Atombrenner

Atombrenner
Stilisierter Kernreaktor auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost (1964)

Ein Kernreaktor (auch: Atomreaktor oder Atommeiler, veraltet Atombrenner) ist eine Anlage, in der eine Kernspaltungsreaktion kontinuierlich im makroskopischen, technischen Maßstab abläuft. Weltweit verbreitet sind Kernreaktoranlagen, die durch die Spaltung (Fission) von Uran oder Plutonium zunächst Wärme und daraus meist elektrische Energie (s. Kernkraftwerk) gewinnen. Andere Anwendungen sind beispielsweise die Erzeugung von freien Neutronen, etwa für Zwecke der Materialforschung, oder von bestimmten radioaktiven Nukliden, etwa zu medizinischen Zwecken.

Inhaltsverzeichnis

Funktionsweise

Die Kernspaltung

Hauptartikel Kernspaltung

Zwischen den Protonen und den Neutronen eines Atomkerns wirken sehr starke anziehende Kräfte, die jedoch eine nur sehr begrenzte Reichweite haben. Daher wirkt diese Kernkraft im wesentlichen auf die nächsten Nachbarn, weiter entfernte Nukleonen tragen zu der anziehenden Kraft nur in geringem Maße bei. Solange die Kernkraft größer ist als die abstoßende Coulombkraft zwischen den positiv geladenen Protonen, hält der Kern zusammen. Kleine Atomkerne sind stabil, wenn sie je Proton ein Neutron enthalten: Calcium-40 ist das größte Isotop mit gleicher Protonen- und Neutronenzahl. Mit zunehmender Protonenzahl wird ein immer höherer Neutronenüberschuss zur Stabilität erforderlich, denn durch die anziehende Kernkraft der zusätzlichen Neutronen wird die abstoßende Coulombkraft der Protonen kompensiert. Der schwerste stabile Kern ist das Blei-Isotop 208 mit 82 Protonen und 126 Neutronen. Noch schwerere Kerne, wie beispielsweise das Uran oder Plutonium, sind radioaktiv, also instabil.

Solche Kerne werden auch mit weiteren zusätzlichen Neutronen nicht stabil: Fängt einer dieser schweren Kerne, etwa des Uranisotops 235U oder des Plutoniumisotops 239Pu, ein Neutron ein, so gewinnt er Bindungsenergie. Dadurch wandelt er sich in einen hochangeregten, instabilen Zustand des Kerns 236U beziehungsweise 240Pu um. Solche hochangeregten schweren Kerne regen sich mit extrem kurzen Halbwertszeiten durch Kernspaltung ab. Anschaulich gerät der Kern durch die Neutronenabsorption wie ein angestoßener Wassertropfen in Schwingungen und zerreißt in zwei Bruchstücke mit einem Massenverhältnis von etwa 2 zu 3. Dabei werden bei jeder einzelnen Spaltung durchschnittlich zwei bis drei weitere schnelle Neutronen frei, die für weitere Kernspaltungen zur Verfügung stehen – dies ist die Grundlage der Kettenreaktion.

Energiegewinn der Kernspaltung

Die neu entstandenen Kerne mittlerer Masse, die so genannten Spaltprodukte, haben eine größere Bindungsenergie pro Nukleon als der ursprüngliche schwere Kern. Die Differenz der Bindungsenergien wird unter anderem in kinetische Energie der Spaltprodukte umgewandelt (Berechnung). Diese geben die Energie durch Stöße an das umgebende Material als Wärme ab. Die Wärme wird durch ein Kühlmittel abgeführt und kann beispielsweise zur Heizung, als Prozesswärme etwa zur Meerwasserentsalzung oder zur Stromerzeugung genutzt werden.

Etwa 6 % der gesamten freiwerdenden Energie in einem Kernreaktor wird in Form von Elektron-Antineutrinos frei, die praktisch ungehindert aus der Spaltzone des Reaktors entweichen und das gesamte Material der Umgebung durchdringen. Die Neutrinos üben keine merklichen Wirkungen aus, da sie mit Materie kaum reagieren.

