- Nurage
-
Nuraghen, (auch Nuragen geschrieben), sind die prähistorischen und frühgeschichtlichen Turmbauten der Bonnanaro-Kultur (ca. 1800–1500 v. Chr.) auf Sardinien und der mit ihnen untrennbar verbundenen, nachfolgenden Kultur (ca. 1600–238 v. Chr.), der sie den Namen Nuraghenkultur eintrugen. Es gibt sie in großer baulicher Vielfalt. Ihr Verwendungszweck wird als Burgen, Grabbauten und seltener auch als Kultstätten gedeutet.[1] Nach neuerer Schätzung wurden etwa 6.500 errichtet. 1962 waren durch Lilliu (s. Literatur) noch Überreste von ca. 7.000 Nuraghen registriert worden, das entspricht im Durchschnitt 0,27 pro km². Am häufigsten sind sie im Westen und im Zentrum Sardiniens.
Inhaltsverzeichnis
Etymologie
Bereits die ab Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. auf der Insel herrschenden Römer gebrauchten den Terminus „Nuraghe“. Die Herkunft des Wortes, das auf Sardinien in verschiedenen Abwandlungen vorkommt, ist ungeklärt. Einer Hypothese nach steckt der Stamm NUR in Bezeichnungen, die auch in anderen Regionen des westlichen Mittelmeers als „NUL“, „NOR“ u. ä. anzutreffen ist, und 1. „Haufen“ oder 2. „Höhle“ bzw. „Hohler Baum“ 3. Feuer bedeutet. Einer anderen These zufolge ist das Wort punischen Ursprungs.
Bauformen
Vorformen
Die klassischen oder Tholosnuraghen entstanden aus einer Vielzahl unterschiedlich geformter Proto- oder Korridornuraghen. Den Übergang zu den Nuraghen mit Gewölbedecke scheinen die Nuraghen Albucciu bei Arzachena und Su Mulinu bei Villanovafranca darzustellen, in denen sich beide Formen der Deckengestaltung finden. In Su Mulinu wurde auch ein fein gearbeiteter Altar gefunden.
Tholosnuraghen
Wie komplex der Bereich eines Nuraghen (mit der Zeit) auch wurde, im Zentrum stand die dominierende Tholos, ein im Regelfall einzeln stehender Turm (Is Paras). Er hat stets eine runde Kammer, die Nischen besitzt und zwar z.B. entweder:
- keine (Arrubiu, Domu s´Orku, Oes),
- eine (Nuraddeo),
- zwei (Lugherras, Palmavera, Su Nuraxi)
- drei (Losa, Madrone, S. Barbara)
Mehrheitlich sind drei Nischen vorhanden. Eine Sonderform ist Santu Antine, dessen drei Nischen zu Durchgängen umgeformt sind und in einen Rundgang führen.
Die zentrale Tholos wurde an manchen Standorten im Laufe der Zeit mit kleineren, in der Regel nischenlosen (also zu einer anderen Funktion bestimmten) Tholoi umbaut. Es gibt zentrale Nuraghen mit nur einer (Domus s´Orku) Nebentholos und solche mit zwei, drei, vier, bis zu fünf (Arrubiu) großen Kuppelbauten, die allenfalls durch einen integrierten Hof von der zentralen Tholos abgesetzt sind. Die nächste Erweiterung einer derart vergrößerten Anlage besteht aus einer weitläufigen Ummauerung des aus mehreren Tholoi bestehenden Nuraghen. In diese "Außenmauer" können dann vier bis sieben weitere Tholoi integriert sein, so dass Su Nuraxi aus insgesamt 12 Tholoi besteht.
Bauweise
Beim Nuraghenbau wurden, wie bei Trockenmauern, große Steinblöcke ohne Mörtel meist zu einem Turm aufgerichtet, der sich nach oben verjüngt und innen (ggf. etagenweise) als falsches Gewölbe abschloss. Der Zugang zu diesem frühen Wohnturm lag in der Regel im Südosten.
