Nordamerikanische Indianer

Nordamerikanische Indianer
Indianerstämme in den USA beim ersten Kontakt mit Europäern

Zu den Indianern Nordamerikas werden üblicherweise sämtliche Indianer nördlich von Mexiko gezählt. Dies beinhaltet das Staatsgebiet Kanadas, wo sie First Nations genannt werden und die USA, wo sie als Native Americans oder American Indians bezeichnet werden. Heute sind in den USA 562 Stämme anerkannt (davon allein 225 in Alaska),[1] in Kanada 615, wobei das Department of Indian Affairs and Northern Development insgesamt 632 aufführt. Ausgenommen sind dabei die Ureinwohner Hawaiis, die Inuit, Unangan und Dorset, die sich genetisch und kulturell stark von den nordamerikanischen Indianern unterscheiden. Ebenfalls nicht zu den Indianern gezählt werden Ethnien wie die Métis.

Eine Eigenart der nordamerikanischen Indianer ist, dass sich Völker derselben Sprachgruppe weder kulturell ähnlich, noch räumlich nah sein müssen. Die nordamerikanischen Indianergesellschaften unterschieden sich kulturell erheblich. Es gibt demokratisch organisierte Stämme mit Ältestenrat, Stammesrat und Ratsfeuer wie die Irokesen, zum anderen monarchisch organisierte Stämme wie Wampanoag oder Powhatan. Kulturen wie die der Nuu-chah-nulth basieren auf der Jagd, andere auf Reiternomadentum oder Ackerbauern.

Das Oberhaupt eines Stammes wird in den verschiedenen europäischen Sprachen, die mit den Indianern in Berührung kamen, unterschiedlich tituliert: Chief (englisch), Sachem (französisch) oder Kazike (spanisch: cacique). Im Deutschen übersetzt man diese Titel als Häuptling. Die Bezeichnung wurde später auf Stämme übertragen, die keine herausgehobenen Führer hatten. Bei Prärieindianern wie den Absarokee waren alle erfahrenen Krieger als Chief anerkannt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Besiedlung Nordamerikas

Hauptartikel: Besiedlung Amerikas, Geschichte der First Nations

Die Erforschung der Besiedlung Nordamerikas ergibt ein recht einheitliches Bild; im Gegensatz zu Mittel- und Südamerika. Die Besiedlung erfolgte nach heutigem Wissensstand in drei, möglicherweise vier Einwanderungswellen: Die erste Welle traf am Ende der letzten Eiszeit um etwa 12.000–11.000 v. Chr. von Asien her über die Landbrücke Beringia in der heutigen Beringstraße oder in Booten entlang der Küste ein. Die die erste flächendeckend verbreitete Kultur war die Clovis-Kultur, die etwa das genannte Alter hat. Mit der zweiten Welle trafen die Vorfahren der Na-Dené-Indianer ein und mit der dritten jene der Inuit. Möglicherweise wanderten die Vorfahren der Algonkin in einer separaten Welle zwischen den Clovis und den Na-Dené nach Amerika. Einige Funde wie der des Kennewick-Mannes lassen vermuten, dass möglicherweise weitere Gruppen von Europa oder Ozeanien aus den Weg nach Amerika gefunden haben. Diese Einwanderungswellen stimmen auch mit Ergebnissen des als einer der großen Linguisten des 20. Jahrhunderts angesehenen Joseph Greenberg in seinem Buch Languages in the Americas überein, nach denen sich sämtliche indianischen Sprachen Amerikas auf drei untereinander nicht näher verwandte Sprachgruppen zurückführen lassen: Amerind, Na-Dené und Eskimo-Aleutisch.

Neben fragwürdigen Thesen, wie zum Beispiel denen, die Indianer würden von den aus Israel vertriebenen jüdischen Stämmen abstammen (wie etwa John Eliot und Thomas Thorowgood mutmaßten), oder Amerika sei von Atlantis aus besiedelt worden, existieren auch besser belegte Hinweise auf präkolumbische europäische Besiedlung. Gesichert ist, dass die Wikinger um 1000 n. Chr. in Neufundland (Kanada) eine Siedlung errichteten. Als rein spekulativ muss jedoch die These bezeichnet werden, wonach der walisische Prinz Madoc im 12. Jahrhundert mit einer Gruppe nach Nordamerika gesegelt sei und sich im Gebiet der heutigen US-Bundesstaaten Kentucky, Georgia und Tennessee niedergelassen haben soll; diese Gruppe soll den Indianerstamm der Mandan gegründet haben.

Die ersten Siedler trafen auf Großwild wie Mammuts, Mastodonten, Moschusochsen, Riesenfaultiere, Elche, Karibus und Bären. Sie jagten diese Tiere mit Harpunen, Wurfspießen und Speerschleudern. Weiter sammelten sie Beeren, Nüsse und Wildreis. Entlang der Küsten fingen sie Fische und Meeressäuger. Zwischen 13.000 und 9.000 v. Chr. wich das Eis zurück und hinterließ zahlreiche Seen und Flüsse, die sich zur Fischerei und als Handelswege anboten.

Kulturelle Entwicklung

Anasazi-Pueblo in Arizona

Die Geschichte der Indianer in Nordamerika wird in Epochen oder Perioden und diese in einzelne Kulturen eingeteilt. Die erste Periode ist die der Paläo-Indianer bis etwa 8000 v. Chr., auf sie folgt die Archaische Periode.

Ab etwa 1000 v. Chr. teilt sich die Entwicklung regional auf, im Südosten und Osten Nordamerikas beginnt die Woodland-Periode bis etwa zum Jahr 1000 oder weiter im Norden 1200, als sie von der Mississippi-Kultur insbesondere im American bottom, dem Kerngebiet um den Mississippi River in den heutigen Bundesstaaten Missouri, Illinois und Kentucky abgelöst wurde. Weiter nördlich, an den Großen Seen entstand gleichzeitig die Kultur der Oneota. Beide Kulturen bestanden etwa bis zum Eintreffen der ersten Europäer und dem Beginn der historischen Zeit. Der kulturelle Wandel durch die eindringenden Europäer, der Bevölkerungszusammenbruch durch eingeschleppte Krankheiten und die systematische Verdrängung der Ureinwohner nach Westen schufen erst die Indianer-Völker, denen die Weißen bei ihrem Vordringen in das Innere des Kontinents begegneten und die das Bild der Indianer bis heute prägen.

