley & Sons Inc., New York.

Weblinks

  • neuroethology.org International Society for Neuroethology (ISN)
  • Historisches Beispiel einer neuroethologischen Analyse an Erdkröten: Video-1, -2, -3.

Einzelnachweise

  1. Zupanc G.K.H. (2004) The study of animal behavior: a brief history. In: Zupanc G.K.H. Behavioral Neurobiology: An integrative Approach. Oxford Univ. Press, Oxford, pp. 11-34
  2. Nusbaum M., Beennhakker M.P. (2002) A small-systems approach to motor pattern generation. Nature 417: 343-350
  3. Carew T.J. (2000) Sensory worlds. In: Carew T.J. Behavioral Neurobiology. Sinauer, Sunderland MA, pp. 33-124
  4. Bullock T.H. (1999) Neuroethology has pregnant agendas. J. Comp. Physiol. A 185(4): 291-295 [1]
  5. Horner A.J., Weissburg M.J., Derby, C.D. (2004) Dual antennular chemosensory pathways can mediate orientation by Caribbean spiny lobsters in naturalistic flow conditions. J. Exp. Biol. 207: 3785-3796 [2]
  6. Grasso F.W., Basil J. (2002) How lobsters, crayfishes, and crabs locate sources of odor: current perspectives and future directions. Curr. Opin. Neurobiol. 12(6): 721-727 [3]
  7. Heisenberg M. (2008) President’s colums. International Society for Neuroethology, Newsletter, March 2008, p.2 [4]

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Neuroéthologie — L écholocalisation chez les chauves souris est un système modèle en neuroéthologie. La neuroéthologie (du grec νεῦρον neuron, « nerf » et ἦθος ethos, « mœurs ») est une approche évolutionnaire et comparative de l étude du… …   Wikipédia en Français

  • Jörg-Peter Ewert — 1973. Historische Versuchsanordnung zur Ableitung der Antworten eines Neurons aus dem Gehirn einer Erdkröte auf Beute Jörg Peter Ewert (* 1938 in Danzig) ist deutscher Neurophysiologe (Forschungsrichtung Neuroethologie). Von 1973 bis 2006 wirkte… …   Deutsch Wikipedia

  • Verhaltensforscher — Die Verhaltensbiologie ist eine Teildisziplin der Biologie und erforscht das Verhalten der Tiere und des Menschen. Sie beschreibt das Verhalten, stellt Vergleiche zwischen Individuen und Arten an und versucht, das Entstehen bestimmter… …   Deutsch Wikipedia

  • Verhaltensforschung — Die Verhaltensbiologie ist eine Teildisziplin der Biologie und erforscht das Verhalten der Tiere und des Menschen. Sie beschreibt das Verhalten, stellt Vergleiche zwischen Individuen und Arten an und versucht, das Entstehen bestimmter… …   Deutsch Wikipedia

  • Verhaltensbiologie — Die Verhaltensbiologie ist eine Teildisziplin der Biologie und erforscht das Verhalten der Tiere und des Menschen. Sie beschreibt das Verhalten, stellt Vergleiche zwischen Individuen und Arten an und versucht, das Entstehen bestimmter… …   Deutsch Wikipedia

  • Dagmar von Helversen — (* 1944; † 2003; geboren als Dagmar Uhrig) war eine deutsche Biologin. Leben Dagmar Uhrig studierte Biologie an der Ludwig Maximilians Universität München, wo sie promovierte. Nach ihrer Heirat mit Otto von Helversen arbeitete sie von 1971 bis… …   Deutsch Wikipedia

  • Neuroethology — Echolocation in bats is one model system in neuroethology Neuroethology (from Greek νεῦρον neuron nerve and ἦθος ethos habit or custom ) …   Wikipedia

  • Blut-Gehirn-Schranke — Die Blut Hirn Schranke, auch Blut Gehirn Schranke genannt, ist eine bei allen Landwirbeltieren (Tetrapoda) im Gehirn vorhandene physiologische Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem Zentralnervensystem. Sie dient dazu, die Milieubedingungen… …   Deutsch Wikipedia

  • Endotheliale Blut-Hirn-Schranke — Die Blut Hirn Schranke, auch Blut Gehirn Schranke genannt, ist eine bei allen Landwirbeltieren (Tetrapoda) im Gehirn vorhandene physiologische Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem Zentralnervensystem. Sie dient dazu, die Milieubedingungen… …   Deutsch Wikipedia

  • Gliale Blut-Hirn-Schranke — Die Blut Hirn Schranke, auch Blut Gehirn Schranke genannt, ist eine bei allen Landwirbeltieren (Tetrapoda) im Gehirn vorhandene physiologische Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem Zentralnervensystem. Sie dient dazu, die Milieubedingungen… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”