Nirvāna

Nirvāna

Nirwana (Sanskrit, n., निर्वाण, nirvāṇa; nis, nir = aus, vā = wehen) bzw. Nibbana (Pali, nibbāna) ist die Bezeichnung für das buddhistische Heilsziel, den Austritt aus Samsara, dem Kreislauf des Leidens, durch Erleuchtung. Das Wort bedeutet „Erlöschen“ (wörtlich „Ver-wehen“) und bezeichnet das Auslöschen aller an die Vorstellung vom Dasein bindenden Faktoren (Ich-Sucht, Gier, Anhaften usw.) - verwandte Begriffe im Buddhismus sind „Leerheit“ (Skrt: Shunyata) sowie „Soheit“ (Tathata). Nirwana ist für Buddhisten auch die Befreiung von der Wiedergeburt (Reinkarnation).

Der Begriff ist schwer zu definieren und hat in der Rezeptionsgeschichte des Buddhismus im Westen zu Missverständnissen geführt. Insbesondere hat es dem Buddhismus zu Unrecht den Vorwurf eingebracht, es handele sich um eine nihilistische Lehre. Nirwana kann letztlich mit Worten nicht beschrieben werden, es kann nur erlebt und erfahren werden als Folge intensiver meditativer Schulung. Das Leben ist nach buddhistischer Ansicht einer Münze vergleichbar: Die eine Seite ist Samsara (weltliche, relative Sicht), die andere ist Nirwana (überweltliche, absolute). Beide Seiten sind untrennbar miteinander verbunden.

Nirwana ist kein Ort. Es ist kein „Himmel“ und keine greifbare Seligkeit in einem Jenseits. Nirwana ist ein Abschluss, kein Neubeginn in einer anderen Sphäre. Somit ist es eine Situation der Zustandslosigkeit, in dem alle Vorstellungen und Wunschgebilde gleichsam überwunden und gestillt sind.

Inhaltsverzeichnis

Methoden zum Erreichen des Nirwanas

Nirwana wird erreicht im Loslassen von allen an einer Welt haftenden Bedingungen (vgl. samsara). Folglich bedeutet Nirwana nicht etwas, das sich erst mit dem Tod einstellt, sondern kann – die entsprechende mentale oder spirituelle Entwicklung vorausgesetzt – schon im Leben erreicht werden (Zustand des Arahat). Nirwana wird von Buddha an mehreren Stellen des Suttapitaka „das höchste Glück“ genannt [1]. Dieses keinem Entstehen, Vergehen und Anderswerden unterworfene Wohl [2] ist allerdings nicht ein angenehmes Gefühl, sondern ein Glück unabhängig und jenseits von allen Gefühlen, Bedingungen und Gestaltungen [3]. Nirwana ist gleichbedeutend mit innerer Ruhe und besteht im Freisein von aller Unruhe des Geistes, allen Wünschen und Denkvoraussetzungen. Nirwana bezeichnet damit einen spezifischen, aber ungewöhnlichen und gemeinhin unbekannten Geisteszustand. Er wird auch beschrieben als bildlos (animitta), richtungslos (apranihita) und unterscheidungslos (ekalakshana).

Durch intensive Betrachtung eines der drei Merkmale des Daseins („Unbeständigkeit, „Leidhaftigkeit“, „Leerheit“) durchläuft der Meditierende verschiedene Erkenntnisstufen (Vipassanâ-ñâna). Die kontinuierliche neutrale Beobachtung aller Daseinsphänomene (Gefühle, Sinnesobjekte, Gedanken) führt zu einer allmählichen Loslösung und gipfelt in der sogenannten Erfahrung des maggaphala („Moment der Frucht“). Dieses Ereignis, das im Theravada als die eigentliche Erfahrung des Nirwanas gilt, verändert den Meditierenden - führt zu einem „Bruch mit der Welt“. Die Eindringlichkeit und Stärke dieser Erfahrung macht auch den Grad der „Erlöstheit“ eines Menschen aus.

Über die Unmöglichkeit, Nirwana zu beschreiben

Nirwana ist das Versiegen aller Begierden, aber ganz anders, als man sie sich vorstellen kann und zu sagen wüsste. Nirwana fällt unter keinen bekannten oder auszudrückenden Begriff, denn Erleuchtung und damit Nirwana sind nicht jedermanns Alltagserfahrung. Alle verständlichen sprachlichen Begriffe bilden sich aber durch die Kommunikation der Menschen über etwas, das jedem zugänglich ist.

Nirwana ist kein Gegenstand, sondern eine Erfahrung. Man kann sie, ähnlich wie z. B. Gefühle (Dankbarkeit, Trauer oder Wut) oder Wahrnehmungen (warm, salzig oder rot) nicht klar beschreiben, sondern nur erfahren. Das Äußerste ist, die Gegebenheiten zu beschreiben, bei denen man diesen (Gefühls-)Erfahrungen begegnet, um anderen eine Identifizierung des Begriffinhaltes zu ermöglichen. Erst wer einmal die Erfahrung gemacht hat, wird Analogien verstehen, die sie umschreiben oder ihre Intensität ausdrücken. Wer Nirwana erfahren hat, kann daher darüber nicht unmissverständlich zu jemandem sprechen, der diese Erfahrung noch nicht hat. Deshalb spricht er lieber nicht darüber, sondern lehrt Meditationstechniken, die helfen sollen, Nirwana zu erfahren.