Im Westen und insbesondere den Wüstenregionen des Südwestens ist nach dem Ende der Archaischen Periode eine klare Abgrenzung von Epochen nicht möglich, hier gehen Kulturen regional und zeitlich sehr unterschiedlich in einander über oder lösen sich mit teilweise beträchtlichen Siedlungsunterbrechungen ab.

Die erste bekannte Indianerkultur in Nordamerika war die Clovis-Kultur, benannt nach einer Fundstätte in New Mexico und gekennzeichnet durch ihre charakteristischen Projektilspitzen. Die Clovis-Menschen lebten etwa 11.600 v. Chr. bis 10.700 v. Chr. und waren Jäger der eiszeitlich geprägten Megafauna aus Mammut und anderem Großwild. Klimatische Effekte und vermutlich auch der Jagddruck ließen die meisten Großssäuger aussterben, die Bison blieb als größtes Wildtier erhalten. Die folgende Folsom-Kultur (ca. 10.700 v. Chr. bis 8.500 v. Chr.) erstreckte sich von den Großen Seen über die Prärie bis in den Südwesten der USA und war durch weiter entwickelte Projektilspitzen an die Jagd auf Bisons angepasst.

In der weiteren Folge der Klimaveränderungen am Ende der Eiszeit wurde ab etwa 5000 v. Chr. von Süden her in immer größeren Gebieten Ackerbau möglich, so dass in den folgenden Jahrtausenden etliche Indianervölker vom nomadischen Jäger- und Sammlertum zum sesshaften Ackerbau übergingen. Die dazu erforderlichen Kenntnisse wurden teilweise aus Mesoamerika übernommen. Besonders im Südosten der heutigen USA schufen indianische Völker Hochkulturen.

Eine Besonderheit in der nordamerikanischen Kulturgeschichte stellen die Mound-Builder-Kulturen (Adena und Hopewell) dar. Sie dauerten etwa von 1000 v. Chr. bis v. Chr. und schufen riesige Erdhügel (Mounds), die aus kleinen Begräbnisstätten hervorgingen und später im Laufe der Differenzierung der Gesellschaften und der Ausbildung von Herrschaftsformen zu Repräsentationszwecken dienten. Die Mound-Builder-Kulturen gingen in die Mississippi-Kultur über, die hochstehende Gesellschaftsformen hervorbrachten.

Aus Vermischung der Cochise- mit der Mogollon-Kultur entstanden etwa um 100 n. Chr. im Südwesten der heutigen USA die Anasazi mit ihren Lehmbauten an oder in Felswänden. Vermutlich löste eine Dürreperiode ab etwa 1150 n. Chr. eine Völkerwanderung aus und Gruppen der Nun-Kultur (Vorfahren der Paiute und Ute) sowie Gruppen der Fremont-Kultur (Vorfahren der Diné, Apachen und Yuma) drängten in das Gebiet der Anasazi. Die Anasazi-Kultur ging in die Pueblo-Kultur über.

In den Great Plains, den Prärien waren vor der Verbreitung des erst mit den Spaniern eintreffenden Pferdes nur die Flusstäler dauerhaft besiedelt. Die Überschwemmungsbereiche boten gute Bedingungen für den Ackerbau. Im Einzugsgebiet des Mississippi und Missouri Rivers sind schon vor dem europäischen Kontakt die Pawnee, Arikara und Mandan beziehungsweise Vorgänger nachweisbar.

Kolonialgeschichte

Nach der ersten Reise von Christoph Kolumbus im Jahre 1492 nach Amerika wanderten immer mehr Europäer nach Amerika ein. Allein zwischen 1620 und 1770, also bis knapp vor der amerikanischen Unabhängigkeit, stieg die weiße Bevölkerung in den USA von 2.000 auf über 2,2 Millionen an. Dies führte zu Landstreitigkeiten zwischen Weißen und Indianern und zu einer starken Wandlung der indianischen Kulturen.

Die europäischen Kolonialmächte verhielten sich den indianischen Völkern gegenüber unterschiedlich. Dies wird am Beispiel der französischen und englischen Kolonialpolitik deutlich. Die Franzosen begegneten den befreundeten Indianern mit Geschenken und mit Handel, die Engländer versuchten ihren Einfluss in Nordamerika dank Verträgen mit indianischen Völkern auszuweiten. Beide Mächte zögerten nicht, gegen feindliche Indianer in den Krieg zu ziehen, wenn sie ihre Ausdehnung von indianischen Völkern behindert sahen.

Mit den ersten europäischen Kolonisten zogen christliche Missionare unterschiedlicher Glaubensrichtungen nach Amerika. Sie setzten ihren Glauben oft mit Gewalt durch. Indianer mussten ihren traditionellen Glauben zu Gunsten des Christentums aufgeben. Da Religion und Kultur untrennbar miteinander verbunden sind, hatte dies tiefe Eingriffe in die indianischen Kulturen zur Folge und trug zur Zerstörung dieser Kulturen bei.

Pelzhandel

Der Pelzhandel zwischen Euro-Amerikanern und Indianern nimmt eine wichtige Rolle in der amerikanischen Kolonialgeschichte ein. Die europäischen Einwanderer hatten großen Bedarf an Pelzen für den heimischen Markt. Besonders Otter- und Biberpelze waren für Kopfbedeckungen sehr begehrt. Die weißen Händler tauschten die Pelze bei den Indianern ein oder kauften sie weißen Fallenstellern (Trapper) ab. Oft stießen die Fallensteller in bisher für die Einwanderer unbekanntes Gebiet vor und trugen so erheblich zur Erkundung Amerikas bei. Die Weißen waren an Handelskoalitionen mit indianischen Stämmen nicht nur aus ökonomischen sondern auch aus politischen Gründen interessiert, brauchten sie doch diese Allianzen im Kampf um die koloniale Vormachtstellung in Amerika. Für die Indianer brachte der Pelzhandel erhebliche Änderungen der Machtverteilung mit sich. Wer sich eine gute Position im Pelzhandel sichern, und damit europäische Güter wie zum Beispiel Feuerwaffen einhandeln konnte, war klar im Vorteil. Der Pelzhandel brach im 19. Jahrhundert zusammen. Gründe waren die Ausrottung der Pelztiere an vielen Orten Nordamerikas und die Änderung der Hutmode in Europa.

