Ostkastell Welzheim

Ostkastell Welzheim
Lageplan des West und Ostkastells mit ihrer Verbindungsstraße (Grabungen 1894–96)
Einzelfundstücke von den Grabungen 1894–96

Die Kastelle von Welzheim waren zwei römische Militärlager am Jüngeren Odenwaldlimes, einem Teilabschnitt des UNESCO-WeltkulturerbesObergermanisch-Rätischer Limes“ auf dem Gebiet der heutigen Stadt Welzheim im Rems-Murr-Kreis in Baden-Württemberg.

Inhaltsverzeichnis

Westkastell Welzheim

hf

Westkastell Welzheim
ORL 45
Limesabschnitt Strecke 9,
Jüngere Odenwaldlinie
Datierung (Belegung) um 150/160 n. Chr.
bis um 260 n. Chr.
Typ Reiterkastell
Einheit „Ala I ...“ (?)
Größe 236 × 181 m = ca. 4,3 ha
Bauweise Steinkastell
Erhaltungszustand fast vollständig überbaut; nicht sichtbar
Ort Welzheim
Geographische Lage 48° 52′ 20,2″ N, 9° 37′ 56,8″ O48.8722722222229.632457Koordinaten: 48° 52′ 20,2″ N, 9° 37′ 56,8″ O
Vorhergehend Kleinkastell Rötelsee (nördlich)
Anschließend Kastell Lorch (südlich)

Das Westkastell Welzheim ist heute fast vollständig überbaut. Es war durch eine Straße mit dem 530 m östlich gelegenen, kleineren und wesentlich besser erforschten Ostkastell verbunden. Das Westkastell war Garnisonsort einer Kavallerieeinheit, die zur Grenzsicherung eingesetzt wurde.

Lage und Forschungsgeschichte

Grundriss des Westkastells nach den Grabungsbefunden 1894–96

Bei Welzheim endet ein rund 80 km langer geradliniger, von Nord nach Süd laufender Limesabschnitt. Die Stadt ist einer der wenigen Orte am Obergermanisch-Rätischen Limes, der zwei Kastelle besaß. Beide Anlagen wurden schon im 18. Jahrhundert identifiziert und im ausgehenden 19. Jahrhundert, durch die Reichs-Limes-Kommission (RLK) teilweise ergraben. Dabei wurde festgestellt, dass das 236 × 181 m (= 4,3 ha) große Westkastell, das damals noch fast unüberbaut am Ortsrand lag, zu den größten Anlagen am Obergermanisch-Rätischen Limes gehört. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das antike Areal zur anhaltenden Überbauung und damit zur Zerstörung freigegeben. Heute sind nur noch wenige Teile unter Wiesen geschützt.

Die fast exakt auf einer genauen West-Ost-Achse liegende Garnison befand sich an einem nach Osten abfallenden Hang im Süden der heutigen Stadt Welzheim und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg fast vollständig überbaut. Etwas westlich der heutigen Kreuzung Schloßgartenstraße–Christian-Bauer-Straße lag die Porta Praetoria, das Haupttor des Lagers, auf dessen Lage die Gesamtbebauung ausgerichtet war. Die Christian-Bauer-Straße nimmt in östliche Richtung gehend etwas versetzt die Ausrichtung der antiken Lagerstraße zu den Principia, dem Stabsgebäude, auf. Dort, wo die Christian-Bauer-Straße auf die Schorndorfer Straße stößt, befand sich ungefähr der Eingang zum Stabsgebäude. Die Schorndorfer Straße läuft in Nord-Südrichtung fast genau über der ehemaligen großen Mehrzweckhalle, die wie ein Riegel quer vor dem Stabsgebäude lag. Parallel zum Westwall, der ehemaligen Befestigungsmauer, läuft ein Weg und dahinter, gleichfalls der Ausrichtung des Kastells folgend, der Bahndamm. Der Bahnhof von Welzheim liegt knapp vor dem ehemaligen Nordwestturm der Fortifikation. Die vom Bahnhofsplatz in östliche Richtung abgehende Kurze Straße folgt eine Zeitlang ungefähr der Nordmauer des Kastells.

Rettungsgrabungen an der südöstlichen Kastellecke, ausgelöst durch den Bau einer Fabrik, fanden 1983 statt. Eine weitere Notgrabung von 2005 bis 2006 widmete sich den Resten des zur Überbauung freigegebenen Stabsgebäudes.

