Nikolaikirche (Stralsund)

Nikolaikirche (Stralsund)
St. Nikolai-Kirche, Blick von der Marienkirche
St. Nikolai-Kirche, Blick auf den Südturm

Die St.-Nikolai-Kirche in Stralsund ist die älteste der drei großen Pfarrkirchen der Hansestadt Stralsund. Sie wurde im Jahr 1276 erstmals urkundlich erwähnt.

Ihren Namen erhielt die Kirche am Alten Markt nach Nikolaus von Myra, dem Schutzheiligen der Seefahrer.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Äußeres

Die Kirche ist mit 103 Metern (Südturm) etwas kleiner als die Marienkirche am Neuen Markt. Ihre Gesamtlänge beträgt 87 Meter, die Höhe des mittleren Kirchenschiffs 29 Meter. Die beiden Seitenschiffe sind nur halb so hoch. Im gleichen Längenverhältnis stehen die Breite des Mittelschiffes mit ca. 13 Metern zur Breite der Seitenschiffe.

Nikolaikirche von Westen, im Vordergrund der Knieperteich

Die Breite der beiden Türme beträgt jeweils unten 16,09 Meter und oben 14,60 Meter. Der südliche Turm misst bis zum Wetterhahn 102,60 Meter (davon sind 58,07 Meter gemauerter Backstein). Das Mauerwerk der Türme ist oben 2,14 Meter stark. In einem der Türme hängt das dreistimmige Geläut mit der Disposition cis' - d' - e'. Im Jahr 2003 wurde der Zugang vom Alten Markt wieder hergestellt. Imposanter jedoch ist der Haupteingang, den man vom Stralsunder Rathaus durch den Buttergang kommend betritt.

Ausstattung

Innenraum von Nordwesten

Je neun Arkadenpfeiler trennen das Mittelschiff und die beiden Seitenschiffe voneinander. Mit den beiden Eckpfeilern im Chorschluss stehen damit zwanzig Pfeiler im Kirchenraum. Die westlichen Pfeiler gehören zum eigentlichen Kirchenschiff, die östlichen tragen den Hohen Chor. Die Pfeiler im Schiff sind achteckig ausgeführt, die Pfeiler des Chores rautenförmig.

Gut erhalten bzw. derzeit aufwändig restauriert sind Zeichnungen und Malereien an den Wänden und Stützpfeilern der Kirche.

Viele Bilder, Altäre und andere Kunstwerke der Kirche wurden am 10. April 1525 beim Stralsunder Kirchenbrechen zerstört. In den Folgetagen wurden zwar viele Güter wiederbeschafft, die von Plünderern weggebracht worden waren. Diese allerdings wurden auf Hinwirken des Rates der Stadt, darunter Bürgermeister Franz Wessel, im Hof des Katharinenklosters vergraben, „damit nicht mehr Abgötterei und Missbrauch damit getrieben werde“, wie es Franz Wessel formulierte. Später wurden viele gotische Bauteile durch barocke ersetzt, die farbliche Gestaltung wich bis 1702 der Farbe Weiß. Von 1891 bis 1909 dauerte die Wiedererneuerung der Kirche mit der Wiederherstellung der Farbgestaltungen.

Chöre

Ausgemaltes Kreuzrippengewölbe

Über dem Hochaltar befindet sich der kleine Orgelchor. Er ist in spätgotischem Stil ausgeführt. Darauf sind neben Heiligenbildern vier Wappen abgebildet: Der Barther Greif, der Stralsunder Pfeil, der Tribseeser Turm sowie ein dem 1505 verstorbenen Erzdiakon Gerwin Ronnegarwe zugeschriebenes Wappen mit goldner Garbe auf rotem Feld. Auf dem kleinen Orgelchor befand sich ursprünglich eine Orgel, die heute nicht mehr existiert.

Der Bläserchor von 1505 im Mittelschiff, auch spätgotisch gehalten, ähnelt dem kleinen Orgelchor. Bilder von Jesus und den zwölf Aposteln sind an seinen Seiten angebracht. Eine Inschrift besagt, dass der Chor von „irhan schulte van valckenberch“ geschaffen wurde.

Goldenes Wappenfries

Das obere Mittelschiff trägt ein goldenes Fries mit 50 Wappen von Ratsherren der Stadt; dieses Fries stammt aus dem 16. und 17. Jahrhundert.

Träger der Wappen waren einige Bürgermeister der Stadt, wie Bartholomäus Sastrow, aber auch einfache Ratsherren wie Arnd Schwarte, Christian Ehrenfried Charisius, Matthias und Heinrich Hagemeister und andere.

Eine ausführliche Darstellung aller Wappeninhaber stellte Hagemeister in der Festschrift „Die Nikolaikirche. Ein Gedenkblatt zu ihrer Einweihung“ 1909 auf.

Hochaltar

Hochaltar von der Orgelempore aus
Blick vom Altar in Richtung der Orgel

Der hölzerne Hochaltar der Nikolaikirche ist ca. 12 Meter groß. Er birgt über 100 geschnitzte Figuren. Zwei bewegliche Seitenschreine umrahmen den festen Mittelschrein, der auf der Predella steht. Eine überaus reiche Gestaltung schließt den Altar nach oben hin ab.

An der Stelle des heutigen Hauptaltars stand zunächst ein Laienaltar, der allerdings für 50 Taler an die Ummanzer Dorfkirche St.-Marien verkauft wurde. Die ersten Arbeiten am Hochaltar stammen von einem unbekannten Künstler vom Anfang des 14. Jahrhunderts. Dieser schnitzte die drei Figuren der oberen Tabernakeln: Der Heilige Nikolaus steht zwischen der Heiligen Katharina (links) und einem unbekannten Krieger (rechts). Die Figuren waren wahrscheinlich zunächst für einen anderen Zweck bestimmt und wurden erst später auf den Altar gesetzt. Neben diesem Künstler waren vermutlich drei weitere am Altar beteiligt; die technische Ausführung der Schnitzereien legt verschiedene Künstler jeweils für die Predella, Jesus am Kreuz und die Schreinfiguren nahe.

