Pazifist

Pazifist

Als Pazifismus bezeichnet man eine ethische Grundhaltung, die den Krieg prinzipiell ablehnt und danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die Bedingungen für dauerhaften Frieden zu schaffen. Pazifisten sehen Krieg im Gegensatz zu den Vertretern des Bellizismus nicht als legitimes und wirksames Mittel der politischen Auseinandersetzung und Interessendurchsetzung an. Sie lehnen jede Form bewaffneter Konfliktaustragung, oft auch militärische Selbstverteidigung, ab und setzen stattdessen auf dauerhafte internationale Konfliktregelungen.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Ausdruck Pazifismus ist abgeleitet vom lateinischen Substantiv pax für „Frieden“ (Genitiv pacis) und dem Verbum facere für „tun, machen, herstellen“. Im klassischen Latein gab es Komposita dieser beiden Worte wie pacificus - „Friedensstifter“ - oder pacificare - „Frieden schließen; befrieden, besänftigen“. Die Wortverbindung erscheint auch in älteren Sprachen und religiösen und weisheitlichen Traditionen des Altertums.

Das neulateinische Wort Pazifismus entstand jedoch erst im Gefolge der Französischen Revolution und im Rahmen der bürgerlich-liberalen Emanzipationsbewegung Europas. Die Wortschöpfung wird dem Franzosen Émile Arnaud zugeschrieben: Er empfahl in einer belgischen Tageszeitung 1901, alle individuellen und kollektiven Bestrebungen zur gewaltfreien Konfliktlösung zwischen Staaten, die auf eine internationale Friedens- und Rechtsordnung zielen, als pacifisme zu bezeichnen und ihre Vertreter als pacifistes. Diese Ausdrücke sollten die zuvor gängige Selbstbezeichnung amis de la paix (Friedensfreunde) ersetzen, die Arnaud als zu unbestimmt empfand. Sein Vorschlag bezog sich auf Friedensgesellschaften, die seit etwa 1815 in vielen europäischen Staaten entstanden waren, um ein internationales Völkerrecht durchzusetzen.

Auf dem 10. Weltfriedenskongress in Glasgow (10.-13. September 1901) wurde Arnauds Vorschlag erstmals von den Vertretern dieser Gruppen aufgenommen. Unter dem neuen Begriff wurden verschiedene Teilziele dieser Gruppen, die sie seit der Haager Friedenskonferenz 1899 verfolgten, zusammengefasst:

  • internationale Schiedsgerichte für zwischenstaatliche Konfliktregelung
  • internationale Abrüstung
  • Zusammenschluss der Völker Europas und der Welt zu einem Völkerbund
  • als dessen parlamentarischer Unterbau ein Völkerkongress.

Arnaud verwendete den Begriff sinngleich mit Friedensbewegung, um deren Ideen in eine gemeinsame Theorie mit weltanschaulichem Anspruch einzuordnen und dafür unter gebildeten Schichten Zustimmung zu erhalten. Die Absage an jede kriegerische Gewalt war für ihn kein Definitionsmerkmal des Begriffs. Die damals als Pazifisten bezeichneten Gruppen bejahten im Prinzip den Verteidigungskrieg und waren sich auch in Einzelfällen uneinig, ob bewaffnete Verteidigung möglich und gerechtfertigt sei. Sie erkannten das staatliche Gewaltmonopol und die Staatssouveränität als Voraussetzung für internationale Verträge zur Gewaltbegrenzung und Überwindung des Krieges an.[1] Heute hat der Begriff mehrere Bedeutungsaspekte:

  • als Weltanschauung, die davon ausgeht, dass die Verhinderung von Kriegen von der Haltung jedes Einzelnen, von gesellschaftlichen Gruppen und Staaten abhängt,
  • als Versuch, einen drohenden Krieg aktiv zu verhindern, also als Bemühung zum Aufbau einer breiten Antikriegsbewegung,
  • als Versuch, einen laufenden Krieg vorzeitig zu beenden, also Verhandlungsbereitschaft zu stärken und bei den kriegführenden Parteien zu erreichen,
  • als Absage an jede Teilnahme an kriegerischer Gewalt, also aktive Kriegsdienstverweigerung,
  • als Versöhnungsarbeit vor und nach einem Krieg, die sich Kriegsopfern zuwendet und gesellschaftliches Bewusstsein zu verändern sucht, um weitere Kriege nachhaltig zu verhindern.

