Nomenklatorischer Typus

Nomenklatorischer Typus

Ein Typus ist in biologischen Nomenklaturen ein Bezugspunkt, der als Grundlage zur wissenschaftlichen Beschreibung eines Taxons dient.

Die genauen Grundlagen für die Typisierung eines Taxons finden sich in den entsprechenden Nomenklaturcodes der entsprechenden Disziplinen, z. B. dem Internationalen Code der Botanischen Nomenklatur oder den Internationalen Regeln für die Zoologische Nomenklatur. Diese Regelwerke differieren teilweise voneinander.

Auf Artebene und darunter handelt es sich dabei generell um Individuen des entsprechenden Lebewesens, für höhere Taxa können je nach Code auch untergeordnete Taxa herangezogen werden (für eine Gattung also eine bestimmte Art, für eine Familie eine bestimmte Gattung usw.). Je nach Disziplin können aber auch andere Formen als Typen dienen, so z. B. Illustrationen (Botanik) oder Lebendkulturen (Bakteriologie). Die Vorlage eines Typexemplars kann eine zwingende Voraussetzung für die Gültigkeit einer Beschreibung sein.

Inhaltsverzeichnis

Zoologie

In der Zoologischen Nomenklatur bezeichnet ein namenstragender Typus ein in der Erstbeschreibung eines nominellen Taxons herausgestelltes Exemplar oder ein weiteres Taxon, das die objektive Bezugsgrundlage für den neuen Namen darstellt[1]. Für Taxa der Artgruppe ist dies ein Exemplar, für Taxa der Gattungs- und Familiengruppe ein nominelles Taxon aus der mit dem jeweiligen Gruppennamen gleichlautenden Rangstufe der jeweils nächst-niedrigeren Gruppe.

Die aufgeführten Merkmale der Erstbeschreibung werden von diesem Exemplar, seinen Paratypen bzw. dem herausgestellten Taxon abgeleitet. Beim Vergleich von Merkmalen bezieht sich der Name des untersuchten Taxons immer primär auf den namenstragenden Typus, selbst wenn die Beschreibung von diesem abweicht. Die Festlegung des namenstragenden Typus ist notwendig, um Zweifelsfälle auszuräumen, die durch eine unvollständige oder fehlerhafte Erstbeschreibung entstehen. Solche Unvollständigkeiten sind fast unausweichlich, da die Relevanz einiger der Merkmale zum Zeitpunkt der Erstbeschreibung noch nicht bekannt sind.

Typen der Artgruppe

Der Holotypus ist ein einzelnes Exemplar, das als namenstragender Typus schon bei der Aufstellung einer Art oder Unterart als solcher festgelegt wurde. Häufig wird während der Erstbeschreibung neben dem Holotypus eine ganze Typusserie angegeben, um die Stabilität bzw. Variation von Merkmalen zu dokumentieren. Die neben den Holotypus gestellten Exemplare einer solchen Serie heißen Paratypen. Wurde für die Erstbeschreibung auf Basis einer Typusserie kein Holotypus explizit festgelegt (bis 2000 erlaubt), spricht man von Syntypen (gelegentlich auch Cotypen). Ein im Nachhinein aus dieser Serie als namenstragender Typus bestimmtes Exemplar wird als Lectotypus, im deutschen Sprachraum auch als Hololectotypus und die übrigen Exemplare der Serie als Paralectotypen bezeichnet. Ist in der Vergangenheit kein Typusexemplar archiviert worden oder ist dieses seit der Erstbeschreibung verschollen, kann durch einen bearbeitenden Taxonomen ein neuer namenstragender Typus, ein so genannter Neotypus, bestimmt werden.

Namenstragende Typen der Artgruppe werden mit entsprechenden Vermerken in den wissenschaftlichen Sammlungen aufbewahrt und entsprechend gekennzeichnet. Durch die sammlungsspezifische Typusnummer und den Ort der Aufbewahrung (meistens die systematische Sammlung eines Universitätsinstituts oder eines Museums) gelangen spätere Bearbeiter an das Typusexemplar. Als Beispiel ist etwa der Holotypus der ausgestorbenen Protostegidae namens Santanachelys gaffneyi in der japanischen Teikyo Heisei Universität in Ichihara, Chiba unter der Nummer THUg1386 archiviert. Bestimmt wurde dieser Typus vom Erstbeschreiber Ren Hirayama durch die in der Nature 1998 erschienene Erstbeschreibung [2].

Botanik

Der Typus wird in der Botanik (einschließlich der Mykologie, Algenkunde und der Paläobotanik) durch die Artikel 7 bis 9 des ICBN geregelt (hier noch der Saint Louis-Code). Als Typus für Arten werden neben Abbildungen nur konservierte Pflanzen, Algen oder Pilze akzeptiert, nicht lebende Kulturen.

Ein Holotypus (Holotyp) ist dann definiert, wenn der Erstbeschreiber eines Taxon ein einziges Exemplar oder Illustration als solches definiert (Art 9.1). Es ist nicht nötig, dass ein Holotyp typisch ist. Der Ort des erstmaligen Auffindens eines Holotypus wird als locus classicus bezeichnet. [3] Wurden vom Autor mehrere Exemplare zur Beschreibung eines Taxons verwendet, kann es notwendig sein, ein einzelnes Exemplar als Typus zu bestimmen, das dann Lektotypus heißt (Art 9.2). Ein Isotyp ist ein Duplikat des Holotyps, muss jedoch immer ein Exemplar sein. Ein Syntyp ist jedes Exemplar, das in der Erstbeschreibung genannt wird, wenn kein Holotyp definiert ist. Ein Paratyp ist ein Exemplar, das in der Erstbeschreibung genannt wird, aber weder der Holotyp, noch ein Isotyp oder ein Syntyp ist. Ein Neotyp ist ein Exemplar oder eine Abbildung, das ausgewählt wird, wenn der ursprüngliche Holotyp verloren ist, und dient dann als nomenklatorischer Typus. Ein Epityp wird ausgewählt, wenn der Holotyp, Lektotyp oder Neotyp eines korrekt publizierten Namens nachweislich uneindeutig ist. Bei der Wahl des Epityps muss der Holotyp etc., auf den er sich bezieht, explizit genannt werden. Ein Typotypus ist ein Herbarbeleg, der als Grundlage für eine Abbildung dient, die ihrerseits dann der Typus für die Beschreibung ist.[4] Dieser Fall gilt für einige von Linné beschriebene Arten.