Thermische Neutronen und der Moderator

Der Neutronenabsorptionsquerschnitt beispielsweise des Isotops 235U nimmt mit abnehmender Energie und damit gleichbedeutend mit abnehmender Geschwindigkeit des Neutrons zu. Je langsamer das Neutron ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es von einem Uran-235-Kern eingefangen wird. Daher bremst man in einem Kernreaktor die schnellen Neutronen aus der Kernspaltung durch den Einsatz eines Moderators ab. Ein Moderator ist ein Material wie etwa Graphit, schweres oder normales Wasser, welches viele Atomkerne enthält, die nicht sehr viel schwerer als ein Neutron sind, und das einen sehr niedrigen Absorptionsquerschnitt für Neutronen hat. Die erste Eigenschaft führt dazu, dass die Neutronen durch Stöße mit diesen Atomkernen abgebremst werden. Die zweite Eigenschaft hat zur Folge, dass die Neutronen der Kettenreaktion weiter zur Verfügung stehen. Durch die Stöße mit den Atomkernen des Moderators können die Neutronen maximal auf die Geschwindigkeiten der Kerne des Moderators abgebremst werden. Die Geschwindigkeit der Moderatorkerne ist nach der Theorie der Brownschen Bewegung durch die Temperatur des Moderators definiert. Es findet also eine Thermalisierung statt. Man spricht daher nicht von abgebremsten, sondern von thermischen Neutronen, denn die Neutronen besitzen anschließend eine ähnliche Geschwindigkeitsverteilung wie die Moleküle des Moderators. Ein Reaktor, der zur Kernspaltung thermische Neutronen verwendet, wird dementsprechend als „Thermischer Reaktor“ bezeichnet. Im Gegensatz dazu nutzt ein „schneller“ Reaktor die nicht abgebremsten, schnellen Neutronen zur Spaltung (daher die Bezeichnung „Schneller Brüter“).

Steuerung der Kettenreaktion

Damit die Kettenreaktion nicht unkontrolliert abläuft, muss sie gesteuert werden. Hierfür eignen sich Stoffe mit einem hohen Absorptionsquerschnitt für Neutronen wie Cadmium, Gadolinium und Bor. Aus chemischen Verbindungen dieser Materialien werden beispielsweise die Steuerstäbe eines Kernreaktors gefertigt. Durch Zugabe oder Entzug dieser Stoffe in oder aus dem Reaktorkern (beispielsweise durch das Herausziehen oder Hineinfahren der Steuerstäbe) kann der Reaktor geregelt werden.

Zur Beschreibung der Vorgänge beim Regeln eines Kernreaktors dient der Multiplikationsfaktor k (siehe Kritikalität, Reaktivität). Er beschreibt das Verhältnis der Neutronenzahlen zweier aufeinanderfolgender Neutronengenerationen:

k = Anzahl der Neutronen einer Generation / Anzahl der Neutronen der vorausgegangenen Generation

  • Im stationären Betrieb ist der Multiplikationsfaktor k = 1 und jede Neutronengeneration weist genau so viele Neutronen auf wie die vorhergehende. Das erreicht man durch Veränderung des neutronenabsorbierenden Materials im Reaktor. Im Durchschnitt soll nur eines der pro Kernspaltung freiwerdenden Neutronen für eine weitere Kernspaltung zur Verfügung stehen. Alle übrigen Neutronen werden beispielsweise durch Bor oder Cadmium absorbiert oder gehen der Kettenreaktion auf anderen Wegen verloren (Leckrate). In diesem Fall liegt eine stationäre Kettenreaktion vor. Die Zahl der Kernspaltungen pro Zeit bleibt konstant und es wird eine konstante Leistung in Form von Wärme abgegeben. Einen Reaktor in diesem Zustand bezeichnet man als kritisch.
  • Will man die Leistung des Reaktors reduzieren, verkleinert man k zeitweilig durch Zufuhr neutronenabsorbierender Stoffe (beispielsweise durch das Einfahren der Steuerstäbe). Dadurch werden mehr Neutronen absorbiert, als zur Aufrechterhaltung des stationären Betriebs nötig wären. Es stehen nun mit jeder Neutronengeneration weniger Neutronen für weitere Spaltungen zur Verfügung als bei der vorhergehenden. Jetzt ist k < 1, und eine stationäre Kettenreaktion lässt sich nicht aufrechterhalten. Einen Reaktor in diesem Zustand bezeichnet man als unterkritisch. Die Wärmeleistung in einem unterkritischen Reaktor sinkt, jedoch nur so lange, bis sich erneut ein Gleichgewicht eingestellt hat, denn eine bestimmte, zusätzliche Menge an neutronenabsorbierendem Material kann nur eine bestimmte Menge an Neutronen zusätzlich wegfangen. Daher stellt sich durch Zufuhr von beispielsweise einer bestimmten Menge an Bor erneut ein stationärer Betrieb ein, allerdings bei einer reduzierten Leistung. Durch die Zufuhr von genügenden Mengen an neutronenabsorbierendem Material lässt sich die Leistung des Reaktors auf Null reduzieren und der Reaktor damit abschalten.
  • Um die Leistung eines Kernreaktors zu erhöhen, entzieht man dem Reaktorkern neutronenabsorbierendes Material (beispielsweise durch das Herausfahren der Steuerstäbe). Dadurch steht pro Kernspaltung mehr als ein Neutron für weitere Spaltungen zur Verfügung, die Anzahl der Spaltungen pro Generation nimmt zu und die Leistung des Reaktors ebenso. Es ist k > 1. Einen Reaktor in diesem Zustand nennt man überkritisch.

