Otto Johann Maximilian Strasser

Otto Johann Maximilian Strasser

Otto Johann Maximilian Strasser (* 10. September 1897 in Windsheim, Mittelfranken; † 27. August 1974 in München; auch: Straßer; Pseudonym: Michael Geismaier[1]) war ein nationalsozialistischer Politiker. Nach kurzer Mitgliedschaft in der SPD (1917–1920) gehörte er von 1925 bis 1930 der NSDAP an.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Strasser nahm als Leutnant der Reserve der Bayerischen Armee am Ersten Weltkrieg teil und wirkte danach im Freikorps Epp bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik mit. In seiner Armeezeit trug er wegen des Abonnements einer sozialdemokratischen Zeitschrift den Spitznamen „der rote Leutnant“.[2] Er ging zum Studium nach Berlin und trat nach seiner Promotion in Staatswissenschaften ins Reichsernährungsministerium ein.

Von 1917 bis 1920 war er Mitglied der SPD und führte im Widerstand gegen den Kapp-Putsch eine paramilitärische Gruppe („Rote Hundertschaft“).

Als Autor des Vorwärts, der Germania und des Gewissens engagierte er sich für das völkische Denken von Arthur Moeller van den Bruck und dessen „mitteleuropäische Reichsidee“.

Strasser trat 1925 in die NSDAP ein und baute mit seinem Bruder Gregor Strasser und Joseph Goebbels einen „linken“, d.h. sozialrevolutionären Flügel auf. Die Brüder Strasser beherrschten die Berliner Parteiorganisation und entwickelten ein eigenständiges ideologisches Profil gegenüber dem süddeutschen Parteiflügel um Adolf Hitler. Sie verfochten – zunächst gemeinsam mit Goebbels, dem engen Mitarbeiter Gregor Strassers im Rheinland und in Westfalen – einen antikapitalistischen, sozialrevolutionären Kurs der NSDAP. Dieser unterstützte teilweise die Streiks der sozialdemokratischen Gewerkschaften und trat für eine Anlehnung Deutschlands an die Sowjetunion ein. Trotzdem war der Strasser-Flügel antimarxistisch geprägt.

Am 1. März 1926 gründeten die Brüder die Kampf-Verlag GmbH. Dieser Verlag war das publizistische Sprachrohr des linken Flügels der NSDAP. Auf Hitlers Angebot vom 22. Mai 1930, den Verlag für 120.000 Reichsmark zu kaufen, ging Otto Strasser nicht ein. Infolge des Richtungskampfes in der NSDAP trat er am 4. Juli 1930 aus der Partei aus – große Wirkung konnte er damit allerdings nicht erzielen, da der weit beliebtere Gregor in der Partei verblieb. Zeitgleich erschien die Kampfschrift „Die Sozialisten verlassen die NSDAP“, in der Otto Strasser unter anderem die fehlende Unterstützung des Nationalsozialismus für Mahatma Gandhi und den indischen Freiheitskampf anmahnte und der Münchner Parteiführung eine deutliche Absage erteilte. Anschließend nutzte er den Verlag als Sprachrohr der Schwarzen Front, der so genannten „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten“. In der Folgezeit versuchte Strasser, Mitglieder und Sympathisanten der KPD für die Kampfgemeinschaft zu gewinnen, und trat bei gemeinsamen Diskussionsveranstaltungen auf. Strassers Bemühungen erwiesen sich als kontraproduktiv, denn statt dass national gesinnte Kommunisten zu seiner „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten“ wechselten, trat über die Hälfte von deren Mitgliedern im Lauf der Zeit in die KPD ein.

Wegen der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der strasserschen Publikationen musste der Verlag am 1. Oktober 1930 geschlossen werden. Es folgten mehrere Versuche, neue Publikationen unter anderem Namen zu gründen und zu vermarkten („Der Nationale Sozialist“, „Die Deutsche Revolution“, „Die Schwarze Front“), die alle ohne jede Wirkung blieben. Die Blätter erreichten nie mehr als 10.000 Abnehmer, trotz der Unterstützung anderer rechter Splittergruppen.