Verhältnis zu anderen Friedensbestrebungen

Pazifisten halten Krieg für illegitim und inhuman. Sie glauben, dass dieser niemals Gutes bewirken könne und durch keinerlei höhere Ziele zu rechtfertigen sei. Das unterscheidet sie von anderen Kriegsgegnern, die sich oft im Vorfeld heraufziehender Kriege oder nach Kriegsniederlagen zu einer Friedensbewegung zusammenfinden. Diese besteht nie nur aus prinzipiellen Gegnern kriegerischer Gewalt; viele Friedensbewegte lehnen etwa Verteidigungskriege oder Kriege gegen eine Besatzungs- oder Kolonialmacht nicht generell ab. Situationsbedingt vermischen sich in breiten Antikriegsbewegungen, die von Bevölkerungsmehrheiten getragen werden, oft eigennützige nationale Motive mit subjektiv pazifistischer Überzeugung:

  • Ablehnung von Fremdbestimmung durch kriegführende Hegemonialmächte,
  • Protest gegen die wirtschaftlichen Kriegskosten,
  • Angst vor negativen sicherheitspolitischen Folgen einer Kriegsbeteiligung für das eigene Land.

Die weitergehende Perspektive, alle Kriege abzuschaffen, verbindet Pazifisten mit anderen friedensbewegten Gruppen. Auch diese wollen Bedingungen für eine dauerhafte weltweite Friedensordnung schaffen. Innerhalb der Friedensbewegung ist jedoch nicht nur umstritten, was als Hauptursache der Kriege zu gelten hat und daher primär zu bekämpfen ist, sondern auch, welche Mittel dazu legitim sind und welche Strategie langfristig dazu Erfolg versprechend ist.

Auch die Teilmenge der Antimilitaristen will Kriege verhindern und Krieg abschaffen, bekämpft aber nicht nur ideologische Kriegsorientierungen, sondern auch das Militär und die Rüstungsindustrie als wesentliche Kriegsursachen. Sozialisten verschiedener Strömungen siedeln die Ursache der meisten Kriege in ökonomischen Macht- und Profitinteressen an und wollen die Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen, die solche Interessen hervorbringen und verstetigen, ändern. Dabei schließen am Marxismus orientierte Strömungen Waffengewalt als zwar inhumanes, dennoch unter Umständen notwendiges und unvermeidbares Mittel zur Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung meist nicht prinzipiell aus. Sie sehen diese jedoch nicht unter dem Aspekt von Krieg, sondern als revolutionäre und darum legitime nichtstaatliche Gegengewalt der Bevölkerung zur Kriegsverhinderung und Kriegsabschaffung. Hierbei rechtfertigen sie kriegerische Handlungen seitens der Unterdrückten, wenn diese z.B. einen Befreiungskrieg ausführen. Zu nennen wäre hier u.a. Bekämpfung von Faschismus sowie antikolonialer Kampf. Marxisten werfen Pazifisten vor, dass diese den Klassencharakter von Kriegen entweder leugnen oder für irrelevant halten.

Zwischen diesen Richtungen und der kriegsbejahenden Mehrheit gab es innerhalb der Sozialdemokratie vor 1918 auch pazifistische Minderheiten. In Frankreich vertrat diese vor allem Jean Jaurès, in Deutschland seit 1917 einige Mitbegründer der USPD wie Kurt Eisner und Eduard Bernstein. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mitunter sich als demokratische Sozialisten verstehende pazifistische Kräfte. Dazu gehörten die meisten Vertreter des Prager Frühlings. In ihren Gründungsjahren verstanden sich Die Grünen in Westdeutschland als pazifistische Partei, eine der vier politischen „Säulen“ ihres Selbstverständnisses war die Gewaltfreiheit. Im Unterschied zu linken oder sozialdemokratischen Pazifisten forderten Die Grünen auch einseitige Abrüstungsschritte und eine Überwindung der Blöcke. Teile der heutigen Partei Die Linke verstehen sich als Pazifisten und lehnen vor allem die Ausdehnung des Einsatzgebiets der Bundeswehr und ihre Teilnahme an NATO-Einsätzen wie im Kosovo als völkerrechts- und grundgesetzwidrig ab. In der DDR waren pazifistische Bestrebungen politisch unerwünscht, so dass sich entsprechende Gruppen bis 1989 vor allem unter dem Schutz der Kirchen bildeten. Die bekannteste pazifistische Kampagne in der DDR war der Aufnäher Schwerter zu Pflugscharen, der in den 1980er Jahren weite Verbreitung fand.