Neue Waffen

Tauschhandel mit Indianern, Kupferstich, 17. Jahrhundert

Die europäischen Einwanderer brachten nach 1492 verschiedene Kulturgüter mit sich, die das Leben der Indianer nachhaltig veränderten. Die Anwendung von Metallspitzen auf Speeren und Pfeilen führte zu ersten Kräfteverschiebungen unter den indianischen Nationen. Früher hatten sie Steinspitzen aus Granit oder anderen harten Steinen gebaut. Regelrechte Völkerwanderungen wurden jedoch durch die ungleichmäßige Einführung von Feuerwaffen entlang der nordamerikanischen Ostküste und von der Hudson Bay aus ausgelöst. Stämme, die zuerst Feuerwaffen erhielten, konnten benachbarte Stämme oft völlig aus ihren angestammten Gebieten vertreiben, was zu regelrechten Domino-Effekten führte. Später berühmt gewordene Stämme wie die Lakota oder die Cheyenne waren ursprünglich sesshafte Bewohner des östlichen Waldlandes, bevor mit Feuerwaffen ausgestattete Nachbarn sie verdrängten. Solange Vorderlader verwendet wurden, hatten Feuerwaffen vor allem einen psychologischen Vorteil und eine größere Reichweite als Pfeil und Bogen, waren jedoch Pfeil und Bogen in puncto Feuergeschwindigkeit stark unterlegen.

Noch 1866 erlangten größtenteils mit Pfeil und Bogen bewaffnete Lakota und Cheyenne entscheidende Siege gegen US-Truppen. Bereits im Folgejahr, als die US-Armee mit Repetiergewehren ausgestattet war, änderte sich dies schlagartig. Dem rücksichtslosen Einsatz von industriellen Tötungsmitteln gegen Männer, Frauen und Kinder wie Gebirgshaubitzen, Hotchkiss-Schnellfeuerkanonen, die 100 Schuss pro Minute abfeuerten, sowie Gatling-Kanonen, einer frühen Form des Maschinengewehrs, hatten die Indianer nichts entgegenzusetzen.

Pferde

Travois der Cheyenne

Die frühen spanischen Einwanderer führten Pferde mit sich, die sich rasch in Nordamerika verbreiteten und von vielen Indianervölkern in ihre Kultur integriert wurden. Besonders für die nomadischen Völker der Great Plains wurden die Pferde zu einem zentralen Gut (Sacred Dogs). Sie konnten die Travois und damit auch die Tipis der Prärieindianer erheblich vergrößern, waren mobiler und konnten sich in Gegenden ausbreiten, die früher unbewohnbar waren. So wurde ein großer Teil der Plains, das karge Grasland, erst nach Einführung des Pferdes besiedelt. Diese machten auch die vorher sehr mühsame Jagd auf die dort lebenden Bisons wesentlich einfacher. Ehemals kleine und schwache Stämme wie die Comanche, Lakota oder Cheyenne wurden zu erheblichen Machtfaktoren in den Plains.

Massensterben durch Infektionskrankheiten

Sehr viele Menschen der indianischen Bevölkerung verstarben auch an von Einwanderern eingeschleppten neuen Infektionskrankheiten, gegen die das Immunsystem der Indianer noch nicht gerüstet war.

Man geht davon aus, dass etwa 90% der Indianer aufgrund dieser Krankheiten starben.

Indianerpolitik

Die Indianerpolitik der Vereinigten Staaten und Kanadas war gezeichnet vom Wunsch der weißen Siedler nach Land und der folglichen Unterwerfung der Indianer. Im Jahre 1763, noch vor der Gründung der USA, entstand durch den Proclamation Act erstmals ein separates Indianer-Territorium, das die Indianer im Wesentlichen von den europäischen Auswanderern trennte. Das Gesetz trennte das Land entlang der Wasserscheide der Appalachen: Der westliche Teil wurde den Indianern zugeschrieben, der östliche den Weißen. Der Indian Removal Act von 1830 autorisierte den amerikanischen Präsidenten, die östlich des Mississippi lebenden Indianer nach Westen umzusiedeln, notfalls mit Gewalt. 1834 wurde Oklahoma offiziell zum Indianer-Territorium deklariert. In den Jahren 1838-39 kamen bei der Umsiedlung der Cherokee vom Gebiet des Ohio Rivers nach Oklahoma von 10.000 Cherokee rund 4.000 ums Leben. Insgesamt wurden rund 50.000 Indianer unterschiedlichster Stämme des Ostens nach Oklahoma umgesiedelt. Dies führte zu Konflikten mit den traditionell dort ansässigen Indianerstämmen.

Indianische Mutter mit Kleinkind, 1917

Ende des 19. Jahrhunderts hatten die europäischen Einwanderer sämtliche Indianer unterworfen. Hierbei spielten verschiedene Faktoren eine Rolle und wurden unterschiedliche Mittel eingesetzt: Indianerkriege, Umsiedlung, übermäßig viele weiße Siedler, eingeschleppte Krankheiten, gebrochene Verträge und gezielte Ausrottung der Bisons als Lebensgrundlage vieler Indianer. Das Massaker von Wounded Knee im Jahre 1890 markiert den endgültigen Sieg über die Indianer; seitdem lebten sie in Reservaten und waren von den Lebensmittelrationen der Weißen abhängig. Mit dem Reservatsland blieben den Indianern diejenigen Gebiete, welche die Weißen zuletzt für sich beanspruchten, meist unwirtliche Flächen. Dies stand im Widerspruch zur Absicht sowohl Kanadas als auch der USA, die Indianer in den Reservaten zu Ackerbauern umzubilden. Die Indianer konnten aufgrund ihrer nunmehr sehr kleinen Ländereien und da das Wild sehr stark dezimiert wurde, nicht mehr als Jäger und Sammler leben, wie es zum Beispiel die Indianer der Plains vor der Reservatszeit getan hatten.

Auch nach der Unterwerfung der Indianer versuchten die Weißen, das so genannte „Indianerproblem“ zu beseitigen, auch weil die Lebensmittelrationen Geld kosteten. Verschiedene Versuche wie der General Allotment Act, der Indian Reorganization Act und die Termination scheiterten aber nacheinander. Erst mit dem Indian Self Determination Act von 1968 erhielten die Indianer einen Teil ihrer Rechte wieder zurück. Ihr Leben ist jedoch nach wie vor geprägt von Rassendiskriminierung und Armut.

Kanada verabschiedete 1876 mit dem Indian Act ein Gesetz, das die kanadischen Indianer künftig als Mündel der Regierung behandeln ließ. Als solche können sie nicht über sich selbst entscheiden, sind jedoch von jeglichen Steuern befreit. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts senkte das Canadian Department of Indian Affairs (kanadisches Amt für Indianerangelegenheiten) die vertraglich zugesicherten Lebensmittelrationen für Indianer.

