- Neçmettin Erbakan
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Necmettin Erbakan (* 29. Oktober 1926 in Sinop) ist ein türkischer Politiker. Er war mehrfach stellvertretender Ministerpräsident und vom 28. Juni 1996 bis zum 30. Juni 1997 Ministerpräsident der Türkei.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Nach dem Schulbesuch in den Orten Kayseri, Trabzon und Istanbul nahm er das Studium im Fach Maschinenbau auf, welches er an der Universität Istanbul 1948 beendete. Seine Studien setzte er in Aachen fort. 1953 promovierte er an der Technischen Hochschule Aachen zum Thema „Theorie über die Vorgänge bis zur Zündung im Dieselmotor“. Darauf folgte eine Tätigkeit im Bereich der Forschung und als Ingenieur bei der Firma Deutz bei der er an der Entwicklung des Leopard-Panzers beteiligt war.[1] 1965 wurde er Professor an der Technischen Universität Istanbul. Erbakan hat drei Kinder und ist seit 2005 verwitwet.
Politik
1970 gründete Erbakan die erste Partei der Milli Görüş-Bewegung: die Partei der Nationalen Ordnung (Milli Nizam Partisi, MNP). Diese wurde allerdings bereits 1971 wieder verboten. 1973 gründete er die Nationale Heilspartei (Milli Selamet Partisi, MSP), mit der Erbakan von 1974 bis 1978 in drei verschiedenen Koalitionen stellvertretender Ministerpräsident war.
Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 wurde er inhaftiert und 1982 gegen ihn ein erstes zehnjähriges Politikverbot verhängt, das allerdings schon 1987 durch ein Referendum beendet wurde. Im selben Jahr wurde Erbakan zum Vorsitzenden der Wohlfahrtspartei (Refah Partisi, RP) gewählt, mit der er von 1996 bis 1997 Ministerpräsident war. Laut Einschätzung des niedersächsischen Verfassungsschutzes hat Erbakan seine Zeit als Ministerpräsident dazu genutzt, innen- und außenpolitisch die Islamisierung voranzutreiben.[2] Seine Koalitionsregierung geriet mit ihrer Politik schnell in Widerspruch zu der von Kemal Atatürk begründeten laizistischen Staatsdoktrin, als deren Stützen sich vor allem die Militärs sehen. Am 30. Juni 1997 musste er auf Druck der Militärs zurücktreten, die RP wurde verboten und Erbakan erhielt erneut ein fünfjähriges Politikverbot wegen Volksverhetzung.[3]
Danach wurde die Fazilet Partisi gegründet, die allerdings bald wieder geschlossen wurde. Erbakan wurde 2003 Vorsitzender der Saadet Partisi, während sich ein Reformflügel unter Recep Tayyip Erdogan erfolgreich als Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) abspaltete.
Ende 2003 wurde Erbakan im Zusammenhang mit den Parteigeldern der verbotenen RP wegen Betrugs (eine Trillion türkische Lira) und Dokumentenfälschung (139 Fälle) verurteilt und legte deshalb 2004 das Amt des SP Parteivorsitzenden nieder und trat aus der Partei aus; er gilt jedoch noch immer als Führer und maßgeblicher Vordenker der Milli Görüş-Bewegung.[4]
Neben der Verurteilung zu ursprünglich mehr als zwei Jahren Gefängnishaft, deren Antritt Erbakan mehrfach verzögerte und die schließlich durch ein Gesetz der AKP-Regierung 2006 in Hausarrest umgewandelt wurde, wurde Erbakan zur Zahlung von 2,6 Billionen TL (2,6 Millionen YTL) verpflichtet. Bis 2007 waren diese Schulden durch Zinsen auf ca. 12 Billionen (alte) türkische Lira (12 Millionen YTL) angewachsen.[5] Das von Erbakan geforderte Vermögensverzeichnis wurde von der Justizbehörde als unvollständig zurückgewiesen. Laut Zeitungsberichten von 2003 besitzt Erbakan auch eine Yalı am Bosporus im Wert von 17 Millionen US Dollar.[6] Schließlich wurde nach der Konfiskation seiner Sommerresidenzen in Altınoluk, Balıkesir (Provinz) und dreier anderer Häuser[7] auch seine dreimonatliche Pension von 20.000 YTL gepfändet.[8]
