Oliver Wendell Holmes, jr.

Oliver Wendell Holmes, jr.
Oliver Wendell Holmes, Jr.

Oliver Wendell Holmes, jr. (* 8. März 1841 in Boston ; † 6. März 1935 in Washington D.C.) war ein amerikanischer Rechtswissenschaftler. Von 1902 bis 1932 war er Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Aufgrund seiner langen Amtszeit, seines kurzen und prägnanten Argumentationsstils sowie seiner ausgesprochenen Überzeugung, als Vertreter der Rechtsprechung die Entscheidungen des demokratisch gewählten Parlaments respektieren zu müssen, wurde er zu einem der am häufigsten zitierten Richter dieses Gerichtshofes. Als Rechtstheoretiker vertrat er eine dem Rechtsrealismus nahe stehende Auffassung, der zufolge sich die Aufgabe der Rechtswissenschaft darin erschöpfe, die tatsächlichen Entscheidungen der Gerichte erfolgreich vorherzusagen: „The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Jugend, Erfahrungen im amerikanischen Bürgerkrieg

Holmes war der Sohn des bekannten Schriftstellers und Arztes Oliver Wendell Holmes und der Abolitionistin Amelia Lee Jackson. Holmes interessierte sich bereits frühzeitig für Literatur, insbesondere die Schriften Ralph Waldo Emersons sollten sein Denken entscheidend prägen. Auch schloss er sich der während der 1850er Jahre in Boston prosperienden abolitionistischen Bewegung an. Sein bester Freund zu seiner Studienzeit, der Quäker Norwood Penrose Halliwell, rekrutierte ihn 1861 für die Leibgarde des radikalen abolitionistischen Aktivisten Wendell Phillips, und als im April des Jahres der Sezessionskrieg ausbrach, blieben Homes und Halliwell unerlaubt den Vorlesungen fern, meldeten sich als Freiwillige für den Fronteinsatz und setzten so ihre Berechtigung auf einen Hochschulabschluss auf das Spiel. Da Holmes Regiment jedoch nicht sofort nach Süden entsandt wurde und der Präsident der Universität auf Betreiben von Wendells Vater eine Amnestie für die Absenzler erwirkt hatte, erhielt Holmes am 17. Juni des Jahres seinen Abschluss, vier Tage später trat er den Dienst im 20. Freiwilligenregiment des Staates Massachusetts an.

Von 1861-1864 nahm Holmes als Offizier am amerikanischen Sezessionskrieg teil und wurde mehrfach verwundet. Die Kriegserfahrungen prägten Holmes staatstheoretische Grundüberzeugung vom Primat der Gewalt: Sowohl die Staatsgewalt als auch die von ihr erlassenen Gesetze seien ursprünglich auf Gewalt gegründet. Später entwickelte Holmes aus dieser Grundüberzeugung seine positivistische Rechtstheorie, die ihn die Existenz eines vorstaatlich begründeten Naturrechts und jegliche Form von rechtswissenschaftlicher Romantik ablehnen ließ.

Juristische Laufbahn bis zur Ernennung als Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten

Oliver Wendell Holmes, Jr. als junger Mann.

Nach Kriegsende ließ er sich zunächst als Rechtsanwalt in Boston nieder. Er heiratete Fanny Dixwell, eine Freundin aus Kindertagen. Die Ehe hielt bis zum Tod seiner Frau im Jahre 1929. Aus der Ehe gingen keine leiblichen Kinder hervor, aber das Ehepaar Holmes adoptierte die Waise Dorothy Upham.

Holmes verbrachte des Öfteren Frühjahr und Sommer in London. Hier baute er sich einen engen Freundeskreis auf und wurde zu einem der Begründer der später so bezeichneten „soziologischen Rechtsschule“ Großbritanniens. Hieraus entwickelte sich eine Generation später der amerikanische Rechtsrealismus.