Nach der Machtergreifung 1933 emigrierte Strasser zunächst nach Österreich, später wechselte er über Prag in die Schweiz und nach Portugal. 1943 wanderte er nach Kanada aus. Aus der Emigration heraus griff er in vielen Publikationen in Form von Büchern, Zeitschriften und Flugblättern die Herrschaft der NSDAP in Deutschland an. Dabei setzte er auf die Doppelstrategie, einerseits im Ausland Aufklärung über Hitlers Person, Herrschaftspraxis und politische Zielsetzung zu betreiben (so unterstützte er amerikanische Geheimdienste bei der Erstellung eines Psychogramms von Hitler) und andererseits subversives Material nach Deutschland schmuggeln zu lassen. Weiterhin vertrat er das politische Leitbild eines Sozialismus auf nationaler Basis (siehe seine Schrift „Aufbau des deutschen Sozialismus“, 1932 veröffentlicht und 1936 ergänzt) und warf Hitler zunächst den Verrat an der eigentlichen nationalsozialistischen Ideologie, später auch die Morde – vor allem aber den an seinem Bruder Gregor – im Rahmen des Röhm-Putsches vor.

In der Führung seiner Untergrund-Organisation „Schwarze Front“ erwies sich bald, dass Strasser als Rebellenführer noch weniger taugte denn als politischer Schriftsteller. Die Prager Zentrale wurde ab 1933 von inneren Auseinandersetzungen und äußeren Angriffen erschüttert. Der Organisationsleiter Friedrich Beer-Grunow sah die Ursache vor allem in Strassers bombastischem Wesen. 1938 sagte er sich von Strasser los und wurde kurz danach von der Gestapo ermordet. Dies scheint das Ende der Schwarzen Front als Organisation zu bedeuten.

1938 veröffentlichte Otto Strasser mit dem Weltbühne-Autor Kurt Hiller die „Prager Erklärung“, ein nationalrevolutionäres Manifest, das sich gegen den Hitler-Staat und für ein neues Deutschland aussprach. Nach dem Krieg veröffentlichte er 1948 unter dem Titel Hitler und ich seine Erinnerungen an die parteiinternen Flügelkämpfe vor 1933 auch in Deutsch, nachdem er sie ursprünglich in französisch abgefasst und 1940 als „Hitler et moi“ beim Verlag Grasset in Paris herausgebracht hatte. Erst eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ermöglichte ihm 1955 die schon früher angestrebte, bis dahin aber verweigerte Rückkehr nach Deutschland. Versuche einer erneuten politischen Betätigung, wie 1956 mit der Partei „Deutsch-Soziale Union“, blieben erfolglos. 1962 schrieb Strasser eine Zusammenfassung seiner politischen Tätigkeit: Der Faschismus. In diesem Buch skizzierte Strasser die Weltanschauung Hitlers und Mussolinis, und brach seinen eigenen Sozialismus aus der Konkursmasse des Faschismus heraus. Karl Otto Paetel, Louis Dupeux und Erich Müller beschrieben Strasser als Teil der Nationalbolschewisten.

Otto Strasser zog sich bis zu seinem Tod 1974 ins Privatleben zurück. Er veröffentlichte ein Buch beim Heinrich Heine Verlag (Reihe: Streit-Zeit-Bücher, Vorwort: Gerhard Zwerenz). Das Buch trug den Titel Mein Kampf, enthielt aber keine Hitler-Biographie, sondern eine vom Verlag überarbeitete Fassung des 1958 im Selbstverlag erschienenen Strasser-Buches Exil.

