Niniveh

Niniveh
Ninive (Irak)
DMS
Ninive
Ninive
Ninive auf der Karte des Irak

Ninive, Ninua (auch Niniveh, assyrisch Ni-nu-a; aramäisch ܢܝܢܘܐ) war eine altmesopotamische Stadt am Tigris, im heutigen Irak. Die Überreste der Stadt sind heute in den Ruinenhügeln (Tells) von Kujundschik und Nebi Jenus am linken Ufer des Tigris gegenüber der heutigen Stadt Mossul verborgen. Die Stadt ist eines der alten Kultzentren des Landes. Assyrischen Überlieferungen nach soll sie von der Göttin Ištar um 1800 v. Chr. gegründet worden sein. Nach dem Grabungsbefund ist sie allerdings um Jahrhunderte älter.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Gebiet der Stadt war bereits in der Hasunna- und Halafzeit besiedelt. Die frühesten Reste konzentrieren sich an der Mündung des Chusur in den Tigris. Weitere Siedlungsreste stammen aus der Uruk- und Ninive-5-Zeit. In der späten Urukzeit hatte die Stadt bereits eine beträchtliche Ausdehnung, Matthiae nimmt an, dass der gesamte Tell mit einer Fläche von 40 ha bewohnt war. Ergraben ist aber lediglich ein Teil des Ischtar-Tempels. Aus der Akkad-Zeit sind die ersten Stadtmauern nachgewiesen.

Schamschi-Adad I. rühmt sich, die Emenue-Kapelle und die Zikkurat Ekitschkuga, das Zentrum des Emaschmasch (Assyrisch Emesnes), des zentralen Heiligtums der Ischtar, renoviert zu haben. Dabei habe er eine Gründungsurkunde von Manischtuschu, dem Sohn Sargons von Akkad gefunden. Der Bau würde also aus der Zeit um 2300 v. Chr. stammen.

Nach dem Ende des altbabylonischen Reiches wurde Hammurabi von Babylon Schutzherr des Ischtartempels, wie es in der Einleitung seiner Gesetzesstele berichtet wird. Weitere Renovierungsarbeiten fanden in mittelassyrischer Zeit statt, die Hauptstadt war damals aber noch Assur. Mutakkil-Nusku ließ nach einer Inschrift Tiglat-Pilesars den „Palast der vier Weltgegenden“ restaurieren. An seinen Türpfosten waren Bilder der wilden Tiere der Berge und des großen Meeres zu sehen, unter anderem ein Bild eines Seepferdes, das der König selber erlegt hatte. Die Türen bestanden aus Fichtenholz und waren mit Bronze beschlagen. Assur-resch-Ischi begann mit dem Bau eines Palastes, den aber erst sein Sohn vollendete. Seine Mauern waren mit glasierten Ziegeln in den „Farben von Obsidian, Lapislazuli und Alabaster“ verkleidet. Es handelt sich vielleicht um das bit kutalli in der Unterstadt. Tiglat-Pileser III. ließ auch die Stadtmauern von Ninive und einige Gebäude des Emaschmasch wieder aufbauen. Die Mauern wurden mit einer Verkleidung aus Kalksteinplatten versehen. Auch baute er einen Kanal, um die Palastgärten mit Wasser vom Chusur zu versorgen. Sie lagen vermutlich unterhalb des Tells von Kujundschik. Die Bauinschriften Tiglat-Pilesar III. erwähnen auch Bauten von Schamschi-Adad, Assur-uballit I. und Salmanassar I. Auch Assur-bel-Kala baute einen Palast in Ninive, wie eine Inschrift von der berühmten Ischtar-Statue aus Kalkstein berichtet. Die Statue (94 cm) befindet sich heute im Britischen Museum.

Eine administrative und religiöse Hochblüte erlebte Ninive in der Zeit von 704 bis 681 v. Chr. unter Sanherib als Hauptstadt des neuassyrischen Reiches. Assurbanipal (669 bis 626 v. Chr.) erweiterte die Stadt und machte sie zum Mittelpunkt seines Reiches.