Genaueres zur Leistungssteuerung und -regelung s. unter Kritikalität.

Ein prompt überkritischer Reaktor ist nicht mehr regelbar und es kann zu schweren Unfällen kommen, denn der Neutronenfluss und damit die Wärmeleistung des Reaktors steigt exponentiell mit einer Verdoppelungszeit im Bereich von 10-14 Sekunden an. Bei wassermoderierten Reaktoren kommt es dabei zur Verdampfung des Moderators, welcher aber notwendig ist, um die Kettenreaktion aufrechtzuerhalten. Dadurch kehrt der Reaktor, sofern nur das Wasser verdampft, aber die räumliche Anordnung des Brennstoffs noch erhalten ist, in den unterkritischen Bereich zurück. Dieses Verhalten heißt eigenstabil.

Dieses Verhalten gilt nicht für beispielsweise Graphit-moderierte Reaktortypen, denn speziell Graphit verliert bei zunehmender Temperatur seine moderierenden Eigenschaften nicht. Gerät ein solcher Reaktor in den prompt überkritischen Bereich, so kommt die Kettenreaktion nicht zum Erliegen und binnen Sekundenbruchteilen führt dies zur Überhitzung und Zerstörung des Reaktors. Schlagartig verdampfende Flüssigkeiten, Metalle und der brennende Graphit können dabei zu weiträumiger Verteilung des radioaktiven Inventars führen, wie in der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl geschehen. Dieses Verhalten bezeichnet man als nicht eigenstabil oder labil.

Die automatische Unterbrechung der Kettenreaktion bei wassermoderierten Reaktoren ist, anders als gelegentlich behauptet, kein Garant dafür, dass es nicht zu einer Kernschmelze kommt, da die Nachzerfallswärme bei Versagen aktiver Kühlsysteme ausreicht, um diese herbeizuführen. Aus diesem Grunde sind die Kühlsysteme redundant und diversitär ausgelegt. Eine Kernschmelze wird als Auslegungsstörfall bei der Planung von Kernkraftwerken berücksichtigt und ist prinzipiell beherrschbar. Wegen der veränderten geometrischen Anordnung ist erneute Kritikalität allerdings nicht grundsätzlich auszuschließen.

Kernschmelze

Hauptartikel: Kernschmelze

Wenn Brennstäbe niederschmelzen und dadurch eine Zusammenballung von Brennstoff entsteht, nimmt der Multiplikationsfaktor zu, und es kann zu einer schnellen unkontrollierten Aufheizung kommen. Um diesen Prozess zu verhindern oder wenigstens zu verzögern, werden in einigen Reaktoren die im Reaktorkern verarbeiteten Materialien so gewählt, dass ihr Neutronen-Absorptionsvermögen mit steigender Temperatur anwächst, die Reaktivität also abnimmt. Der Fall der Kernschmelze wird als größter anzunehmender Unfall (GAU) betrachtet, also als der schwerste Unfall, der bei der Auslegung der Anlage in Betracht zu ziehen ist und dem sie ohne Schäden für die Umgebung standhalten muss. Einen solchen Unfall gab es z.B. im Kernkraftwerk Three Mile Island.