Bei einer Restaurierung im Jahr 1856 durch die Firma Holbern aus Berlin wurde das zweite bemalte, äußere Flügelpaar abgenommen und hinterm Altar verwahrt, die Innenflügel wurden unbeweglich gemacht und dafür ein grüner Zugvorhang angebracht, der den Hauptschrein schützen sollte. Ein Fries wurde zwischen Aufsatz und Hauptwerk eingezogen und der Rahmen vergoldet, der alte Altartisch wurde zudem verputzt und mit einer Marmorplatte statt der alten Kalkdecke versehen.

Der aus vier Holzplatten herausgearbeitete Mittelschrein zeigt die Kreuzigung Jesu. Neben Jesus stehen die Schächer am Kreuz. Ein Reiter links von Jesus stößt mit seinem Spieß nach ihm und hält sich eine Hand aufs Auge. Ein Engel führt die Seele des Guten in den Himmel, ein Teufel die des Bösen in die Hölle. Die Madonna im Vordergrund wird links von Johannes, rechts von einer Frau aus dem Volke dargestellt, darüber Maria Magdalena. Unterm Kreuz steht die Frau des Pontius Pilatus, die beim links oben stehenden Hauptmann Fürbitte einlegt. Pontius Pilatus selbst ist hinter ihr auf einem Pferd dargestellt. Ganz in seiner Nähe stehen die drei Weisen aus dem Morgenlande. Aus dem Tor zur Linken bewegt sich ein Zug von Kriegern nach Golgota, in der rechten Ecke beratschlagt der Hohe Rat. Ein Kastell stellt Jerusalem dar.

Die beiden Seitenschreine enthalten sechs Darstellungen: Jesus am Ölberg, die Dornenkrönung und die Kreuztragung links sowie den Kuss des Judas, das Verhör bei Pilatus und die Geißelung rechts.

Auf dem Untersatz sind Geburt und Beschneidung Jesu dargestellt.

Der barocke Aufsatz auf dem Altar stammt vom Stralsunder Künstler Thomas Phalert. Dieser war ein Schüler Andreas Schlüters und sollte „einen Altaraufsatz machen, von Schlüter aber einen Altarriss inventieren und illuminieren zu lassen“. 1708 war die Bildhauerarbeit vollendet, 1733 die Bemalung, 1735 die Vergoldung. Dargestellt ist Jesus am Ölberg und im oberen Feld die Einsetzung des Abendmahls. Der Aufsatz benötigte zur Befestigung der Wolken, Strahlen etc. einen Querbalken, der sich zwischen den beiden Pfeilern befindet. Um diesen zu verdecken, wurde die Gitterwand hinzugefügt. Phalert fertigte das Werk für 2.250 Taler.

Weitere Altäre und Gestühl

Rechte Tafel des Rigafahrergestühls
Der Bergenfahreraltar
Der Bürgermeister-Altar
Der Junge-Altar

Einst beherbergte die Nikolaikirche neben dem Hochaltar 56 weitere Altäre. Diese dienten vor allem den Ämtern (Gewerken), aber auch einzelnen Familien, und befanden sich in der ganzen Kirche verteilt, oft auch an Pfeilern. Eine Stralsunder Chronik (Zober: Stralsunder Chroniken III) erwähnt Altäre der Gewandschneider, Knochenhauer, Pelzer, Schützen, Kohelnmesser, Gerber, Fuhrleute, Bäcker, Grützmacher, Zimmerleute, Böttcher, Schmiede, Maurer, Maler, Glaser sowie 25 Familienaltäre. Viele gingen beim Kirchenbrechen 1525 verloren.

Als katholische Prozessionskirche hatte die Nikolaikirche keine Bänke für die Allgemeinheit. Nur reiche Familien sowie die Ämter besaßen eigene Bänke, das Gestühl. Das heute erhaltene Gestühl stammt aus der Zeit der Renaissance. Für die Allgemeinheit sind ebenfalls Bänke geschaffen worden.

Nur wenige Altäre und altes Gestühl sind erhalten geblieben. Das Rigafahrergestühl (auch Russland-, Nowgorodfahrergestühl), der Altar der Bergenfahrer und das Ahussische Gestühl belegen die Handelsbeziehungen der Stralsunder Kaufleute zu Zeiten der Hanse und bieten angesichts sehr unvollständiger historischer Aufzeichnungen eine gute Darstellung des Handels. Auch die Altäre der Riemer und Beutler, Bürgermeister, Barbiere sowie der Schneider und der Familienaltar der Familie Junge sind erhalten und zu besichtigen.

Vom Altar der Barbiere sind nur noch die Bilder der Außenseite lesbar geblieben; das Schnitzwerk ist stark beschädigt und die Figuren in den acht Abteilungen fehlen.

Der Bergenfahreraltar am dritten südlichen Arkadenpfeiler gehörte wahrscheinlich nicht den Bergenfahrern, also den Kaufleuten, die im norwegischen Bergen Handel trieben und dort an der Deutschen Brücke auch Grundbesitz hatten. Der Mittelschrein des Altars zeigt die Leidensgeschichte Jesu. Das Mauerwerk des Altartisches wurde verputzt, die Kalksteinplatte blank geschliffen. Die auf Kreidegrund angebrachten Farben wurden durch einen Ölanstrich ersetzt. Die Rückseite zeigt Szenen aus dem Leben Marias, der auserwählten Schutzheiligen der Bergenfahrer. Aufgrund dieser Darstellung wurde der Altar bei Bestandsaufnahmen im 19. Jahrhundert den Bergenfahrern zugeschrieben. Das eigentliche Amtszeichen der Bergenfahrer, ein gekrönter Stockfisch, befindet sich aber nicht am Altar.

