Philomathie

Philomathie
Neugier, hinter die Dinge zu schauen. Holzschnitt, Paris 1888, in Camille Flammarion

Neugier (auch Neugierde) bezeichnet das Streben von Menschen oder Tieren nach Neuem und Unbekanntem: neue Personen oder Sachen, Landschaften, Erlebnisse und Gefühle, Sinneseindrücke, Zusammenhänge oder Wissen. Der Wortbestandteil „Gier“ signalisiert, dass neugieriges Verhalten auch nur um des Neuen willen existiert. Das Gegenteil wird als Neuscheu bezeichnet.

Beim Menschen hat die Neugier einen forschungs- oder verstandesmäßigen Anteil und gleichzeitig einen emotionalen bzw. motivierenden Anteil. Der erstere in seiner reinsten Form wird meistens Wissbegierde genannt (historisch auch Philomathie von gr. philomathía).

Inhaltsverzeichnis

Anregende Sinneseindrücke oder Assoziationen

Neugierige Katze

Bei Mensch und Tier wird die Neugier meist durch Sinnesempfindungen angeregt, beispielsweise

  • ungewohnte Farben oder Bewegungen (bei Wildtieren allerdings nur außerhalb der Fluchtdistanz)
  • Sehen eines Gegenstandes in unüblicher Raumlage (zum Beispiel wenn Kinder gebückt hinter ihre Beine blicken, beim steilen Blick auf- oder abwärts)
  • überraschende oder sonstwie auffällige Geräusche
  • durch ungewohnten Geruch (z.B. bei Hunden und vielen Insekten)
  • ungewohnte Tastempfindungen, Boden oder Vibrationen.

Die große Neugier bei jungen Lebewesen hängt auch mit dem höheren Grad an Neuheitserlebnissen zusammen.

Neugier in der Pädagogik

Neugier kann zu pädagogischen Zwecken genutzt werden indem der Lehrer versucht, die „natürliche Neugierde“ der Schüler zu wecken, indem er Wege oder „Hints“ andeutet oder auf Zusammenhänge hinweist. Wenn sich die Schüler aus eigenem Antrieb Wissen aneignen, wird dies als interessanter empfunden und wegen emotional positiver Korrelation besser im Gehirn verankert, als wenn durch Frontalunterricht vermittelt würde.

Als Beispiel kann das Mikroskopieren dienen: wenn der Biologie-Unterricht oder die Eltern (z. B. bei Wanderungen) die Neugier der Kinder erwecken, wünschen oder kaufen sich manche selbst ein Mikroskop und legen los. Die resultierenden Lerneffekte werden als Erfolgserlebnisse wahrgenommen und motivieren weiter und führen zu größerer Begeisterung. Generell steigert die Neugier nicht nur die Motivation, sondern auch das Verständnis für den Lernstoff.

Auch die Erwachsenenbildung macht sich diese Erfahrung zunutze – beispielsweise in Angeboten von Volkssternwarten bei einer Sonnenfinsternis oder anlässlich medialer Debatten über Theater- oder psychologische Themen.

In der japanischen Erziehung, insbesondere in der Schule, werden Kinder dazu animiert, immer weiter und weiter zu forschen. Sie werden angehalten, Neugierde zu entwickeln. Und wie? Ganz einfach dadurch, dass die Lehrer einen leeren Raum offen lassen. Nichts wird bis zu seinem 'natürlichen' Ende durchdiskutiert, denn so natürlich sind diese Enden ohnehin nicht. Die Lehrkräfte sagen zu den Kindern: "Das ist gut und schön, was Du herausgefunden hast. Doch was gibt es da noch? Gibt es da noch eine andere Lösung? Denk nach!" Niemand gibt sich in Japan mit einer einzigen guten Lösung zufrieden. Genau dadurch bekommen viele verschiedene Gedankengänge im Gehirn eine Daseinsberechtigung und können sich so gleichberechtigt ausbilden. Dies verhindert es, später bei der Suche nach Lösungen immer wieder die gleichen eingefahrenen Wege zu nehmen.

