- Nürnberger Juristenprozess
-
Der Nürnberger Juristenprozess fand vom 17. Februar 1947 bis zum 4. Dezember 1947 als dritter der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus im Nürnberger Justizpalast vor einem US-amerikanischen Militärgericht statt. Offiziell wurde das Verfahren als Vereinigte Staaten vs. Josef Altstötter et al. bezeichnet. Angeklagt waren 16 hohe Justizbeamte und Richter des NS-Regimes. Einige Täter waren verstorben oder hatten wie der ehemalige Reichsjustizminister Otto Thierack Suizid begangen. Gegenstand des Juristenprozesses war der Erlass der NS-Terrorgesetze, namentlich solcher, die sich auf die besetzten Gebiete im Osten bezogen, außerdem weitere Exzesse der NS-Gerichtsbarkeit.
Die Urteile wurden am 3. und 4. Dezember 1947 verkündet. Vier Angeklagte wurden zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, vier weitere wurden freigesprochen. Im übrigen verhängte das Gericht Freiheitsstrafen von fünf bis zehn Jahren Zuchthaus. Im Gegensatz zu dem Verfahren vor dem IMT und zu anderen Folgeprozessen wurden keine Todesurteile verhängt. Das Urteil wurde vielfach als zu mild empfunden.
Inhaltsverzeichnis
Anklage und Rechtsgrundlagen
Basis der Anklage bildete das Kontrollratsgesetz Nr. 10 welches die Rechtszuständigkeit für diesen Prozess dem Militärgerichtshof Nr. 1 in Nürnberg zuwies (Anordnung Nr. 7 der Militärregierung) und aus dem folgende vier Klagepunkte abgeleitet wurden:
- I Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
- II Kriegsverbrechen
- III Verbrechen gegen die Menschlichkeit
- IV Mitgliedschaft bei verbrecherischen Organisationen
Die Anklagepunkte I bis III richteten sich gegen alle Angeklagten, der Anklagepunkt IV nur gegen einzelne Beschuldigte. Kern der Anklage war, dass die sie durch Tun, Dulden oder Unterlassen der Einrichtung von Sondergerichten Vorschub geleistet hätten und dadurch Angeklagten ein faires und rechtsstaatliches Verfahren verwehrten. Ankläger war Telford Taylor, der auch die Anklageschrift vom 4. Januar 1947 verfasst hatte. Auf Antrag der Verteidigung und nach Prüfung der Rechtsgrundlage erfolgte ein Gerichtsbeschluss, den Anklagepunkt der Verschwörung nicht eigenständig zu verhandeln.
Das Gericht
Das Gericht setzte sich aus vier amerikanischen Richtern zusammen:
- Carrington T. Marshall, früher Präsident am Obersten Gericht des Staates Ohio, als Vorsitzender
- James T. Brand, Richter am Obersten Gericht des Staates Ohio, als Richter
- Mallory B. Blair, Richter am Appellationsgericht in Texas, als Richter
- Justin W. Harding, früherer Richter in Alaska und Hilfsgeneralstaatsanwalt des Staates Ohio, als stellvertretender Richter.
Nachdem Marshall aufgrund Krankheit aus dem Verfahren ausscheiden musste, wurde Brand zum Vorsitzenden Richter bestimmt und Harding rückte vom stellvertretenden Richter zum Richter auf.