Grabungsbefunde und Baugeschichte

Im Zuge der Ausgrabungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurden die Flächenmaße der Anlage ermittelt und drei der vier Tore freigelegt, wobei heute abschließend festgestellt werden kann, dass alle vier Einlässe eine zweispurige Zufahrt besaßen. Von der Innenbebauung wurden damals nur Teile der Principia untersucht. Dabei konnte ein für die antike Zeitstellung klassisches, standardisiertes Gebäude festgestellt werden, bei dem sich die Verwaltungstrakte um einen Innenhof gruppierten und dem eine große Mehrzweckhalle vorgelagert war. Im hinteren, westlichen Teil des Bauwerks wurde ein Fahnenheiligtum mit Apsis nachgewiesen. Die Ausgestaltung dieser Heiligtümer mit Apsiden war in den Kastellen seit Mitte des 2. Jahrhunderts üblich geworden,[1] was neben anderen Befunden einen Hinweis auf die Entstehungszeit gibt.

Während der Rettungskampagne 2005 bis 2006 an den Principia entdeckten die Archäologen ein kostbares sechskantiges, aufwendig mit Emaille verziertes Bronzefläschchen aus dem 2. oder 3. Jahrhundert, in das vielleicht wertvolle Öle oder Salben gefüllt worden sind.[2]

Bei der Grabung 1983 wurde ein rund 20 Meter langes Teilstück der Wehrmauer freigelegt. Es wurde festgestellt, dass die innere Mauerschale in diesem Bereich zwischen 0,5 bis 0,6 Meter hoch erhalten war, während ihr äußeres Gegenstück nur noch drei bis vier Steinlagen aufwies. An der Kastellecke, die dort einen großen Bogen schlug, deckten die Forscher einen im Verhältnis zur Lagergröße relativ kleinen, leicht trapezförmigen Turm frei, der mit seinem bis zu einem Meter hoch erhaltenem Mauerwerk erstaunlich gut erhalten war. Die in das Kastell gewandte Seite des Turms besaß einen 1,2 Meter breiten Eingang. Wie nähere Untersuchungen ergaben, wurde der Turm in einem Stück mit der Lagermauer hochgezogen. Es konnte nachgewiesen werden, dass an der ergrabenen Süd- und Ostseite der Mauer im Inneren eine Erdrampe angeschüttet gewesen war. Aufgrund günstiger Bodenbedingungen wurden hier zum damaligen Zeitpunkt erstmals Holzeinlagen innerhalb einer Rampe nachgewiesen, welche die Standfestigkeit der Anschüttung gewährleisten sollten. Die vollständig und primär verkohlte Holzkonstruktion bestand aus teils parallel zueinander, teils gitterförmig angelegten Bohlen. Das Verkohlung ist eine alte Konservierungsmethode, um Holz langlebiger zu machen. Vor der Wehrmauer konnte zumindest ein Stichgraben erkannt werden. Das Kastell besaß, dem Normmuster folgend, vier Ecktürme sowie, der Lagergröße angemessen, Zwischentürme. Ein älteres Holz-Erde-Kastell wurde nicht entdeckt.

Bei ihrer Grabung fanden die Archäologen entlang des von ihnen aufgedeckten Teilstücks der Via sagularis, der Lagerringstraße, zwei Zisternen, die rund 0,8 Meter in das historische Bodenniveau vertieft waren. Zudem wurden in diesem Bereich Spuren hölzerner Innenbauten festgestellt.[3] Es wurde festgestellt, dass die Mannschaftsbaracken und andere Gebäude in Fachwerkkonstruktion ausgeführt gewesen sind.

Die Größe des Welzheimer Westkastells lässt sich in Obergermanien mit dem Steinkastell Niederbieber (5,25 ha; errichtet kurz nach 185/190) oder mit Echzell (5,2 ha) vergleichen, was jeweils auf große Besatzungen schließen lässt.[4] Die Forschung stellte zudem fest, dass Kastelle in ihrer vollständigen Anlage am germanischen Limes normalerweise größer und großzügiger dimensioniert waren, als die mit einer vergleichbaren Truppe belegten britischen Fortifikationen. So hatte Welzheim West die doppelte Größe wie dortige vergleichbare Anlagen. Neben regionalen Unterschieden wurde vermutet, dass in Britannien nur Teile von Einheiten in diesen jeweiligen Lagern stationiert gewesen sind, was nicht nur Fragen nach einer möglicherweise anderen Organisation des dort liegenden römischen Heeres aufwirft, sondern auch unbefriedigend bleibt, da sich diese These nicht überprüfen lässt.[5]

Kastellbad

Therme des Westkastells nach den Grabungen von 1894-96

Etwas 100 Meter leicht hangabwärts und südöstlich der Porta praetoria befand sich in der Flur „Brühl“ das bei seiner Aufdeckung 1896 gut erhaltene 16 × 44 Meter große Reihenbad des Westkastells. Mit Apodyterium (Auskleideraum), Frigidarium (Kaltwasserbad) mit Badebecken, Tepidarium (Warmluftraum), Caldarium (Warmwasserbecken) und einem großen Praefurnium (Heizraum). Dort wurde die Luft für die Hypokaust-Heizung erwärmt.