Bis in die 1970er Jahre wurden indianische Kinder - in Kanada wie in den USA - früh aus ihren Familien gerissen und in meist kirchliche Internate gesteckt. Dort durften sie nicht ihre Stammessprache sprechen und mussten das Christentum annehmen. Später kamen seelische und körperliche Misshandlungen an die Öffentlichkeit. Junge indianische Frauen wurden teilweise unter Zwang sterilisiert.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelangten die Indianer zu einigen Rechten. So erhielten sie 1960 in Kanada das Wahlrecht auf Bundesebene. 1982 unterschrieb Kanada einen Verfassungsartikel, womit es die traditionellen Rechte der Indianer wie auch die in staatlichen Verträgen festgelegten Rechte anerkannte. Mehrere indianische Gruppierungen errangen anschließend dank diesem Artikel vor Gericht Siege.

Siehe auch: Geschichte der USA, Geschichte Kanadas, First Nations

Wahrnehmung in Europa

Jacques Cartier

In Europa wurden die nordamerikanischen Indianer zu Beginn der Kolonialisierung Amerikas als „Wilde“, „Barbaren“ und „Heiden“ angesehen, die den Europäern klar unterlegen seien. Tatsächlich waren die Europäer den Indianer militärisch und technologisch überlegen. Außerdem fühlten sie sich verpflichtet, die Indianer zu christianisieren. Dieses Bild rührte sowohl von frühen Berichten europäischer Seefahrer her, aber auch von freiwilligen oder erzwungenen Besuchen der Indianer in Europa. Als erste kehrte die Mannschaft von Gaspar Corte-Real um 1500 mit 50 Beothuk-Gefangenen aus dem Gebiet des heutigen Kanada nach Portugal zurück. Etwa zur selben Zeit brachte Sebastian Cabot die ersten nordamerikanischen Indianer als Attraktionen an die englischen Höfe und Jacques Cartier 1534 die ersten an die französischen Höfe. Eine besondere Rolle nahm dabei die Häuptlingstochter Pocahontas ein, die 1619 von John Rolfe nach England geführt und als „Indianer-Prinzessin“ herumgereicht wurde.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wandelte sich das europäische Bild der Indianer ins Gegenteil. Die Indianer wurden nicht mehr abschätzig als „Wilde“ bezeichnet sondern zunehmend romantisierend als „Edle Wilde“. Eigenschaften, welche die Indianer von den Europäern unterschieden, wurden nun nicht mehr negativ sondern positiv interpretiert. So sahen die Europäer die Indianer nicht mehr als primitiv, faul und kindlich unvernünftig an, sondern als anspruchslos, ruhig und unschuldig.

Vom 19. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts herrschte dieses romantisierende Bild in der europäischen Literatur vor, zum Beispiel in den Romanen von Karl May und Fritz Steuben. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann sich allmählich ein differenzierteres Bild durchzusetzen.

Indianischer Widerstand

1944 gründeten Indianer verschiedenster Indianervölker den National Congress of American Indians (NCAI), der als erste und einzige panindianische Widerstandsorganisation gilt. Bereits früher waren diverse andere indianische Organisationen entstanden, die allerdings nicht bei allen Stämmen Unterstützung fanden. Der NCAI wurde zum Zwecke des besseren Schutzes der indianischen Rechte gegründet. Er verstand es als seine Aufgabe, in der amerikanischen Bevölkerung Öffentlichkeitsarbeit zum besseren Verständnis der indianischen Kultur und Situation zu leisten und sich für die Bewahrung der traditionellen kulturellen Werte einzusetzen. Der NCAI setzte sich für das Ende der Termination und für das Erstarken der Stammesregierungen ein. Bereits Ende des Zweiten Weltkrieges hatte der NCAI Mitglieder aus beinahe allen Stämmen in seinen Reihen.

Mit den Jahren stieg die Unzufriedenheit insbesondere unter den jüngeren Mitgliedern. Viele Indianer waren enttäuscht über das langsame Vorgehen des Kongresses. So spalteten sich 1961 der „Nationale indianische Jugendrat“ (National Indian Youth Council – NIYC), der sich für den indianischen Nationalismus stark machte, und 1968 die „Amerikanische Indianerbewegung“ (American Indian Movement – AIM) ab. Letztere in den Städten entstandene Bewegung sorgte Ende der 1960er und anfangs der 1970er Jahre mit ihren zum Teil recht militanten Aktionen für Schlagzeilen. 1969 besetzten AIM-Mitglieder zusammen mit Indianern verschiedener Stämme die verlassene vor San Francisco liegende ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz, um dort ein Zentrum für indianische Kultur sowie ein Museum einzurichten. Nach 19 Monaten brachen die Indianer ihre Besetzung ab. 1971 nahmen AIM-Mitglieder einen Teil des in den heiligen Bergen der Lakota, den Black Hills, liegenden Mount Rushmore National Memorial in Besitz, um gegen die zahlreichen gebrochenen Verträge zu protestieren. Ein Jahr später zogen sie mit Mitgliedern anderer Indianerorganisationen, wie dem NIYC, im Trail of Broken Treaties nach Washington D.C. und besetzten dort für sechs Tage das Verwaltungsgebäude des Bureau of Indian Affairs (BIA). 1973 fand die wohl bedeutendste Aktion statt: AIM-Mitglieder besetzten zusammen mit Sympathisanten die in dem Pine-Ridge-Reservat (South Dakota) gelegene Ortschaft Wounded Knee. Diese war und ist für die dort lebenden Lakota von geschichtsträchtiger Bedeutung. Rund 200 bewaffnete Indianer protestierten so gegen die korrupte Stammesregierung unter Richard Wilson. Die Besetzung dauerte 70 Tage.

Der NCAI seinerseits betrieb seinen friedlichen Protest durch Reden, Pamphlete, aber auch durch Unterstützung lokaler Projekte und durch das Erarbeiten von Studienprogrammen weiter. Er gewann kontinuierlich an Einfluss. Vereinte er 1970 rund 2.000 Mitglieder, so waren es 1978 bereits 3.000, die 154 Stämme vertraten.