Der schlimmste Fall, dass z.B. das Reaktorgebäude nicht standhält und eine größere, die zulässigen Grenzwerte weit überschreitende Menge radioaktiver Stoffe austritt, wird als Super-GAU bezeichnet. Dies trat zum Beispiel bei der Katastrophe von Tschernobyl ein.

Als inhärent sicher gelten daher beim derzeitigen Stand der Technik nur bestimmte Hochtemperaturreaktoren geringerer Leistungsdichte, die eine Kernschmelze prinzipbedingt ausschließen. Die Leistungsdichte wird in MW/m³ angegeben, also in Megawatt thermischer Leistung pro Kubikmeter Reaktorkern. Diese Angabe erlaubt eine Aussage darüber, welche technischen Vorsorgen getroffen werden müssen, um im Falle von Störungen oder Schnellabschaltungen die anfallende Nachwärme abzuführen.

Typische Leistungsdichten sind: für gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren 6 MW/m³, für Siedewasserreaktoren 50 MW/m³ und für Druckwasserreaktoren 100 MW/m³.

Der EPR hat zur Sicherheit, falls der Fall einer Kernschmelze eintreten sollte, ein spezielles Keramikbecken, das sich Core-Catcher nennt. Darin soll das schmelzende Brennmaterial hinein fließen und durch eine spezielle Kühlung abgekühlt werden.

Nachwärme

Wird ein Reaktor abgeschaltet, so wird durch den radioaktiven Zerfall der Spaltprodukte weiterhin Wärme produziert. Die Leistung dieser so genannten Nachzerfallswärme entspricht anfänglich etwa 5 % der thermischen Leistung des Reaktors im Normalbetrieb und klingt in einem Zeitraum von einigen Tagen ab. Häufig wird dafür der Begriff „Restwärme“ verwendet, welcher aber irreführend ist, weil es sich nicht um die verbleibende aktuelle Hitze des Reaktorkerns handelt, sondern um zusätzliche Energie, die durch weiterlaufende Zerfallsreaktionen frei wird.

Um die Nachzerfallswärme in Notfällen (bei ausgefallenem Hauptkühlsystem) sicher abführen zu können, besitzen alle Kernkraftwerke ein aufwändiges Not- und Nachkühlsystem. Sollte jedoch der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass auch diese Systeme versagen, kann es durch die steigenden Temperaturen zu einer Kernschmelze kommen, bei der Strukturteile des Reaktorkerns und unter Umständen Teile des Kernbrennstoffs schmelzen.

Siehe auch: Kernspaltung

Reaktortypen

Die ersten Versuchsreaktoren waren simple Aufschichtungen von spaltbarem Material, siehe Chicago Pile. Moderne Reaktoren werden nach der Art der Kühlung, der Moderation und der Bauweise unterteilt.

Mit normalem, leichtem Wasser moderierte Reaktionen finden im Leichtwasserreaktor statt, der als Siedewasserreaktor oder Druckwasserreaktor ausgelegt sein kann. Eine Weiterentwicklung des Vor-Konvoi, Konvoi und des N4 ist der Europäische Druckwasserreaktor (EPR). Ein russischer Druckwasserreaktor ist der WWER. Leichtwasserreaktoren benötigen angereichertes Uran, Plutonium oder Mischoxide (MOX) als Brennstoff. Ein Leichtwasserreaktor war auch der Naturreaktor Oklo.

Mit schwerem Wasser moderierte Schwerwasserreaktoren erfordern eine große Menge des teuren schweren Wassers, können aber mit natürlichem, nicht angereichertem Uran betrieben werden. Der bekannteste Vertreter dieses Typs ist der in Kanada entwickelte CANDU-Reaktor.