Truppe

Laut einer leider nur teilweise erhaltenen Inschrift war das Westkastell Welzheim Standort einer „Ala I ...“. Soweit ermittelt werden konnte, kommen nur drei mögliche Alen in Betracht: die Ala I Scubulorum, die Ala Indiana Gallorum oder die Ala I Flavia gemina.

Vicus und Gräberfeld

Zwischen dem West- und Ostkastell sowie an der Südseite des Westkastells lag ein nur in geringem Maß erforschtes ausgedehntes Lagerdorf (Vicus). Ausschließlich im Gelände nordwestlich des Ostkastells wurden zwischen 1955 bis 1964 weitflächige Siedlungsspuren mit Holz- und Steinbauten aufgedeckt. Die bis heute anhaltende dichte Überbauung macht eine flächendeckende Erforschung des Vicus unmöglich.

Rund 100 Meter westlich der Nordwestecke des Ostkastells konnten bei Notgrabungen aufgrund eines Sportplatzbaues zu Beginn der sechziger Jahre etliche Gräber ermittelt, aber nur unzulänglich geborgen werden. Als dann in diesem Bereich eine Sporthalle errichtet werden sollte, wurden im September 1979 insgesamt 162 Brandgräber aus dem 2. und 3. Jahrhundert freigelegt.

Ostkastell

hf

Ostkastell Welzheim
ORL 45a
Limesabschnitt Strecke 9,
Jüngere Odenwaldlinie
Datierung (Belegung) um 115 oder 140 n. Chr.
bis um 260 n. Chr.
Typ Numeruskastell
Einheit „Numerus Brittonum ...“ (?)/Exploratores
Größe 123 × 126 m =1,6 ha
Bauweise Steinkastell
Erhaltungszustand Westtor mit Mauerteil rekonstruiert, Umwehrung restauriert und Steingebäude am Boden angedeutet
Ort Welzheim
Geographische Lage 48° 52′ 17″ N, 9° 38′ 32″ O48.8713888888899.64222222222227
Vorhergehend Kleinkastell Rötelsee (nördlich)
Anschließend Kastell Lorch (südlich)

Das Ostkastell Welzheim ist in Form eines archäologischen Reservats erhalten. Die für eine 150 bis 200 Mann starke Besatzung (Numerus) errichtete Befestigung war mit dem wesentlich größen, 530 Meter westlich gelegenen Reiterkastell durch eine Straße und ein Lagerdorf verbunden. Mit dem Limesfall um 260 n. Chr. ist die Anlage untergegangen.

Lage und Forschungsgeschichte

Grundriss und Details des Ostkastells nach den Grabungen von 1894-96

Das auf der Flur „Bürg“ gelegen Ostkastell Welzheim befindet sich auf einer Hochfäche über der Lein. Die römischen Geometer nutzten für den Bauplatz dabei einen nach Süden, Osten und Norden abfallenden Sporn der Hochfläche, die der Lagerbesatzung einen guten Überblick gewährleistete, wobei sich das Gelände, auf dem das Kastell errichtet wurde, von Nordwesten nach Südosten um rund 10 Meter senkt.

Wie der Flurname zeigt, ist das Wissen um eine alte wehrhafte Stätte nie ganz verloren gegangen. Die Garnison, seit dem 18. Jahrhundert als römischer Stützpunkt bekannt und 1886 erstmals untersucht, wurde im Herbst 1894, damals noch auf freiem Feld gelegen, von der Reichs-Limes-Kommission (RLK) unter dem Streckenkommissar Adolf Mettler erforscht, wobei besonderes Augenmerk auch auf die Umwehrung gelegt worden ist. Wie dies beim Westkastell bis heute Schritt für Schritt geschieht, sollte das Ostkastell ab 1960 vollständig überbaut werden. Das veranlasste den damalige Leiter der Abteilung Bodendenkmalpflege beim Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Hartwig Zürn, in einer großen Rettungsaktion gemeinsam mit Hilfe des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), der Römisch-Germanischen Kommission (RGK) und dem Saalburgmuseum dafür zu sorgen, dass das Land das historisch wertvolle Kastellgelände erwarb. Der ursprüngliche Plan war es, die Befestigung vollständig auszugraben, die Fundamente des Steinkastells zu restaurieren und so der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch 1976, als Zürns Nachfolger Dieter Planck mit den Grabungen beginnen sollte, änderte sich die Meinung über das bisherige Grabungskonzept:

„Als mir 1976 der Auftrag zufiel, die Grabungsarbeiten zu beginnen, stand fest, daß die damals ins Auge gefaßte Lösung gleichzeitig die endgültige Zerstörung dieser Anlage bedeutet hätte. Aus diesem Grund habe ich versucht, eine andere Konzeption zu erarbeiten, um einerseits dem berechtigten Wunsch der Öffentlichkeit, etwas sehen zu können, nachzukommen und andererseits dieses Kastell für zukünftige wissenschaftliche Ausgrabungen als archäologisches Reservat zu erhalten.“[6]
Westtor des Ostkastells von Welzheim

Das neue Konzept sah vor, die Umwehrung freizulegen und herzurichten, damit Besucher die Größe des Lagers erfassen konnten. Außerdem entschloss man sich zu einem Wiederaufbau des Westtores. Dabei wurde erstmals seit langem in Deutschland der Versuch unternommen, einen großen Rekonstruktionsversuch unter rein wissenschaftlichen Aspekten vorzunehmen, der den neuesten Stand der Forschung wiedergab. Wesentlichen Anteil an der Rekonstruktion hatten Dietwulf Baatz vom Saalburgmuseum und das Landesdenkmalamt. 1983 wurde die erste Stufe der Kastellpräsentation nach Abschluss der Grabungen und der Rekonstruktion der Öffentlichkeit vorgestellt.

„Wir hatten hier den Schritt von der Konservierung zur Rekonstruktion gewagt, und ich meine, in einzelnen Fällen sollten wir dies auch in Zukunft tun, wobei der Besucher klare Auskunft erhalten muß, was gesichert ist und was nach den modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen ergänzt wurde. ... Wir sind jedoch der Meinung, daß Rekonstruktionen nur in einzelnen Fällen errichtet werden sollten. Das Beispiel von Welzheim mag hier als besonders glücklich für die zukünftige Arbeit der archäologischen Denkmalpflege angesehen werden.“[7]

Weil das Ostkastell als archäologisches Reservat künftigen Forschungen erhalten bleiben soll, wurden bei den 1981 abgeschlossenen Grabungen hauptsächlich die Wehrmauer, Tore und Türme sondiert. Bei den Innenbauten rechnet man vorwiegend mit Holzhäusern, die wichtige Erkenntnisse zum Kastell und Limes geben könnten.

Baugeschichte

Trotz der militärisch gelungenen Platzwahl für das rund 123 × 126 m (= 1,6 ha) große Ostkastell, war der Untergrund weniger gut geeignet und führte zu mehreren Einstürzen der 1,1 bis 1,4 m breiten Kastellmauer, die bei den Grabungen ab 1976 im Bereich des West- und Südtores, sowie des südwestlichen Eckturms teilweise noch über 1,2 Meter hoch erhalten war. Der das Steingefüge sichernde Mörtel hatte sich jedoch aufgrund des kalkarmen Bodens gänzlich aufgelöst. Als wesentlicher Grund für die Zerstörungen am Mauerwerk könnte das so gut wie nicht absickernde Regenwasser auf der abfallenden Hanglage des Kastells verantwortlich sein, dem sich die Römer mit sechs kleinen gemauerten Drainagekanälen im südwestlichen Mauerfundament entgegenstellten. Von den Ausbesserungsarbeiten an der Wehrmauer künden große Pfostengruben an der Kastellaußenseite, in die einst hölzerne Baugerüste fundamentiert gewesen sind. Im Kastell Murrhardt konnten 1979 ähnliche Befunde festgestellt werden. Im südlichen Lagerteil des Ostkastells kam der Mauer gleichzeitig die Aufgabe einer Terrassenmauer zu, da sie das rund 0,5 Meter höhere Niveau im Kastellinneren abfangen musste.