Nuraghenkomplexe und Nuraghensiedlungen
Einige Nuraghen bilden zusammen mit einer Unzahl anderer Bauten (zumeist runde Zellen) hüttendorfartige Komplexe. Der größte und besterhaltene Nuraghen-Komplex, der in fünf Bauphasen ausgeweitet wurde und auch als Großnuraghe bezeichnet wird, ist Su Nuraxi. Er befindet sich bei Barumini in der Provinz Cagliari und steht in der Liste des Weltkulturerbes. In der Endphase der Kultur (vermutlich ab 1000 v. Chr.) entstanden nuraghische Siedlungen, die teilweise ganz ohne einen Nuraghen auskommen. Mittlerweile gehen Fachleute davon aus, dass Nuraghen eine multifunktionale Bedeutung besaßen.
Nuraghen-Mythos
Der griechischen Sage nach – erwähnt sind Nuraghen bei Pseudo-Aristoteles, Diodor und anderen griechischen Autoren – soll Daidalos ihr Erbauer gewesen sein. Danach wären sie ägäischen Ursprungs. Einige moderne Forscher zogen auch Parallelen zu mykenischen Tholosgräbern, doch sowohl aus typologischen als auch aus chronologischen Gründen ist eine Beeinflussung des Nuraghenbaus aus dem ägäischen Raum auszuschließen.
Sehenswerte Nuraghen
Es wird unterschieden zwischen Einzelturm und Komplex:
- Albucciu (Provinz Sassari) (Protonuraghe)
- Arrubiu (Provinz Nuoro) (größter Komplex)
- Antigori (Provinz Cagliari)
- Asoru (Provinz Cagliari)
- Burghidu (Provinz Sassari)
- Friarosu (Provinz Oristano)
- Fronte Mola (Provinz Sassari) (Protonuraghe)
- Genna Maria (Provinz Cagliari)
- Is Paras (Provinz Nuoro)
- Izzana (Provinz Sassari)
- Orolo (Provinz Nuoro)
- Nuraghe Losa (Provinz Oristano) (Komplex)
- Nuraghe Ruju (Provinz Nuoro)
- Palmavera (Provinz Sassari) (Komplex)
- Nuraghe Santu Antine (Provinz Sassari) (Komplex) im Valle dei Nuraghi
- Romanzesu (Komplex, Provinz Nuoro)
- Su Nuraxi (Provinz Cagliari) (Komplex)
- Su Mulinu Villanovafranca
Andere Turmbauten
Im benachbarten Korsika bestand im Süden etwa zeitgleich die Torre-Kultur, die ähnliche Bauwerke errichtete, deren (moderner) Name vom Wort für Turm (Torre) abgeleitet wurde. Auch Turmbauten wie die Talayots auf den Balearen, die Montillas in Spanien sowie die schottischen Brochs muten sehr ähnlich an. Jedoch weisen sie in der Konstruktion auch deutliche Unterschiede auf und entstanden mindestens 500 Jahre später als die frühen Nuraghen. Man geht allgemein davon aus, dass Nuraghen ohne Anstöße von außen eine sardische Erfindung sind. Turmbauten unerforschter Funktion entstanden z. B. auch in Oman und in Groß-Zimbabwe (Afrika).
Einzelnachweise
- ↑ Beitrag Nuraghen aus Der Brockhaus Multimedial, 2005
Siehe auch
Literatur
- Paolo Melis: Nuraghenkultur. 2003, ISBN 88-7138-276-5
- Juergen E. Walkowitz: Das Megalithsyndrom. Bd. 36 in Beitraege zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas, 2003. ISBN 3-930036-70-3
- Giovanni Lilliu: I Nuraghi. Torri preistoriche di Sardegna. 1962, (Mit etwas Vorsicht zu genießen, da mittlerweile neuere Forschungsergebnisse einigen Annahmen Lillius widersprechen)
- Giovanni Lilliu und Raimondo Zucca: Su Nuraxi di Barumini. Sassari 1988
- Giorgio Stacul: Arte della Sardegna nuragica. Mailand 1961
- David Trump: Nuraghe Noeddos and the Bonu Ighinu Valley. Excavation and Survey in Sardinia. Oxford 1990, ISBN 0-946897-20-4
Weblinks
Wikimedia Foundation.