Demonstration gegen den Zweiten Golfkrieg, Venedig 1990

Pazifisten verkennen nicht die Existenz von gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, ungerechten Wirtschaftsstrukturen und Machtgefälle zwischen verschieden „entwickelten“ und gerüsteten Staaten. Sie halten aber Krieg für ethisch unter keinen Umständen zu rechtfertigen und prinzipiell ungeeignet, Konflikte zu lösen. Daher lehnen sie auch Verteidigungskriege, die heute meist als gerechter Krieg gelten, ab. Sie sind nicht zuletzt deshalb in Europa seit Entstehung der internationalen Friedensbewegung eine Minderheit geblieben.

Jedoch hat der Pazifismus durch die Erfahrungen der beiden Weltkriege in weiten Teilen der Bevölkerungen europäischer Staaten einen gewissen Rückhalt, so dass deren Regierungen ihre militärischen Maßnahmen heute verstärkt öffentlich begründen müssen. Eine Folge der Weltkriege war der theoretische Ausschluss des Angriffskrieges in der Charta der Vereinten Nationen von 1945. Dies zwingt die UN-Mitgliedsstaaten stärker als früher, eigene Kriegsziele als legitime Verteidigung darzustellen und demokratischer Überprüfung und Kritik zu unterwerfen.

Wurzeln

Die Sehnsucht nach Frieden durch die Beendigung von Krieg überhaupt ist schon in sehr frühen Texten der Menschheit zu finden. Sie wurde zum einen von Betroffenen selbst formuliert, die in antiken Despotien unter den Kriegen ihrer Herrscher litten und weitgehend ohne politische Einflussmöglichkeiten waren. Sie wurde zum anderen auch von einer frühen Bildungsschicht, die auf die Herrscher mäßigend, beratend und kritisierend einzuwirken versuchte, übernommen, philosophisch begründet und als literarische Friedensidee überliefert. Sie ist als ethische Handlungsanweisung, jenseitige Zukunftsverheißung oder konkrete Utopie auch in den Überlieferungen einiger Religionen verankert.

Fernöstliche Religionen

Ein Volkslied der Kaisergarde aus dem chinesischen Buch der Lieder (Shījīng), entstanden zwischen 1000 und 700 v. Chr., lautet in einer deutschen Nachdichtung (aus Gedichte gegen den Krieg S. 11):

„General!“

„Wir sind des Kaisers Leitern und Sprossen!“

„Wir sind wie Wasser im Fluss verflossen - “

„Nutzlos hast du unser rotes Blut vergossen -“

General! […]

„Unsre Kinder hungern, unsre Weiber heulen -“

Unsere Knochen in fremder Erde verfaulen - […]

„Welche Mutter hat noch einen Sohn?“

An diese Volkstradition anknüpfend, versuchten die chinesischen Weisen Laotse und Konfuzius Frieden durch innerseelische wie politische Balance der Kräfte zu erreichen. Diese Infragestellung des Krieges war aber nicht unbedingt mit der Absage an jede Militärgewalt verbunden.

Im Hinduismus ist Frieden auf Erden nur denkbar als Wirkung der spirituellen Einung der Menschenseele (Atman) mit der Weltseele, dem Brahman. Allein dadurch kann für die Veden der unheilvolle Zusammenhang von Karma und ewiger Reinkarnation, also die Vergeltungskausalität, überwunden werden. Die Bhagavadgita lehrt daher, dass Krieg und Kampf nie aufhören werden. Jedoch berühren sie den, der mit dem Göttlichen eins wird, nicht mehr. Das Kastenwesen blieb daher unangetastet.

Der Jainismus lehrt das asketische Ideal des Nichtverletzens (Ahimsa) und verbietet deshalb das Töten jedes Lebens. Damit versucht der Weise Abstand zu der in schicksalhafte Gewalt verstrickten Welt zu gewinnen, ohne davon ihre Veränderung zu erwarten. Nur die Erlösten erreichen den ewigen Frieden. Dennoch folgerte Gandhi daraus im 20. Jahrhundert politisch wirksame strikte Gewaltlosigkeit.