Inwieweit den Geometern und Fachleuten beim Bau des Steinkastells die Nachteile bereits bewusst waren, entzieht sich den Kenntnissen, jedoch wurden nicht nur die genannten mehrfache Renovierungen nachgewiesen, sondern es wurde auch festgestellt, dass der Ausbau der Umwehrung nur schrittweise und über einen längeren Zeitraum geschehen ist. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass dieser Ausbau nicht den typischen römischen Normen der Erbauungzeit am germanischen Limes entsprach. Das bisherige Fundgut, besonders der reiche Bestand an Terra sigillata, lässt den möglichen Schluss zu, dass das Ostkastell rund eine Generation vor dem Westkastell in späthadrianischer oder frühantoninischer Zeit entstanden ist.

An der Mauerinnenseite wurden parallellaufende Pfostenlöcher entdeckt, die einst einen hölzernen Wehrgang trugen. Vor der Mauer lag ein Doppelspitzgraben, der an den vier Einlässen des Lagers aussetzte. Das einspurige Südtor sowie das gleichgestaltete Nordtor besaßen jeweils nur eine in der Breite des Wehrgangs einspringende Zungenmauer, keine Türme. Solche Torwangen sind in der Regel nur bei Kleinkastellen wie Rötelsee nachweisbar. Die Archäologen entdeckten in der Durchfahrt 1976 noch die alte Pflasterung. Das später rekonstruierte zweitürmige Westtor mit seiner 3,6 Meter breiten Durchfahrt hingegen folgt dem üblichen Bauschema und wurde 1977 untersucht. Die Ausgräber konnten wie im südlichen Kastellbereich auch hier verschiedene Ausbesserungen entdecken und die Maße der beiden Tortürme mit 3,8 × 4 Meter feststellen.

Bereits die Grabungen der RLK 1894 am Nordostturm und am Osttor hatten mehrere tiefgreifende Sanierungsphasen vermuten lassen, die mit dem schwierigen Untergrund zusammenhingen. Das eintorige Osttor wies als Merkwürdigkeit nur einen Turm im Norden auf, während an der Südseite wiederum eine Zungenmauer stand. Eine weitere Besonderheit war, dass sich Zwischentürme nur an der Westseite und am Westteil der Nordseite fanden.

Wie festgestellt werden konnte, wurde die Umwehrung in zwei unterschiedlichen Bauphasen angelegt. Zunächst entstanden Gräben, Mauern und Tore sowie die Innenbebauung. Wahrscheinlich gehören die bis zum Ende des Kastells noch sichtbaren Zungenmauern der Tore im Süden, Norden und Osten noch in diese Zeitstellung. Ein Brandhorizont, der durch Funde in die Zeit um 170/175 datierbar wird, lässt sich wohl mit den Markomannenkriegen (166 bis 180) in Verbindung bringen und zeigt eine ähnliche Zeitstellung wie eine Brandschicht aus dem Kastell Murrhardt. Erst nach diesen Zerstörungen erhielt das Kastell, sichtbar auch durch Baufugen, seine vier Eck-, Zwischen- und vielleicht auch Tortürme.

Das Stabsgebäude konnte sich bisher nicht nachweisen lassen, weshalb die Prätorialfront unbekannt ist. Nach Auswertung von geophysikalischen Messungen hat es jedoch höchstwahrscheinlich eine Principia gegeben.

Von der Innenbebauung wurden 1977, bei den Erkundungen am Westtor, zwei Holzbauten angeschnitten. Daneben vermaß man die Via sagularis, die Lagerringstraße, mit einer Breite von 3,3 Metern.

Brunnenfunde

Als der Bereich der Lagerstraße angeschnitten wurde, konnten die Archäologen vier holzverschalte Brunnen mit teils spektakulären Funden aufdecken. Außerdem gewannen die Forschung eine Vielzahl von Daten zu den Lebensverhältnissen in einem kleinen römischen Grenzkastell vor fast 2000 Jahren. Wie in früheren Zeiten üblich, wurden aufgegebene Brunnen in ihrer Zweitverwendung oft als Abfallgruben weiterbenutzt. Diese Gruben sind für Ausgräber oft bedeutende Zeitfenster in die Vergangenheit, da sich das hier geborgene Fundgut vielfach nur selten an anderer Stelle erhalten hat.

Für die beiden interessantesten Wasserstellen, Bunnen 1 und 2, ergab die dendrochronologische Untersuchung, dass Brunnen 2, der um 165 n. Chr. fertiggestellt wurde, zuerst aufgegeben worden ist. Als Ersatz richtete die Kastellbesatzung im Jahr 190 (+/– 10) n. Chr. Brunnen 1 ein.