Sanherib ließ einen 80 Kilometer langen Kanal bauen, um die Stadt mit Wasser zu versorgen, und errichtete einen Staudamm. In der Stadt, die mit doppelten Mauern mit Türmen umgeben war, entstanden prachtvolle Paläste, die reich mit Reliefs verziert waren. Auffallend ist, dass es sich vorwiegend um Kampf-, Jagd- und Kultszenen handelt und religiöse Darstellungen in der Minderheit sind.

Am 10. August 612 v. Chr. wurde Ninive als dritte und letzte Hauptstadt Assyriens (nach Assur und Nimrud) von den Medern und Babyloniern zerstört.

Bei den Ruinen von Ninive fand im Dezember 627 n. Chr. die Entscheidungsschlacht im letzten römisch-persischen Krieg statt, siehe Schlacht von Ninive

Geschichte der Ausgrabungen in Ninive

Herabnahme des Geflügelten Stieres

1842 wurde Ninive von Paul-Émile Botta wieder entdeckt und teilweise ausgegraben. Die Zeit der ersten britischen Grabungen auf dem Tell Kujundschik (1845 – 1855) wurde eingeläutet durch Austen Henry Layard und C. Rassam. Während der ersten überaus erfolgreichen Kampagne entdeckte man einige neuassyrische Tempel und Palastbauten.

Ende des 19. Jahrhunderts erregte die Entdeckung von Keilschrift-Tafeln mit der „biblischen“ Sintflut-Erzählung (Fragmente des Gilgamesch-Epos) durch George Smith großes Aufsehen und gab den Schub für weitere Ausgrabungen auf dem Tell. Es wurde eine regelrechte Jagd nach den Tafeln ausgelöst („tablet hunt“), der sich auch C. Rassams Bruder Hormuzd Rassam anschloss. Die Funde von Tontafeln stammen überwiegend aus der Bibliothek des Assurbanipal. Im frühen 20. Jahrhundert wurden die Ausgrabungen von dem Briten Richard Campbell Thompson fortgeführt. 1931-32 legten R. C. Thompson und Max Mallowan einen Tiefschnitt an, der die Schichten von Ninive 1 erreichte (heute als Hassuna-Zeit bekannt). Die Schichtenfolge des Tiefschnitts:

  • Ninive 5 - bemalte Keramik, Frühdynastisch, 2900-2360 v. Chr.
  • Ninive 4 - Djemdet-Nasr-Zeit, entspricht Tepe Gaura X-VIII
  • Ninive 3 - Obed (Obed 3/4)
  • Ninive 2 - östliches Halaf
  • Ninive 1 - Hassunna

Während der Kampfhandlungen der beiden Weltkriege wurde der Tell Kujundschik wegen seiner strategisch günstigen Lage von türkischen beziehungsweise britischen Militärs als Basislager genutzt. Dennoch wird der im Krieg entstandene Schaden in der Forschung geringer eingeschätzt, als der Schaden, den Thompsons Ausgrabungen für die Archäologie bedeuten. Insgesamt ließ man während dieser umstrittenen Ära von Grabungen wenig Sorgfalt walten bei der graphischen Dokumentation architektonischer Überreste.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es lange ruhig um Ninive, bis die irakische Abteilung für Antiquitäten 1965 wieder den Anfang machte. Besonderen Wert legte man auf die Restauration der Paläste und Tempel und es wurden mehrere Rettungsgrabungen durchgeführt. Weite Bereiche wurden erneut aufgedeckt und zum Schutz der Reliefs überdacht. Das gesamte Gelände innerhalb der alten Stadtmauern erklärte die Regierung zum archäologischen Park und erteilte ein striktes Bauverbot.

Die bisher letzten Grabungen von 1987 bis zum Ausbruch des Golf-Krieges unternahm ein amerikanisches Team unter der Leitung von D. Stronach. Die irakische Antiquitätenverwaltung hat Teile der antiken Stadtmauer und auch zwei Stadttore restauriert, zuletzt mit Unterstützung der amerikanischen Armee.

Geschichte der Ausgrabung des Süd-West-Palasts

Unter den von Austen Henry Layard während seiner ersten Kampagne entdeckten Bauten war der Palast des neuassyrischen Königs Sanherib, der sog. Süd-West-Palast. A. H. Layard identifizierte dessen Erbauer durch Inschriften als „den Sohn des Erbauers von Chorsabad“.

