Polarisierungsthese

Polarisierungsthese

Als Sozialer Wandel (auch: Gesellschaftlicher Wandel) werden die Veränderungen bezeichnet, die innerhalb einer Gesellschaft über einen längeren Zeitraum vor sich gehen, und zwar in erster Linie die Veränderungen der Sozialstruktur einschließlich der Bevölkerungsstruktur.

Inhaltsverzeichnis

Begriffe

Der Begriff des sozialen Wandels konkurriert mit verschiedenen anderen Begriffen wie Entwicklung, Evolution, Fortschritt oder Modernisierung. Deren Verwendung bedeutet in aller Regel eine Vorentscheidung für einen bestimmten Theorietyp oder/und eine Bewertung (letzteres ganz offenkundig bei "Fortschritt"). Um einen neutralen Begriff zu verwenden, wurde von William Fielding Ogburn der Begriff des sozialen Wandels in die Soziologie eingeführt.

Kritisiert wird heute insbesondere der Theorietyp, welche eine unilineare Entwicklungsrichtung unterstellt, und/oder eine Teleologie im Geschichtsablauf annimmt. Während eine Theorie des sozialen Wandels lediglich eine Abfolge von Strukturformen annimmt, geht eine Theorie der sozialen Entwicklung von einer Abfolge von Strukturprinzipien aus.[1]

Aspekte des Sozialen Wandels, die die Neuentstehung oder Aufgliederung von sozialen Positionen, Lebenslagen und/oder Lebensstilen betreffen, werden als Soziale Differenzierung bezeichnet.

Ralf Dahrendorf definiert besonders rapiden und radikalen sozialen Wandel als „Revolution“, Lars Clausen besonders rapiden, radikalen und magisierten (dämonisierten) (= „krassen“) sozialen Wandel als „Katastrophe“.

Theorien des Sozialen Wandels

Die Bestimmung der Ursachen von sozialem Wandel ist recht komplex. Versuche, den Wandel monokausal durch einen einzelnen Faktor zu erklären (z. B. durch technische Entwicklung, ökonomische Basis, Kultur, Religion etc.), gelten damit als ungeeignet. Man geht vielmehr von einer weitreichenden Interdependenz der sozialen Handlungsfelder und Bereiche aus, wobei einzelne Bereiche anderen Bereichen vorauseilen können.

  • Karl Marx sieht die Triebkraft für Sozialen Wandel in der Verschärfung der Widersprüche in der Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse.
  • Vilfredo Pareto erklärt Sozialen Wandel mit der Zirkulation der Eliten.
  • Ogburn führt Sozialen Wandel auf technische Erfindungen zurück.
  • Der Sozialdarwinismus auf Überlebenskampf in einer sich ändernden Umwelt.
  • Talcott Parsons sieht Modernisierung als Fortschritt (funktionalistische Lesart), der mit einem verbesserten Bildungssystem einhergeht, effizienteren Wettbewerb hervorruft und mit einem Zugewinn an Wohlstand verbunden ist.
  • Anthony Giddens sieht die Ursachen des sozialen Wandels in Umweltfaktoren, kulturellen Faktoren und politischen Faktoren. Die Fortschrittselemente des sozialen Wandels seien Sesshaftigkeit und Verstädterung.

Moderne mehrdimensionale Theorien des Sozialen Wandels haben gemeinsam, dass sie ihr Hauptaugenmerk auf Interessengegensätze, Konflikte und Entwicklungsrückstände und die dadurch erzeugten sozialen Spannungen richten. So führt in der so genannten Polarisierungsthese die fortschreitende Automation in kapitalistischen Gesellschaften nach der Erwartung einiger Forscher zu einer Aufteilung der Gesellschaft in zwei Teile. Dabei bilden den kleinen Teil hochqualifizierte, den großen Teil aber weiterhin unterqualifizierte Arbeitende. Folglich widerspricht die These der Behauptung, der soziale Wandel würde zu einer Höherqualifizierung aller Berufstätigen führen.[2]

Weitere Untersuchungen gehen der Frage nach, wie der Soziale Wandel gezielt politisch beeinflusst werden kann.

Literatur

  • Volker Bornschier u. a.: Diskontinuität des sozialen Wandels. Frankfurt am Main: Campus Verlag 1990, ISBN 3-593-34252-9.
  • Volker Bornschier: Westliche Gesellschaft - Aufbau und Wandel. Seismo Verlag 1998. ISBN 3-908239-66-4
  • Achim Bühl: Die virtuelle Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Sozialer Wandel im digitalen Zeitalter, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2000. ISBN 3-531-23123-5
  • Walter Ludwig Bühl: Sozialer Wandel im Ungleichgewicht. Zyklen, Fluktuationen, Katastrophen. Lucius + Lucius 1999, ISBN 3-8282-4510-2.
  • Walter Ludwig Bühl: Schule und gesellschaftlicher Wandel. Klett-Cotta: Stuttgart 1988, ISBN 3-12-921620-0.
  • Lars Clausen: Krasser sozialer Wandel, Opladen: Leske + Budrich 1994
  • Shmuel N. Eisenstadt: Tradition, Wandel und Modernität. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1988, ISBN 3-518-57119-2.
  • Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, 1939.
  • Karl Heinz Hillmann: Wertwandel, 1986.
  • Hans-Peter Müller/Michael Schmid: Sozialer Wandel. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, ISBN 3-518-28772-9.
  • Bernhard Schäfers: Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland. Mit einem Anhang: Deutschland im Vergleich europäischer Sozialstrukturen. 8., vollst. neu bearb. Aufl., UTB (Stuttgart) 2004. ISBN 3-8252-2186-5
  • Hermann Strasser/Susan C. Randall u. a.: Einführung in die Theorien des sozialen Wandels. Luchterhand Verlag 1979, ISBN 3-472-75113-4
  • Günter Wiswede/Thomas Kutsch: Sozialer Wandel. Zur Erklärungskraft neuerer Entwicklungs- und Modernisierungstheorien, 1978. ISBN 3-534-07571-4.
  • Wolfgang Zapf (Hg.): Theorien des Sozialen Wandels, 1969
  • Rainer Zoll (Hg.): Ein neues kulturelles Modell. Zum soziokulturellen Wandel in Gesellschaften Westeuropas und Nordamerikas, Opladen 1992. ISBN 3-531-12419-6

Quellen

  1. Wolfgang Schluchter: Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Gesellschaftsgeschichte. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) : Tübingen 1979. ISBN 3-16-541532-3. S. 13
  2. Vgl. O(tthein) R(ammstedt), Wandel, sozialer, in: Werner Fuchs-Heinritz/Rüdiger Lautmann/Otthein Rammstedt/Hanns Wienpold (Hgg.), Lexikon zur Soziologie, 4. Aufl., VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, S. 720.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sozialer Wandel — Als Sozialer Wandel (auch: Gesellschaftlicher Wandel) werden die Veränderungen bezeichnet, die eine Gesellschaft in ihrer sozialen und kulturellen Struktur über einen längeren Zeitraum erfährt. Inhaltsverzeichnis 1 Begriffe 2 Theorien des… …   Deutsch Wikipedia

  • Automatisierung — Automation * * * Au|to|ma|ti|sie|rung 〈f. 20〉 Sy Automatisation 1. das Automatisieren 2. Einführung automatischer Arbeitsgänge * * * Au|to|ma|ti|sie|rung, die; , en: das Automatisieren; das Automatisiertwerden. * * * I Automatisierung …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”