Neugier in Psychologie und Kulturgeschichte

Im Zusammenhang mit Neugier wird in der Psychologie häufig Berlyne (1974) zitiert, der (tier-) experimentelle Studien durchgeführt hat (siehe auch pädagogische Psychologie). Ein Ergebnis bezog sich auf die Frage, welche situativen Bedingungen Neugier hervorrufen; Berlyne fand dafür die 4 Aspekte Neuartigkeit, Komplexität, Ungewissheit und Konflikt. Außerdem unterscheidet Berlyne einerseits zwischen spezifischer und diversiver Neugier, andererseits zwischen perzeptueller und epistemischer Neugier.

Seit jeher machen Menschen die Erfahrung, dass die Erkundung von Neuem oft mit Gefahr verbunden ist, aber auch Chancen eröffnet. Angst ist dabei nicht in jedem Fall ein dämpfender Faktor für die Neugier, sondern kann sie auch beflügeln - etwa als Suche nach dem „ultimativen Kick“ in der heutigen Freizeit-Gesellschaft.

Für Herodot war die Neugier nach historischen Zusammenhängen das Hauptmotiv, dass er Geschichtsschreiber wurde. Für die ionischen Naturphilosophen war sie der Antrieb, „hinter die Dinge“ schauen zu wollen, ebenso wie für Platon, für den das „Staunen“ (griechisch „thaumazein“) den Anfang aller Philosophie darstellte. Zitat:

„Das Staunen ist die Einstellung eines Mannes, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“

Platon: Theaitetos 155 D

„Einseitige Neugier“

Mit diesem Untertitel charakterisiert Jan Assmann die kulturelle Begegnung des antiken Griechenland mit Ägypten. In einer Rezension seiner Studie „Weisheit und Mysterium“ (3. Weblink) heißt es dazu: An den Beispielen erkennt man schon, dass unterschiedlicher zwei benachbarte Kulturen kaum sein können. Doch zogen sie einander an. Ob es um Theologie und Priestertum ging, um die Verfasstheit von Staat und Gesellschaft, um den Umgang mit Vergangenheit und Geschichte, um das Medium der Schrift oder um das Verhältnis zu Tod und Ewigkeit: Assmann zeigt, dass Griechen und Ägypter sich austauschten, einander umwarben, missverstanden, sich voneinander abgrenzten.

Immer hätten aber die Begegnungen in Ägypten stattgefunden - denn die Griechen reisten, die Ägypter aber nicht. Die Neugier auf das Andersartige lag vor allem bei den Griechen; nicht zuletzt deshalb blieben sie den Ägyptern am Ende suspekt.

Neugier und Gefahr, Paulinchen aus Struwwelpeter

Neugier und Gefahr

Gegen freiwillige Selbstversuche bestehen zwar weniger Bedenken, doch fallen ihnen seit Jahrhunderten immer wieder Forscher zum Opfer.

In „psychische Gefahr“ begibt sich fast jeder, der ungewöhnliche Neugier kultiviert. Sie kann von kränkendem Gelächter oder kopfschüttelnder Ablehnung der Mitmenschen bis zur Depression führen, der z. B. viele Künstler anheimfielen. Noch immer gelten besonders kreative Kinder als schwierig, und oft leiden sie unter ihrer Hochbegabung oder verleugnen sie.

In der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wurde die Neugier hauptsächlich als weibliche Eigenschaft gesehen. Beim Struwwelpeter nimmt sie die Gestalt von Paulinchen an, deren Experimente mit Streichhölzern tragisch ausgehen, und auch das dem Bestseller folgende Buch Struwwelliese geht in diese Richtung. Was damals teilweise geächtet wurde, gilt heute oft als in - etwa die Befriedigung der Neugier im Abenteuer-Tourismus oder in Gestalt sogenannter Grenzgänger.

Literatur

  • D.E. Berlyne (1974): Konflikt, Erregung, Neugier. Zur Psychologie der kognitiven Motivation. Klett-Verlag Stuttgart (Original 1960).
  • Elschenbroich, D. (Hrsg.) – Anleitung zur Neugier. Grundlagen japanischer Erziehung, Suhrkamp 1996

Siehe auch

Weblinks


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