Beim Aushub des älteren Bunnen 2 stellten die Archäologen eine sehr gut erhaltene hölzerne, verzahnte Verschalung in den Maßen 1,5 × 1,5 m fest. Diese Verschalung konnte bis in die kleine, ebenfalls erhaltene Brunnenstube beobachtet werden. Mit seiner hellbraunen, tonigen Verfüllung hob sich Brunnen 2 deutlich vom jüngeren Nachfolger ab, in dem die Ausgräber auf schwarzbraun-seifiges Füllgut stießen. Auch Brunnen 1, dessen Schalung verzapft gewesen ist, befand sich aufgrund der Bodenverhältnisse ab einer Tiefe von knapp zwei Metern in einem ausgezeichneten Zustand.

Handwerkliche Gegenstände

Brunnen 2 barg neben etlichen anderen hölzernen Gegenständen eine Holzschaufel und ein zerbrochenes Joch.

Die aus dem jüngeren Brunnen 1 geborgenen Fundstücke bezeugten eine homogene Verfüllung, hauptsächlich mit dem Material einer Schusterei. Deren spektakuläre Hinterlassenschaften bestanden aus rund 100 Lederschuhen, die vom Kleinstkindschuh bis zum Stiefel einen Querschnitt durch alle damals gebräuchlichen Fußbekleidungen bot, wobei die meisten Schuhe bereits abgelaufen waren. Neben diesem Fundgut wurde auch eine Vielzahl von Gerätschaften des täglichen Bedarfs wie eine Schreibtafel oder Keramik geborgen. Zudem konnten Holzreste in großen Mengen sichergestellt werden; daneben fanden sich auch Samen und Früchte. Die unter der Leitung von Udelgard Körber-Grohne an der Universität Hohenheim durchgeführten vorgeschichtsbotanischen Untersuchungen konnten importierte Gegenstände aus Zedern- und Zypressenholz feststellen.

Militaria

Um 190 n. Chr. begannen die Soldaten, Brunnen 2 in Zweitverwendung als Abfallgrube zu benutzen. Dabei kamen auch interessante militärische Ausrüstungsgegenstände in den Boden. So konnten in Brunnen 2 drei bis zu 1,84 m lange pila muralia („Mauerspeere“) in ausgezeichnete Zustand aufgedeckt werden. Bei den pila muralia, eigentlich valli („Schanzposten“), handelt es sich um Schanzpfähle für kurzfristige Nachtlager in auswärtigen Operationsgebieten. Die Pfähle konnten aber auch als Annäherungshindernisse in der Art spanischer Reiter gegen feindliche Infanterie und Kavallerie eingesetzt werden. Wie u. a. Caesar berichtet, warf man die Pfähle, jetzt als massive Wurfgeschosse, von den Mauern auf Angreifer herab.[8]

In desolatem Zustand kamen am Grund von Brunnen 2 noch größere Reste einer bronzenen Helmmaske, der das Hinterhauptteil fehlte, sowie ein Kupferkessel zum Vorschein. Die im Römisch-Germanischen Zentralmuseum restaurierte, 25 cm hohe Maske gehört zum Alexander-Typus und läßt sich ins 2./3. Jahrhundert n. Chr. datieren. (Junkelmann 1996, Katalog Nr. O99)[9]

Die Forschung geht davon aus, dass die von der römischen Kavallerie eingesetzten Gesichtshelme vom Typus Alexander ihre letztendliche Ausformung in hadrianischer Zeit erhielten. Das bisher früheste Stück soll zusammen mit römischer Infanteriekleidung in einer Höhle am Berg Hebron gefunden worden sein und kann in die Zeit des Bar-Kochba-Aufstandes (132 bis 135 n. Chr.) datiert werden. Typisch für diese hellenistisch geprägte Helmmaske, die sich aus einem maskulin-femininen Mischtyp entwickelt hat, sind u. a. ein kleiner Mund, eine gerade Nase, lange Koteletten und eine fast barocke Frisur mit „Alexanderlocken“. Maskenhelme dieser Zeit wurde nicht im Kampf, sondern nur zu Paraden und Schaukämpfen, bei denen die römische Kavallerie ihr Können zeigte, getragen. Den Ablauf eines solchen Schaukampfes überliefert Flavius Arrianus in seinem 136 n. Chr. erschienenen Reitertraktat.[10]