Obwohl Layard in seiner zweiten Kampagne große Teile des Palastes freilegen konnte und spätere Ausgrabungen weiter Bereiche im Nord-Westen und Süd-Westen erschlossen, ist bisher nur gut die Hälfte des Gebäudes ausgegraben worden und der Rest ist vermutlich nicht mehr vorhanden.

1904 begann der Brite Richard Campbell Thompson Ausgrabungen am Süd-West-Palast durchzuführen, die er 1930 fortsetzte. Doch wegen der mangelnden Dokumentation seiner Ausgrabungen ist den ersten Ausgräbern - vor allen A. H. Layard - zu verdanken, dass wir heute äußerst genaue Grundriss-Zeichnungen des Süd-West-Palastes besitzen. Die Ruine des Süd-West-Palasts haben die irakischen Archäologen in ein Museum integriert.

Ninive in der Bibel

Im Alten Testament der christlichen Bibel bzw. im jüdischen Tanach einschließlich der Apokryphen wird Ninive häufiger erwähnt. Eine besondere Rolle spielt es im Buch Nahum, das Prophezeiungen über den Untergang Ninives enthält, sowie im Buch Jona, das von einer Sendung des gleichnamigen Propheten nach Ninive erzählt.

Sonst wird es in 1. Mose/Genesis 10,11 in einer Notiz über Nimrod, der nach biblischer Erinnerung der erste Großkönig der Weltgeschichte war, erwähnt. In 2. Könige 19,36 wird es als Residenz des Assyrerkönigs Sanherib, der in Juda eingefallen war, erwähnt.

Im Buch Zephanja 2,10-13 findet sich ein Fremdvölkerspruch gegen Ninive, das hier stellvertretend für ganz Assyrien steht. Der Untergang der Stadt wird mit Bildern angekündigt, die aus der altorientalischen Stadtzerstörungsklage bekannt sind:

„Auch Rohrdommeln und Eulen werden wohnen in ihren Säulenknäufen, das Käuzchen wird im Fenster schreien und auf der Schwelle der Rabe.“ (Zeph. 2,12)

Die Stadt wird zum Spott der Vorübergehenden, die pfeifen und in die Hände klatschen aus Freude über ihre Zerstörung. Wie die Prophezeiungen des Nahumbuches ist dieses Wort vor der Zerstörung Ninives durch die Babylonier und Meder gesprochen und sagt diese voraus.

Der Prophet Nahum aus Elkosch beschreibt die bevorstehende Zerstörung der Stadt in drastischen Bildern. Die Stadt wird im Feuer aufgehen, die Einwohner durch das Schwert umkommen, während die Königin und die Jungfrauen hinweggeführt werden und das Volk über die Hügel zerstreut. Die Mauern des Palastes sollen durch die Wasser des umgeleiteten Flusses zerstört werden. Wie eine reife Feige wird die Stadt fallen, auch wenn sie sich noch so sicher fühlt.

„Siehe, ich will an dich, spricht der Herr Zebaoth; ich will dir den Saum deines Gewandes aufdecken über dein Angesicht und will den Völkern deine Blöße und den Königreichen deine Schande zeigen. Ich will Unrat auf dich werfen und dich schänden und ein Schauspiel aus dir machen, daß alle, die dich sehen, vor dir fliehen und sagen sollen: Ninive ist verwüstet; wer will Mitleid mit ihr haben?“ (Nahum 3, 5-7).

Das Aufdecken des Gewandes ist eine entehrende Strafe, wie sie Prostituierten zuteil wurde.

Die drastischen Bilder der Prophetenbücher sind aus der damaligen Zeit zu verstehen, als Reaktion eines kleinen Volkes, das unter der brutalen Macht der Assyrer gelitten hatte; im Übrigen ist zu beachten, welche Bilder und Vergleiche die Assyrer selbst verwendeten, um ihre Siege über andere Völker zu beschreiben. Die assyrischen Könige rühmen sich beispielsweise, Leichenberge aufgehäuft oder Flüsse mit dem Blut besiegter Feinde gefüllt zu haben. Die drastische, brutale Sprache ist altorientalisches Gemeingut.