Nach der Besetzung von Wounded Knee verlagerte sich der Protest der Indigenen. Viele wendeten sich von militanten Maßnahmen ab und widmeten sich stattdessen juristischen Möglichkeiten. 1974 gründeten über 5.000 Vertreter von 98 indianischen Ethnien den „Internationalen Indianischen Vertragsrat“ (International Indian Treaty Council – IITC), die heute wohl bedeutendste Widerstandsorganisation der Indianer. Ihr Ziel ist es, die Traditionen der Indianer zu bewahren und deren Selbstbestimmungsrecht zu erlangen. Noch im selben Jahr reisten Vertreter des IITC in die Schweiz, um die Gründung einer Menschenrechtsorganisation im Gastgeberland der UNO anzuregen. So entstand die Organisation Incomindios Schweiz, die indigenen Vertretern unter anderem ermöglicht, jährlich während einer Woche in Genf an der UNO ihre Probleme zu schildern und ihre Forderungen zu stellen.

Die heutige Situation

USA

Gebiete in den USA mit mehrheitlich indigener Bevölkerung:
██ absolute Mehrheit
██ relative Mehrheit
Verbreitung der Indigenen in den USA um 1990

Die Indianerpolitik der Vereinigten Staaten war bis zur Mitte der 1970er Jahre stark auf kulturelle Anpassung und Eingliederung ausgerichtet. Später wurden die rechtlichen Kompetenzen der Reservate und Stammesgemeinschaften jedoch sukzessive ausgeweitet und durch soziale Rahmenverträge, zuletzt den Native American Housing and Self Determination Act (NAHASDA) von 1996, ergänzt.

Heute wird den 561 Stammesregierungen („Tribal Governments“) innerhalb ihres Territoriums weitgehende rechtliche Souveränität zugestanden. Sie dürfen sowohl in zivilrechtlicher wie auch in strafrechtlicher Hinsicht Gesetze und Bestimmungen erlassen, Konzessionen erteilen oder Menschen aus ihrem Hoheitsgebiet ausweisen. Stammesrecht wird, vergleichbar mit dem Recht der US-Bundesstaaten, nur durch Bundesrecht gebrochen.

Für die Verwaltung von 225.000 km² Stammesland (Reservatsgebiet) ist eine Bundesbehörde, das Bureau of Indian Affairs zuständig, die das Land anerkannten Stammesgemeinschaften zur Treuhand überlässt. Eine bedeutende Einnahmequelle der Reservate sind neben Tourismus und Handwerk vor allem die bundesstaatlich anerkannten Glücksspiellizenzen, die Menschen aus den nahegelegenen Großstädten in großen Scharen in die Kasinos der Indianerreservate ziehen.

Neben der Tatsache, dass die Zahl der anerkannten Indianer schnell anwächst, steigt der Anteil der in Städten lebenden Indianer noch schneller.[2]

Jahr indianische Bevölkerung davon in Städten in Prozent
1940 334.000 27.000 8
1950 343.000 56.000 16
1960 524.000 146.000 28
1970 792.000 356.000 45
1980 1.354.000 700.000 52

Obwohl sich ihre Lage während der letzten Jahrzehnte erheblich verbessert hat, leben zahlreiche Indianer nach wie vor in bescheidenen Verhältnissen, besonders in den Großstädten. Laut Statistik leiden sie noch immer stärker als die weißen Amerikaner unter Alkoholismus, Herzproblemen, Diabetes und anderen physischen und psychischen Problemen, die oft mit geringer Bildung einher gehen und eine Folge der sozialen wie kulturellen Entwurzelung vergangener Jahrzehnte darstellen. Dennoch ist es heute kaum noch möglich, von typischen Indianern zu sprechen, zumal acht von zehn „Indianern“ Mischlinge sind und Ausgrenzungen und Benachteiligungen weitgehend der Vergangenheit angehören. Vor allem kleine, teilweise um staatliche Anerkennung ringende Stämme kritisieren die mit der Glückspielindustrie der großen Reservate einhergehenden Ungerechtigkeiten innerhalb der amerikanischen Indianerpolitik.[3][4][5]

Bei der Volkszählung 2000 gaben 2,47 Millionen Menschen an, Indianer oder Indigene Alaskas zu sein – dies sind 26 % mehr als 1990. Weitere 1,6 Millionen gaben an, teilweise indianischer Abstammung zu sein. Die US-Indianer besitzen rund 230.000 km² Land, zumeist in Reservaten. Diese Zahl ist aufgrund von Landstreitigkeiten umstritten. 85 % der Indianer leben außerhalb von Reservaten, meist in Städten. Die Stadt mit den meisten indianischen Einwohnern ist New York City, hier leben 87.000 Indianer. Gemäß der Census-Schätzung von 2003 lebt ein Drittel aller US-Indianer in den drei Bundesstaaten Kalifornien, Arizona und Oklahoma.

Die bevölkerungsreichsten Stämme der USA sind (Census 2000; es sind nur Indianer gezählt, die sich ausschließlich zu einem einzigen Stamm zugehörig erklärten):

Stamm Bevölkerungszahl
Cherokee 281.069
Diné (Navajo) 269.202
Sioux 108.272
Anishinabe 105.907
Choctaw 87.349
Pueblo 59.533
Apachen 57.060
Lumbee 51.913
Irokesen 45.212
Muskogee 20.223

Allerdings definiert jeder Stamm seine Mitglieder unterschiedlich. Mitglieder des Diné-Volkes beispielsweise müssen mindestens von einem Diné-Großvater oder einer Diné-Großmutter abstammen. Die Cherokee handhaben ihre Mitgliedschaft wesentlich einfacher. Um als Cherokee zu gelten, muss man belegen können, dass ein Vorfahre auf der Dawes-Liste geführt ist. Die Dawes-Liste entstand von 1898 bis 1914 und registrierte alle Indianer der fünf zivilisierten Nationen.

Im Jahre 2000 waren acht von zehn US-Amerikanern mit indianischen Vorfahren Halbblute.

Etliche kleinere Stämme kämpfen um ihre Anerkennung als solche. Um als Indianer-Stamm anerkannt zu werden, müssen die Antragsteller ihre indianische Herkunft über viele Generationen nachweisen. Dies ist oft schwierig bis unmöglich. Im Bundesstaat Virginia beispielsweise wurden Anfang des 20. Jahrhunderts alle Nicht-Weißen als Farbige deklariert, auch die Indianer. In South Carolina erhielten am 17. Februar 2005 die Pee Dee und die Waccamaw die staatliche Anerkennung.[6] Manche Stämme sind nur von dem Bundesstaat, in dem sie leben anerkannt, die meisten von der Bundesregierung. So waren 2007 595 indianische Gemeinschaften von der Bundesregierung anerkannt, dazu kommen rund 70 Gruppen, die von Einzelstaaten anerkannt wurden.[7]

Siehe auch: Ureinwohner Alaskas

Kanada

In Kanada werden die Indianervölker als First Nations bezeichnet. Nicht zu ihnen zählen die Inuit, deren Sprache, das Inuktitut mit 29.000 Sprechern zu den größeren Gruppen zählt. In ihrem Territorium Nunavut gelten Inuktitut und Inuinnaqtun neben Englisch und Französisch als offizielle Sprachen. Auch die Gruppen der Inuvialuit und Métis zählen nicht zu den First Nations.