Gasgekühlte, graphitmoderierte Reaktoren wurden bereits in den 50er Jahren entwickelt, zunächst primär für militärische Zwecke (Plutoniumproduktion) und sind die ältesten kommerziell genutzten Kernreaktoren; das Kühlmittel ist in diesem Fall Kohlendioxid. In Großbritannien sind (2008) noch eine Reihe dieser Anlagen in Betrieb. Wegen der aus einer Magnesiumlegierung hergestellten Brennstabhülle heißt dieser Reaktortyp Magnox-Reaktor. Ähnliche Anlagen wurden auch in Frankreich eingesetzt, sind aber inzwischen alle abgeschaltet.

Ein Nachfolger der Magnox-Reaktoren ist der in Großbritannien entwickelte AGR (Advanced Gas-cooled Reactor). Im Unterschied zu den Magnox-Reaktoren verwendet er jedoch leicht angereichertes Urandioxid statt Uranmetall als Brennstoff. Dies ermöglicht höhere Leistungsdichten und Kühlmittelaustrittstemperaturen und damit einen besseren thermischen Wirkungsgrad.

Ein Hochtemperaturreaktor (auch Kugelhaufenreaktor genannt) nutzt ebenfalls Graphit als Moderator, als Kühlmittel wird Helium verwendet. Der Kernbrennstoff ist hier in Kugeln aus Graphit eingeschlossen. Dieser Reaktortyp gilt als einer der sichersten, da hier selbst bei einem Versagen der Not- und Nachkühlsysteme eine Kernschmelze aufgrund des hohen Schmelzpunktes des Graphits unmöglich ist.

Die sowjetischen Reaktoren vom Typ RBMK nutzen ebenfalls Graphit als Moderator. Hier liegt der Graphit in Blöcken vor, durch die hunderte bis tausende (abhängig von der Leistung des Reaktors) Kanäle gebohrt sind, in denen sich die so genannten Druckröhren mit den Brennelementen und der Wasserkühlung befinden. Dieser Reaktortyp ist einerseits träge (was viel Zeit zum Regeln lässt), andererseits aber unsicherer als andere Typen, da ein Kühlmittelverlust hier nicht Moderatorverlust bedeutet, also nicht die Reaktivität verringert und der (heiße) Reaktor sehr große Mengen brennbaren Graphits enthält. Die Reaktorblöcke in Tschernobyl waren von diesem Typ.

Daneben gibt es Brutreaktoren (Schnelle Brüter), in denen zusätzlich zur Energiegewinnung 238U so in 239Pu umgewandelt wird, sodass mehr neues Spaltmaterial entsteht als zugleich verbraucht wird. Diese Technologie ist (auch sicherheitstechnisch) anspruchsvoller als die der anderen Typen. Ihr Vorteil ist, dass mit ihr die Uranvorräte der Erde um ein Vielfaches besser ausgenutzt werden können, als wenn nur das 235U „verbrannt“ wird. Brutreaktoren arbeiten mit schnellen Neutronen und verwenden flüssiges Metall, wie beispielsweise Natrium als Kühlmittel.

Kleinere, nicht brütende Reaktoren mit Metallkühlung (Blei-Bismut-Legierung) wurden in sowjetischen U-Booten eingesetzt.

Es gibt weiterhin einige Sondertypen für spezielle Anwendungen. So wurden kleine Reaktoren mit hochangereichertem Brennstoff für die Stromversorgung von Raumflugkörpern konstruiert, die ohne flüssiges Kühlmittel auskommen. Diese Reaktoren sind nicht mit den Isotopenbatterien zu verwechseln. Auch luftgekühlte Reaktoren, die stets hochangereicherten Brennstoff erfordern, wurden gebaut, zum Beispiel für physikalische Versuche im BREN-Tower in Nevada. Es wurden Reaktoren für den Antrieb von Raumfahrzeugen konstruiert, bei denen flüssiger Wasserstoff zur Kühlung des Brennstoffes dient. Allerdings kamen diese Arbeiten über Bodentests nicht hinaus (Projekt NERVA, Projekt Timberwind). Ebenfalls nicht über das Versuchsstadium hinaus kamen Reaktoren, bei denen der Brennstoff in gasförmiger Form vorliegt (Gaskernreaktor). Der Flüssigsalzreaktor nutzt ein geschmolzenes Uransalz, meist Uranhexafluorid (UF6) oder Urantetrafluorid (UF4), als Brennstoff und Wärmeträger und Graphit als Moderator. Diese Reaktoren wurden unter anderem in den USA in den 1960er Jahren zum Antrieb von Flugzeugen entwickelt.