Früchte und Kräuter

Groß war in Brunnen 1 der Fundus dessen, was in der römischen Küche Verwendung fand und was an Feldfrüchten importiert oder vor Ort angebaut bzw. gesammelt worden ist. So gelang der Nachweis von eingeführten Feigen, aber auch Weintrauben, Zwetschgen, Walderdbeeren, Brombeeren, Hagebutten, Blaubeeren, Äpfeln sowie Hasel- und Walnüssen u. v. a. An Gemüsen und Salaten konnten u. a. Feldsalat, Möhren, Fuchsschwanz und Gartenmelde erkannt werden. Für die Hülsenfrüchte standen Feldbohnen, Linsen und Erbsen. Als Würzpflanzen machten die Forscher u. a. Koriander, Dill, Thymian und Sellerie aus. Daneben wurde der Nachweis für unterschiedliche Getreidearten sowie einiger Heilpflanzen geführt.

Gräser und Felder

Brunnen 1 barg auch die pflanzlichen Überbleibsel von über 60 Grünlandarten. Es wurde festgestellt, dass die Mahd sowohl von guten Wiesen mit frischen bis trockenen Standorten als auch aus Bachauen stammte. Man geht davon aus, dass das Schnittgut von den Wiesen als Viehfutter und das fette Auengras zur Einstreu gedacht war. Die Feststellung, dass die damaligen römischen Wiesen in einem ausgezeichneten Zustand gewesen sein müssen, geben pflanzliche Leitarten wie Rispengräser (Poa), Knäuelgräser (Dactylis) und Kammgras (Cynosurus cristatus). Außerdem wurde viele Straußgräser (Agrostis), Mittlerer Wegerich (Plantago media) und Scharfer Hahnenfuß (Ranunculus acris) entdeckt.

Bäume und Wälder

Aus dem Befund der Gehölze aus Brunnen 1 konnten 19 einheimische Baumarten ermittelt werden. Von diesen traten Eiche, Buche, Hasel, verschiedene Ahornsorten und Tanne am häufigsten auf. Aus botanischer Sicht ergibt sich daher ein klares Bild über das Welzheimer Umland in der Antike, als dort Eichen-, Buchen- und Tannenwälder wuchsen, in denen es reichlich Unterholz von verschiedenen anderen Laubbäumen gab. Die Forscher stellen anhand der Holzbefüllung aus Brunnen 1 zudem fest, dass die Römer hauptsächlich Eichen und Tannenholz geschlagen hatte.

Kommandeure

Ein Kommandeur der im Ostkastell stationierten Truppe ist namentlich als Centurio der 8. Legion, Marcus Octavius Severus, bekannt. Sein Votivstein fand sich 1894 im Bauschutt der Heizanlage des Bades und war wohl als Spolie wiederverwendet worden. Neben dem Brittonen-Numerus befehligte Marcus Octavius Severus auch eine hier lagernde Einheit Exploratores.

Truppe

Durch die oben genannte Altarinschrift aus der Zeit zwischen 198 und 211 wird das Ostkastell als Garnisonsort einer Einheit Brittones und Exploratores genannt. Im Lagerbereich aus dem Boden gekommene Ziegelstempel nennen einen Numerus Brittonum L ... bzw. einen Numerus Brittonum Cr... oder Gr.... Eine vollständige Auflösung der Abkürzungen ist bisher nicht möglich.

Mögliche nachkastellzeitliche Nutzung

Die Reichs-Limes-Kommission grub bei ihren Untersuchungen 1894 einen heute in seine Mauerzügen angedeuteten 14 Meter langen steinernen Rechteckbau aus, der sich im westlichen Kastellteil, an der Ost-West-Straße befand. Hier wurden verkohlte Getreidekörner freigelegt, die eine Deutung des Bauwerks als Horreum, als Speicherbau, zuließen, wobei einige architektonische Akzente, die für den militärischen Bautyp üblich sind, fehlen.

Therme des Ostkastells (Grabungen 1894-96)

Das zweite Bauwerk aus Stein, das bis heute in der Wehranlage gefunden worden ist, liegt mitten im südöstlichen Karree der durch zwei kreuzförmige angelegte Straßenachsen durchteilten Lagerfläche. Aufgrund der Raumgestaltung und des Grundrisses kann er als römisches Bad angesehen werden. Die ungewöhnliche Lage des Bades mitten im Lager und der damit verbundene Raumverlust für die Truppe deutet, wie beim spätantiken Bad im Kastell Eining bezeugt, eher auf eine nachkastellzeitliche Erbauung und Nutzung hin. Da nähere Untersuchungen fehlen wurde bereits spekuliert, ob das verlassene Lager nach dem Limesfall, im fortgeschrittenen 3. Jahrhundert, nicht zum Ort eine Villa rustica geworden ist.