In späteren alttestamentlichen Schriften, im Buch Jona, das wahrscheinlich erst in hellenistischer Zeit entstanden ist, sowie den Büchern Tobit und Judit, die keineswegs älter sind, ist die Erinnerung an Ninive als Assyrerhauptstadt weitergeführt worden, die Stadt steht nun als literarisches Symbol aller Großmächte, unter deren Vorherrschaft Israel stand (so bei Jona) bzw. als Hauptstadt der (negativ) idealisierten, Israel beherrschenden oder bedrohenden Großmacht (so bei Tobit und Judit). Dass die Stadt zum literarischen Topos für die bedrohliche Großmacht überhaupt geworden ist, zeigt sich im Buch Jona sowie im Buch Judit darin, dass das Ninivebild mit Elementen anderer Großmächte verbunden ist. Im Jonabuch sind Elemente in das Ninivebild eingeflossen, die ursprünglich mit den Persern verbunden waren (Eingottglaube der Niniviten; gemeinsames Dekret des Königs und seiner großen Beamten; Einbeziehung der Tiere in die Buße); im Juditbuch ist Ninive, die alte Hauptstadt Assyriens, als Residenz Nebukadnezars dargestellt, der in Wirklichkeit nicht König von Assyrien, sondern von Babylon war. Zugleich hat dieser einen Feldhauptmann mit dem persischen Namen Holofernes. Im Jonabuch sind also mit Ninive die Elemente zweier Großmächte verbunden, mit denen Israel es in seiner Geschichte zu tun hatte, der Assyrer und der Perser, im Juditbuch ist Ninive als Residenz Teil eines Großmachtbildes, in das Elemente dreier Großmächte eingegangen sind, der Assyrer, Babylonier und Perser.

Ninive bei Schriftstellern des klassischen Altertums

Xenophon beschrieb in der Anabasis (III 4, 10–12) die Ruinen von Ninive unter dem Namen Maspila, die er wohl selbst gesehen hatte, aber er verbindet sie mit der Meder-Herrschaft und der Eroberung durch Kyros. Herodot (I. 178) berichtet von einer Stadt Ninos am Tigris, nach deren Fall der Sitz des Königtums nach Babylon verlegt worden sei.

Spätere Autoren wie Ktesias berichten, Ninos sei durch den König Ninos gegründet worden (so wie Babylon durch Belos), wissen aber sonst wenig Konkretes zu berichten. Die Beschreibung des Grabmals des Ninos bei Diodor lässt vermuten, dass man zu dieser Zeit den ganzen Tell mit den Ruinen des Grabmals gleichsetzte.

Literatur

Zu Archäologie und Geschichte der Stadt

  • Paolo Matthiae, Ninive, glanzvolle Hauptstadt Assyriens. München 1999. ISBN 3-7774-8240-4
  • J.E. Reade, Art. Ninive (Nineveh), in: Reallexikon der Assyriologie 9, Berlin (u. a.) 1998-2001.
  • David Stronach/Kim Codella, Art. Niniveh, in: The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Ancient Near East 4, New York (u. a.) 1997.

Zur Rolle Ninives in der Bibel

  • Walter Dietrich, Ninive in der Bibel, in: ders., Theopolitik. Studien zur Theologie und Ethik des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 2002.
  • Meik Gerhards, Ninive im Jonabuch. In: Johannes Friedrich Diehl (u. a.) (Hrsg.): Einen Altar von Erde mache mir. Festschrift für Diethelm Conrad zu seinem siebzigsten Geburtstag, Waltrop 2003.

Zu Ninive bei Schriftstellern der Klassischen Altertums

  • Reinhold Bichler/Robert Rollinger: Die Hängenden Gärten zu Ninive – Die Lösung eines Rätsels?, in: Robert Rollinger (Hrsg.), Von Sumer bis Homer, Festschrift für Manfred Schretter zum 60. Geburtstag am 25. Februar 2004, AOAT 325, Münster 2005.

Weblinks

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