Positionen
Erbakan ist davon überzeugt, dass der Islam die einzige Rettung für die Menschheit darstellt, was er für wissenschaftlich und historisch erwiesen hält. Die ideologischen Schlüsselbegriffe „Milli Görüş“ (Nationale Sicht) und „Adil Düzen“ (Gerechte Ordnung) soll Erbakan in die türkisch-islamistische Debatte eingeführt haben, weil in der sich als laizistisch verstehenden Türkei die Propagierung einer „Islamischen Ordnung“ (Nizam Islami) Parteiverbot und strafrechtliche Konsequenzen zur Folge haben könnte. Das Buch „Milli Görüş“, 1973 von Erbakan geschrieben und mit „Nationale Weltsicht“ übersetzt, gilt als MSP Parteiideologie. Erbakan will die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus einen und in der Türkei ein islamistisches Staatswesen errichten. [9]
Mitte der 80er Jahre griff Necmettin Erbakan die von Süleyman Karagülle bereits 1976 entwickelte Ideologie „Adil Düzen“ für das Refah-Parteiprogramm auf und veröffentlichte 1991 das Buch „Adil Ekonomik Düzen“ (Gerechte Wirtschaftsordnung).[10] Erbakan geht von einer zweigeteilten Weltordnung aus: einer so genannten „gerechten“, sich auf dem Islam gründenden „Weltordnung“, die alle weltlichen und religiösen Regelungen des Lebens bestimme. Die westliche Politik bezeichnet er als eine „nichtige“ oder „falsche Ordnung“, da sie nicht auf Gerechtigkeit sondern Macht basiert.[11]
Der Westen werde von „einem rassistischen Imperialismus, das heißt dem Zionismus“ regiert. Dieser sei vor 5765 Jahren durch ein „Zauberbuch mit Namen Kabbala“ entstanden.[12] Erbakan spricht offen von einer angeblichen zionistischen Weltverschwörung und davon, dass der Zionismus alle Kreuzfahrten organisierte, die Sekte des Protestantismus schuf und sie mit der Etablierung der kapitalistischen Ordnung beauftragte.[13]
„Der Zionismus ist ein Glaube und eine Ideologie, dessen Zentrum sich bei den Banken der New Yorker Wallstreet befindet. Die Zionisten glauben, dass sie die tatsächlichen und auserwählten Diener Gottes sind. Ferner sind sie davon überzeugt, dass die anderen Menschen als ihre Sklaven geschaffen wurden. Sie gehen davon aus, dass es ihre Aufgabe ist, die Welt zu beherrschen. Sie verstehen die Ausbeutung der anderen Menschen als Teil ihrer Glaubenswelt. Die Zionisten haben den Imperialismus unter ihre Kontrolle gebracht, und beuten mittels der kapitalistischen Zinswirtschaft die gesamte Menschheit aus. Sie üben ihre Herrschaft mittels imperialistischer Staaten aus.“
– Necmettin Erbakan: Die gerechte Ordnung[14]
Bei der Generalversammlung der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş“ im April 2001 deutete Erbakan eine Islamisierung Europas durch muslimische Einwanderung an. Der Verfassungsschutzbericht zitiert ihn mit den Worten: „Die Europäer glauben, dass die Muslime nur zum Geldverdienen nach Europa gekommen sind. Aber Allah hat einen anderen Plan.“[15]