Derzeit wird weltweit aktiv an neuen Reaktorkonzepten gearbeitet, den Generation IV-Konzepten, insbesondere mit Blick auf den erwarteten wachsenden Energiebedarf. Diese sollen nach der Vorstellung des U.S. Department of Energy ab 2030 zum Einsatz kommen.

Natürlicher Kernreaktor

Eine Kernspaltungs-Kettenreaktion kann nicht nur durch komplexe technische Systeme erreicht werden, sondern kommt unter bestimmten, wenn auch seltenen, Umständen in der Natur vor. 1972 entdeckten französische Forscher in der Region Oklo des westafrikanischen Landes Gabun die Überreste des natürlichen Kernreaktors Oklo, der vor ca. zwei Milliarden Jahren, im Proterozoikum, von selbst entstanden war. Ausgangspunkt war die Entdeckung, dass das Uranerz aus der Oklo-Mine einen geringfügig kleineren Gehalt des Isotops Uran-235 als erwartet aufwies. Die Wissenschaftler bestimmten daraufhin die Mengen verschiedener Edelgasisotope, die in einer Materialprobe der Oklo-Mine eingeschlossenen waren, mit einem Massenspektrometer. Aus der Verteilung der verschiedenen bei der Uranspaltung entstehenden Xenonisotope in der Probe ergab sich, dass der Reaktor in Pulsen gearbeitet hat. Der ursprüngliche Urangehalt des Gesteins führte mit der Moderatorwirkung des in den Spalten des Urangesteins vorhandenen Wassers zur Kritikalität. Die dadurch freigesetzte Wärme im Urangestein erhitzte das Wasser in den Spalten, bis es schließlich verdampfte und nach Art eines Geysirs entwich. Infolgedessen konnte das Wasser nicht mehr als Moderator wirken, so dass die Kernreaktion zum Erliegen kam (Ruhephase). Daraufhin sank die Temperatur wieder ab, so dass frisches Wasser einsickern und die Spalten wieder auffüllen konnte. Dies schuf die Voraussetzung für erneute Kritikalität, und der Zyklus konnte von vorne beginnen. Berechnungen zeigen, dass auf die etwa 30 Minuten dauernde aktive Phase (Leistungserzeugung) eine Ruhephase folgte, die mehr als zwei Stunden anhielt. Auf diese Weise wurde der natürliche Atommeiler für etwa 500.000 Jahre in Gang gehalten, wobei er über 5 Tonnen Uran-235 verbrauchte. Die Leistung des Reaktors lag im Vergleich zu den heutigen Megawatt-Reaktoren bei geringen 100 Kilowatt.

Trotz intensiver weltweiter Nachforschungen in über 200 Uranlagerstätten konnten bislang keine weiteren natürlichen Reaktoren mehr aufgespürt werden. Dies muss aber nicht bedeuten, dass in der Vergangenheit keine weiteren Reaktoren entstanden sind. Sie könnten z. B. im Laufe der Zeit durch geologische Prozesse tief in die Erdkruste abgesunken oder durch andere Vorgänge verschwunden sein. Ein Grund für das Entstehen dieses natürlichen Atomreaktors war, dass zu der Zeit der natürliche Gehalt an spaltbarem 235U im Uran ca. 3 % betrug. Aufgrund der kürzeren Halbwertszeit von 235U gegenüber 238U beträgt der natürliche Gehalt von 235U im Uran derzeit etwa 0,7 %. Daher ist ein natürlicher Kernreaktor auf der Erde nicht mehr möglich.

Bedeutsam ist der Naturreaktor von Oklo auch für die sichere Beurteilung der Endlagerung von Radionukilden ("Atommüll"). Die sehr geringe beobachtete Migration der Spaltprodukte und des erbrüteten Plutoniums über Milliarden Jahre hinweg lassen den Schluss zu, dass geeignete atomare Endlager aus Menschenhand im Fels oder Salzgestein über lange Zeiträume hinreichend sicher sind.