Der Buddhismus übernahm das Gebot des Nichtverletzens für die Mönche, abgemildert auch für die Laien. Die Verpflichtung zu Mitgefühl und Barmherzigkeit mit allen Lebewesen ist sowohl Weg zur Erleuchtung als auch deren Folge. Daraus ergab sich eine gewaltlose Konfliktbewältigung, die seit dem Großreich Ashokas (3. Jahrhundert v. Chr.) auch auf die Politik ausstrahlte. Dabei blieb die Friedenserwartung an die Figur des „guten Herrschers" gebunden und setzte dessen unbeschränkte Machtfülle voraus. So kam es auch im buddhistischen Einflussbereich zu Ausbrüchen von intoleranter Gewalt gegen Andersgläubige, zum Beispiel in Japan.

Griechisch-römische Antike

Eines der ersten Zeugnisse von der kritischen Betrachtung des Krieges findet sich bei Pindar (Fragmentum 110):

„Süß ist der Krieg nur dem Unerfahrenen, der Erfahrene aber fürchtet im Herzen sehr sein Nahen.“

Der Peloponnesische Krieg veranlasste Aristophanes um 421 v. Chr. zur Dichtung seiner Komödie Eirene, in der er ein Gebet um panhellenischen Frieden einflocht. 411 v. Chr. verfasste er zudem die Komödie Lysistrata, in der die Frauen ihre kriegführenden Männer durch Liebesentzug zum Frieden zwingen.

Der Hellenismus erweiterte die Friedensidee auf die umgebenden Völker, verstand sie aber parallel zu den Eroberungsfeldzügen Alexanders des Großen als gewaltsame Befriedung der Barbaren, also als Ergebnis militärischer Siege. Er bezeugt auch den Bau eines Eirene-Altars nach dem Friedensschluss zwischen Sparta und Athen (um 375 v. Chr.). Der dortige Opferkult sollte den brüchigen politischen Frieden sichern.

Die klassische griechische Philosophie entfaltet erstmals den Gedanken, dass Krieg nur durch das übergeordnete Ziel des Friedens zu rechtfertigen sei (z.B. Aristoteles, Nikomachische Ethik 1177b). Dies wird eingeschränkt durch die Bestätigung der in Freie und Sklaven getrennten Gesellschaftsordnung, die es zu bewahren gelte. Zwar galt Eintracht (lat. concordia) unter Menschen als hohe Tugend, wirkt aber kaum verändernd auf gewaltverursachende Verhältnisse ein.

Diese Tradition übernahmen die gebildeten Römer zum Teil; so befasste sich eine verlorene Schrift des Varro (Logistoricus Pius de Pace) mit diesem Thema. Von Cicero (106–43 v. Chr.) ist das Zitat überliefert: Der ungerechteste Friede ist immer noch besser als der gerechteste Krieg. Auch in den Dichtungen von Vergil (70–19 v. Chr.) und Horaz lässt sich grundsätzliche Kritik am Krieg finden.

In der römischen Rechtstradition gewann Frieden dann Bedeutung als höchstes politisches Ziel der Staatskunst. Die Idee der Pax Romana war seit der toleranten Religionspolitik Caesars Gemeingut; sie blieb freilich von Expansion und Unterwerfung abhängig. Friedensstiftung war seit der römischen Kaiserzeit gleichbedeutend mit totaler Militärherrschaft. Sie wurde ganz auf die Person des Herrschers konzentriert, der sein Alleinrecht zum Setzen der allgemeinen Rechtsordnung im Kaiserkult absicherte.

Judentum

In der Bibel formulierte der Prophet Jesaja nach dem Ende des judäischen Königtums im Babylonischen Exil (586–539 v. Chr.) eine Vision des Endes aller Kriegsgewalt beim Beginn des Gottesreichs (Jes 2,2–5):

„[…] Von Zion wird Weisung ausgehen und JHWHs Wort von Jerusalem:“

„Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker.“

„Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln.“

„Denn es wird kein Volk gegen ein anderes das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

Christentum

Jesus von Nazaret bekräftigte nach dem Neuen Testament die Hoffnung der jüdischen Prophetie mit seiner Verkündigung des Reiches Gottes für die Armen (Mt 5,9 EU):

„Selig, die Frieden stiften, sie werden Söhne Gottes genannt werden.“

Gemäß seiner Tora-Auslegung in der Bergpredigt sollten seine Nachfolger Nächstenliebe durch den Verzicht auf Rache, Gegengewalt und Feindesliebe verwirklichen (Mt 5,38–48 EU).