Die Einschätzung Erbakans „Wir werden ganz sicher an die Macht kommen, ob dies jedoch mit Blutvergießen oder ohne geschieht, ist eine offene Frage“, wertet ein Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung als Beleg für die „Radikalität seiner Bewegung“.[16]
Weblinks
Erbakan und 'the zionist bacteria', 2007
Einzelnachweise
- ↑ Gunnar Köhne: Stunde der Wahrheit für Väterchen „Derca“; Berliner Zeitung vom 8. Juli 1996
Türkischer Islamist der ersten Stunde. Der „Hodscha“ Necmettin Erbakan wird achtzig; FAZ vom 28. Oktober 2006, S. 5 - ↑ Verfassungsschutz NRW über Erbakan
- ↑ Verfassungsschutz NRW über Erbakan
- ↑ Innenministerium NRW über Erbakan
- ↑ „Erbakan'ı faiz yaktı“ www.internethaber.com („Zinsen haben Erbakan ruiniert“ Übersetzung von Vorarlberg Online, 27. Dezember 2007)
- ↑ türkische Tageszeitung Zaman am 4. Juli 2003 zum Thema Villen am Bosporus
- ↑ Erbakan goes bankrupt laut Vatan, Turkish Press Scanner der Turkish Daily News, 16. Juni 2008
- ↑ Erbakan should be pardoned by Yusuf KANLI, TDN, June 17, 2008
- ↑ Hintergrundinformationen Ausländerextremismus Auszug aus dem Verfassungsschutzbericht Berlin 2006, Seite 238
- ↑ Claudia Dantschke, Eberhard Seidel, Ali Yıldırım: Allah ist immer dabei taz vom 2. September 2000
- ↑ Mike Roth: Islamischer Studententag in Hagen. Umstrittene Organisation Milli Görüş wirbt um Nachwuchs; Deutschlandfunk, 2. April 2007; Schaubild zum Geschichtsverständnis von Erbakan in Islamismus – Missbrauch einer Religion; Innenministerium NRW 2005, S. 29; aus: Necmettin Erbakans Adil ekonomik düzen; Ankara 1991, S. 96
- ↑ Tek yol İSLÂM birliği, Milli Gazete, 29. Mai 2006 (türkisch)
Treffen der „Muslimischen Vereinigung“ in Istanbul, Bericht und Übersetzung des Institut für Islamfragen der Evangelischen Allianz, 1. Juni 2006 - ↑ Am 1. Juli 2007 in der Türkei ausgestrahltes Interview mit Erbakan: Video im Milli Görüş-Archiv, englische Übersetzung von Memri, ins Deutsche übersetzte Auszüge: Karl Pfeifer: Von „Bakterien“ und anderen „Zionisten“; Die Jüdische, Ausgabe vom 5. September 2007
- ↑ Innenministerium NRW: Islamismus – Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke; Broschüre des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, 20023; S. 28 (pdf)
- ↑ Verfassungsschutz Bericht 2001, S. 147 (pdf)
- ↑ Wulf Eberhard Schönbohm: Die neue türkische Regierungspartei AKP – islamistisch oder islamisch-demokratisch?; Konrad-Adenauer-Stiftung, Länderberichte, Sankt Augustin, 19. Februar 2003
Von 1920 bis 1923: Mustafa Kemal Atatürk | Fevzi Çakmak | Rauf Orbay | Fethi Okyar
Ab 1923: İsmet İnönü | Celal Bayar | Refik Saydam | Şükrü Saracoğlu | Recep Peker | Hasan Saka | Semsettin Günaltay | Adnan Menderes | Cemal Gürsel | Suat Ürgüplü | Süleyman Demirel | Nihat Erim | Ferit Melen | Naim Talu | Bülent Ecevit | Sadi Irmak | Bülent Ulusu | Turgut Özal | Yıldırım Akbulut | Mesut Yılmaz | Tansu Çiller | Necmettin Erbakan | Abdullah Gül | Recep Tayyip ErdoğanPersonendaten NAME Erbakan, Necmettin KURZBESCHREIBUNG türkischer islamistischer Politiker GEBURTSDATUM 29. Oktober 1926 GEBURTSORT Sinop - ↑ Gunnar Köhne: Stunde der Wahrheit für Väterchen „Derca“; Berliner Zeitung vom 8. Juli 1996
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