Atoni

Atoni

Die Atoin Meto (atoni, Mensch, meto, trocken, einheimisch), Atoni (Pah Meto; Menschen des trockenen Landes) oder Dawan sind eine bäuerliche Mittelgebirgspopulation, die das ganze zentrale Bergland Westtimors besiedelt, ein Gebiet, das sie selbst pah meto, das trockene Land, nennen. Die Atoin Meto leben auch in der Exklave Oecussi-Ambeno, die zu Osttimor gehört.

Atoin Meto, Oinlasi, 1991

Inhaltsverzeichnis

Bevölkerung

Als dominierende Bevölkerung Westtimors verteilen die Atoin Meto sich auf zehn Territorien mit informeller politischer Infrastruktur, die parallel zur indonesischen Administration existiert und sich an der Struktur der sozialen und politischen Beziehungen einflussreicher Clan-Gruppen (kanaf, wie ein Name) orientiert. Die große Mehrheit dieser Bevölkerung lebt in lokalisierten Weilern (kuan), die von der indonesischen Administration inzwischen zu großflächigen Dörfern (desa) zusammengefasst wurden. Der Rhythmus der jährlichen Schwankungen der nassen und trockenen Jahreszeit bestimmt und reguliert die Gesamtheit des Lebens in diesen Siedlungen. Die Atoin Meto betreiben Subsistenzwirtschaft und hängen existenziell von ihren Haus- und Feldgärten ab, in denen sie hauptsächlich Mais und verschiedene Gemüsesorten anbauen. In jedem Weiler bilden kooperative, patrilinear verwandte Haushalte (ume) den Fokus der ökonomischen, sozialen und rituellen Aktivitäten. Sind diese Aktivitäten übergeordneter Natur, so sind der Klan beziehungsweise die Namen-Gruppe (kanaf) die durchführende Gemeinschaft. Jeder Atoin Meto ist Mitglied einer dieser patrilinearen und exogamen Namen-Gruppen, die sich auf ein definiertes Territorium (pah ma nifu, Land und See; Heimat) bezieht, das aus einer Vielzahl von benannten Orten besteht. Die Geschichte dieser Orte reicht bis in den unmittelbaren Alltag der Atoin Meto hinein; er erinnert sie an längst vergangene Ereignisse, die den Namen-Gruppen Bestand und Identität verleihen.

Für das gesamte Siedlungsgebiet Westtimor liegen keine neueren Zensuswerte vor. Die letzte Angabe aus dem Jahr 1966 gibt eine Bevölkerung von 600.000 an, eine Zahl, die inzwischen jedoch weit überschritten sein dürfte. Gemäß dem zuletzt in Südzentraltimor durchgeführten Zensus von 1989-90 betrug die Bevölkerungsgröße im Landkreis Amanuban schon 194.905, in Amanatun 74.463, in Molo 63.188 Einwohner.

Geschichte

Man vermutet, dass vedo-austronesische Völker ca. 40.000 bis 20.000 v. Chr., während der letzten Eiszeit, vom Norden und Westen her Timor erreichten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Großen Sundainseln durch Landbrücken mit dem asiatischen Kontinent verbunden und der Weg über das Meer bis Timor deutlich kürzer. Die Einwanderer waren vergleichbar mit den Veddas im heutigen Sri Lanka und scheinen die gleichen Vorfahren zu haben. Ihre Nachkommen, die Atoin Meto, repräsentieren die ursprüngliche Bevölkerung Timors und zeichnen sich durch eine sehr dunkle Hautfarbe und glatte, schwarze Haare aus.

Geht man davon aus, dass die Piroge erst 7.000 v. Chr. erfunden wurde, kann man annehmen, dass die Strecken über das Meer mit Flößen bewältigt wurden. 20.000 v. Chr. war die Landwirtschaft noch nicht gängige Praxis. Die Menschen lebten in kleinen Clans oder Stämmen zusammen, die als Jäger und Sammler ohne feste Siedlungen umherzogen.

Später wurden die Atoin Meto durch folgende Einwanderungswellen auf den Westteil der Insel zurückgedrängt.