Um 1500 entstand der Bürgermeisteraltar, an dem sich neben dem im 18. Jahrhundert angefügten Wappen Stralsunds auch die Wappen der von 1500 bis 1516 amtierenden Bürgermeister Zabel Oseborn und Henning Mörder befinden. Eine Darstellung der Abnahme Jesu vom Kreuz schmückt die Mitte, auf den Seiten sind der Heilige Georg und Katharina (links) sowie der Heilige Martin und eine zweite Blutzeugin (rechts) dargestellt. Die Gestaltung verrät den holländischen Einfluss.

Das Gestühl der Goldschmiede befindet sich im südlichen Seitenschiff. Auf der Vorderseite befindet sich die Figur des Schutzheiligen Eligius.

Der Junge-Altar des Meisters des Stralsunder Junge-Altars ist nur teilweise erhalten. Der Altar zeigt eine Madonna mit dem Jesuskind. Im Inneren der Flügel des Altars standen auf jeder Seite vier Heilige, in der Mitte Maria, bewacht von vier Engeln. Der Altar war einst in Gold und Weiß gehalten: Vor goldenem Hintergrund stand die in einen weißen Mantel gekleidete Heilige mit goldener Krone. Das Mantelfutter war blau und rot. Die Baldachine des Schrein waren in bunten Farben gehalten.

An der Balustrade sind die Inschriften „Maria“ und „ihesus“ eingeschnitzt und die drei Wappenschilde der Familie Junge befestigt. Die Familie Junge kam Anfang des 15. Jahrhunderts aus Lübeck nach Stralsund. Möglicherweise stammt auch der Altar aus einer Lübecker Werkstatt, wie der Kunsthistoriker M. Paul in seinem Werk „Sundische und Lübische Kunst“ (Greifswald 1914) aufgrund des Zusammenhangs mit einer Lübecker Madonna vermutet. Paul datiert die Entstehung des Werks kurz nach 1456.

Das Gestühl der Krämercompagnie im Mittelschiff zeigt einen keulenschwingenden Mann und die Worte:

„Dat ken Kramer ist, de blief da buten,
Oder ick schla em up de schnuten.“

Das Ratsgestühl der Ratsherren im südlichen Seitenschiff durften zunächst nur die vier Bürgermeister nutzen. Es wurde aber auf Beschluss des Rates ab 1592 erweitert und das Gestühl der Ratsherren, das sich bis dahin vor dem Orgelchor am südlichen Turm befand, dorthin verlagert. Laut eingeschnitzter Jahreszahl war das reich verzierte Ratsgestühl erst 1652 fertig. Es trägt das Wappen Stralsunds sowie die Wappen der damaligen Bürgermeister Krauthof, Elver, Matzer und von Braun.

Der Altar der Riemer und Beutler, zweier Ämter, die eng miteinander verknüpft waren, aus dem Jahr 1451 zeigt auf den Flügelrückseiten Malereien zur Bergpredigt, zur Verklärung, zur Heilung des Aussätzigen und zur Heilung des blutflüssigen Weibes und bietet dazu altplattdeutsche Unterschriften. Die Innenseiten der Flügel zeigen acht Heiligenfiguren mit einem Spruchband in der Hand, die mit der freien Hand auf den cruci fixus im Mittelschrein zeigen. Das einst über dem Altar befindliche, nicht mehr erhaltene Fresko zeigte den Heiligen Christophorus.

Das Rigafahrergestühl ist als 0,78 Meter hohes, vier Meter langes Rudiment erhalten.

Der Altar der Schneider wurde 1406 gestiftet. Er stand einst nördlich des Hochaltars. Möglicherweise gehörte er zunächst den Barbieren, wie eine Platte, in die Messer und Scheren geprägt waren und die einst vor dem Altar lag, vermuten lässt. Der Altar trug im Zierwerk Scheren, die heute nicht mehr erhalten sind. Im Inneren ist der Schrein leer und die Rückwand fehlt. Nur auf den Außenseiten der Flügel sind Bilder erhalten.

Taufen

Das barocke Taufbecken aus dem Jahr 1732 stammt aus einer Stiftung des Ratsherren Nikolaus Pansow. Als dieser 1710 starb verweigerten seine Erben die weitere Finanzierung des im Geheimen in Auftrag gegebenen Werkes zunächst, wurden aber durch gerichtlichen Beschluss zur Zahlung von letztlich 3000 Talern gezwungen. Die Taufe stand bis 1838 vor der Buchholz-Orgel im Mittelschiff und steht seitdem im auf einem Platz nördlich des westlichen Seitenschiffjochs. Der Heilige Johannes steht auf einem Oberbau, der von vier großen Figuren getragen wird, die den Glauben, die Geduld, die Hoffnung und die Liebe darstellen, zwischen ihnen befinden sich die vier Evangelisten. Ein schmiedeeisernes, teils vergoldetes Gitter umgibt den unteren Teil. Der achteckige Tauftisch ist komplett mit Engelsköpfen und Ranken verziert. Das Wappen des Stifters sowie je ein Bildnis von ihm und von seiner Frau sind ebenfalls zu sehen.

Schräg rechts vor dem Hochaltar steht eine, aus dem Jahr 1260 stammende, steinerne Tauffünte. Diese stand ursprünglich wohl in der Turmhalle im Norden und wurde erst im 19. Jahrhundert in die zentrale Lage gebracht. Auf ihrer Wandung sind das achtstrahlige Sonnenrad und der von zwei Löwen flankierte Baum des Lebens jeweils im Wechsel dargestellt.