Der Typus einer Gattung (oder eines Taxons unterhalb der Gattung) ist der Typus des zugeordneten Artnamens (Art. 10). Es reicht bereits die Nennung des gültig veröffentlichten Artnamens, es muss kein direkter Bezug auf dessen Typus genommen werden. Es kann auch nur eine Art Typus sein, die bei der Erstbeschreibung der Gattung dieser zugeordnet wurde.

Der Typus einer Familie (oder eines Taxons unterhalb Familienrang) bezieht sich in analoger Weise auf eine Gattung.

Das Typusprinzip gilt nicht automatisch für Taxa oberhalb des Familienrangs, außer der Name leitet sich von einem typifizierten Taxon ab (wie Magnoliales von Magnolia); dann ist automatisch der Typus der namensgebenden Gattung der Typus des höheren Taxons.

Bakteriologie

Auch in der Bakteriologie ist unabdingbar und dauerhaft mit jedem Taxon ein nomenklatorischer Typus verknüpft. Geregelt sind diese im International Code of Nomenclature of Bacteria (ICNB) in der Sektion 4, „Nomenclatural Types and Their Designation“ [5]. Zwar sind auch eine reine Beschreibung, ein konserviertes Exemplar oder sogar nur eine Illustration zulässige und legitime Formen von Typen, sie sollten aber nur verwandt werden, wenn eine Lebendkultur nicht möglich ist (z. B. bei Extremophilen).

Im Falle von Lebendkulturen ist der nomenklatorische Typus immer ein bestimmter Bakterienstamm. Wenn diese Verknüpfung eines Stammes explizit im Rahmen der Erstbeschreibung vom Autoren vorgenommen wird, handelt es sich bei diesem Stamm um den Holotyp. Wenn der Stamm verlorengeht, kann durch Publikation im International Journal of Systematic Bacteriology ein Neotyp vorgeschlagen werden, indem die Originalbeschreibung eindeutig genannt wird, der neue Stamm eindeutig . Dieser vorgeschlagene Neotyp (proposed neotype) wird zwei Jahre nach Publikation des Vorschlags zum etablierten Neotyp (established neotype), vorausgesetzt seine Publikation blieb im ersten Jahr widerspruchsfrei.

Für Gattungen ist eine der Arten der Erstbeschreibung der nomenklatorische Typ, er wird entweder schon bei der Aufstellung der Gattung zum Typ erklärt oder nachfolgend aus einer der Arten der Erstbeschreibung ausgewählt. Oberhalb der Gattung bis hin zur Ordnung ist der Typ jeweils die namensgebende Gattung, die Gattung Rhodospirillum ist also gleichzeitig Typ der Familie Rhodospirillaceae, der Unterordnung Rhodospirillineae und der Ordnung Rhodospirillales. Oberhalb von Ordnungen ist der Typ eine der enthaltenen Ordnungen, sie wird vom Autor der Beschreibungen bestimmt. Wenn diese Bestimmung fehlt, kann sie nur durch eine Opinion der Judicial Commission des International Committee on Systematics of Prokaryotes (ICSP) nachträglich ergänzt werden.

Quellen

  1. IRZN 2000: 169
  2. Ren Hirayama: Oldest known sea turtle. In: Nature. London 392.1998, S.705–708
  3. Art. 9 ICBN
  4. Gerhard Wagenitz: Wörterbuch der Botanik. 2. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, Berlin 2003, S. 337. ISBN 3-8274-1398-2
  5. International Code of Nomenclature of Bacteria (1990 Revision), 3. Rules of Nomenclature with Recommendations, Section 4 „Nomenclatural Types and Their Designation“, Online

Literatur

  • Internationale Regeln für die Zoologische Nomenklatur. Vierte Auflage. Angenommen von der International Union of Biological Sciences. Offizieller Deutscher Text: ausgearbeitet von O. Kraus. -- Naturwissenschaftlicher Verein in Hamburg, Abhandlungen, N.F., 34: 232 S.; Hamburg 2000. -- [IRZN 2000] online Version, englisch: [1]
  • Greuter, W. et al. (2000): International Code of Botanical Nomenclature (Saint Louis Code). Regnum Vegetabile, 138. Koeltz Scientific Books, Königstein. ISBN 3-904144-22-7. Online Version (engl.)
  • McNeill, J. et al. (2006): International Code of Botanical Nomenclature (Vienna Code). Regnum Vegetabile, 146. Koeltz Scientific Books, Königstein. ISBN 3-906166-48-1 Online Version (engl.)
  • S.P. Lapage, P.H. Sneath, V.B.D. Skerman, E.F. Lessel, H.P.R. Seeliger, W.A. Clark: International Code of Nomenclature of Bacteria, 1990 Revision (Bacteriological Code), ASM Press, Washington, D.C., 1992, ISBN 1-55581-039-X, Onlineversion

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