Sprache

Uab Meto (Baikeno, Dawan)

Gesprochen in

Indonesien, Osttimor
Sprecher 600.000
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache von Osttimor (Nationalsprache)
Sprachcodes
ISO 639-3:

aoz

Übersichtskarte von den Sprachen Osttimors

Wie die meisten Sprachen der Insel Timor gehört auch das in mehrere Dialekte gegliederte Uab Meto (die einheimische Sprache) zur großen Gruppe der austronesischen Sprachen, und zwar zu deren westindonesischem Zweig. Es ist mit 600.000 Sprechern die timoresische Sprache mit den meisten Muttersprachlern. Von Tetum gibt es zwar mehr Sprecher, unter ihnen sind aber viele, die Tetum als Zweitsprache sprechen. Das Uab Meto war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts keine Schriftsprache. Das Uab Meto, die dominierende Sprache Westtimors, ist in mehrere regionale Dialekte gegliedert. Die Hauptdialekte des Uab Meto sind:

a) Amarasi (Verwaltungsbezirk Südwesttimor)
b) Molo und Miomafo (Verwaltungsbezirke Südzentral- und Nordzentraltimor)
c) Amanuban und Amanatun (Verwaltungsbezirk Südzentraltimor)
d) Insana und Biboki (Nordzentraltimor)
e) Baikeno (osttimoresische Exklave Oecussi-Ambeno)

Je nach Perspektive wird diese Sprache heute als Dawan oder als Uab Meto bezeichnet, wobei der Terminus Dawan eine in der Bürokratie und in den Städten verwendete Fremdbezeichnung, Uab Meto die ethnische Eigenbezeichnung ist. Über die Herkunft des Begriffs Dawan, der als abwertende Bezeichnung sowohl der Ethnie als auch der Sprache dient, gibt es keinerlei etymologische Informationen. Ein Dialekt des Uab Meto ist heute zum Standard der modernen Schriftsprache Uab Meto geworden. Untereinander sind die regionalen Dialekte jedoch so verschieden, dass nur im Bereich der Territorialgrenzen Sprecher beider Dialekte siedeln. Das bedeutet, dass die regionalen Dialekte sind gegenseitig nicht unbedingt verständlich sind. Der größte Teil der Wortstämme des Uab Meto besteht aus zwei Silben, die Betonung liegt auf der ersten Silbe. Endet die erste Silbe auf [a] oder [e], ist das [e] der ersten Silbe immer kurz und ist kaum betont, wie in meto (trocken), pena (Mais), ane (Trockenreis) etc. Endet die zweite Silbe dagegen auf [i] oder [u], ist das [e] der ersten Silbe lang, geschlossen und unbetont, wie in menu (bitter), peti (Schachtel) etc. Allgegenwärtige Metathesis in Umgangssprache und Alltag ist ein charakteristisches Merkmal des gesprochenen Uab Meto. Unter Metathesis versteht die Sprachwissenschaft die Vertauschung von Konsonanten innerhalb eines Wortes: atoni - Atoin Meto (Mann, Mensch - Einheimischer), neno - neon mese (Tag, Sonne - erster Tag der Woche, Montag), usi - uis neno (Fürst - Fürst des Himmel, Gott) etc. Wie die Beispiele zeigen, verlangt die Qualifizierung eine Metathesis am Substantivs (Regens).

Der Dialekt Baikeno ist die Sprache der osttimoresischen Exklave Oecussi-Ambeno. Aus politischen Gründen ist dies auch der Name unter dem dieser Dialekt in Osttimor als eine von 15 Nationalsprachen in der Verfassung anerkannt ist. Fast 46.000 Einwohner Osttimors sprechen einen Dialekt des Uab Meto als Muttersprachler, die Mehrheit davon Baikeno.

Zahlen

1 mese
2 nua
3 teun
4 haa
5 niim
6 nee
7 hiut
8 faun
9 sio
10 boés

Wirtschaftsweise

Künstlerische Ausdrucksweisen

Atoin Meto-Ritual, Niki-Niki Un, 1992

In den Ritualen der Atoin Meto, die den Lebenszyklus des Individuums, die Landwirtschaft und den Hausbau begleiten, kooperieren zwei unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, Männer und Frauen, deren künstlerische Ausdrucksweisen zum Gelingen dieser Rituale beitragen. Der poetische Sprachgebrauch der Männer (Wort) und die textile Motivik der Frauen (Bild) gestalten in Gegenseitigkeit die erforderlichen Riten und erfüllen so ihren Zweck. Die prominenten Medien in diesen Ritualen sind von Männern öffentlich vorgetragene mündliche Dichtungen (tonis) als Regionalgeschichte sowie die demonstrative Zurschaustellung der von Frauen produzierten Textilien als Indikator territorialer Zugehörigkeit