Kruzifixe

Vier Kruzifixe birgt die Nikolaikirche. Im Chor befindet sich ein zwischen 1350 und 1400 von einem Stralsunder Bildhauer geschaffenes ehemaliges Triumphkreuz. Es ist 4,90 Meter hoch, aus Eichenholz und zeigt eine 1934 freigelegte Farbfassung von 1664. Das Kreuz und der Nimbus sind original. Von 1951 bis 2006 stand es über dem Hochaltar. Seit der 2007 beendigten Restaurierung hat das Kruzifix seinen derzeitigen Standort im südlichen Gewölbebogen gegenüber der Schuke-Orgel. Vom selben Meister stammt ein sogenannter Heiliger Leichnam an der nördlichen Chorwand. Die Skulptur wurde laut Inschrift 1671 erneuert, nachdem 1670 zweimal der Blitz in die Kirche eingeschlagen hatte. In einer Unterschrift zu Füßen der Christusfigur steht dazu:

„Als Gott in dieses Haus mit seiner Donner-Ruthen
Schlug zweimal binnen Jahres, hat Jesu Schmerz und Bluthen
Groß Unheil hier gewand. Kein Sünder geh vorbei
Der nicht erseufz, Ihn lieb, und künftig frommer sei.“

Weiterhin zu erwähnen sind zwei Kruzifixe aus dem 15. Jahrhundert in der Superintendentenkapelle und am zweiten nördlichen Arkadenpfeiler.

Anna selbdritt

Figur der Anna selbdritt

Die aus Kunststein und Eichenholz geformte, 1,07 Meter breite und einschließlich Sockel 2,24 Meter hohe Figur der Anna selbdritt ist das älteste plastische Kunstwerk Stralsunds. 1307 wird es erstmals urkundlich (im Stadtbuch) erwähnt. Die Figur stand bis 1938 in der Annenkapelle. Diese ist die nordwestliche Vorhalle, durch die man die Kirche vom Alten Markt kommend betritt.

Ursprünglich waren in die Brust Reliquien eingelassen, die in goldenen Kästchen mit einem Deckel aus Kristall aufbewahrt wurden. Diese gingen wohl beim Kirchenbrechen 1525 verloren.

Anna thront auf ihrem Sitz mit hoher Rückenlehne. Die Seitenlehnen des Throns werden von knienden Engeln gestützt. Maria sitzt in Annas linkem Arm. Auf ihrem rechten Knie sitzt das Kind. Anna und das Kind sind frontal dargestellt, Maria in Dreiviertelansicht. Die Gewänder Annas und Marias bestehen aus einem Kleid, einem Überkleid (Surcot) und einem Mantel darüber. Während sich die Besonderheit dieses Kunstwerk gerade in den kunstvoll gestalteten Gesichtern Annas und Marias zeigt, ist der Kopf des Kindes nicht erhalten.

In Norddeutschland ist diese Figur einmalig. Wilhelm Pinder schrieb im Handbuch der Wissenschaft in seiner Abhandlung Die deutsche Plastik (S. 242): „Sie gehört in die Zeit der Regensburger Verkündigung und muss mit Magdeburger Arbeiten des späten 13. Jahrhunderts verglichen werden.“ Aufgrund des verwendeten Stucks sowie das Motiv der Gewandsäume weisen nach Juliane von Ficks auf eine sächsische Werkstatt hin. Eine neuere dendrochronologische Untersuchung des Holzes ergab eine Datierung des Kunstwerks auf 1291 +/-10 (d).

Astronomische Uhr

Die Astronomische Uhr des Nicolaus Lillienveld

Hinter dem Hochaltar befindet sich eine astronomische Uhr, die 1394 durch Nicolaus Lillienveld gebaut wurde. Sie ist die älteste fast vollständig erhaltene astronomische Uhr im Ostseeraum. Aus finanziellen Gründen ist es der Kirchgemeinde nicht möglich, das Uhrwerk laufen zu lassen - die Unterhaltskosten und das Risiko eines Verlustes von Originalteilen wären zu hoch.

Unter dem 3,5 Meter breiten und 4 Meter hohen Ziffernblatt findet sich die lateinische Inschrift:

„Anno mcccxciiii In die sancte nicolai completum est opus per nicolaum lillienueld orate pro factoribus et largitoribus qui cum diligencia compleuerunt.“

Im Deutschen bedeutet dies:

„Im Jahre 1394, am Tage des Heiligen Nikolaus, ist dies Werk fertiggestellt durch Nikolaus Lillienfeld. Betet für die Verfertiger und Schenkgeber, welche es mit sorgendem Fleiß geschaffen haben!“1

Das von einem verzierten goldenen Rahmen umgebene Ziffernblatt zeigt die Zahlen der 12 Stunden in gotischen Minuskeln zweimal: Auf der vom Betrachter linken Seite von unten nach oben und auf der rechten Seite von oben nach unten. Somit zeigt die Uhr alle 24 Stunden des Tages an. Zudem ist der Tierkreis auf einem metallenen Gürtel dargestellt. Dieser ist an einem Zeiger befestigt und zeigt beim Weiterlauf das jeweils aktuelle Tierkreiszeichen.

In den vier Ecken des Ziffernblattes hat der Künstler die vier Weltweisen dargestellt:

  • Links oben Claudius Ptolemäus (Spruchband: „ptolemeus Inferiora reguntur a superioribus“, zu deutsch „Ptolemeus. Das Niedere wird vom Höheren gelenkt.“1)
  • Rechts oben steht König Alfons X. von Kastillien (Spruchband: „alfoncius Motus solis et planetarum in obliquo circulo est.“, zu deutsch: „Alfoncius. Die Bewegung der Sonne und der Planeten findet in einem schrägen Kreise statt.“1.
  • Links unten steht der Astronom Hali (Spruchband: „hali Dies est elevacio solis super oricontem.“, zu deutsch: „Hali. Der Tag ist die Erhebung der Sonne über den Horizont.“1.
  • Rechts unten der Astronom Albumacar (Spruchband: „albumacar Sapiens vir dominabitur astris.“, zu deutsch: „Albumazar. Ein weiser Mann wird herrschen über die Gestirne.“1