Die Urchristen verstanden Jesu Kreuzigung als Vorwegnahme des Endgerichts durch die stellvertretende Schuldübernahme und den Gewaltverzicht des Sohnes Gottes (Phi 2,5–11 EU). So schärfte Paulus von Tarsus im Epheserbrief seiner Gemeinde ein (Eph 2,14ff EU):

ER ist unser Frieden, der aus beiden [den verfeindeten Juden und Fremdvölkern] eins gemacht hat und den Zaun, der dazwischen war, abgebrochen hat, nämlich die Feindschaft:

„indem er […] aus beiden einen neuen Menschen schuf und Frieden machte und beide versöhnte mit Gott in einem Leib durch das Kreuz, an dem er die Feindschaft getötet hat.“

In Person und Lebenshingabe Jesu Christi sehen die Christen das endgültige verbindliche Versöhnungsgebot Gottes. Darum galt Mitgliedschaft im Christentum der ersten drei Jahrhunderte meist als unvereinbar mit dem Kriegsdienst.

Seit der Konstantinischen Wende wurden immer mehr Soldaten und römische Staatsbeamte Christen. Nachdem Kaiser Theodosius I. das Christentum 380 zur Staatsreligion erhoben hatte, wurde es notwendig, die urchristliche Ethik an die neue Situation anzupassen und Christen im Staatsdienst die Teilnahme an Polizei- und Kriegsdiensten zu ermöglichen. So entwickelte Augustinus von Hippo in seiner Civitas Dei jene Lehre vom Gerechten Krieg, die für die Haltung der Großkirchen bis heute im Kern maßgebend blieb.

Damit trat der christliche Pazifismus rasch in den Hintergrund und wurde in Theologie und Kirche dauerhaft zur Minderheitsmeinung. Ihn vertretende Minderheiten wurden im Mittelalter oft als Ketzer verfolgt. Damals entstanden eine Reihe von Friedenskirchen, darunter die Waldenser, Mennoniten, Quäker und ein Teil der Baptisten. Diese Gruppen spielen auch im modernen Pazifismus wieder eine Rolle und wirkten auf kirchliche Friedensbewegungen ein.

Frühe Neuzeit

Eine historische Wurzel des modernen Pazifismus sind Friedensappelle und Friedensentwürfe, die seit der Reformation immer häufiger veröffentlicht wurden, aber damals kaum gesellschaftliche und gesamtpolitische Wirkungen entfalteten.

Erasmus von Rotterdam schrieb 1515 den Traktat Dulce Bellum Inexpertis. Darin äußerte er, wer es süß und ehrenvoll finde, für das Vaterland zu sterben (dulce et decorum est pro patria mori), der wisse nicht, was Krieg sei. 1517 folgte seine Schrift Querela pacis, „Die Klage des Friedens“. 1623 schrieb Pierre Dubois Emeric Cruce Der Neue Lineas, 1638 schrieb Maximilien de Sully Grand Dessein. Von William Penn erschien 1693 der Essay über den Frieden Europas, von Abbe de Saint-Pierre 1712 die Schrift Projet pour rendre la paix perpetuelle en Europe.

Philosophie der Aufklärung

Erst seit der Verbreitung der allgemeinen Menschenrechte erschien Frieden als vernünftig begründete Idee mit Anspruch auf politische Realisierung. Als wohl einflussreichste Schrift dazu verfasste Immanuel Kant 1795 Zum ewigen Frieden. Darin schlug er die Entwicklung eines vertraglich abgesicherten universellen Völkerrechts vor, das den Frieden und umfassende Abrüstung der Armeen gewährleisten sollte.

Ihm folgte 1800 die Schrift Über den ewigen Frieden von Friedrich von Gentz. Er war gegenüber der idealistischen Vorstellung, Frieden durch vernünftige Einsicht zu erreichen, skeptisch und versuchte daher stärker als Kant, die politischen Bedingungen für Frieden zu beschreiben. Er sah sie in einer internationalen Rechtsordnung, die auch das Menschenrecht der jeweils Andersdenkenden und Andersgläubigen schützen müsse. Damit rückte er die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit in den Mittelpunkt friedenspolitischer Überlegungen, wobei er die kommende Steigerung der bewaffneten Konflikte zum totalen Krieg im Zeitalter des Nationalismus und Imperialismus schon vorausahnte.