Da nach Auskunft von Erleuchteten im Zustand des Nirwanas erfahren wird, dass alles gegenständlich begriffliche Denken nur Täuschung ist, kann man nicht sagen, dass Nirwana aus Teilen zusammengesetzt ist oder vielfältige Eigenschaften und Teile wie ein Ding habe, auch nicht, dass Nirwana einen Raum wie ein Ding einnimmt oder zeitlich ist. Deshalb ist die Welt im Nirwana im Vergleich zur üblichen Wirklichkeit leer. Das bedeutet nicht, dass Nirwana völliges Nichts ist oder totale Leere, sondern dass man diese gegenstandslose, leidfreie Sicht nicht mit einzelnen Begriffen richtig beschreiben kann. Ferner, dass jede Benennung gegenüber dieser Realität viel mehr falsch als richtig, viel mehr unähnlich als ähnlich ist.

Das Problem dabei ist, dass man das Nirwana nicht mit Gefühlen verwechseln darf. Gefühle sind vergänglich und daher nicht Nirwana. Nirwana ist eine Bezeichnung für die Ablösung vom Gefühl und von allem Vergänglichen. So heißt es vom Buddha im Udana:

„Es ist, ihr Mönche, jenes Reich, wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Feuer noch Luft, nicht unendliches Raumgebiet, noch unendliches Bewußtseinsgebiet, nicht das Gebiet der Nichtirgendetwasheit, noch das Gebiet der Wahrnehmung und auch Nicht-Wahrnehmung, nicht diese Welt noch eine andere Welt, [nicht] beide, Sonne und Mond. Das, ihr Mönche, nenne ich weder Kommen noch Gehen noch Stehen noch Vergehen noch Entstehen. Ohne Stützpunkt, ohne Anfang, ohne Grundlage ist das; eben dies ist das Ende des Leidens.“

Buddha: Udāna, VIII. Pātaligāma, Ud.VIII.1 Nibbana 1[4]

Was Nirwana nicht ist

Buddhisten legen großen Wert darauf, dass Nirwana nicht als ins Riesige gesteigerte Freude oder riesig gesteigerte Gemeinschaft oder Liebe betrachtet wird. Nirwana ist auch kein Wesen, das so ähnlich wie Personen mit einem Verstand und Willen ausgestattet ist und handelt. Nirwana handelt nicht, denkt nicht und will nicht, sondern es ist einfach da als erfüllende Sicht der absoluten Wirklichkeit, als Erfahrung der alles beendenden vollkommenen Leerheit. Auch ist Nirwana kein Gott, der die Menschen vor Unglück bewahrt oder aus Lebensgefahren befreit, wenn man in Gebeten inständig darum bittet. Nirwana erschafft auch nicht die vielen Weltdinge, wie die Quelle einen Bach hervorbringt oder wie ein Künstler sein Kunstwerk erschafft. Man weiß nichts darüber, sagt der Buddha, wie das Entstehungsverhältnis von den Weltdingen ist. Möglicherweise ist es so, dass die Welt zeitlich immer dauert. Aber es ist nicht nützlich, darüber zu spekulieren, denn alles Sprechen trifft nicht das, was man im Nirwana-Erlebnis erfährt.

Nirwana ist eine Einsicht.

In psychisch-existentieller Hinsicht ist Nirwana das Verlöschen von falschen Wirklichkeitsvorstellungen, von Leidenschaften und Begierden, es ist die Aufhebung des „Durstes“: des Verlangens, etwas unbedingt haben zu wollen oder unbedingt von etwas frei sein zu wollen. Wenn ein Träumer erwacht, merkt er, dass er aus dem Traumbewusstsein hinausgetreten ist. Ebenso kann das als normal geltende Wachbewusstsein überwunden werden, sodass ein Erwachen auf einer höheren Ebene stattfindet, ein Erwachen in eine andere Wirklichkeit – in die absolute Wirklichkeit. Durch die Nirwana-Erfahrung weiß man, dass das, was man im Alltag als Realität erfährt, Maya (Schein) ist. Man ist dabei nicht mehr der, als den man sich selbst kennt, sondern in der Nirwana-Erfahrung ist das Ich verloschen (aufgehoben). Wer Erleuchtung erlangt und damit das Nirwana dauerhaft erfährt, sammelt kein Karma mehr an, wird nicht mehr geboren und geht im Tod vollständig ins Nirwana ein (Parinirvana).