Der Untersatz der Uhr enthält eine Figur, die, den Morgen darstellend, eine Tür öffnet. Das Spruchband daneben verrät: „Post deum omnium viuencium vita sol et luna.“ (zu Deutsch: „Nächst Gott bildet den Ursprung aller lebenden Geschöpfe die Sonne und der Mond.“1 Eine andere Figur, den Abend darstellend, schließt eine Tür. das dazugehörige Spruchband sagt: „Matutinae horae immensa munera sed sepe male finiunt.“, zu Deutsch: „Der Tag bietet in der Frühe reiche Gaben, endet aber oft übel.“1

Seitlich am Uhrgehäuse sind einige ausgeschnitzte Fenster vorhanden, andere sind nur aufgemalt. Auf der südlichen Seite hat sich der Uhrmacher selbst, aus dem Fenster schauend, dargestellt. Fachwissenschaftler nehmen an, dass dies das älteste Porträt eines Uhrmachers weltweit ist.

Die Uhr zeigte den Gottesdienstbesuchern bis zum 10. April 1525 die Zeiten an, seitdem steht die Uhr.

1 Übersetzung: Ernst Uhlemann in: Die Stralsunder St. Nikolaikirche. 2. vermehrte Auflage. Verlag der Königlichen Regierungs-Buchdruckerei, Stralsund 1924.)

Orgeln

Hauptartikel: Orgel der Nikolaikirche (Stralsund)

Die Stralsunder Nikolaikirche verfügt derzeit über drei Orgeln, die spielbar und im Gebrauch sind.

Buchholz-Orgel
Die Buchholz-Orgel 2007

Die große, ältere Orgel stammt aus dem Jahr 1841 und zählt zu den in Nordeuropa seltenen erhaltenen Orgeln der Frühromantik. Sie wurde von Carl August Buchholz gebaut. Mit drei Manualen, Pedal und 56 Registern ist sie eine der größten Buchholz-Orgeln, die erhalten geblieben sind. Die umfangreiche Restaurierung der Orgel auf einer Empore im Westteil der Kirche konnte im Oktober 2006 abgeschlossen werden. Das Prospekt ist seitdem wieder im originalgetreuen porphyrnen Farbton gehalten.

Schuke-Orgel

Das zweite Instrument wurde 1986 von Alexander Schuke gebaut. Das größere Instrument, die Buchholz-Orgel, war nach vielen Umbauten und wegen der Einstellung der Pflege aufgrund von Restaurierungsarbeiten an der Kirche in den 1970er Jahren nur noch sehr schlecht spielbar.

Die Schuke-Orgel neben dem Hochaltar 2007

Der Organist Günter Wehmer, der seit 1956 an der Nikolaikirche tätig war, setzte sich für ein neues Instrument ein. Die Potsdamer Firma Schuke errichtete im südlichen Seitenschiff, auf einer Seitenempore, eine Orgel mit Schleifladen, die auf zwei Manualen und Pedal über 22 Register verfügt. Diese Orgel, die sich auf Höhe des Hochaltars befindet, diente seit ihrer Einweihung am 12. Oktober 1986 der Begleitung der Gottesdienste. Sie wird auch nach der Restaurierung der größeren Buchholz-Orgel weiterhin genutzt.

  • Disposition der Schuke-Orgel:
Hauptwerk Rückpositiv Pedal
Quintadena 16 Fuß Holzgedackt 8 Fuß Subbass 16 Fuß
Principal 8 Fuß Principal 4 Fuß Oktavbass 8 Fuß
Koppelflöte 8 Fuß Rohrflöte 4 Fuß Choralbass 4 Fuß
Oktave 4 Fuß Nasard 2 2/3 Fuß Rauschpfeife 4-fach
Spitzflöte 4 Fuß Gemshorn 2 Fuß Posaune 16 Fuß
Oktave 2 Fuß Terz 1 3/5 Fuß
Mixtur 6-fach Siffflöte 1 Fuß
Trompete 8 Scharff 3-5-fach
Krummhorn 8 Fuß
    • 5 Pedalkoppeln
    • 1 Manualkoppel
    • 1 Tremulant im Rückpositiv

Sauer-Orgel

Nur zu Begleitzwecken dient eine Orgel der Firma Sauer. Das Positiv verfügt über drei Register (Gedackt 8‘, Rohrflöte 4‘, Oktave 2‘). Der Manualumfang reicht von F bis d‘‘‘. Das Instrument kann außer mit Elektromotor auch mit Fußpedalen angetrieben werden.

Frühere Orgeln

Aus einer aus dem Jahr 1386 stammenden Stiftungsurkunde für einen Altar „unter der großen Orgel“ geht hervor, dass es schon damals eine große Orgel in der Stralsunder Nikolaikirche gegeben haben muss. Ihr damaliger Standort ist wegen der Vielzahl an Altären (56 sind belegt) nicht lokalisierbar. Auch im Jahr 1504 ist wiederum aus einer Urkunde ersichtlich, dass sich solch ein Instrument hier befand. Die Orgel diente nicht nur der Ausgestaltung des Gottesdienstes; aufgrund der Nutzung der Kirche als Ratskirche ist anzunehmen, dass sie auch zu weltlichen Zwecken gespielt wurde.

