Nikolay Danilevsky

Nikolay Danilevsky
Nikolai Jakowlewitsch Danilewski.

Nikolai Jakowlewitsch Danilewski (russisch Николай Яковлевич Данилевский; * 28. Novemberjul./ 10. Dezember 1822greg. in Sankt Petersburg; † 7. Novemberjul./ 19. November 1885greg. in Tiflis) war ein russischer Naturwissenschaftler, politischer Schriftsteller und Programmatiker des Panslawismus.

Inhaltsverzeichnis

Panslawistisches Programm

Danilewski schrieb in den Jahren 1865 bis 1867 ein 1871 in Petersburg veröffentlichtes Buch mit dem Titel Russland und Westeuropa. In diesem programmatischen Werk konstruiert er eine kulturelle Identität Russlands und der slawischen Welt, die als eigenständiger Kulturtypus Europa entgegen gesetzt wird. Ein Kampf zwischen beiden „Kulturen“ hält er dabei für „unausweichlich“. Er entwickelt dabei eine Theorie der „kulturhistorischen Typen“ und der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung von Zivilisationen. Diese Zyklentheorie basiert auf einem idealtypischen Geschichtsbild, wie es bereits von Giambattista Vico formuliert wurde. Danach verläuft Geschichte ewig und ideal nach bestimmten Zeitabläufen, in denen die Geschichten aller Völker eine Phase des Aufstieg, Fortschritts, Stillstands und Verfalls durchlaufen und enden.

Danilewski nimmt für sein Geschichtsbild Erkenntnisse der Biologie auf. Die Menschheit wird dabei in größere Einheiten aufgeteilt, ähnlich wie er es aus der Botanik mit ihrer Klassifizierung in verschiedene Ordnungen und Familien kannte. Das von Karl Nötzel 1920 in Teilen mit dem Titel Russland und Europa ins Deutsche übersetzte Buch wird die „Bibel“ des Panslawismus genannt.

Russland versus Europa

Nikolai Danilewski macht drei wesenhafte Unterschiede in der „Mentalität und dem Charakter“ zwischen dem „germanisch-romanischen Kulturtyp“ und der zu errichtenden slawischen Zivilisation aus, die er jeweils einander diametral gegenüberstellt.

Gewaltsamkeit versus duldsame Rechtgläubigkeit

Eine Wesensmerkmal aller Völker des germanisch-romanischen Kulturtyps gemeinsam ist, ist die Gewaltsamkeit. Das Gefühl von Persönlichkeit und Individualität dieser Personen ist nach Danilewski unverhältnismäßig ausgeprägt, dass die betreffenden Menschen ihre eigene Überzeugung und ihre eigenes Interesse so hoch stellen, dass sie anderen versuchen diese aufzuzwingen.

Da sich die religiöse Intoleranz der römischen Kirche im Protestantismus fortgesetzt habe, folgert er, müsse untrüglich eine Grausamkeit in den germanisch-romanischen Völkern wesenhaft vorhanden sein. Ein wichtiges Indiz sieht er darin, dass dieser Kulturtyp es sogar geschafft habe, das grundsätzlich gewaltlose Christentum für die eigene Sache zu instrumentalisieren.

Der prinzipielle Charakter der Gewaltsamkeit des europäischen Typs steht in seiner Theorie die Duldsamkeit des russischen Typs gegenüber. Während Europa den christlichen Glauben brutal entstellt habe, habe der russische Typ seine „Rechtgläubigkeit“ erhalten können. Der Russe sei von Natur aus ein friedlicher Mensch.