Der Buddha lehrt, dass alles, was man vom Menschen als Person kennen kann, vergänglich ist. Wer endgültig ins Nirwana eingeht, kann in nichts mehr als Person wieder gefunden werden. Manche meinen, das vollständige Verlöschen des Ichs im Nirwana bedeute eine Auflösung und Vernichtung der Person. Dies ist insofern nicht richtig, als die Annahme einer Person nur eine Täuschung und damit nie wirklich existent war. Der Körper stirbt daher auch nicht sobald man Nirwana erlangt hat.

Nirwana aus der Sicht des Mahayana

Im Mahayana hat Nirwana einen positiven Charakter, da hiermit die niederen Aspekte des Ich abfallen (erlöschen) und die Identifikation mit dem spirituellen Ich erfolgt. Nagarjuna sieht das wirklich Reale als Shunyata (»Leerheit«). Nirwana ist demgemäß die Erkenntnis (Einssein) der »Leere«, aus der und in der alles Vergängliche lebt und Einblick in die Einheit von Welt (Samsara), Körper, Geist und Seele. Es ist die Freiheit von der Bindung an Zustände von Unglück, Zufriedenheit und Glück. Zugleich ist es die Erfahrung der Glückseligkeit im intensiven Wahrnehmen der eigenen Identität mit dem absoluten Bewusstsein. Spirituelle Glückseligkeit wie im »Reinen Land« des Amitabha ist jenseits von gesteigerter menschlicher Freude oder menschlichem Liebesgefühl.

Stufen der Erlösung

Im Pali-Kanon, den Textquellen des Buddhismus, werden vier Stufen der „Erlösung“ eines Menschen unterschieden:

  1. die Stufe des Stromeintritts (pali: sotapatti)
  2. die Stufe der Einmalwiederkehr (pali: ekadagami)
  3. die Stufe der Nichtwiederkehr (pali: anagami)
  4. die Stufe der Arahatsschaft (pali: arahatta)

Der Stromeingetretene, der Nibbana das erste Mal „erfährt“, wird durch seine De-Identifikation mit seiner Welt (dem „Anprasseln“ aller Sinneswahrnehmungen) befreit und soll höchstens sieben Mal wiedergeboren werden können, da der Prozess der Weltablösung von nun an sich „von selbst“ verstärkt. Innerhalb dieser restlichen sieben Wiedergeburten kann er laut scholastischer Definition nicht unterhalb der menschlichen Existenz wiederkehren.

Der Einmalwiederkehrer (der Nibbana ein zweites Mal tiefer erfährt) hat nur noch (maximal) eine einzige Wiedergeburt in der Götter- oder Menschenwelt vor sich.

Der Nichtwiederkehrer wird ebenfalls nur noch ein weiteres Mal wiedergeboren - allerdings in einer bestimmten sehr feingestalteten Welt, dem Bereich der „Brahmas“.

Die Arahatschaft gilt als höchste Verwirklichung des Nirwanas. Ein Arahat hat keine weitere Wiedergeburt vor sich. Obwohl er mit dem Körper noch im Leben steht, ist er innerlich „befreit“ und steht gleichsam „außerhalb“ der Welt. Im Pali-Kanon sind unzählige Gleichnisse überliefert, die den seltsamen „Zustand“ eines solchen Heiligen in Form von Bildern zu beschreiben versuchen. Berühmt ist z. B. der Vergleich mit einem Lotusblatt: genauso, wie ein Tropfen Wasser, der ein Lotusblatt berührt, dieses zwar „trifft“, aber nicht daran hängen bleibt. Ebenso wird der Heilige zwar, solange sein Körper noch besteht, von aller Wahrnehmung „getroffen“, bleibt an diesen aber nicht „hängen“.

Parinirvana

Parinirvana (Skrt.), Parinibbana (Pali) meint das „vollständige Erlöschen“ und ist ein Synonym für Nirwana. Parinirvana wird vielfach gleichgesetzt mit dem nach-tödlichen Nirwana Nirupadhishesha-Nirwana, kann aber auch das vor-tödliche Nirwana Sopadhishesha-Nirwana bezeichnen. In Mittelindien ist mit Parinirvana auch nur der Tod eines Mönches oder einer Nonne gemeint.

Siehe auch

Literatur

  • Paul Debes: Können wir "uns" zum Absoluten (Nirvana) "zurückführen"? In: Der Buddha und seine Lehre - Elf Beiträge zur rechten Anschauung. Verlag Beyerlein & Steinschulte, 2002. ISBN 3931095266
  • Nyanaponika Mahathera: Anatta und Nibbana (= Pali-Wort für "Nirvana") In: Im Lichte des Dhamma. Beyerlein & Steinschulte, 1989. ISBN 9783931095017

Weblinks

Einzelnachweise

  1. z.B. Dhammapada 203 und Majjhima Nikaya 75
  2. Anguttara-Nikaya III, 48
  3. Anguttara-Nikaya IX, 34
  4. palikanon.com: Udāna, VIII. Pātaligāma übersetzt von Karl Seidenstücker

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