Der Zensus von 2001 ergab eine Zahl von rund 900.000 kanadischen Indigenen, darunter etwa 600.000 Indianer, 290.000 Métis und 45.000 Inuit. Die kanadischen Indigenen sprechen mehr als 50 Sprachen. Die First Nations verteilen sich auf 612 anerkannte Gruppen, davon allein 190 in British Columbia, dazu viele Gruppen, die nicht anerkannt sind. Am verbreitetsten sind die Sprachen der Anishinabe und Cree, die zusammen von 150.000 Menschen gesprochen werden. Es folgen die Mi'kmaq mit etwa 8.500. In den Nordwest-Territorien gibt es neun offizielle indigene Sprachen: Dene Suline, Cree, Gwich'in, Inuinnaqtun, Inuktitut, Inuvialuktun, Nördliches Slavey, Südliches Slavey und Taicho.

Da der Anteil von Indianern, die einen Hochschulabschluss haben, wesentlich niedriger ist als bei anderen Gruppen der Bevölkerung, richteten sie im Jahre 2000 die First Nations University of Canada in Regina, Saskatchewan ein.

Das Leben in Reservaten (reservations in den USA bzw. reserves in Kanada)

Indianerreservate in den USA

Das Leben in US-Reservaten ist von Armut geprägt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Gesundheitswesen schlecht und der Alkoholismus weit verbreitet. In jüngster Vergangenheit verbesserte sich die Situation in jenen Reservaten erheblich, die mit eigenen Kasinos Millionenbeträge einspielten. Andere Stämme lehnen Kasinos mit dem Argument ab, diese würden ihre Kultur zerstören.

Zwischen 1990 und 2000 stieg das Einkommen der Reservatsbewohner um 30 %, während das der übrigen Bevölkerung um 10 % stieg. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen stieg sogar um 35 bis 40 % (4 %), die Zahl von Kindern unter der Armutsgrenze sank von 50 auf 40 % (18 bzw. 17). Dazu kam ein deutlicher Anstieg in der Zahl der Arbeitsplätze in den Reservaten, zu erheblichen Teilen in vom jeweiligen Stamm geführten Unternehmen.[8]

In Kanada wohnten 1996 400.000 Indianer in Reservaten (reserves). Bei ihnen lag die Arbeitslosigkeit bei 28,7 %; bei der kanadischen Gesamtbevölkerung lag sie dagegen bei 10,1 %. Rund zwei Drittel der kanadischen Reservate befinden sich in abgelegenen Gebiet, beinahe ohne Arbeitsmöglichkeiten sowohl innerhalb der Reservate als auch in den umliegenden Regionen. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag 1996 in den Reservaten um mehr als sechs Jahre niedriger als in Gesamtkanada. Ähnlich sah es bei den Tuberkuloseerkrankungen aus: In den Reservaten kamen im Jahr 2000 34 Tuberkulose-Fälle auf 100.000 Personen, in Kanada lediglich 5. Auch Selbstmorde und Krankheiten im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenkonsum waren häufiger. In vielen Reservaten dürfen keine alkoholischen Getränke verkauft werden.

Das Leben in urbanen Gebieten

Besonders durch die Terminationspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die indianische Bevölkerung in den Städten sprunghaft zu. 1970 lebten 44,6 % aller registrierten Indianer in Städten, um 1990 waren es bereits 54 %. Die am stärksten bevorzugten Städte waren zum einen Riesenstädte wie Los Angeles mit 30.000 Indianern, San Francisco mit 20.000 und Chicago mit 8.000, zum anderen kleinere Städte in der Nähe der Reservate wie zum Beispiel Tulsa, Oklahoma City, Phoenix, Tucson, Albuquerque, Seattle, Minneapolis und Buffalo.

Die von den USA staatlich geförderte Umsiedlung in Städte hatte offiziell den Zweck, die Arbeitslosenquote in den Reservaten zu verringern. Dieses Ziel wurde nicht annähernd erreicht. Abgenommen hat dafür die Arbeitslosenquote der indianischen Bevölkerung in den Städten. Zwischen 1950 und 1970 sank sie von 15,1 auf 9,4 %. Dies ging mit einer Verbesserung der Ausbildung einher. Gegenüber den Reservaten lag das Lohnniveau in den Städten höher. Dieser Unterschied vergrößerte sich im Laufe der Jahre weiter. 1949 lag das mittlere Einkommen der Reservatsindianer bei rund 80 % desjenigen der städtischen Indianer. Zwanzig Jahre später lag dieses Verhältnis bei 57 %. Damit lag das Einkommen der städtischen Indianer ungefähr auf dem Niveau desjenigen der schwarzen Männer. Ebenfalls niedriger als in den Reservaten ist die Sterblichkeitsrate, dies vor allem dank einer besseren gesundheitlichen Versorgung. Stärker jedoch ist der Alkoholkonsum, obwohl dieser in den Reservaten bereits ein großes Problem darstellt. Markant ist auch die geringere Kinderzahl pro Frau in den Städten. Hatte um 1980 eine Frau in den Reservaten durchschnittlich 5,3 Kinder, waren es zur selben Zeit in der Stadt nur 3,7 Kinder.

Nicht alle Indianer kommen mit der weißen Welt gleich gut zurecht. Zu Beginn der Terminationspolitik kehrten rund drei Viertel aller Umsiedler in die Reservate zurück, später nur noch etwa die Hälfte. Für eine Rückkehr sprechen vor allem persönliche und ökonomische Gründe.

Obwohl städtische Indianer wohl ebenso mittellos sind, wie die in Ghettos lebenden Schwarzen, gibt es keine eigentlichen Indianerghettos. Vielmehr leben die Indianer über die ganze Stadt verteilt, wie in Seattle, oder sind in einem Gebiet im Herzen der Stadt angesiedelt, wie dies in Minneapolis der Fall ist. Dort ist das Indianerviertel zwar als Red Ghetto bekannt, ist allerdings nicht mit den schwarzen Ghettos vergleichbar, die meist am Stadtrand liegen. Unabhängig davon, wie die Verteilung der Indianer in den Städten aussieht, den allermeisten städtischen Indianern ist das Wohnen in ärmeren Stadtvierteln gemein. So leben 19 % aller städtischen Indianer in überfüllten Wohnungen, während dieser Anteil bei der gesamten US-Bevölkerung nur bei 7 % liegt.