Denkmalschutz

Das West- und Ostkastell Welzheim, sein Vicus und das Brandgräberfeld sind Bodendenkmale nach dem Denkmalschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg (DSchG). Nachforschungen und gezieltes Sammeln von Funden sind genehmigungspflichtig, Zufallsfunde an die Denkmalbehörden zu melden.

Siehe auch

Literatur

  • Dietwulf Baatz: Der Römische Limes. Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau. 4. Auflage, Gebr. Mann, Berlin 2000, ISBN 3-786-12347-0, S. 246ff.
  • Udelgard Körber-Grohne u.a.: Flora und Fauna im Ostkastell von Welzheim. Theiss, Stuttgart 1983, ISBN 3-8062-0766-6, (Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg, 14)
  • Dieter Planck: Welzheim. Römische Kastelle und Zivilsiedlung. In: Die Römer in Baden-Württemberg. 3. Auflage. Theiss, Stuttgart 1986. ISBN 3-8062-0287-7, S.&611ff.
  • Dieter Planck, Willi Beck: Der Limes in Südwestdeutschland. 2. völlig neubearbeitete Auflage, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0496-9
  • Philipp Filtzinger: Limesmuseum Aalen. 4. Auflage, Hrsg. v. d. Gesellschaft zur Förderung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart, Stuttgart 1991
  • Carol van Driel-Murray, Hans-Heinz Hartmann: Das Ostkastell von Welzheim, Rems-Murr-Kreis. Theiss, Stuttgart 1999, ISBN 3-8062-1077-2
  • Dietwulf Baatz: Der Römische Limes. Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau. 4. Auflage, Gebr. Mann, Berlin 2000, ISBN 3-7861-2347-0, S. 245 ff.
  • Britta Rabold, Egon Schallmayer, Andreas Thiel: Der Limes, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 3-8062-1461-1
  • Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg, Jahrbuch 2006, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg u.a., Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-2093-3
  • Sönke Lorenz und Andreas Schmauder: Welzheim - Vom Römerlager zur modernen Stadt. Markstein, Filderstadt 2002, ISBN 3-935129-05-X
  • Dieter Planck: Welzheim. Römische Kastelle und Zivilsiedlung. In: Die Römer in Baden-Württemberg. Stuttgart, Theiss 2005, ISBN 3-8062-1555-3, S. 364ff.

Grabungsberichte der Reichs-Limes-Kommission:

  • A. Mettler und P. Schultz in der Reihe Der obergermanisch-raetische Limes des Römerreiches (Hrsg. E. Fabricius, F. Hettner, O. von Sarwey): Abteilung B, Band 5, Kastelle Nr. 45 und 45a (1904)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Anne Johnson (dt. Bearbeitung von Dietwulf Baatz): Römische Kastelle. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1987, ISBN 3-8053-0868-X, S. 152.
  2. [1] Archäologisches Landesmuseum Konstanz, Sonderausstellung 2007
  3. Britta Rabold, Egon Schallmayer, Andreas Thiel: Der Limes, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 3-8062-1461-1, S. 92.
  4. Anne Johnson (dt. Bearbeitung von Dietwulf Baatz): Römische Kastelle, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1987, ISBN 3-8053-0868-X, S. 313.
  5. Anne Johnson (dt. Bearbeitung von Dietwulf Baatz): Römische Kastelle, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1987, ISBN 3-8053-0868-X, S. 321.
  6. Dieter Planck: Restaurierung und Rekonstruktion römischer Bauten in Baden-Württemberg in: Günter Ulbert, Gerhard Weber (Hrsg.): Konservierte Geschichte? Antike Bauten und ihre Erhaltung. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-8062-0450-0, S. 149.
  7. Dieter Planck: Restaurierung und Rekonstruktion römischer Bauten in Baden-Württemberg in: Günter Ulbert, Gerhard Weber (Hrsg.): Konservierte Geschichte? Antike Bauten und ihre Erhaltung. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-8062-0450-0, S. 150.
  8. Marcus Junkelmann: Die Legionen des Augustus. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1986, ISBN 3-8053-0886-8. S. 205 f.
  9. Marcus Junkelmann: Reiter wie Statuen aus Erz. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1996, ISBN 3-8053-1819-7. S. 38/94
  10. Marcus Junkelmann: Reiter wie Statuen aus Erz. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1996, ISBN 3-8053-1819-7. S. 26ff./88

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