Die soziale Organisation

Die untrennbare Verbindung einer Verwandtschaftsgruppe mit einem bestimmten Territorium bildet das grundlegende Prinzip der sozialen Organisation der Atoin Meto. Basis und Zentrum der sozialen Aktivitäten bildet die „minimal lineage“, die unterste der kooperierenden Abstammungsgruppen. Jede Lineage (ume, Haus, Haushalt, Familie) als lokale, unilineare Abstammungsgruppe bildet einen relativ autonomen Haushalt (ume), deren Mitglieder in einem agnaten Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen: ein Mann, dessen Frau und deren Kinder, die erwachsenen Söhne und deren Familien sowie die Brüder des Mannes mit dessen erwachsenen Söhnen und deren Familien. Eine Atoin Meto-ume stellt sich so als eine erweitere Familie dar, in der zwei oder mehr unilinear miteinander verwandete Generationen leben. Für eine solche ume besteht eine strikte, unumgängliche Exogamieregel; ihre Mitglieder betrachten sich als eine Einheit in Bezug auf Außenstehende. Die ume als „minimal lineage“ ist Teil eines Klans (kanaf, wie ein Name; Namen-Gruppe), der all diejenigen Personen umfasst, die ihre Abstammung auf einen gemeinsamen - mythischen und genealogisch nicht direkt nachweisbaren - Ahnen zurückführen können.

Atoin Meto-Haushalt, Tetaf, 1990

Das traditionelle Siedlungsmuster der Atoin Meto ist ein kuan genannter Weiler; einer dieser kuan repräsentiert den Ursprungsort (als Omphalus), der die erste Landnahme durch die Ahnen markiert. Es handelt sich hier um den „heiligen Fels, die heilige Quelle“, um den Platz, der mit dem Name einer Namen-Gruppe auf intime Weise verbunden ist. Ein kuan stellt kein Dorf im üblichen Sinne dar: Es handelt sich um verstreut liegende Gehöfte, jedes einzelne von nur einer ume bewohnt. Der territoriale Komplex kuan bildet ebenfalls den Siedlungsraum einer Namen-Gruppe (kanaf), einer der vielen unilinearen Abstammungseinheiten, deren Mitglieder alle den gleichen Namen tragen. Eine Namen-Gruppe setzt sich in der Regel aus vier bis zehn ume zusammensetzen. Ein „Dorf“ der Atoin Meto besteht aus den Mitgliedern einer unilinearen Abstammungsgruppe; es gibt keine anderen „Dörfer“ der gleichen Abstammungsgruppe; die Mitglieder der einzelnen territorialen Verbände sind untereinander durch eine strenge Exogamieregel verbunden, das heißt: durch Beziehungen gegenseitiger Heirat und affinaler Verwandtschaft.

Die politische Organisation

In der Vergangenheit war Westtimor wegen der sektionalen Interessen einzelner Lineages, Dörfer und Individuen sehr unsicher; Macht und Einfluss eines hochrangigen Adeligen (raja) reichte in der Regel aber nicht über sein Territorium hinaus. Authochtone politische Ordnungsvorstellungen der Atoin Meto beziehen ihre Legitimität aus der oralen Tradition. Primär handelt es sich hier um aus dem Stegreif komponierte mündliche Dichtungen, die von speziellen Funktionsträgern (Dichter-Sprechern) in den Ritualen des Lebenszyklus in ritueller Rede vorgetragen werden. Den geographischen Raum, das Territorium, das mit einer bestimmten politischen Einflusssphäre identisch ist, ordnen die Atoin Meto mittels zwei Prinzipien: a) Entsprechend einem Reziprozitätsprinzip, das sich aus den verwandtschaftlichen Beziehungen ableiten lässt, stellen die Atoin Meto verschiedene politische Gruppierungen - räumlich entsprechend den Haupthimmelsrichtungen orientiert - einander gegenüber. Die Kategorie feto-mone (weiblich-männlich) und olif-tataf (jüngerer Bruder-älterer Bruder) dient als strukturierendes Prinzip, das durch eine dritte Kategorie - nanan-mone` (innen-außen) - ergänzt und erweitert wird. Die gegenseitigen Beziehungen dieser Gruppen, ihre Rechte und Pflichten, projizieren die enge Verzahnung zwischen agnaten und affinalen Verwandten innerhalb der ume auf eine territoriale und politische Ebene. Die politische Organisation markiert diese Beziehungen durch die soziale Position einzelner politischer Funktionsträger innerhalb sozialer Verbände und in Bezug auf territorialen Besitz. b) In den politischen Institutionen der Atoin Meto gilt der Grundsatz: Mindestens zwei politische Einheiten umgeben ein Zentrum und sind diesem komplementär gegenübergestellt (2+1, 4+1, 8+1). Die räumliche Gliederung des Territoriums in nanan-mone` (innen-außen) sowie die Gleichsetzung dieser Räume mit Qualitäten wie passiv-weiblich oder aktiv-männlich wird durch die Person des Atupas (ein sakraler Herrscher mit rituellen Funktionen für das politische Territorium) und seiner vier Fetoren (die weltlichen Herrscher, die exekutive Funktionen für das politische Territorium ausüben) repräsentiert.