Traditionelle Kultur

Wickiup der Apachen

Als Christoph Columbus Amerika bereiste, lebten im Gebiet der heutigen USA etwa 500 indianische Ethnien mit rund 175 verschiedenen Sprachen. Einige davon lebten als sehr kleine Jäger- und Sammler-Gruppen, andere als hoch entwickelte landwirtschaftliche Nationen, die sich aber nicht mit der Größe von europäischen Staaten vergleichen lassen. Zu Zeiten ihres Zenits übertraf ihre Größe selten 60.000 Personen. Die meisten Gruppen umfassten nur einige hundert. Im 16. Jahrhundert war die Tendenz zu größeren politischen Einheiten erkennbar. Trotzdem kam es immer wieder zu Aufteilungen. Die jeweilige autoritäre Führungskraft war abhängig vom ihr entgegengebrachten Respekt. Die Mitglieder eines Stammes konnten nicht gezwungen werden zu bleiben. Bei Unstimmigkeiten verließen sie ihre Gruppe, um sich entweder einer anderen Gruppe anzuschließen oder um eine eigene Gruppe zu bilden. Dieses System stärkte das Verantwortungsbewusstsein des Führers gegenüber seinem Volk.

Die meisten nordamerikanischen Indianerstämme hatten ihre klar voneinander abgegrenzten Geschlechterrollen. Die Landwirtschaft und das Sammeln von Beeren und Wurzeln war meist Aufgabe der Frau, während das Jagen und der Krieg zur Rolle des Mannes zählten. Einige Stämme waren matrilinear organisiert, andere patrilinear. Bei vielen Stämmen bekannt und akzeptiert waren die „Two-Spirit-People“, meist homosexuelle Personen, welche in die Rolle des anderen Geschlechtes schlüpften, deren Kleidung trugen und deren Aufgaben erledigten. Zwei-Seelen-Menschen wurden oft überdurchschnittliche geistige Kräfte nachgesagt, waren hoch geachtet und nicht selten als Schamanen tätig.

Einige kulturelle Elemente waren im ganzen Kontinent verbreitet: So glaubten viele Indianer an Tiergeister, an das visionäre Fasten und an den Mythos, dass Amerika auf dem Rücken einer Wasserschildkröte errichtet worden war.

Medizinmann Little Big Mouth vor seinem Tipi in Oklahoma

Bedeutender als die Gemeinsamkeiten sind die kulturellen Unterschiede. Nordamerika wird im Allgemeinen in zehn Kulturareale eingeteilt. Die in der Arktis (Alaska und Grönland) wohnhaften Inuit und Aleuten lebten in Hütten aus Stein und Holz. Nur auf Reisen bauten sie Iglus. Beinahe das ganze heutige Kanada, bis zum Sankt-Lorenz-Strom, nahm die Subarktis ein. Die dort lebenden Athapasken und Algonkin ernährten sich im Gegensatz zu den Inuit und Aleuten nicht von Meerestieren sondern vor allem von Großwild. Die Völker der Nordwestküste sind bekannt für ihre geschnitzten Wappenpfähle und für die Potlatche, Feste, an denen großzügige Geschenke gemacht wurden. Darüber hinaus entwickelten sie eine Kultur auf der Basis der Jagd auf Meeressäuger, wie Robben und Wale. Zudem stellten sie als einzige Kleidung und sonstige Stoffe aus Holzfasern her, und trieben einen weiträumigen Handel. Weiter südlich an der Pazifikküste, im Kulturareal Kalifornien, aßen die Indianer nebst Wild und Meerestieren auch Wildfrüchte, besonders Eicheln. Sie stellten allerlei Flechtware her. Das Plateau liegt in den Rocky Mountains östlich der südlichen Nordwestküste, auf der heutigen Grenze zwischen den USA und Kanada. Bei den dortigen Indianern stand der Lachsfang und der Handel mit benachbarten Völkern im Zentrum. Südlich davon, im Großen Becken mussten die Bewohnter mit sehr kargen Bedingungen zurechtkommen. Sie waren Wildbeuter, lebten in kleinen Gruppen und kannten nur wenige Rituale. Noch weiter südlich, im Südwesten, gab es sowohl halbnomadische Sammler und Jäger als auch sesshafte Ackerbauern. Die sesshaften Pueblo-Völker wohnten ihn Pueblos aus Adobe und konnten dank ausgeklügelter Bewässerungssysteme Mais, Bohnen, Kürbisse und Baumwolle anpflanzen. Außerdem stellten sie Töpferwaren her. Andere Völker wie die Diné wohnten in Hogans oder hinter einfachen Windschirmen. Die Prärien und Plains nahmen das Zentrum der heutigen USA ein und reichten bis ins südliche Kanada. Große Teile dieses Grasland-Gebietes waren erst bewohnbar, nachdem die früheren spanischen Kolonisten das Pferd hinterlassen hatten. Die nomadischen Prärieindianer zogen den großen Bisonherden nach und lebten in mobilen Tipis. Der östliche Teil der heutigen USA teilte sich in das Nordöstliche und Südöstliche Waldland. Hier herrschten teilweise mächtige Nationen. Der Nordosten wurde von weiten Wäldern bestimmt. Nebst dem Anbau von Mais, Bohnen und Kürbissen ernteten einige Völker Wildreis. Im Südosten lebten besonders die fünf zivilisierten Nationen in matrilinearen Sippen, die in totemistische Klane organisiert waren. Im Gegensatz zu vielen anderen indianischen Gruppen glaubten sie nicht an Naturgeister sondern waren Monotheisten.

Die Einteilung in Kulturareale deckt sich nicht mit den Sprachgruppen. So lebten beispielsweise athapaskische Gruppen in der Subarktis wie auch im Südwesten.

Außer den Chroniken einiger Prärievölker, welche das jeweils wichtigste Ereignis eines Jahres mit Symbolen festhielten, und Walam Olum, der mit Bilderschrift auf Baumrinde geschriebenen Stammes-Chronik der Lenni Lenape, kannten die präkolumbischen nordamerikanischen Indianer weder Alphabet noch Schriften. Indianische Überlieferung erfolgte daher hauptsächlich mündlich. Diese mündlichen Berichte sind einerseits von erstaunlicher Genauigkeit und reichen oftmals mehrere Generationen zurück, andererseits ist bei ihrer Deutung der kulturelle Kontext, insbesondere die Vermischung mit mythologischen Vorstellungen, in Rechnung zu stellen.