Der aus den Niederlanden stammende Nikolaus Maaß, der 1592 das Stralsunder Bürgerrecht erworben hatte, baute 1599 eine Orgel mit 22 Registern. Sie war auf einer durch Holzbalken zwischen den beiden Türmen geschaffenen Empore im Westen des Langhauses aufgestellt. Aus einem Brief des 1603 oder 1604 zum Hoforgelmacher des dänischen Königs Christian IV. ernannten Maaß weist dieser am 26. Dezember 1612 einen Verdienst von „5.000 Fl“ für dieses Instrument aus. Der ab 1703 fast 55 Jahre als Organist in Stralsund tätige Johann Christoph Raupach führte über die große Maaß-Orgel und die Veränderungen an ihr Buch; erstmals wurde die Gemeinde beim Gesang durch die Orgel auch begleitet. Er veranstaltete „Musikalische Allusiones“. In einer Nachricht vom 21. Dezember 1730 ist zu lesen, dass die Orgel nun über 43 Register verfügte. Die Orgel wurde weiter klanglich umgebaut: Zunächst im Stil des Hochbarock; der Vorschlag des Organisten Johann Christoph Escherich (1736 - 1794) aus dem Jahr 1776, das Instrument im Stil Paul Schmidts (1716 - 1798) dem Klangideal der „Zeit der Empfindsamkeit“ anzupassen wurde aus Kostengründen verworfen. Nach weiteren baulichen Veränderungen war die Orgel zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem so schlechten Zustand, dass die Sachverständigen Witt und Weith eine Reparatur für sinnlos ansahen und dem Provisorat einen Neubau empfahlen. Das Ergebnis der nachfolgenden Bemühungen war die Buchholz-Orgel.

Eine kleinere, zweite Orgel der Nikolaikirche, zu der wenig bekannt ist, wurde bei der Belagerung und Beschießung der Stadt im Nordischen Krieg 1715 zerstört. Sie diente der Choral-Begleitung in den Gottesdiensten am Mittwoch.

Kapellen

Charisius-Kapelle

Die Vorbauten der erhaltenen Kapellen stammen aus dem 17. Jahrhundert.

Die Kapellen sind zum Teil reich verziert. Die Besitzverhältnisse an ihnen wechselten ähnlich denen an den Begräbnisstätten im Boden der Kirche. Zu den am reichsten verzierten Kapellen zählt die der Familie Hagemeister. In der Charisius-Kapelle wurde 1896 der letzte Verstorbene beigesetzt. Die größte Kapelle gehörte ebenfalls Angehörigen der Familie Hagemeister, hier wurde zuletzt 1880 jemand beigesetzt. Wahrscheinlich stand hier zunächst das romanische Weihwasser-Becken. In der zweiten Siegfrieden-Kapelle befindet sich unter anderem der älteste Grabstein der Kirche aus dem Jahr 1338.

Grabplatten

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kam es wie in anderen Kirchen auch in der Stralsunder Nikolaikirche zur ersten Bestattung in der Kirche. Statt im Kirchhof der Kirche sollten die Verstorbenen zur Seelenruhe in der Kirche beigesetzt werden. Der älteste erhaltenen Leichenstein in der Nikolaikirche trägt die Jahreszahl 1338 und war dem Ratsherrn Gerwin Storkow gewidmet. Das vorhandene Feld für seine Ehefrau blieb leer; der Stein zeigt nur die betende Gestalt des Ratsherren.

Der Chor war wegen der sicheren Grabgewölbe der beliebteste Begräbnisplatz. Er sowie besondere Kapellen waren reichen Familien und der Geistlichkeit vorbehalten. Im Seitenschiff wurden die Särge nur in die Erdgruben gestellt und mit Platten bedeckt.

Besonders wertvoll ist die Messing-Grabplatte des 1357 verstorbenen Bürgermeisters Albert Hövener, aber auch die Grabplatten von Nikolaus Sasse (gest. 1601), General Jacob Mack Duwall (gest. 1634) oder Borchard Plötze sind besonders auffallend gestaltet. Die Platte Höveners brach bei der Bergung in zwei Stücke. Sie zeigt den Verstorbenen in Lebensgröße barhäuptig und betend. Zwei Engel halten sein Ruhekissen. Die gesamte Platte ist überaus kunstvoll verziert. Wahrscheinlich stammt sie aus Flandern.

Viele Grabplatten sind später zerstört und als Pflaster genutzt worden. Bei einigen wurden nach dem Aussterben einer Familie die Inschriften ausgemeißelt und durch aktuelle ersetzt, Metallinschriften wurden aus ihren Platten gerissen und sind zumeist verloren. Von den abertausenden Besuchern der Kirche wurden viele erhaltene Steine nahezu glatt geschliffen. Eine Grabplatte, die heute senkrecht stehend aufbewahrt wird, zeigt den Wunsch

„Dieses Grab soll nicht geöffnet werden bis an den jüngsten Tag!“

Die Hausmarke der Nikolaikirche, die Krone, wurde auf Platten gemeißelt, deren Grabstelle herrenlos wurde.

Geschichte

Bau

Als Vorgängerbau der heutigen Nikolaikirche kann eine -vermutlich aus Holz gebaute- Kapelle an gleicher Stelle gelten. Die Nikolaikirche selbst wurde erstmals im Jahr 1270 urkundlich erwähnt.

Die Nikolaikirche auf einem Plan von 1647, noch mit den beiden spitzen Türmen

Die Nikolaikirche wurde zunächst als Hallenkirche mit einem Turm errichtet. Planung und Bau der Kirche im ältesten Teil der Stralsunder Altstadt gingen einher mit der Planung des Stralsunder Rathauses am Alten Markt. Vermögensverwalter für den Kirchenneubau war der Rat der Stadt. Hier wird schon deutlich, dass beide Bauten in Verbindung zueinander stehen. Diese Verbindung war gewollt und äußerte sich in der Tatsache, dass St. Nikolai von Beginn an die Ratskirche war.

Aufzeichnungen oder Untersuchungen zur Fundamentierung der Kirche liegen nicht vor; aufgrund von Rückschlüssen aus der Überbauung lässt sich vermuten, dass im Osten ein halbkreisförmiges Fundament errichtet wurde.

Nach dem Vorbild der Lübecker Marienkirche wurde die noch nicht fertig gestellte Stralsunder Nikolaikirche um 1270 -in diesem Jahr wird sie auch erstmals urkundlich erwähnt- zu einer Basilika umgebaut. Der neue Chor, für den der gerade fertig gestellte Chor der Hallenkirche abgetragen wurde, bestand aus einem inneren Chor und einem Umgang um diesen herum; um den Chorabschluss, der aus fünf Seiten eines gedachten Achtecks besteht, wurden noch fünf Kapellen angelegt. Teile der Wände der Seitenschiffe dienten fortan als Widerlager.