Ideologie

In Strassers Veröffentlichungen steht nicht, wie bei zahlreichen anderen prominenten Nationalsozialisten, der Antisemitismus im Vordergrund, sondern sein nationaler Sozialismus, den er nach 1945 als „Solidarismus“ bezeichnete. Nach Ansicht des israelischen Historikers Robert Wistrich waren er und der linke Flügel der NSDAP dennoch „nicht weniger rassistisch und antisemitisch eingestellt, als der von Hitler geführte rechte“.[3] Der Historiker Christian Striefler schreibt, es sei der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Klassenkampf der Kommunisten und dem Rassenkampf, der ihm vorschwebte, gewesen, „der Otto Strasser davon abgehalten hat, ganz zu den Kommunisten überzutreten“.[4] 1933 veröffentlichte er „Vierzehn Thesen zur deutschen Revolution“, in denen er vor einer angeblichen Bevormundung durch das „artfremde Judentum“ warnte.[5]

Einige Jahre später schwächte sich seine Judenfeindschaft allerdings ab. So veröffentlichte er 1938 eine „Prager Erklärung“, in der er vorschlug, Juden entweder „unter ein nobles Minderheitenrecht zu stellen“ oder sie bei Bekenntnis zur deutschen Nation „ohne Abstrich als gleichberechtigte Deutsche zu behandeln“.[6] Mitautor war Kurt Hiller, ein jüdischer Pazifist und Kämpfer für die Rechte sexueller Minderheiten, der schon 1926 seine Bewunderung für den italienischen Faschismus und den „Kraftkerl Mussolini“ geäußert hatte.[7] Der Begriff Nationalsozialismus blieb bei ihm aber immer positiv gesetzt: 1939 stellte er in seinem im gleichen Jahr in der Schweiz erschienenen Buch „Europa von Morgen“, Thomas Masaryk als tschechischen Ur-Nationalsozialisten dar.

Strassers Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime wurde vom Junge Freiheit-Autor Claus Wolfschlag, im Buch Hitlers rechte Gegner, (1995), herausgestrichen. Die „nationalrevolutionären“ Thesen Strassers üben auf das Gedankengut des zeitgenössischen Neonazismus erheblichen Einfluss aus.[8]

Werke

  • Aufbau des deutschen Sozialismus. Wolfgang Richard Lindner Verlag, Leipzig,1932.
  • Der Faschismus. Günter Olzog Verlag, München, Wien, 1965.
  • Hitler und Ich. Johannes Asmus Verlag, Konstanz, 1948.

Literatur

  • Reinhard Kühnl: Die nationalsozialistische Linke 1925–1930. Hain, Meisenheim am Glan 1966, ISBN 3-445-10503-0.
  • Patrick Moreau: Nationalsozialismus von links: die „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten“ und die „Schwarze Front“ Otto Straßers, 1930–1935. Oldenbourg, Stuttgart 1985, ISBN 3-421-06192-0.
  • Karl Otto Paetel: Otto Strasser und die „Schwarze Front“ des „wahren Nationalsozialismus“. In: Politische Studien, Grünwald, 8 (1957), ISSN 0032-3462, S. 269-281.
  • Otto-Ernst Schüddekopf: Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik. Kohlhammer, Stuttgart 1960.

Fußnoten

  1. Udo Kissenkoetter: Gregor Strasser und die NSDAP. Stuttgart 1978, S. 15 (nach dem Tiroler Bauernführer des Bauernkriegs 1525 Michael Gaismair)
  2. Rainer Dohse, Der dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Holsten Verlag, Hamburg 1974, S. 167
  3. Robert S. Wistrich: Wer war wer im Dritten Reich. Ein biographisches Lexikon, Harnack Verlag München 1983, S. 264; zum grundsätzlichen Antisemitismus Strassers siehe auch das Glossar Rechtsextremismus der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung
  4. Christian Striefler: Kampf um die Macht. Kommunisten und Nationalsozialisten am Ende der Weimarer Republik, Propyläen Verlag, Berlin 1993, ISBN 3-549-05208-1, S. 110
  5. Biographie Otto Strassers im LeMO ("Lebendiges virtuelles Museum Online")
  6. Sozialistische Warte, Jg. 13. 1938, Nr. 5 vom 4. Februar 1938), S. 118
  7. Kurt Hiller, Mussolini und unsereins, in: Die Weltbühne vom 12. Januar 1926
  8. Verfassungsschutzbericht 2003 des Freistaates Thüringen, II. Rechtsextremismus

Weblinks


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