Zeitgenössische Kultur

Religion

Die heute bei den nordamerikanischen Indianern am weitesten verbreitete Religion ist die Native American Church. Diese besteht aus christlichen Elementen vermischt mit traditionellen Praktiken verschiedener Stämme. Der wichtigste Ritus ist die Peyote-Zeremonie. Die Ausgestaltung der Native American Church ist je nach Region leicht unterschiedlich, je nach dem, welche christliche Glaubensrichtung während der Kolonialisierung vorherrschend war, und welche eigenen Stammesbräuche üblich waren. Die Native American Church ist heute ein wichtiger Gegenpol zu den negativen Auswirkungen wie Alkoholismus und Kriminalität, welche die Kolonisierung mit sich gebracht haben.

Saponi-Trommler an einem Powwow

Musik und Kunst

Die Musik der nordamerikanischen Indianer ist üblicherweise monophon. Heute wird sowohl die traditionelle Musik gepflegt, bestehend aus Trommeln und Flöten, wie auch moderne Musikrichtungen wie Country und Pop, meist vermischt mit traditionellen Elementen. Einige indianische Interpreten schafften den Sprung in die amerikanische Öffentlichkeit, so zum Beispiel Robbie Robertson, Rita Coolidge, John Trudell, Wayne Newton und die Band Redbone.

Die am weitesten verbreiteten musikalischen Anlässe unter den nordamerikanischen Indianern sind die Powwows. Dabei sitzen Trommelgruppen um eine große Trommel und schlagen zusammen, während sie traditionelle Lieder singen. Zu dieser Musik tanzen Tänzer in farbenfrohen Kleidern.

Die Kunst der Indianer besteht aus Töpfern, Malen, Schmuckherstellen, Weben, Schnitzen und Korbflechten.

Siehe auch: Federschmuck, Quillarbeit

Sprachgruppen

Verbreitung der indianischen Sprachen Nordamerikas beim ersten Kontakt mit Europäern

Die nordamerikanischen Ureinwohner sprechen eine Vielzahl von indigenen Sprachen, zu deren wissenschaftlicher Einteilung und Abgrenzung bislang keine Einigkeit besteht.

Eine Sonderrolle spielen die Métis, Nachfahren vorwiegend französischer Einwanderer und indigener Frauen, die in Kanada als indigenes Volk anerkannt sind. Sie sprechen zum Teil Französisch, zum Teil Michif, eine dem Cree verwandte Sprache.

Einzelnachweise

  1. Nach Angaben des Bureau of Indian Affairs.
  2. Nach Oeser, S. 97.
  3. Roger L. Nichols: Indians in the United States & Canada - A Comparative History, University of Nebraska Press (1998)
  4. Veronica E. Tiller: Discover Indian Reservations USA - A Visitors' Welcome Guide, Council Publications, Denver, Colorado (1992)
  5. NativeAmericans.com
  6. Eine Liste der anerkannten Indianerstämme in den USA findet sich hier: [1].
  7. Nach Angaben der National Conference of State Legislatures, Federal and State Recognized Tribes, vom Dezember 2007.
  8. Vgl. Stephen Cornell: Native Americans take control, in: The Australian, 11. September 2008.

Siehe auch

Literatur

Indigene Literatur

  • Jeannette C. Armstrong: SLASH. Roman über die Red-Power-Bewegung. Unrast Verlag. ISBN 3-928300-56-3
  • Brigitte Georgi-Findlay, "Indianische Literatur" in: Amerikanische Literaturgeschichte, hg. von Hubert Zapf, 2. Auflage, Stuttgart und Weimar: Metzler 2004, S. 387-414
  • Suzanne Evertsen Lundquist, Native American Literatures: An Introduction, New York: Continuum Inter. Publis. 2004, ISBN 0826415997
  • The Columbia guide to American Indian literatures of the United States since 1945, ed. by Eric Cheyfitz, New York, N.Y. : Columbia Univ. Press, 2006
  • Cambridge Companion to native American literature, Cambridge University Press, 2005
  • An anthology of Canadian native literature in English, ed. by Daniel David Moses, Oxford Univ. Press, 2005

Indigene über indigene Literatur

  • Audrey Huntley: Widerstand Schreiben! Entkolonialisierungsprozesse im Schreiben indigener kanadischer Frauen. Unrast Verlag. ISBN 3-928300-51-2

Sachbücher

  • Urs Bitterli: Die 'Wilden' und die 'Zivilisierten'. Gründzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, C.H.Beck, München 2004 (Erstauflage 1976), ISBN 3-406-35583-8
  • Christine Bolt: American Indian Policy and American Reform, Allen & Unwin, London 1987.
  • George_Catlin: North American Indians London et al., Penguin 1994
  • Vine Deloria: Custer died for your sins: an Indian manifesto, New York: Macmillan 1969, Neuausgabe: B&T 2003, ISBN 0806121297
  • Peter Farb: Die Indianer: Entwicklung und Vernichtung eines Volkes, München: Nymphenburger Verlagshandlung 1988.
  • Christian F. Feest (Hrsg.): Kulturen der nordamerikanischen Indianer, Köln: Könemann, 2000, ISBN 3-8290-0500-8
  • Bruce E. Johansen: The Native Peoples of North America: A History, Rutgers University Press 2006, ISBN 0813538998
  • Alvin M. Josephy: Five Hundred Nations, Die illustrierte Geschichte der Indianer Nordamerikas, ISBN 3-8940-5356-9
  • Charles C. Mann: 1491: New Revelations of the Americans Before Columbus, Alfred A. Knopf 2005, ISBN 1-4000-4006-X
  • Rudolf Oeser: Epidemien - Das große Sterben der Indianer, Books on Demand 2003, ISBN 3833005831, 9783833005831
  • William C. Sturtevant: Handbook of North American Indians, Smithsonian Institution (Hg.). Washington 1978ff.
  • James Wilson: Und die Erde wird weinen. Die Indianer Nordamerikas, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, ISBN 3518397702
  • Hans Läng: Kulturgeschichte der Indianer Nordamerikas, Olten: Freiburg im Breisgau, Walter 1981, ISBN 3-530-50230-8

Zeitschriften

  • Akwesasne Notes
  • American Indian Quarterly, University of Nebraska Press

Weblinks


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