Von Beginn an wurde der Kirchbau mit Backstein vorangetrieben. Im Laufe der Zeit wurden dabei mindestens 65 verschiedene Formsteintypen verbaut. Den Backstein bezogen die Bauleute aus Werkstätten der Region. Nach den Grundmauern wurde mit dem Mauerwerk des Langchores begonnen, zunächst die Nord- und dann die Südseite. Dabei richtete man sich an den Mauern des Vorgängerbaus aus; die Mauern des Langchores sind wohl aus diesem Grund ungleich lang und nicht parallel. Anschließend mauerten die Bauleute die Mauern der Kranzkapellen von Norden nach Süden auf. Die äußeren Strebepfeiler der Kapellen waren ursprünglich nicht als offenes Strebesystem geplant und wurden kleiner ausgeführt als sie heute überliefert sind; sie entsprachen den Pfeilern an den Kapelenkanten.

Beginnend an der Treppenturmspindel wurden nunmehr ca. drei Meter Mauerwerk auf die Wandsockelzone aufgemauert. Um 1308 wurde die Umfassungsmauer des Chores geschlossen, und zwar an der nordöstlichen Kreuzkapelle. Das ergaben dendrochronologische Untersuchungen. Hier auch ist einer der Wechsel im Verbauen der verschiedenen Formsteintypen zu erkennen; fortan wurde der Fasenstein verwendet.

Mit Beginn der Bauarbeiten an den neuen Chorpfeilern wurde der Ostteil der Vorgängerkirche, der bis dahin noch genutzt worden war, endgültig abgebrochen. Die Pfeiler wurden, beginnend im Westen, nach Osten hin paarweise errichtet, dabei musste teilweise auf die unregelmäßig ausgeführten Umfassungsmauern Rücksicht genommen und die Pfeiler auf einen anderen als den Idealstandort gesetzt werden. Nur die fünf zuletzt erbauten Pfeiler des Chores erhielten neben den Blumenmotiven auch figürliche Schmuckelemente.

Das Hochschiff wurde mit Steinen im Normalformat aufgemauert. Die Fasensteine wurden zur Gestaltung eingesetzt. Die Planungen hatten auch eine Brüstung am Obergaden vorgesehen, wie die vorhandenen Konsolen erkennen lassen, allerdings wurde dieser Bauteil nie ausgeführt. Beim Ausbau des Obergadens wurde nun auch die ursprüngliche Lösung der Strebepfeiler aufgegeben und ein offenes Strebewerk ausgeführt. Die vier betroffenen Pfeiler zwischen den Kapellen wurden also, nachdem der Obergaden fertig war, verstärkt, um als Auflagefläche für die Strebebögen des Obergadens zu dienen. Ebenfalls um die Strebepfeiler aufzunehmen wurden die im Innenraum stehenden Pfeilerköpfe verstärkt. Dies hatte aber auch zur Folge, dass die ursprünglichen Gewölbeanfänger ummantelt wurden. Daraufhin wurde mit dem Bau der Gewölbedecke des Chorumgangs beginnen. Aus einer Rechnung aus dem Jahr 1314 für den Dachreiter des Chores kann auf den Zeitpunkt der Fertigstellung an diesem Abschnitt geschlossen werden.

Bei der Einwölbung des Mittelschiffs wurde festgestellt, dass die westlichen Obergadenmauern stark abwichen. Daher wurden die beiden westlichen Wandpfeiler im Süden sowie der im Norden nochmals aufgemauert. Erst dann konnte mit der Einwölbung des Mittelschiffs begonnen werden, was von Osten nach Westen geschah.

Bereits um 1300 begann der Bau des Turmes westlich der alten Nikolaikirche. Um 1314, der Turm hatte mit 13 Metern die Höhe der Chorumfassung erreicht, entschloss sich der Rat, zwei Türme bauen zu lassen.

Zu Ostern 1318 begann der Bau des Langhauses, wie eine Kalksteinplatte, die sich heute nördlich des großen Westportals befindet, verkündet. Die Strebepfeiler der Seitenschiffe wurden außen verbunden, um Platz im Innenraum zu schaffen. Die Strebepfeiler wurden dadurch nach innen gezogen und im gewonnenen Raum zwischen den Pfeilern wurden Kapellen angelegt, die auch sofort eingewölbt und genutzt wurden, womit die Nikolaikirche auf deutschem Gebiet zu den ersten Kirchen gehörte, die solche Kapellen nutzte.

Westportal der Nikolaikirche

Danach wurde das Erdgeschoss des nördlichen Turms sowie die daran angeschlossene Annenkapelle errichtet (in der bis 1938 die Figur der Anna selbdritt aufbewahrt wurde), anschließend der Unterbau des Südturms sowie die Außenmauer des westlichen Langhauses und die Pfeiler am Langhaus, wofür die Reste der Vorgängerkirche abgerissen wurden. Der Nordturm wurde auf eine Höhe von 30 Metern aufgemauert, der Südturm nur bis auf Höhe des alten Westbaus. Daraufhin wurde weiter am Langhaus gebaut (das Langhaus wurde gegen Ende der 1360er Jahre fertiggestellt) und erst dann wieder am Südturm, der nun gleichzeitig mit dem südlichen Obergaden aufgemauert wurde. Auch das Westportal wurde etwa zur gleichen Zeit in den alten Westbau eingefügt. An seiner linken Seite verkündet eine Kalksteintafel vom Beginn der Bauarbeiten am Langhaus zu Ostern 1318, an seiner rechten Seite eine Platte vom Beginn des Baus des ersten freistehenden Turmgeschosses 1329.