Religion

Eine intensive protestantische und katholische Missionierung der Atoin Meto begann erst in diesem Jahrhundert (seit 1910). Praktizierende Christen sind weiterhin in ihrer indigenen Religion verwurzelt. In welchem Umfang einheimische religiöse Vorstellungen, Denken und Verhalten, vor allem das der bäuerlichen Bevölkerung, immer noch beeinflussen, ist unter indonesischer nationalstaatlicher Diskriminierung schwer zu beurteilen. Entsprechend den sozialen Systemen gruppieren sich auch die religiösen Vorstellungen der Atoin Meto um komplementäre Polaritäten, die einem anthropomorphen Kosmos zugrunde liegen. Unter den Bezeichnungen uis neno (Herr des Himmels) und uis pah (Herr der Erde) personifizieren und verehren sie Himmel und Erde als Voraussetzung und Grundlage ihrer landwirtschaftlichen Aktivitäten. Uis pah (die weibliche Erde) und uis neno (der männliche Himmel) werden als ein komplementäres Paar aufgefasst; gemeinsam bilden sie eine göttliche Zweiheit, in welcher der männliche uis neno eine gewisse Hegemonie ausübt. Diese Hegemonie geht allerdings nicht so weit, daß uis pah lediglich als eine Emanation von uis neno verstanden wird. Beide bilden unterschiedliche, voneinander zwar unabhängige, nicht jedoch isolierte Einheiten. Sie sind nicht getrennt denkbar, die eine kann ohne die andere nicht existieren. Die trockene Erde (uis pah) wird erst durch den lebenspendenden Regen, den Samen des Himmels (uis neno) fruchtbar. Eine geschlechtliche Gegenüberstellung von Himmel und Erde (Hieros Gamos) ist auf Timor, und darüber hinaus in ganz Ostindonesien weit verbreitetes Gedankengut. Als „Gott des Wassers“ ist uis neno mit dem Krokodil identisch (in der rituellen Rede uis oe, Fürst des Wassers, genannt), dessen Aufenthaltsorte die Flüsse und Seen Timors sind.

Literatur

  • Clarke E. Cunningham, Atoni Borrowing Of Children: An Aspect Of Mediation, in: Spiro, M.E. (ed.), American Ethnological Society Proceedings, Annual Spring Meeting, Seattle, 1965.
  • Clarke E. Cunningham, Categories Of Descent Groups In A Timorese Village, in: Oceania 37, 1966:13-21.
  • Herbert W. Jardner, Textilien der Atoni. Variationen eines Stils in West-Timor, unpubl. Magisterschrift, 1988,Köln.
  • Herbert W. Jardner, Die Kuan Fatu-Chronik. Form und Kontext der mümdlichen Dichtung der Atoin Meto (Amanuban, Westtimor), Veröffentlichungen des Seminars für Indonesische und Südseesprachen der Unsiversität Hamburg, Band 23, Berlin und Hamburg, 1999.
  • Herbert W. und Heidrun Jardner, Eingefangene Fäden. Textile Verzierungstechniken in West-Timor, Indonesien, Austronesia Bd.1, herausgegeben von Rainer Carle und Peter Pink, 2., neu bearb. und erw. Aufl., Hamburg, 1995.
  • Andrew R. McWilliam, Harvest of the nakaf: A Study of Headhunting Among the Atoni of West Timor, B.Litt.thesis, Australian National University, 1982.
  • Andrew R. McWilliam, Narrating the gate and the path. Place and precedence in South West Timor, Ph.D.thesis Australian National University, 1989.
  • Schulte Nordholt, H.G., The Political System Of The Atoni Of Timor, Verhandelingen Koninklijk Instituut 60, 1971.
  • Schulte Nordholt, H.G., The Symbolic Classification Of The Atoni Of Timor, in: James J. Fox, The Flow Of Life, Essays On Eastern Indonesia, Harvard University Press, 1980:231-247.

Weblinks


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