Die 16 Urteile im einzelnen
Angeklagter; Rang Funktion Schuldig nach Anklagepunkt Urteil Josef Altstötter SS-Oberführer Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung für bürgerliches Recht im Reichsjustizministerium (RMJ) IV 5 Jahre - 1950 aus der Haft entlassen. Wilhelm von Ammon Ministerialrat für die Strafrechtspflege im RMJ II, III 10 Jahre – Januar 1951 begnadigt. Paul Barnickel Reichsanwalt am Volksgerichtshof Freispruch Hermann Cuhorst Senatspräsident und Vorsitzender am Sondergericht Stuttgart Freispruch Karl Engert SS-Oberführer Ministerialdirektor im RMJ, Vizepräsident des Volksgerichtshofes wegen Krankheit aus dem Verfahren ausgeschieden Günther Joel SS-Obersturmbannführer Ministerialrat im RMJ, danach Generalstaatsanwalt in Hamm II, III, IV 10 Jahre –Januar 1951 begnadigt. Herbert Klemm Staatssekretär im RMJ II , III. lebenslang - herabgesetzt auf 20 Jahre und Februar 1957 aus der Haft entlassen. Ernst Lautz Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof II, III 10 Jahre – Januar 1951 begnadigt. Wolfgang Mettgenberg Ministerialdirigent für Strafrechtspflege im RMJ mit besonderem Aufgabenbereich besetzte Gebiete II, III 10 Jahre – 1950 verstorben Günther Nebelung Präsident des IV. Senats des Volksgerichtshofes Freispruch Rudolf Oeschey Gauhauptstellenleiter des Rechtsamtes der NSDAP Landgerichtsrat beim Sondergericht Nürnberg III, IV lebenslang, 1951 auf 20 Jahre herabgesetzt, Mai 1955 aus der Haft entlassen. Hans Petersen Laienrichter des I. Senats des Volksgerichtshofes Freispruch Oswald Rothaug Vorsitzender des Sondergerichts Nürnberg, zuletzt Reichsanwalt beim Volksgerichtshof III lebenslanges Zuchthaus, herabgesetzt auf 20 Jahre und im Dezember 1956 aus der Haft entlassen. Curt Rothenberger Oberlandesgerichtspräsident in Hamburg, danach Staatssekretär im RMJ II, III 7 Jahre Zuchthaus, August 1950 aus der Haft entlassen. Franz Schlegelberger Staatssekretär im RMJ und zeitweiliger stellvertretender Reichsjustizminister I, III lebenslanges Zuchthaus, Januar 1951 wegen Haftunfähigkeit begnadigt. Carl Westphal Ministerialrat im RMJ Selbstmord vor Verhandlungsbeginn Nach dem Urteil
Bereits am 31. Januar 1951 entschied der amerikanische Hochkommissar John Jay McCloy nach Empfehlung eines beratenden Ausschusses die in Landsberg inhaftierten Juristen Günther Joel, Ernst Lautz, Wilhelm von Ammon und Franz Schlegelberger aus der Haft zu entlassen und den Gnadengesuchen stattzugeben. Außerdem wurde die Strafe von Herbert Klemm, Rudolf Öschey und Oswald Rothaug von lebenslänglich in 20 Jahre Haft umgewandelt.
Einige Juristen (Lautz, Rothenberger, Schlegelberger) erhielten in der Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer früheren Tätigkeiten Pensionszahlungen. Der Name Schlegelberger begegnete über Jahrzehnte jedem Jurastudenten in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht als einer der Verurteilten aus dem Juristenprozess, sondern als Begründer eines Kommentars zum Handelsgesetzbuch und anderer juristischer Werke. Noch heute erscheint „Das Recht der Gegenwart“ unter dem Namen Franz Schlegelberger (ISBN 3-8006-2859-7).
Literatur
- H. Ostendorf, H. ter Veen: Das Nürnberger Juristenurteil, Eine kommentierte Dokumentation, Campus Verlag, Frankfurt/Main-Berlin, 1985. ISBN 3-593-33424-0
- Lore Maria Peschel-Gutzeit (Hrsg.): Das Nürnberger Juristen-Urteil von 1947: Historischer Zusammenhang und aktuelle Bezüge. 1. Auflage. Nomos-Verlag, Baden-Baden, 1996. ISBN 3-7890-4528-4
- Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie - NS-Täter in der Bundesrepublik, List-Taschenbuch (543 Seiten), 2007. ISBN 978-3-548-60748-1
- Rudolf Wassermann: Fall 3: Der Nürnberger Juristenprozess, in: Gerd R. Ueberschär: Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943 - 1952, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-13589-3
Film
Der Juristenprozess war 1961 die Vorlage für den amerikanischen Film "Judgement at Nuremberg", deutsch "Das Urteil von Nürnberg" mit Spencer Tracy, Burt Lancaster, Maximilian Schell und anderen.
Weblinks
- Dörte Hinrichs, Hans Rubinich: Von Hitler zu Adenauer. In: Die Zeit vom 29. November 2007 Nr. 49, S. 114.
- Mazal Library: 3 – Justice Case (engl.)
- Alstoetter, The Nuremberg Trials: The Justice Trial (engl.)
- Kastner, Der Nürnberger Juristen-Prozess 1947
Hauptverfahren: Hauptkriegsverbrecher
Fall I: Ärzte | Fall II: Generalfeldmarschall Milch | Fall III: Juristen | Fall IV: Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS | Fall V: Flick | Fall VI: I.G. Farben | Fall VII: Generäle in Südosteuropa | Fall VIII: Rasse- und Siedlungshauptamt der SS | Fall IX: Einsatzgruppen | Fall X: Krupp | Fall XI: Wilhelmstraße | Fall XII: Oberkommando der Wehrmacht
Wikimedia Foundation.