Geschichte

Friedensgesellschaften

Weder christliche Friedensappelle noch aufgeklärte Friedensentwürfe hatten direkte politische Wirkungen. Der moderne Pazifismus entwickelte sich erst als Reaktion auf die immer blutigeren Nationalkriege auf dem europäischen Festland und im Zuge der Internationalisierung der Arbeiterbewegung. Der sogenannte bürgerliche Pazifismus entstand seit etwa 1840 durch Gründung von Friedensgesellschaften in zahlreichen europäischen Ländern und den USA.

Seine Vertreter im deutschsprachigen Raum waren Bertha von Suttner, Alfred Hermann Fried und Ludwig Quidde. Alle drei erhielten den Friedensnobelpreis (1905/1911/1927). 1892 gründete Suttner die Deutsche Friedensgesellschaft, die älteste noch bestehende pazifistische Vereinigung in Deutschland, die sich gegen den preußisch-wilhelminischen Militarismus wandte.

Bei den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 wurden erste Ansätze eines verbindlichen Völkerrechts vereinbart und damit pazifistische Forderungen aufgegriffen.

Erster Weltkrieg

In der Julikrise 1914 erlitt der bis dahin aufstrebende Pazifismus einen schweren Rückschlag und geriet im Ersten Weltkrieg in allen beteiligten Staaten in die Defensive. Pazifisten mussten vielfach untertauchen oder ihr Land verlassen, um nicht wegen Landesverrats inhaftiert zu werden. Manche Friedensgesellschaften, darunter die deutsche, schwenkten im Krieg auf einen nationalistischen Kurs ein und vermieden Aufrufe zur Kriegsdienstverweigerung und Machtkontrolle der Militärführungen, um nicht vollständig verboten zu werden.

Die Sozialdemokratie vertrat bis 1914 theoretisch ebenfalls die langfristige Abschaffung von Kriegen als politisches Ziel, ohne Waffengewalt auf dem Weg auszuschließen. Pazifistische Positionen blieben in ihr in der Minderheit. Nachdem die SPD am 4. August 1914 den Kriegskrediten des Kaiserreichs zugestimmt und damit internationale Vereinbarungen zur Verhütung eines europäischen Krieges gebrochen hatte, wurde diese Minderheit nochmals erheblich geschwächt.

Erst nach dem zweiten Kriegswinter fanden Antimilitaristen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aber auch von ihrer anfänglichen Kriegszustimmung abgerückte Fraktionsmitglieder der SPD wie Kurt Eisner wieder zunehmend Gehör. Die im Spartakusbund illegal organisierten Spartakisten wandten sich gegen die Vorstellung, Frieden ohne Sturz der kriegführenden Eliten auf dem Verhandlungsweg erreichen zu können. Diesen Weg favorisierten SPD-Vertreter wie Karl Kautsky und Eduard Bernstein in der 1917 neu gegründeten USPD, der der Spartakusbund gleichwohl beitrat.

Weimarer Zeit

Demonstration von Pazifisten 1921 im Berliner Lustgarten

Nach der Novemberrevolution und Gründung der Weimarer Republik erhielten die Pazifisten größeren Zulauf und eine Massenbasis, die sich etwa bei Demonstrationen zum jährlichen Antikriegstag am 1. August zeigte. Sie wurde aber wegen der Zerstrittenheit der Demokraten und Linksparteien kaum politisch wirksam. Trotz der militärischen Niederlage 1918 galten Pazifisten in den meisten Medien und Parteien als „Vaterlandsverräter“. Mit der staatlich organisierten Propaganda zur Kriegsschuldfrage, dem Vertragsrevisionismus und der Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten zeigte sich ein nationalistischer Konsens, der den Aufstieg der NSDAP begünstigte. Dem widersprachen auf verschiedene Weise vor allem Künstler, Dichter, Kulturschaffende, darunter Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Käthe Kollwitz und andere.