Die nördliche Außenmauer des Mittelschiffs wurden fertiggestellt und daraufhin die südliche Außenmauer; aus einer Stiftungsurkunde „für einen Altar unter der großen Orgel“ aus dem Jahr 1368 ist zu ersehen, dass das Mittelschiff zu diesem Zeitpunkt bereits genutzt wurde.

Von den beiden Türmen wurde der Südturm zuerst vollendet, wahrscheinlich im frühen 15. Jahrhundert, anschließend der Nordturm; beide gotische Türme waren gleich hoch. Bei einem Brand im Jahr 1662, der von der Jacobikirche ausging, wurden die hölzernen Turmaufbauten zerstört. Im Jahr 1667 wurde daraufhin der südliche Turm mit einer Barockhaube versehen; der nördliche Turm erhielt nur ein Notdach.

Kirchengeschichte

Die Kirche galt als die Hauptkirche Stralsunds, was auf ihre Lage in der ursprünglichen Altstadt, direkt neben dem Stralsunder Rathaus, zurückzuführen ist. Hier wurden nicht nur Gottesdienste, sondern auch Ratssitzungen abgehalten, Gesandtschaften wurden empfangen und Geschäfte getätigt. Ratsschreiber und Ratsarchiv hatten hier ihre Räume. Gesetze und Verordnungen gab der Rat in der Nikolaikirche bekannt (die bursprake).

Reformation

Christian Ketelhot, einer der Reformatoren der Stadt, predigte in der Nikolaikirche im Juni 1524. In der Folge brach der Gegensatz zwischen Anhängern der alten, katholischen Lehre und der neuen, reformatorischen Lehre offen aus. Prediger wurden bei ihren Predigten offen beschimpft und verunglimpft. Der Lesemeister der Dominikaner, Wilhelm Lowe, wurde gar im Herbst 1524 von der Kanzel gezogen und verprügelt.

Am 10. April 1525 hatte der Rat der Stadt die von ihm alimentierten Armen in die Nikolaikirche zur Prüfung bestellt. Nach Beendigung dieser Prüfung gingen die Ratsherren in das benachbarte Rathaus; kurze Zeit später brach in der Kirche der als Stralsunder Kirchenbrechen bekannt gewordene Bildersturm los. Altäre und Schreine wurden zerstört und gestohlen; diese Bewegung breitete sich von der Nikolaikirche aus auf Johanniskloster, die Jakobikirche und die Marienkirche. Ketelhot und seine Anhänger konnten diesen Sturm nicht aufhalten. Am Folgetag beschloss der Rat, die Verantwortlichen zu bestrafen. Gestohlenes Kirchengut wurde gesammelt. Die Anhänger des katholischen Glaubens sahen sich in Anbetracht des Geschehenen im Vorteil. In dieser Situation rief der Altermann Ludwig Fischer auf dem Alten Markt vor der versammelten Menge: „Wer bei dem Evangelium bleiben will, lebendig oder tot, der komme hierher auf diese Seite!“ - und schnell sammelte sich die Mehrheit der versammelten Menge tatsächlich zu seiner Seite. Die Reformation hatte „gesiegt“. Bereits am nächsten Tag wurde der Rat umbesetzt und ein Bürgerausschuss gebildet; fortan sollte die lutherische Lehre gelten. Mit Johannes Knipstro und Johannes Aepinus bekam die Reformation herausragende Verfechter in Stralsund. Knipstro wurde Pastor an St. Nikolai, Ketelhot bekam zusammen mit Kureke die Hauptpfarren.

Aepinus' am 5. November 1525 verkündete Kirchen- und Schulordnung wurde alsbald als erstes Dokument dieser Art für ganz Norddeutschland verkündet.

Der Bürgermeister Nikolaus Gentzkow beschrieb in seinen Tagebüchern von 1558 bis 1567 auch die in der Nikolaikirche getätigten Geschäfte und Rechtsprechungen.

Gemeinde

Die Nikolaigemeinde gehört zum Kirchenkreis Stralsund der Pommerschen Evangelischen Kirche.

Literatur

  • Ernst Uhlemann: Die Stralsunder St. Nikolaikirche. 2. vermehrte Auflage. Verlag der Königlichen Regierungs-Buchdruckerei, Stralsund 1924.
  • Fritz Adler: Stralsund. In: Burkhard Meier (Hrsg.): Deutsche Lande / Deutsche Kunst. 2. Auflage. Deutscher Kunstverlag, Berlin 1928.
  • Theodor Waehlin: Die astronomische Uhr in der Nikolaikirche zu Stralsund und ihr astronomisches System in: Das Weltall, Berlin 1928/29.
  • Prof. Dr. Herbert Ewe: Das alte Stralsund. Kulturgeschichte einer Ostseestadt. 2. Auflage. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1995, ISBN 3-7400-0881-4.
  • Paul-Ferdi Lange (Hrsg.): Wenn Räume singen. St. Nikolai zu Stralsund. Edition herre, Stralsund 2001, ISBN 3-932014-11-1.
  • Juliane von Fircks, Volkmar Herre: Anna Selbdritt. Eine kolossale Stuckplastik der Hochgotik in St. Nikolai zu Stralsund, Edition herre, Stralsund, ISBN 3-932014-08-1.
  • Michael Huyer: Die Stralsunder Nikolaikirche. Die mittelalterliche Baugeschichte und kunstgeschichtliche Stellung, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2005, ISBN 3-935749-58-9
  • Tilo Schöfbeck, Karl-Uwe Heußner: Dendrochronologische Untersuchungen an mittelalterlichen Kunstwerken zwischen Elbe und Oder, in: Tradition - Transformation - Innovation. Die bildende Kunst des Mittelalters in der Mark Brandenburg, hrsg. von P. Knüvener, A. Labuda und D. Schumann, Berlin 2008, S. 172-187.

Weblinks

54.31531666666713.0911666666677Koordinaten: 54° 18′ 55″ N, 13° 5′ 28″ O


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