Im Jahre 1870 wurde Holmes Herausgeber der Zeitschrift American Law Review. Er gab eine Neuauflage der Commetaries on American Law des amerikanischen Juristen James Kents heraus und veröffentlichte mehrere Aufsätze, die sich mit dem Common Law beschäftigten. 1881 erschien die erste Auflage seines wohl bekanntesten Buches The Common Law, das seine in den Jahren zuvor zu dieser Thematik entwickelten Ansätze zusammenfasste. Dieses Werk gilt als das einzige bedeutende Werk der amerikanischen Rechtswissenschaft, dessen Verfasser als Rechtsanwalt praktizierte. Holmes erkannte in diesem Werk als einzige Rechtsquelle das richterliche Urteil an. Das richterliche Urteil beruhe in Wahrheit weniger auf korrekten methodologischen Schlüssen und Syllogismus, sondern zu einem nicht geringen Anteil auch auf außerrechtlichen Gesichtspunkten wie den moralischen Überzeugungen und persönlichen Vorurteilen des Richters. Er bezeichnete diese „Entscheidungsgründe“ - als Gegensatz zu den offiziellen Entscheidungsgründen - als die „ungeschriebenen Prämissen“ des Rechtsfindungsprozesses. Diese Ansichten machten Holmes zu einem Vorläufer des amerikanischen Rechtsrealismus.

Im Jahre 1878 schlug der der damalige US-Präsident Rutherford B. Hayes Holmes als Bundesrichter vor, wurde aber vom einem Senator aus Massachusetts - George Frisbie Hoar - davon überzeugt, einen anderen Kandidaten zu nominieren. 1882 wurde Holmes zunächst Professor für Rechtswissenschaft in Harvard und sodann Richter am Obersten Gerichtshof des Staates Massachusetts. 1889 wurde er zum Vorsitzenden Richter dieses Gerichts ernannt.

Während seiner Zeit als Richter in Massachusetts entwickelte Holmes seine Ansichten zum Common Law und wandte diese Grundsätze auch praktisch an, indem er sich bei seinen Entscheidungen strikt an die zur fraglichen Rechtsmaterie bereits ergangenen Präjudizien hielt. In Fällen jedoch, die sich mit den Rechten von Arbeitern beschäftigten, wich er von den Präzendenzfällen ab, indem er Arbeitern das Recht auf die friedliche Bildung von Gewerkschaften zugestand. Es sei sowohl ein Gebot der Fairness als auch ein Ausfluss des Rechts auf freie Meinungsäußerung, den Arbeitern zu gestatten, ihren Arbeitgebern auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.

Die Zeit als Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten

Einzelnachweise

  1. Oliver Wendell Holmes Jr.: The Path of the Law. In: 10 Harvard Law Review 457 (1897). 

Literatur

Werke von Oliver Wendell Holmes Jr. (Auswahl)

  • Oliver Wendell Holmes, Jr.: The Common Law. New York 1991, ISBN 0-486-26746-6.  (erstmals erschienen: Boston 1881); deutsche Übersetzung: Oliver Wendell Holmes Jr.: Das gemeine Recht Englands und Nordamerikas : in elf Abhandlungen dargestellt. Berlin 2006, ISBN 3-428-12151-1.  (unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. von 1912)
  • Oliver Wendell Holmes, Jr.: The essential Holmes: Selections from the Letters, Speeches, Judicial Opinions, and other Writings of Oliver Wendell Holmes, Jr. Chicago (u.a.) 1992, ISBN 0-226-67552-1. 

Sekundärliteratur

  • Louis Menand: The Metaphysical Club. Farrar, Strauss and Giroux, New York 2001, ISBN 0-374-52849-7. 
  • H. L. Pohlman: Justice Oliver Wendell Holmes und Utilitarian Jurisprudence. Cambridge 1984, ISBN 0-674-49615-9. 
  • H. L. Pohlman: Justice Oliver Wendell Holmes: Free Speech and the Living Constitution. New York 1991, ISBN 0-8147-6614-5. 
  • Steven J. Burton: The Path of the Law and its Influence: the Legacy of Oliver Wendell Holmes, Jr.. Cambridge 2000. 

Weblinks


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