Der 1928 abgeschlossene Briand-Kellogg-Pakt, in dem die unterzeichnenden Staaten darauf verzichteten, den Krieg zum Werkzeug ihrer Politik zu machen, war der Versuch, Kriege allgemein zu ächten und auch eine Grundlage für nachfolgende juristische Verfahren und Urteile zur Völkerrechtswidrigkeit von Angriffskriegen wie etwa bei den Nürnberger Prozessen.

Seit den 1930er Jahren waren Pazifisten erneut öfter unmittelbaren Repressalien ausgesetzt. So wurde Carl von Ossietzky 1931 im sogenannten Weltbühne-Prozess wegen angeblicher Spionage verurteilt. Der unabhängige sozialistische Pazifist Emil Gumbel wurde nach anfänglichem Widerstand der badischen Regierung 1932 als Professor an der Universität Heidelberg entlassen. Der evangelische Theologe Günther Dehn durfte 1932 auf Druck des NSDStB seine Professur in Halle/Saale nicht antreten. In Großbritannien musste Bertrand Russell 1918 wegen seines pazifistischen Engagements eine Gefängnisstrafe verbüßen.

Nach 1945

Die bedeutendsten Vertreter des gewaltlosen Widerstands im 20. Jahrhundert waren Mahatma Gandhi in Indien,Martin Luther King in den USA sowie Nelson Mandela in Südafrika.

Alternativen zu bewaffneter Konfliktaustragung

Als Alternativen zu militärischen Maßnahmen haben Pazifisten im 19. und 20. Jahrhundert eine Reihe von theoretischen Gegenmodellen und alternativen Handlungsansätzen entworfen und mit praktischen Schritten teilweise auch durchgesetzt:

  • Weltorganisationen wie den Völkerbund und die UNO, die bewaffnete Konflikte regulieren und vermeiden helfen sollen,
  • die Rüstungskonversion als Abbau von Kriegsindustrie und Umstellung auf zivile Produktion, auch um den Sorgen der dort Beschäftigten vor Verlust ihrer Arbeitsplätze zu begegnen und nachhaltige Absatzchancen zu schaffen.
  • die Kriegsdienstverweigerung schon in Friedenszeiten. Diese wurde seit 1945 als Grundrecht in den meisten europäischen Verfassungen verankert, ist aber in sehr vielen Staaten, z.B. in der Türkei, legal nicht möglich. Häufig werden in Diktaturen Pazifisten, die den Kriegsdienst ablehnen, streng bestraft. In Deutschland wird eine Totalverweigerung, die den gesetzlich vorgeschriebenen Ersatzdienst ablehnt, gerichtlich verfolgt.
  • Desertion im Kriegsfall. In jedem Krieg versuchen einige Wehrpflichtige oder Berufssoldaten, den Kriegsdienst als Soldaten zu verweigern oder die kämpfenden Truppen zu verlassen. Während dies in der militärischen Wertorientierung als „Fahnenflucht" und/oder „Landesverrat" bewertet wird, sehen Pazifisten darin eine notwendige Reaktion und Wahrnehmung eines grundlegenden Menschenrechts.
  • gewaltfreie Protestformen wie den zivilen Ungehorsam, den gewaltfreien Widerstand, den Generalstreik oder eine soziale Verteidigung. Diese aktiven Gegenmaßnahmen wären nach Meinung von Friedens- und Konfliktforschern auch im Falle einer militärischen Besetzung Erfolg versprechend und würden das Risiko der Selbstvernichtung im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel verringern.

Dafür gibt es historische Beispiele: In der Situation der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Armeen des Warschauer Pakts am 21. August 1968 verzichteten die damaligen Protagonisten des Prager Frühlings unter Alexander Dubček bewusst auf bewaffnete Gegengewalt. Der außerordentliche Parteitag der KPC beschloss am 23. August stattdessen, die Bevölkerung zur gewaltfreien Verweigerung jeder Kollaboration mit den Besatzern aufzurufen. Dies trugen die Tschechoslowaken in den Folgemonaten geschlossen mit, vermieden so einen militärischen Zusammenprall mit zu erwartenden vielen Toten, verhinderten zunächst die Einsetzung einer moskautreuen Regierung und stellten die "Befreier" als Besatzer bloß. Hier wurde gewaltfreie "soziale Verteidigung" als spontanes, aktives und massengestütztes Konzept in seinen Chancen, aber auch Grenzen sichtbar.