Anwendungen

Die meisten Kernreaktoren dienen der Erzeugung von elektrischer (selten: nur thermischer) Energie in Kernkraftwerken. Daneben werden Kernreaktoren auch zur Erzeugung von Radionukliden z.B. für die Nutzung in Radioisotopengeneratoren oder in der Nuklearmedizin verwendet. Dabei werden die gesuchten Nuklide entweder aus dem abgebrannten Brennstoff extrahiert oder gezielt erzeugt, indem stabile Isotope der gleichen Elemente der im Kernreaktor herrschenden Neutronenstrahlung ausgesetzt werden (siehe Kernreaktion, Neutronenanlagerung). Theoretisch könnte man in einem Reaktor auch Gold machen (Goldsynthese), was allerdings sehr unwirtschaftlich wäre. Die wichtigste im Reaktor durchgeführte Reaktion zur Stoffumwandlung ist neben der Erzeugung von Spaltprodukten die Erzeugung (Erbrütung genannt) von Plutonium-239 aus Uran-238, dem häufigsten Uranisotop. Weiterhin dienen Kernreaktoren als intensive regulierbare Neutronenquelle für physikalische Untersuchungen aller Art. Eine weitere Anwendung von Kernreaktoren ist der Antrieb von Fahrzeugen (Kernenergieantrieb) und die Energieversorgung von manchen Raumflugkörpern. In letzterem Fall sind diese nicht mit den Isotopenbatterien gleichzusetzen.

Sicherheit und Politik

Das von Kernreaktoren ausgehende Gefahrenpotenzial sowie die bislang ungelöste Frage der Lagerung der anfallenden radioaktiven Abfälle haben nach Jahren der Euphorie seit den 1970er Jahren in vielen Ländern zu Protesten von Atomkraftgegnern und zu einer Neubewertung der Kernenergie geführt. Während in den 1990er Jahren vor allem in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie propagiert wurde, findet vor dem Hintergrund der verblassenden Erinnerungen an die Risiken (die Katastrophe von Tschernobyl liegt nun schon über 20 Jahre zurück) ein Versuch statt, die Atomkraft wieder gesellschaftsfähig zu machen. Anlass ist die durch internationale Verträge geforderte Reduktion des CO2-Ausstoßes der fossilen Energieträger. Diesem Problem klassischer Energieträger steht ein wachsender Energiebedarf durch aufstrebende Volkswirtschaften wie etwa China gegenüber.

Aus diesen Gründen entschlossen sich einige europäische Staaten, verstärkt in die Kernenergie zu investieren. So bauen der deutsche Konzern Siemens und die französische Gruppe Areva einen Druckwasserreaktor vom Typ EPR im finnischen Olkiluoto, der 2009 ans Netz gehen soll. Russland will seine alten und teilweise maroden Kernkraftwerke erneuern und für mindestens zehn Jahre pro Jahr einen neuen Reaktorbau beginnen. In Frankreich wird ebenfalls über den Neubau eines Reaktors verhandelt, als Termin für die Fertigstellung wird das Jahr 2010 genannt. Schweden stoppte seine Pläne zum Atomausstieg. Daneben gibt es kleinere und größere Neubauprojekte in Iran, der Volksrepublik China, Nordkorea, Türkei und anderen Staaten.

Die Lebensdauer von Kernreaktoren ist nicht unbegrenzt. Besonders der Reaktordruckbehälter ist ständiger Neutronenstrahlung ausgesetzt, die zur Versprödung des Materials führt. Wie sehr das Material versprödet, hängt unter anderem davon ab, wie die Brennelemente im Reaktor angeordnet sind und welchen Abstand sie zum Reaktordruckbehälter haben. Die Kernkraftwerke Stade und Obrigheim wurden auch deshalb als erste vom Netz genommen, weil hier dieser Abstand geringer war als bei anderen, neueren Kernreaktoren. Zur Zeit versuchen die Betreiber von Kernkraftwerken, durch eine geschickte Beladung mit Brennelementen und zusätzlichen Moderatorstäben die Neutronenbelastung des Reaktordruckbehälters zu reduzieren.

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • A. P. Meshik et al.: Record of Cycling Operation of the Natural Nuclear Reactor in the Oklo/Okelobondo Area in Gabon. Phys. Rev. Lett. 93, 182302 (2004)

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