Parteienstreit versus "Volksseele"

Danilewski sieht in seiner Theorie zwischen Russen und Europäer einen Unterschied im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung. In Europa sei die Entwicklung durch den Kampf gegensätzlicher Parteien und Interessengruppen vollzogen worden. Die brutaleren Parteien haben sich dabei durchgesetzt und die immer die friedfertigen verfolgt. Dagegen hätten in Russland geschichtliche Entwicklungen auf rein innerer Basis, in der Tiefe der „Volksseele“ unsichtbar und geräuschlos stattgefunden: „Das Volk sagt sich innerlich von dem los, was der Ablösung oder Veränderung unterliegt, der Kampf verläuft im Inneren des Volksbewusstseins, und wenn die Zeit kommt, das Alte durch das Neue in der Tat zu ersetzen, so vollzieht sich dieser Ersatz mit erstaunlicher Raschheit, ohne sichtbaren Kampf (…).“ Parteien seien in Russland Fremdkörper: „Alles, was man bei uns Parteien nennen kann, hängt von dem Eindringen ausländischer und fremdländischer Einflüsse in das russische Leben ab; wenn man deshalb bei uns von einer aristokratischen oder demokratischen Partei spricht, von einer konservativen oder fortschrittlichen, so wissen alle sehr wohl, daß dies nichts als leere Worte sind, hinter denen sich keinerlei Inhalt verbirgt.“

Wahre orthodoxe Kirche versus verlogener Katholizismus und Protestantismus

Eine Dritte Unterscheidung macht er hinsichtlich der Kirchenzugehörigkeit. Mit der aus Europa entwickelten philosophischen Tradition der Wahrheit-Lüge-Dichotomie antwortet er auf die Überlegung, ob nicht der christliche Hintergrund der Konfessionen eine verbindendes Element beider Kulturtypen darstellen könne: "(...) dass der Unterschied der Wahrheit von der Lüge unendlich ist, und dass sich zwei Lügen stets weniger voneinander unterscheiden als jede von ihnen von der Wahrheit (...)." Da die orthodoxe Kirche die Wahrheit ist, müssen die beiden Lügen Protestantismus und Katholizismus miteinander mehr gemein haben, als jede von ihnen mit der orthodoxen Wahrheit.

Wirkung

Danilevskis in seiner eurasischen Werteordnung begründete Ablehnung des Westens, der Aufklärung, des Individualismus, des Rationalismus und der Säkularisierung fand mit Dmitri Mereschkowski, Dostojewski und in Deutschland mit Arthur Moeller van den Bruck und dem jungen Thomas Mann berühmte Nachahmer.

Seine Zyklentheorie beeinflusst noch im 20. Jahrhundert Historiker und Kulturwissenschaftler wie Christopher Dawson, Reinhold Niebuhr, Rushton Coulborn, Pitirim Sorokin, Henri Pirenne, Othmar Anderle, Karl August Wittfogel, J. De Beus und nicht zuletzt: Samuel P. Huntingtons und Bassam Tibi. Übertroffen wurden sie in ihrer Rigorismus nur noch von den zyklischen Vorstellungen Oswald Spenglers und Arnold Toynbees.

Der kulturpessimistische These Danilewskis über den Verfall einer Kultur ist engverbunden mit der Vorstellung vieler nicht nur konservativer Denker, die nach einer Phase der Dekadenz an eine Restauration oder gar eine kulturelle Wiedergeburt glauben. Zentral finde sich diese Einstellung bei fast allen Denkern der Konservativen Revolution, wie z.B. beim erwähnten Arthur Moeller van den Bruck.

Werke

  • Danilewskij, Nikolaj Jakovlevič. Rossija i Evropa. Vzgljad na kul'turnyja i političeskija otnošenija Slavjanskago mira k Germano-Romanskomu (Russland und Europa. Eine Ansicht der kulturellen und politischen Beziehungen der slavischen Welt zur germanisch-romanischen). S.-Petersburg 1871. (Teilübersetzung auf Deutsch: 1920, Nachdruck 1960)

Literatur

  • Gazi Caglar: „Panslawistische Verteidigungsgemeinschaft“ gegen Europa – Nickolaj Jakolvlevic Danilevskij. In: Ders.: Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen. Der Westen gegen den Rest der Welt. Eine Replik auf Samuel P. Huntingtons Kampf der Kulturen. Unrast Verlag, Münster 2002, ISBN 3897714140

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