Kritik

Kritiker werfen Pazifisten oft Mangel an Realitätssinn vor: Sie würden verkennen, dass Konflikte im Zweifelsfall auch mit Waffengewalt ausgetragen werden müssen, um unschuldige Menschenleben zu retten. Die Konzentrationslager seien nicht von einer Friedensbewegung, sondern von der Anti-Hitler-Koalition unter massivem Einsatz von Kriegsmitteln befreit worden.

Bekannt ist hierzu das Zitat Heiner Geißlers, „Ohne den Pazifismus der 30er Jahre wäre Auschwitz überhaupt nicht möglich gewesen.“[2]. Er dachte dabei jedoch weniger an eine tatsächliche pazifistische Antikriegsbewegung, sondern an die britische Appeasement-Politik, die Hitler im Münchner Abkommen 1938 zur Besetzung der Tschechei geradezu einlud und den drohenden Weltkrieg nicht verhinderte.

Auch Kriegsgegner wie Bertrand Russell, die zwischen den Weltkriegen die pazifistische Bewegung unterstützt hatten, lehnten noch bis 1940 jeden Militärschlag gegen Nazideutschland ab. Russell vertrat jedoch keinen prinzipiellen, sondern einen rationalen und situationsbedingten Pazifismus. Er hielt bis 1940 eine Unterwerfung unter die Deutschen für weniger schlimm als die Auswirkung massiver Bombenangriffe, um dann seine Meinung zu ändern.

Pazifisten weisen die Kritik meist mit dem Hinweis darauf zurück, dass Hitler durch eine politisch bewusste und zur Kriegsdienstverweigerung bereite Mehrheit der Deutschen niemals zur Macht hätte gelangen können, also auch keinen Krieg mit Erfolgsaussicht hätte anfangen können. Es könne also nur darum gehen, in Zukunft Bedingungen zu schaffen, die ein Emporkommen neuer totalitärer Systeme von vornherein unmöglich machen. Um diese Perspektive als übergreifendes Ziel offen zu halten, sei Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen eine notwendige Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus. Nicht der Pazifismus habe diesen verschuldet, sondern der deutsche Militarismus und Nationalsozialismus.

Siehe auch

Einzelbelege

  1. Karl Holl, Artikel Pazifismus, in: Helmut Donat, Karl Holl (Hrsg.): Die Friedensbewegung, Hermes Handlexikon, ECON TB, 1. Auflage Düsseldorf 1983, ISBN 3-612-10024-6, S. 299-301
  2. [1] FAZ.net Nazi-Vergleiche verursachen immer wieder Skandale

Literatur

Historische Wurzeln
  • Barbara Bleisch, Jean-Daniel Strub (Hrsg.): Pazifismus. Ideengeschichte, Theorie und Praxis.Haupt, Bern 2006, ISBN 3-258-06947-6
  • Theodor Körner: Iuramentum und frühe Friedensbewegung (10.- 12. Jahrhundert). J. Schweitzer Verlag, Berlin 1977, ISBN 3-8059-0670-6* Kurt von Raumer: Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. Freiburg/München 1953
  • Max Scheler: Die Idee des Friedens und der Pazifismus, Bern 1974
Geschichte
  • Karl Holl: Pazifismus in Deutschland. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988.
  • Karlheinz Lipp (Hg): Pazifismus im Ersten Weltkrieg. Ein Lesebuch. Centauraus, Pfaffenweiler 2004, ISBN 3-8255-0492-1
  • Karl Holl, Wolfram Wette (Hrsg.): Pazifismus in der Weimarer Republik. Ferdinand Schöningh, Paderborn 1981, ISBN 3-506-77457-3.
  • D. Hart, D. Schubert, R. M. Schmidt: Pazifismus zwischen den Weltkriegen. Heidelberg 1985
  • Wolfgang Benz: Pazifismus in Deutschland: Dokumente zur Friedensbewegung 1890-1939. Frankfurt am Main 1988
Einzelthemen
  • Kurt Hiller: Pazifismus der Tat – Revolutionärer Pazifismus, Berlin 1981
  • Helmut Kramer, Wolfram Wette (Hrsg.): Recht ist, was den Waffen nützt - Justiz und Pazifismus im 20. Jahrhundert. Aufbau-Verlag 2004, ISBN 3-351-02578-5

Weblinks


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